Margot Landl

Caffè Sospeso für Zeitungsverkäufer_innen

  • 25.06.2014, 13:42

Das Auschlössl-Café teilt seinen Standort mit dem Straßenmagazin Megaphon. Neben einer einladenden und offenen Atmosphäre legt das Lokal auch Wert auf biologische, faire und regionale Produkte.

Das Auschlössl-Café teilt seinen Standort mit dem Straßenmagazin Megaphon. Neben einer einladenden und offenen Atmosphäre legt das Lokal auch Wert auf biologische, faire und regionale Produkte.

Es ist ein warmer Frühlingstag und fast alle Tische auf der Terrasse des Auschlössl-Cafés sind besetzt. Zwei Mütter trinken ihren nachmittäglichen Latte Macchiato, während ihre Babys in den Kinderwägen schlummern. Einige Angestellte aus den umliegenden Büros kommen in ihrer Mittagspause vorbei, um sich mit einer Suppe, einem Eintopf oder Salat für die zweite Hälfte des Arbeitstages zu stärken. Ein altes Ehepaar besucht nach seinem Spaziergang im angrenzenden Augarten spontan das Café, um das Burgenländer Kipferl zu probieren. Daneben döst ein Hund im Gras.

Megaphon-Café. Auf den ersten Blick scheint das Auschlössl ein gewöhnliches Lokal zu sein. Menschen sitzen auf den schlichten braunen Holzsesseln der Terrasse, löffeln Suppe aus bunten Porzellanschüsseln oder trinken ein Bier. Auf der Bar stehen Gläser mit Keksen und kleine Kübel, aus denen Basilikum oder Melisse wachsen. Darüber hängt eine Stellage für Wein- und Saftflaschen. Doch wenn man an der Bar vorbei in den hinteren Teil des Gebäudes kommt, steht man plötzlich vor riesigen Stapeln des Megaphon-Magazins, weshalb das Auschlössl auch Megaphon-Café genannt wird.

Das Megaphon ist ein seit 1995 monatlich erscheinendes Grazer Straßenmagazin und gleichzeitig eine soziale Initiative der Caritas. Menschen ohne Arbeitsgenehmigung können hier eigenverantwortlich um 1,25€ pro Stück Zeitschriften kaufen und diese um 2,50€ auf der Straße weiterverkaufen. „Diese Arbeit soll ein Zwischenstopp zu einer Arbeitsgenehmigung sein“, erklärt Philipp Carstanjen, der als Zivildiener bei der Caritas arbeitet und für das Megaphon zuständig ist. „Im Schnitt dauert das aber acht bis elf Jahre.“ Aktuell gibt es etwa 400 Megaphon-Verkäufer_innen, 250 davon in Graz, der Rest in den ländlichen Gebieten der Steiermark und Kärntens. Dabei hat jede_r Verkäufer_in einen fix zugewiesenen Standort. Etwa 18.000 Exemplare werden monatlich produziert.

Caffè Sospeso. Im ersten Stock des Hauses befindet sich die Redaktion der Zeitschrift, im Nebengebäude findet der Vertrieb statt. Bevor das Auschlössl-Café um 9:00, an Sonn- und Feiertagen um 10:00 öffnet, kommen die Megaphon-Verkäufer_innen in das Lokal, um sich bei Philipp die Magazine abzuholen. Manchmal hat auch einer der Gäste einen sogenannten „Caffè Sospeso“ für die Verkäufer_innen hinterlassen, indem er einen Kaffee mehr gezahlt als getrunken hat.

