Ralph Chan

Bekannt, aber doch unbekannt

  • 23.02.2017, 20:52
Was oder wer ist OKTO?
OKTO gilt als der erste nichtkommerzielle, selbstorganisierte Fernsehsender österreichweit. Gestartet vor elf Jahren, entstehen die Produktionen auf Eigenregie, die SendungsmacherInnen sind meist unbekannte Personen aus der Zivilbevölkerung. In einem Gespräch mit dem Geschäftsführer Christian Jungwirth und den SendungsmacherInnen Ilse Kilic und Fritz Widhalm geht progress der Frage auf den Grund, was das Besondere an OKTO ist.

progress: Wie hat denn OKTO eigentlich begonnen? War es die ursprüngliche Idee, ein selbstorganisiertes Medium zu sein?
Christian Jungwirth: Das war es schon. Es gibt eine lange Tradition von partizipativen, nicht kommerziellen Medien besonders im Radio, aber auch im Fernsehen. Es hatte ein Arbeiterfernsehen in Linz gegeben. Im November 2005 erfolgte der Sendestart von OKTO. Vom Finanzierungsansatz, den die Stadt Wien wählte, war es ein gefördertes, subventioniertes Projekt, mit der Auflage, tunlichst werbefrei zu sein.

Wie würden Sie OKTO’s Sendungsstil beschreiben?
Jungwirth
: Wir sind jung, schrill, ecken in vielerlei Art an, sind sicher überraschend und definitiv alternativ. Unser Anspruch ist es, komplementär zum anderen Angebot im österreichischen Fernsehen zu sein, und ich glaube, dass es seit Bestehen sehr gut gelungen ist. Das ist unsere Legitimation. Wenn wir das verlieren würden, müsste man die Frage stellen, ob wir noch eine Berechtigung auf öffentliche Finanzierung haben, weil Mainstream und angepasste Programme gibt es genug. Wenn wir ganz ehrlich sind, ist das Programm von ORF nicht unterscheidbar vom privaten kommerziellen Programm wie RTL. Ich glaube, dass ein zunehmend großer Anteil der ZuseherInnen genug davon hat. Wir konnten das werbefreie Programm quasi auch als USB Port positionieren.
Ilse Kilic und Fritz Widhalm: Das Außergewöhnliche an OKTO ist die Tatsache, dass viele Menschen ihre Inhalte gestalten und einbringen können. Es ist eben ein Versuch, „Fernsehen von allen für alle" zu ermöglichen. Sprechen ist ja auch eine Möglichkeit, Klarheit zu gewinnen und Widersprüchlichkeiten zu diskutieren. Es geht also nicht nur um Programm- Machen. Wenn jemand aus dem Mainstream eine Sendung bei Ihnen produzieren wollen würde, würden Sie das auch zulassen? Jungwirth: Wir haben de facto professionelle JournalistInnen bei uns, die hauptberuflich im ORF tätig sind. Der inhaltliche Anspruch den wir, auch bei diesen Leuten stellen, ist, dass die Sendungen diesen komplementären, authentischen Charakter haben. Wenn wir versuchen, Formatfernsehen zu kopieren, kann das nur peinlich sein.

Wie kommt man bei OKTO zu einer eigenen Sendung?
Jungwirth:
Unsere Channel-ManagerInnen sind angestellte MitarbeiterInnen. Die sind dazu da, mit den interessierten Menschen ihre Sendungen zu entwickeln. Man bekommt das Equipment wie Kamera, Schnittplätze und Studio – alles gratis von uns. Wir schicken die Leute in die verschiedenen Workshops und dann geht es in die Produktion eines Piloten und mit ein paar Adaptierungen in die erste Episode. Der oder die MitarbeiterIn von OKTO fungiert in weiterer Folge als Coach.

Wie sind Sie zu OKTO gekommen und wie gestalten Sie Ihre Sendung „Wohnzimmerfilmrevue“? Welche Vorbereitungen treffen Sie, wenn Sie eine Folge produzieren?
Jungwirth:
Wir sind schon ziemlich lange dabei, eigentlich fast von Anfang an. Wir fanden es faszinierend, an einem solchen Projekt mitzuarbeiten. In der „Wohnzimmerfilmrevue“ zeigen wir Kurzfilme aus eigener Produktion zu verschiedenen Themen. Auch Literaturverfilmungen und kurze Lesungen von Kolleginnen und Kollegen. Wir versuchen, auf künstlerische Art und Weise Themen aufzugreifen, die im öffentlichen Raum Platz haben sollten. Sie haben letztes Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert.

Vieles verändert sich rasant, wie hat sich das auf OKTO ausgewirkt?
Jungwirth:
Momentan sind wir im Fernsehen sehr stark damit befasst, dieses sich erdrutschartig verändernde Fernsehverhalten der jungen Leute aufzufangen. Da ist die Herausforderung von OKTO, „Antworten“ als nicht-kommerzielles, alternatives, partizipatives Fernsehen anzubieten. Youtube hat eine etwas andere Herangehensweise, weil es in der Vielfalt unübertrefflich und komplett offen ist. Wenn wir was on-demand anbieten, muss eine Garantie mitgeliefert werden, dass es sich hierbei um authentischen und alternativen Inhalt handelt. Diesen Anspruch erhebt Youtube nicht.
Kilic und Widhalm: OKTO ist wichtiger geworden. Es ist einfach ein Gegenpol zu all den unzähligen „normalen“ Fernsehprogrammen, die die Menschen letztlich nur als Publikum sehen und ihnen die aktive Teilnahme vorenthalten. Es geht um die Stärkung der sogenannten Gegenöffentlichkeit und die Selbstermächtigung, dass die Dinge, die man zu sagen hat, bedeutend sind. OKTO ist ja nicht nur in Wien empfangbar, wie sehen die Einschaltquoten in anderen Bundesländern aus? Jungwirth: Man muss schon eingestehen: Das was OKTO ausmacht, ist ein stark urbaner Ballungsraum, besonders mit der Einbindung vieler migrantischer Communities. Bezüglich Reichweite und Nachfrage haben wir Wien im Fokus. Es freut uns auch, wenn wir am Land gesehen werden, aber da sind wir sicher eine Randerscheinung.

Wird OKTO in zehn Jahren weiterhin Teil der Medienlandschaft sein?
Jungwirth:
Wir haben in Linz „Dorf TV“, in Salzburg „FS1“ als alternative Fernsehstationen, die auch partizipativ und nicht kommerziell ausgerichtet sind. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft die Bedeutung von Einrichtungen wie unserer zunehmen wird. Es braucht Alternativen.
Kilic und Widhalm: Der Wunsch vieler Menschen, selbst ihre Anliegen zu präsentieren und das Wort zu ergreifen wird ebenso an Bedeutung gewinnen wie die Notwendigkeit einer linken Plattform.

Ralph Chan studiert Soziologie und Geographie an der Universität Wien.

Beam us up

  • 24.06.2015, 20:47

Science-Fiction ist mehr als nur Unterhaltung. Sie regt zum Träumen an: über medizinische Scanner, Weltraumkanonen und utopische Gesellschaften.

Science-Fiction ist mehr als nur Unterhaltung. Sie regt zum Träumen an: über medizinische Scanner, Weltraumkanonen und utopische Gesellschaften.

„Er ist tot, Jim.“ Dieser Satz wurde wegen des hohen Verschleißes an Statist_innen zum Markenzeichen des grantigen Schiffsarztes McCoy aus der originalen Star Trek-Serie der 1960er. Doch bevor „Bones“ seine Diagnose stellen konnte, bediente er sich eines speziellen Gerätes, dem Tricorder: ein medizinischer Scanner, der dem Weltraumarzt ohne Berührung alle möglichen Daten über seine Patient_innen verriet. Bis das Realität wird, müssen wir allerdings nicht mehr allzu lange warten: Vor kurzem präsentierte die Firma Scanadu ihren „Scout“, der wie das Vorbild aus Star Trek funktioniert und Daten wie Puls, Körpertemperatur, Blutdruck, Atemfrequenz und den Sauerstoffgehalt im Blut messen kann. „Um 1800 wurde das Thermometer erfunden. Das war bisher die letzte große Revolution im Bereich medizinischer Diagnose, die zu Hause durchgeführt werden kann“, erklärt Walter de Brouwer, der Gründer von Scanadu, das passenderweise ein Spin-off der US-Raumfahrtbehörde NASA ist.