„Das Café hat den Anspruch, sozial und multikulti zu sein“, erklärt die Teamleiterin Elisabeth Seifert. Auf der Terrasse steht eine etwa zwei Meter große Figur aus rotem Draht, die einen Menschen mit einem Megaphon in der Hand darstellt. Ein Zeitungsverkäufer hat sie selbst gefertigt. Im Café hängen Bilder von Künstler_innen, welche in der aktuellen Megaphon-Ausgabe vorgestellt werden. Dahinter gibt es einen Begegnungsraum, in dem unter anderem Deutschkurse, Film-, Tanz- und Musikabende stattfinden, finanziert durch freiwillige Spenden. Außerdem werden Workshops abgehalten, bei denen Verkäufer_innen ihre besonderen Kenntnisse vermitteln: Wie komme ich zu einer Arbeitsgenehmigung; wie bekomme ich eine Wohnung; wie kaufe ich sparsam ein – um solche Fragen geht es dabei beispielsweise.  

Lokal, regional, saisonal. Dem Team des Auschlössl-Cafés ist es auch besonders wichtig, lokale, regionale und saisonale Produkte anzubieten. „Es geht uns vor allem darum, die umliegenden Geschäfte einzubinden und dabei hohe Qualität zu sichern“, erklärt Philipp. Er ist ausgebildeter Koch und somit eine große Bereicherung für den Betrieb. Bei vielen Getränken und Speisen sind auf der Speisekarte die Produzent_innen angegeben. Brot und Gebäck wird von der benachbarten Bäckerei Kern bezogen. Feta, Oliven und andere mediterrane Produkte werden bei dem griechischen Laden Bakaliko am Grazer Lendplatz gekauft. „Der Besitzer Timo fährt selbst zu seinen Verwandten nach Kreta und holt dort die Sachen. Ich weiß also wirklich, wo sie herkommen“, meint Philipp.

Wenn möglich werden regionale Produkte für die Speisen und Getränke verwendet. Alkoholische Getränke kommen aus südsteirischen Weingütern oder Brennereien. Eine Spezialität ist der „Perlmut“ vom Gaumengut von Lorenz Kumpusch, ein Wermut-Frizzante-Getränk. Lorenz Kumpusch ist auch Küchenchef im Grazer Landhauskeller und Autor der vierteljährlich erscheinenden Megaphon-Kochbücher. Dort präsentieren Megaphon-Verkäufer_innen kulinarische Spezialitäten aus ihren Herkunftsländern.

Das Auschlössl-Café arbeitet auch mit der Grazer Caritas-Fachschule zusammen, welche die Kuchentheke des Lokals befüllt. Etwa 120 Schüler_innen besuchen diese Schule und kreieren in der Lehrküche Zitronentartes und andere Leckerbissen. Zusätzlich erhält das Auschlössl auch Kuchenspenden von ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen der Caritas.

Atmosphäre vor Profit. Wenn die Produkte nicht aus der Umgebung kommen, wird vor allem auf Bio und Fair Trade geachtet, , beispielsweise bei Kaffee. Trotzdem ist ein Cappuccino mit 2,60€ verhältnismäßig billig. „Wir machen nicht wesentlich Profit, aber es geht sich am Monatsende immer gut aus. Wir möchten Bio und Fair zu annehmbaren Preisen anbieten. Profit ist nicht das Wichtigste“, meint Elisabeth Seifert. Etwa zehn Leute arbeiten im Moment Halb- oder Vollzeit im Auschlössl. Zu Stoßzeiten braucht es drei Leute, um die Gäste zu bedienen.

Spezialitäten des Lokals sind das Frühstücksangebot von orientalisch mit selbst gemachtem Hummus bis zu Schinkenbrot und Müsli und die wechselnden „Hotpot“-Suppen und -Eintöpfe, zubereitet nach der 5-Elemente-Küche. Viele der angebotenen kleinen Speisen sind vegan oder glutenfrei. Das zieht vor allem Student_innen an, aber das Publikum ist bunt gemischt. Elisabeth Seifert begrüßt das: „Das Publikum ist familiär und altersmäßig gemischt. Und wenn ein Kind nach dem Spielen im Augarten hereinkommt, bekommt es auch mal ein Croissant oder einen Toast umsonst.“

 

Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

 

Homepage Straßenzeitung „Megaphon“ http://www.megaphon.at/

Das Auschlössl auf Facebook: www.facebook.com/auschloessl

 

Fachhochschulen: Geist oder Geld?