TRICORDER™. Allerdings bauen noch neun andere Teams im Rahmen eines Wettbewerbs des Prozessorherstellers Qualcomm an medizinischen Tricordern. Der hat dafür nicht nur zehn Millionen US-Dollar Preisgeld bereitgestellt, sondern auch Lizenzgebühren für die Verwendung des Begriffs „Tricorder" gezahlt. Das zeigt nicht nur, dass Erfinder innen und Designer_innen sich bei ihrer Arbeit von Science-Fiction inspirieren lassen, sondern  auch,  dass  Firmen  bereit  sind, Geld dafür zu zahlen, um ihre Geräte nach ihrer Inspiration benennen zu dürfen. Und auch wenn die Mondlandung letztendlich mit einer Rakete und nicht statt wie von Jules Verne beschrieben mit einer Kanone durchgeführt wurde: Das heißt nicht, dass niemand es versucht hätte. Das US-Militär versuchte in den 1960er Jahren mit dem Projekt HARP eine von Verne inspirierte Weltraumkanone zu bauen.

In seinem Essay „Design Fiction“ erklärt der Künstler Julian Bleecker, warum sich Science-Fiction und De- sign so nahe sind: „Bei Science-Fiction erschaffen Autor innen Prototypen anderer Welten, anderer Erfahrungen, anderer Kontexte für Leben. Designte Objekte können sehr ähnlich verstanden werden.“ Wer einen Prototyp erschaffen will, schaut sich also erst einmal die fiktiven Prototypen von Sci-Fi-Autor_innen an. Die Geschichte kann übrigens auch anders verlaufen: Syd Mead, der als Konzeptkünstler für Filme wie Blade Runner, Alien oder Tron gearbeitet  hat, verdiente sein Brot vor seiner Karriere in Hollywood als Designer für den Automobilhersteller Ford.

Illustration: Veronika Lambertucci

HOSENTASCHENAVANTGARDE. Was ist überhaupt  Science-Fiction? So einfach ist die Frage gar nicht zu beantworten, gibt es doch einige Möglichkeiten der Definition. Beispielsweise sagt der Autor Basil Davenport: „Science-Fiction ist Fiktion, die auf der imaginierten Entwicklung der Wissenschaft oder auf der Extrapolation von gesellschaftlichen Tendenzen beruht.“ Einer der bekanntesten Science- Fiction-Schriftsteller seiner Zeit, der Biochemiker Isaac Asimov, meinte dagegen: „Science-Fiction kann als Zweig der Literatur definiert werden, der sich mit der Reaktion von menschlichen Wesen auf Veränderungen in Wissenschaft und Technik beschäftigt." Der Sci-Fi-Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern science und fiction zusammen. Sci-Fi hat sich erst mit der stärkeren Entwicklung eines zunehmenden Interesses an Wissenschaft und Technik in der Literatur etabliert. Als Begründerin des Genres gilt die Schriftstellerin Mary Shelley, die mit ihrem Roman „Frankenstein“, den sie während eines sehr verregneten Sommerurlaubs schrieb, große Erfolge erzielte. Weitere frühe Science-Fiction Werke wurden von Jules Verne („Reise zum Mittelpunkt der Erde“) und H. G. Welles („Die Zeitmaschine“) verfasst, die sich mit  wissenschaftlich-romantischen und technisch-gesellschaftskritischen Themen befassen. Heute wirken viele dieser Geschichten, gerade jene von Jules Verne, antiquiert, weil die großen technischen Errungenschaften, von denen sie erzählen, in vielen Fällen zum alten Eisen gehören: Ein U-Boot oder eine Raumkapsel mögen zwar immer noch imposante technische Gefährte sein, sie versprühen aber nicht mehr den avantgardistischen Charme, den sie im 19. Jahrhundert hatten. Erfindungen wie Videokonferenzen oder Nachrichtensendungen passen heute in die Hosentasche.

In den 1920er Jahren wurde Sci-Fi immer populärer, die Geschichten wurden in sogenannten Pulp-Fiction-Heftchen wie den berühmten „Amazing Stories“ verkauft. Ende der 1930er begann dann das sogenannte „Golden Age“, in dem besonders durch Geschichten von Autor_innen wie John W. Campbell, Clare Winger Harris und Catherine Lucille Moore immer mehr Leser_innen in den Bann futuristischer Welten gezogen  wurden. Der Fokus der Erzählungen entwickelte sich weg von der Technik hin zu den Benutzer_innen und ihrem Umgang mit der Technik. So schrieb zum Beispiel Karel Capek über das Problem von Robotern mit Selbstbewusstsein. In der Nachkriegszeit wuchs insbesondere in den USA die Popularität der Sci-Fi: In Filmen wie „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ von Robert Wise konnten tabuisierte Themen wie die Angst vor einem Atomkrieg verarbeitet werden. In der Sowjetunion konnte Systemkritik in die ferne Zukunft geschoben und so an den Augen der Zensor_innen vorbeigebeamt werden.

THE KISS. Bei Star Trek waren Atomkriege und Systemkritik kein Thema: In dieser Zukunft leben und arbeiten Menschen aller Ethnien ohne Probleme zusammen. Besonders die Rolle von Nichelle Nichols, die die Kommunikationsoffizierin Uhura spielte, war für die 1960er Jahre bahnbrechend: Sie war die erste schwarze Frau in einer Führungsposition im US-Fernsehen. Ein Kuss zwischen ihr und Captain Kirk war der erste Kuss zwischen einem weißen Mann und einer schwarzen Frau der Fernsehgeschichte. Mit realen Folgen: Sowohl die Schauspielerin Whoopi Goldberg als auch die Physikerin und Astronautin Mae Jemison nannten Uhura als Inspiration für ihre Karrieren. Utopien und Dystopien gibt es aber schon wesentlich länger. Unter den Begriffen wird immer eine alternative Gesellschaftsordnung verstanden, in einem Werk wird also eine andere Gesellschaft visualisiert. Sowohl Utopien als auch Dystopien haben einen gesellschaftskritischen Charakter und hinterfragen bestehende Ordnungen. Besonders in Science-Fiction-Filmen unterwirft sich die Gesellschaft oft entweder einer neuen Klassenstruktur oder überwindet diese komplett. Ein Beispiel für ersteres ist die Zweiklassengesellschaft im Filmklassiker „Metropolis“. 

U- ODER DYSTOPIE? Mit einer gesellschaftskritischen Perspektive soll Sci-Fi die derzeitigen politischen Missstände aufdecken und die Leser_innen zu neuen Ansätzen anregen. Eines der frühesten Werke dieser Art ist der französische Roman „Das Jahr 2440. Ein Traum aller Träume“ von Louis-Sébastien Mercier. Er beschrieb 1771 eine Zukunft ohne Monarchie, in der alle Bürger_innen von Paris Intellektuelle sind, die sich freiwillig einer moralischen Zensur unterwerfen: Was als Utopie gedacht war, könnte heute auch als Dystopie gelesen werden.