  • 29.05.2014, 14:35

Am 21.Mai 2014 fand in der Wiener Arbeiterkammer eine Podiumsdiskussion zum Thema „Fachhochschulen: Bildung zwischen Geist und Geld“ statt. Viele Meinungen prallten dabei aufeinander und dies nicht immer nur bezüglich der Fachhochschulen. Margot Landl war für progress online dabei.

Am 21.Mai 2014 fand in der Wiener Arbeiterkammer eine Podiumsdiskussion zum Thema „Fachhochschulen: Bildung zwischen Geist und Geld“ statt. Viele Meinungen prallten dabei aufeinander und dies nicht immer nur bezüglich der Fachhochschulen. Margot Landl war für progress online dabei.

Dwora Stein, die Vizepräsidentin der Arbeiterkammer Wien, ist die erste Rednerin, die an diesem Abend die Bühne betritt. Schon am Beginn ihrer Ansprache schlägt sie ein Thema an, welches an diesem Abend noch öfter zur Sprache kommen soll. Stein kritisert: „Bildung zwischen Geist und Geld – es mangelt an beidem! Bildung ist mehr als verwertbare Qualifikationen. Es geht um gebildete, nicht nur ausgebildete Menschen. Aber dafür wird nicht genug an Geld ausgegeben.“ Geld ist die Lösung aller Probleme, denn: „Geld vermehrt sich und verwandelt sich in Bildung und Geist“. Dwora Stein spricht von den Verbesserungen, die sich die Fachhochschulen wünschen: einen Ausbau auf  60.000 Studienplätze bis zum Jahr 2020, noch mehr berufsbegleitende Angebote, noch mehr soziale Durchlässigkeit. Es sei ein großer Vorteil der Fachhochschulen, dass es dort auch Möglichkeiten gäbe, ohne Matura oder berufsbegleitend zu studieren. Außerdem gäbe es laufend neue Studien, mehr regionale Standorte und die AbsolventInnen würden gut „verwertbar“ sein. Verwertbar, also doch. Kein Wort könnte besser den großen Zwiespalt beschreiben, an dem es an diesem Abend geht: Bildung oder Ausbildung? Verwertbarkeit oder Persönlichkeitsbildung? Geist oder Geld?

Applaus für mehr Geld

Der große Saal der Arbeiterkammer Wien ist an diesem Abend etwa zu zwei Dritteln gefüllt. „Bildung zwischen Geist und Geld“ ist die zweite Veranstaltung der dreiteiligen Veranstaltungsreihe „Im Dialog: 20 Jahre Fachhochschulen – Arbeit – Bildung – Wohlstand“. Sie wurde von der Fachhochschul-Konferenz gemeinsam mit dem Standard, der Arbeiterkammer Wien, der Industriellenvereinigung und dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Fachhochschulen in Österreich organisiert.

Der Präsident der Fachhochschul-Konferenz Helmut Holzinger hält die zweite Eröffnungsrede. Er schlägt in dieselbe Kerbe wie Dwora Stein und fordert „im Sinne der Studierenden eine Erhöhung der Fördersätze. Um den Studierenden gute Bedingungen sichern zu können, brauchen wir eine Wertsicherung.“ Und er ergänzt: „Doch die Regierung hat in ihrem Programm mehr Unterstützung verschriftlicht, als sie erfüllen kann!“ Das Publikum applaudiert. Mehr Geld für Bildung. Darüber sind sich an diesem Abend alle einig.