Illustration: Veronika Lambertucci

Das mag aber auch daran liegen, dass wir heute  oft  mit  dieser Spielart zu tun haben: In der Science-Fiction des späten 20. Jahrhunderts wurden dys- topische Erzählungen immer wichtiger. Technische Errungenschaften und Entwicklungen werden nicht mehr als Standarten einer besseren Zukunft gesehen, sondern im Gegenteil als Bedrohung.  Beispiele  sind  Serien wie „Fringe", in denen neue Erfindungen die Menschheit bedrohen. Themen wie Krisen des Kapitalismus, totalitäre Gewaltherrschaft, Furcht vor atomaren Massenvernichtungswaffen und anderen Katastrophen, die zu neuen Kriegen führen könnten, sind Szenarien dystopischer Erzählungen. Postapokalyptische Weltuntergangsgeschichten, die unter dem Oberbegriff „Dark Future“ bekannt sind, spiegeln heute wohl oft die Angst vor der drohenden Klimakatastrophe wider, ohne diese je- doch unbedingt explizit zu benennen. Der damals „teuerste Film aller  Zeiten“, „Waterworld“, ist ein drastisches Exempel für diese Spielart der Sci-Fi. Vielleicht prägen solche Filme ja eine neue Generation von Umweltschützer_ innen. Sci-Fi diente aber auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder dazu, die eigenen Vorstellungen einer besseren Welt in die Zukunft zu projizieren oder Gedankenspiele ausführen zu können. Die Autorin Ursula Le Guin beschrieb 1974 in „Die Enteigneten“ eine Utopie, in der Anarchist_innen vor autoritären Systemen auf den Nachbar innenplaneten geflohen sind. Das Buch war eins der wenigen westlichen Werke, das in der DDR erscheinen durfte, trotz Kritik am autoritären Kommunismus. In „Die linke Hand der Dunkelheit“ beschreibt Le Guin einen Planeten, dessen Bewohner_innen androgyn sind – und die Reaktion eines menschlichen  Besuchers.

SCHÖNER WOHNEN IM 26. JHD. Leben Menschen in utopischen Welten mit Raumschiffen und Tricordern besser? In ihrer Diplomarbeit „Die Technisierung des menschlichen Leibes“ schreibt die Medienwissenschaftlerin Andrea Wöger, dass der Tenor von Sci-Fi-Filmen anfangs eher ein optimistischer Fortschrittsglaube war, der sich jedoch zu einer Skepsis entwickelt hat. Heute kann jede Entfaltung, jeder Fortschritt außer Kontrolle geraten und düstere Szenarien wie etwa eine Herrschaft der Maschinen, wie wir sie aus „Matrix“ und „Terminator“ kennen, ins Rollen bringen.

Düstere Szenarien tun sich jedoch auch auf, wenn man einen genaueren Blick in die Sci-Fi-Szene wirft: Seit Jahren versuchen konservative Autor_innen und ihre Fans, die Hugo-Awards, die wichtigsten Literatur- preise der Szene, mit Nominierungsvorschlägen zu unterwandern. Den sogenannten „Sad Puppies“ zufolge würden die Preise nämlich immer nur PoC und Frauen gewinnen, eben weil sie PoC und Frauen sind; nicht etwa, weil ihre Werke literarisch anspruchs- voll und die von ihnen entworfenen Szenarien  inspirierend seien.  Zu dieser „Social Justice"-Mafia gehören im Weltbild der „Sad Puppies“ übrigens auch Filme wie „Der Hobbit“, der 2013 einen Hugo-Award erhielt. Heuer haben es besonders viele der „Sad Puppies“-Vorschläge in die Nominierungen der Hugo-Awards geschafft.

Spannend, dass bei einer Gruppe, die vorgibt, rein auf die literarische Qualität zu achten, vor allem einer der „Sad Puppies“-Initiatoren nominiert wird: John C. Wright, der 2013 zum ersten Mal wegen seiner homofeindlichen Ansichten auffiel. Letztes Jahr hat den Hugo für den besten Roman Ann Leckie mit „Ancillary Justice“ gewonnen: Sie beschreibt eine Gesellschaft, in der Geschlecht keine Rolle spielt und alle im generischen Femininum miteinander reden. Heuer ist – trotz „Sad Puppies“-Lobbyarbeit, ihr Nachfolgeroman „Ancillary Sword“ nominiert.

Vielleicht färbt Sci-Fi ja doch nicht nur auf Produktdesigner_innen ab.


Ralph Chan studiert Soziologie an der Universität Wien.
Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Coronavirus in Österreich – wie damit umgehen?

  • 28.04.2020, 17:33
Das Coronavirus hat Österreich erreicht. Wir sitzen alle fest in unseren Wohnräumen. Unwissen und Fake News führen zu Panik und rassistischen Anfeindungen. Müssen wir uns fürchten?

Geschichte und Verlauf der Krankheit. Das „Coronavirus“ oder der medizinische Fachausdruck SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome CoronaVirus-2) ist ein neuartiges Virus, welches der Virusfamilie Corona entstammt. Frühere neuartige Erreger, die z.B. die SARSPandemie 2002/2003 oder MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome CoronaVirus) 2012 auslösten, entstammten der gleichen Virusfamilie. Erstmalig wurde die neuartige Erkrankung COVID-19 (Coronavirus disease-19), wie sie richtig heißt, im Dezember 2019 in der Millionenstadt Wuhan in China entdeckt. Laut Virolog_innen entstammt das Virus höchstwahrscheinlich dem Tierreich, ist vermutlich von einer Fledermaus, die als Zwischenwirt fungierte, auf den Menschen übergegangen. Der Erreger ist während der Übertragung von Tier auf Mensch mutiert und kann nun auch von Mensch zu Mensch übertragen werden. Das Virus kann für bis zu 72 Stunden auf einer Oberfläche überleben. Seit dem ersten Ausbruch sind insgesamt mehr als 160 Länder davon befallen. Täglich werden neue gesundheitspolitische Maßnahmen vorgestellt und implementiert, vor allem in Europa, das zum neuen Epizentrum der Krankheit geworden ist.

Es sind aber weltweit COVID-19 Fälle zu verzeichnen. Am 30. Januar 2020 rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die internationale Gesundheitsnotlage aus, am 2. März stufte die Europäische Union das Krankheitsrisiko als hoch ein und am 12. März erklärte die WHO den COVID-19 Ausbruch zur Pandemie. Die ersten Gegenmaßnahmen in Österreich wurden am 27. Februar implementiert, als die Anzahl der in Österreich infizierten Personen tagtäglich zu steigen begann.

„Wir haben nicht nur eine Virus- Epidemie, sondern auch eine Angst- Epidemie“. Kritisch zu betrachten ist die mediale Berichterstattung über das Coronavirus. Es kursieren viele Gerüchte, Fake News, schlichtweg falsche Informationen, die zur Panikmache beitragen. Anstatt die Bevölkerung durch eine seriöse und kritische Medienberichterstattung aufzuklären und zu beruhigen, schaffen einige Medien es, Hysterie zu generieren. Das passiert zum Beispiel, wenn auf der Titelseite einer Tageszeitung oder im ersten Fernsehnachrichtenbeitrag nur die Anzahl der Verstorbenen und der Erkrankten, aber nicht die der Genesenen erwähnt wird. In einer Diskussionssendung hat die derzeitige SPÖ- Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner, selbst ausgebildete Virologin, richtig gesagt: „Wir haben nicht nur eine Virus-Epidemie, sondern auch eine Angst-Epidemie“. Die Hysterie hat nun ihren Höhepunkt erreicht. Wir sitzen in der Isolation und sind in der Quarantäne. Es scheint, dass viele Menschen in der Bevölkerung vor Angst nicht mehr rational denken können. Es macht absolut keinen Sinn, einzelne Geschäfte leer zu kaufen. Warenbestand gibt es genug und der Wirtschaftszyklus funktioniert trotz allen Grenzschließungen.

Vor allem die Nachfrage an Schutzmasken oder Desinfektionsmitteln ist hoch, sie sind seit Anfang der Krise schnell ausverkauft. Das ist höchst problematisch, denn auch nicht mit dem Coronavirus infizierte Personen benötigen diese medizinischen Produkte. Ein_e Diabetiker_in, die sich selbst mehrmals täglich Insulin spritzen muss, benötigt beispielsweise Desinfektionsmittel, um die Einstichstelle zu reinigen. Wie Ärzt_innen bereits mehrfach betont haben, hilft das Tragen von Schutzmasken nur bereits infizierten Personen dabei, das Virus nicht an ihr Umfeld weiterzugeben. Man sollte daher mit dem privaten Kauf zurückhaltend sein, denn am Dringendsten brauchen diese Produkte medizinisches Personal und Angestellte in den Spitälern.*