Mehr Engagement zur Gesellschaftsverbesserung

Das Impulsreferat für die anschließende Podiumsdiskussion hält Eva Blimlinger, die Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien. Das Logo der österreichischen Klassenlotterie wird groß auf die Wand projiziert. „Das österreichische Bildungssystem hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der österreichischen Klassenlotterie“, erklärt Eva Blimlinger sarkastisch. Aus einer langen Ausführung über Einkommen in Österreich im Jahr 1910 sowie heute zieht sie das Fazit, dass die überwiegende Mehrheit aller Superreichen kein Studium abgeschlossen hat. „An den Universitäten ist das gesetzlich definierte Ziel ein anderes als an Fachhochschulen: Das Streben nach Bildung und Autonomie sowie der Gesellschaft zu dienen.“ Eva Blimlinger differenziert hier, wie auch später in der Diskussion, klar zwischen der Orientierung von Fachhochschulen und Universitäten. Doch sie stellt für das gesamte höhere Bildungssystem dieselben Forderungen: mehr soziale Durchlässigkeit, mehr Engagement zur Gesellschaftsverbesserung, mehr politische und gesellschaftliche Teilhabe und eine kritische Betrachtung des Kapitalismus. „Der Wert der Bildung ist in der kapitalistischen und postfordistischen Gesellschaft ein monetärer. Und mit den ECTS wird diesem System Rechnung getragen.“ Am Ende wird Eva Blimlingers langer Vortrag nicht nur zu einer Kritik am Bildungssystem, sondern an der gesamten modernen Gesellschaft: „Heutzutage ist alles ein Projekt. Partnerschaften, ein Kind, ein Abendessen mit Freunden, ein Urlaub, ein Wohnungswechsel. Das Projekt ist der Arbeitsorganisationsmodus für unser Leben geworden. Ein Leben in ständiger Unsicherheit.“

Kritisch betrachten, nicht nur nachkauen

Bernhard Lahner, der zweite stellvertretende Vorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft von der „Fraktion engagierter Studierender“ (FEST), beschäftigt sich besonders mit der Situation von Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen. Er sieht wesentliche Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen. Deshalb ist es schwierig, Vergleiche anzustellen. „Die gesetzliche Lage der Fachhochschulen ist eine völlig andere“, erklärt er. „Sie sind unternehmensrechtlich organisiert. Studierende gehen einen Ausbildungsvertrag ein. Da die Studienplätze durch öffentliche Gelder beziehungsweise von den ErhalterInnen finanziert werden, gibt es Zugangsbeschränkungen. Außerdem unterscheiden sich die Fachhochschulen auch untereinander stark.“  Die ÖH setzt sich schon länger für ein gemeinsames Hochschulgesetz ein. Im HochschülerInnengesetz 2014 wurde nun unter anderem erwirkt, dass die Fachhochschulvertretung nun direkt durch ein Listenwahlrecht gewählt wird. Außerdem bestimmt der Erhalter oder die Erhalterin einer Fachhochschule eine reale Person, die als Kontaktperson den Studierenden zur Verfügung steht, wenn diese beispielsweise einen Raum für Veranstaltungen mieten wollen.

Auch Bernhard Lahner würde sich ein wenig mehr Freiraum für die FachhochschulstudentInnen wünschen: „Durch eine Fachhochschule wird man durchgeschleust, um in drei Jahren fertig zu sein. Dort schaut man, dass man die Ausbildung macht, weil genau diese das Ziel ist. Da schaut man nicht, was es sonst für Möglichkeiten gibt. Doch genau diesen Zugang sollte man aufbrechen“, meint der Hochschulpolitiker, der selbst an einer Pädagogischen Hochschule studiert. „Das Studium sollte Raum geben, um den eigenen Horizont zu erweitern und Sachen kritisch zu betrachten und sie nicht nur nachzukauen.“

Trennung von Theorie und Praxis?

Um etwa 18.30 Uhr eröffnet Katrin Bauer vom Standard schließlich die Podiumsdiskussion. Die Gäste auf der Tribüne sind Barbara Blaha, Leiterin des Politkongresses „Momentum“ und ehemalige ÖH-Vorsitzende, Eva Blimlinger, Andreas Breinbauer, Rektor der Fachhochschule des Berufsförderungsinstitutes Wien, Carola Iller, Universitätsprofessorin für Erwachsenenbildung an der Universität Linz und Claus J. Raidl, Präsident der Österreichischen Nationalbank. Barbara Blaha ist mit 31 Jahren die jüngste Diskutantin, auch im Publikum sieht man kaum Studierende oder andere jüngere Menschen.