#coronavirus #novirus #jenesuispasunvirus – there is no place for racism. Dank der Globalisierung sind wir vernetzter denn je und leben auch räumlich gesehen enger zusammen. Es sollte uns daher nicht verwundern, dass das globale Zusammenrücken neben seinen positiven Auswirkungen auf die Menschheit auch die Verbreitung von Krankheiten wie COVID-19 begünstigt. Die Angst einzelner, infiziert zu werden, entwickelt sich schnell zu einer richtigen Angst-Epidemie und zeigt uns so auch die hässliche Seite der Gesellschaft. Verstärkt wird die Angst durch Fake News, die verschiedenste Verschwörungstheorien beleben, etwa dass man durch das bekannte Corona- Bier an COVID-19 erkrankt oder dass die USA das Virus als Biowaffe entwickelt haben. Es bedarf einer kritischen medialen und politischen Aufklärung. Vor den aktuellen Ausgangsbeschränkungen, als das Virus den Österreicher_innen noch weit weg erschien, glaubten viele Menschen, dass alle asiatisch aussehenden Personen den Virus in sich tragen.

People of Colour wurden alle in einen Topf geworfen. Ich selbst habe Erfahrungen dieser Art gemacht. Im Januar ist mir das erste Mal wegen Corona so eine irritierende Situation passiert: Eine ältere Frau zog sich im Aufzug ihren Schal vor den Mund, als ich einstieg. Die Handlung war offensichtlich, die Intention eindeutig, und kann nicht anders als rassistisch bewertet werden, denn neben dem älteren Ehepaar war ich der einzige im Aufzug. Als ich ausstieg, tat die Dame ihren Schal wieder weg. Nach dieser Aktion habe ich mich gefragt, ob das jetzt die ganze nächste Zeit so weitergehen würde. Meine Gefühlswelt war aufgewühlt und ich empfand es sehr verletzend, diesem passiven und doch klar rassistischen Vorgehen ausgesetzt zu sein. Als das Virus sich in Europa ausbreitete, wurden schnell die Italiener_innen als am stärksten Betroffene zu einer weiteren Zielscheibe.

Es war erstaunlich zu sehen, wie Menschen in Österreich mit der Situation umgehen, wenn die Krankheit direkt vor ihrer Haustür steht. Die gleichen Leute, die immer gerne Spaghetti, Pizza oder Gelato gegessen haben, wurden schnell feindselig. Am Tag, als der beschleunigte Krankheitsverlauf in Italien erstmals in den Medien bekannt wurde, saß ich in der U-Bahn. Ein Mann saß mir gegenüber, er telefonierte mit jemandem meinte: „Is ja ka Wunder, dass des von Italien kommt, die gonzn Spaghettifresser.“ Während das Sudern über Italiener_innen nicht unbedingt vergleichbar ist mit dem klar anti-asiatischen Rassismus, der sich genauso explosionsartig ausgebreitet hat wie das Virus selbst, sind solche Anfeindungen und die Suche nach einem Sündenbock nicht zu verharmlosen. Eines sollte hier klar gesagt werden: Dieses voreingenommene Verhalten ist nicht normal und sollte auch nicht normal sein. Rassismus, welcher Art auch immer, hat keinen Platz in unserer Gesellschaft.

Was denken eigentlich Studierende und wie gehen sie mit COVID-19 um? Diese Krise berührt eine_n umso mehr, wenn man selbst rassistische Anfeindungen erlebt oder die Geschichten von anderen erzählt bekommt. Es ist schlimm anzusehen, wenn Asiat_innen oder asiatisch aussehende Personen in der Öffentlichkeit ein Plakat mit sich tragen, auf dem steht: ICH BIN KEIN VIRUS. Die umgangssprachliche Bezeichnung „Wuhan-Virus“ oder „China-Virus“, wie sie unter anderem der amerikanische Präsident Donald Trump verwendet hat, trägt weiter zum Rassismus bei. Wie sehen es eigentlich die Studierenden der Ostasienwissenschaften (Japanologie, Koreanologie und Sinologie), dass asiatisch aussehende Personen nicht nur verbal, sondern zunehmend auch körperlich attackiert werden? Das hat man am Beispiel eines 23-jährigen Studenten aus Singapur, der in London studiert, gesehen. Er wurde von einigen Briten körperlich attackiert, die schrien, dass sie kein COVID-19 in ihrem Land haben wollten. Hier folgen nun ausgewählte Erlebnisberichte von anonymen Studienkolleg_innen.

1: „Zu Beginn, als nur von Fällen in Asien berichtet wurde, wurde mein Mann in Restaurants komisch angesehen und einige andere Gäste sind von uns weggerückt. Eine Oma hat ihn mal schockiert angeschaut, hat sich den Schal vors Gesicht gehalten und ist geflüchtet. Ich hab auch von einem in Wien lebenden Thai gehört, der von den anderen Fahrgästen aus der U-Bahn geworfen wurde.“

2: „Ich wurde schon Ende Jänner in der S-Bahn schief angeschaut, von einer Frau. Ich hatte keinen Husten oder Schnupfen. Der Typ vor mir jedoch schon, er hat sich nicht mal die Hand vor dem Mund gehalten, als er gehustet hat. Aber die Frau hat diesen Typen einfach ignoriert und mich die ganze Zeit angestarrt. Ähnliche Begegnungen sind seitdem immer wieder vorgekommen, aber Gott sei Dank keine Gewalt. Meine Schwägerin und mein Vater wurden schon mehrmals von Teenagern beschimpft mit ‚China Virus‘ und ‚Geh zurück nach China!‘.“

3: „Meine Mutter und meine Schwester meinten vor ein paar Wochen, dass Leute sie in der U-Bahn, im Supermarkt, oder auf der Straße länger anschauen oder Abstand halten. Meine Mutter hat erzählt, dass sie einmal einkaufen war und eine Frau, nachdem sie einen kurzen Blick auf meine Mutter geworfen hatte, sofort das Weite gesucht hat. Ach ja, und meine Eltern verlassen sogar selbst nicht häufig das Haus und treffen sich nicht mit ihren chinesischen Freund_innen.“

4: „Ich war beim Skifahren und einer vom Skiverleih ist zu seinem Kollegen gegangen und hat mit Blick auf mich ganz gekünstelt gehustet. Persönlich wurde ich noch nicht verarscht, bespuckt, angegriffen etc., aber eine Bekannte von mir wurde schon öfters beleidigt. Sie meinte, dabei das Wort „Corona“ gehört zu haben. Freund_innen von mir, Thailänder_innen, hat man im Rituals-Shop ignoriert und von ihnen Abstand gesucht. Die Verkäuferin soll gesagt haben, dass Chinesen unerwünscht sind, obwohl sie ja nicht Mal wusste, ob meine Freund_innen Chines_innen sind oder nicht. Für viele weiße Leute sind alle asiatisch aussehenden Personen Chines_innen und mit dem COVID-19 infiziert.“

5: „Ich arbeite in meinem Nebenjob am Flughafen und bin deshalb stark mit den gesundheitspolitischen Maßnahmen und den damit einhergehenden Einreisebestimmungen konfrontiert. Selbstverständlich verhalte ich mich Passagieren gegenüber deswegen nicht anders. Ich habe allerdings von Kolleg_ innen mitbekommen, dass diese um Asiat_innen herum die Luft angehalten haben oder chinesische Reisepässe nicht anfassen wollten.“

6: „Ein Mann hat vor Kurzem der Chinesischlehrerin meiner Tochter eine Weinflasche nachgeworfen – er hat sie zum Glück nicht getroffen – und gemeint, sie solle dahin gehen wo sie hergekommen sei.“ Wollen wir tatsächlich in so einer Gesellschaft leben? Ich hoffe, mit diesem Artikel einige Leser_innen zum Überlegen gebracht zu haben und ihnen vielleicht die Augen dafür geöffnet zu haben, wie sich People of Colour – asiatisch aussehende Personen oder Asiat_innen – in dieser Krise fühlen. Eines sollte klar sein, wir sitzen alle gemeinsam im selben Boot. Wir sind alle #TeamÖsterreich.

* Dieser Artikel wurde Anfang März 2020 verfasst. Wir empfehlen natürlich die Einhaltung der derzeitigen Vorgaben der Regierung (4. April 2020).