Katrin Bauer beginnt die Debatte mit einer Befragung der TeilnehmerInnen zu deren individuellen Bildungsweg im Hinblick auf die Verwertbarkeit ihrer Ausbildungen. Der gemeinsame Nenner der Wortmeldungen kann als Offenheit für alle Möglichkeiten bezeichnet werden. Die meisten stammen aus keinem akademischen Umfeld und bemängeln die fehlende soziale Durchlässigkeit in Österreich. „Manchmal helfe ich Kindern mit Migrationshintergrund bei der Hausübung. Letztes Mal hat eins davon zu mir gesagt: `Dein Sohn hat es so gut! Der kann dich immer alles fragen!´“, erzählt Barbara Blaha.

Die DiskussionsteilnehmerInnen auf dem Podium hatte unterschiedliche Ansichten. Es kam zu hitzigen Diskussionen um das Thema Fachhochschulen und Universitätsausbildung. Foto: Christopher Glanzl

Lebendiger wird die Diskussion, als die Moderatorin das Gespräch auf die Trennung zwischen Theorie und Praxis lenkt. „Die Fachhochschulen haben hier einen guten Mix“, findet Andreas Breinbauer und ergänzt: „Eine Trennung zwischen Theorie und Praxis soll es nicht geben. Allerdings würden wir gerne mehr forschen.“

Andere DiskussionsteilnehmerInnen sehen Universitäten und Fachhochschulen allerdings stärker differenziert: „Die Universitäten sind oft weniger berufsbezogen. Aber das ist nicht immer nachteilig“, meint Carola Iller. Eva Blimlinger spricht sich noch klarer für eine Differenzierung aus: „Die Theorie ist die Praxis der Universität. Es ist schon sinnvoll, hier zwischen Universitäten und Fachhochschulen zu differenzieren. Auch die Sinnhaftigkeit eines Doktorats an den Fachhochschulen sollte man überdenken. Was bringen diese ganzen Abschlüsse? Was bringt es, alles zu formalisieren?“ Mit dem Stichwort Doktorat, welches bereits Helmut Holzinger in seiner Eröffnungsrede fallen gelassen hat, kommt Feuer in die Diskussion. „Nicht alles braucht ein Doktorat! Und nicht jedes Doktorat ist gleich! Ich habe früher oft gesagt: Wer von dieser oder jener Hochschule kommt, den nehmen wir nicht“, wettert Claus Raidl. Spätestens auf diese Provokation hin fahren die Hände im Publikum in die Höhe. Helmut Holzinger spricht sich leidenschaftlich für ein Doktorat an Fachhochschulen aus. Ideologien prallen aufeinander. Claus Raidl belächelt ihn aus seinem dunkelroten Ledersessel und winkt ab. Noch mehrere Wortmeldungen werden gehört, allerdings zu verschiedensten und unzusammenhängenden Themen. Von Ethik im Naturwissenschaftsunterricht bis zu einer Lobrede auf das Bundesheer. Viele TeilnehmerInnen, die etwas sagen möchten, nutzen die Gelegenheit.  

Ideologien und Minderwertigkeitskomplexe

Katrin Bauer erteilt erneut den DiskussionsteilnehmerInnen das Wort. Die nächste Frage dreht sich um stärkere Diversifizierung im Hochschulsektor. Der Präsident der Österreichischen Nationalbank Claus Raidl erklärt Oberösterreich einer Medizinuniversität ebenso unwürdig wie die Fachhochschulen eines Doktorats. „Das wär nur ein Denkmal für den Landeshauptmann!“. Etwas sachlicher äußern sich die anderen TeilnehmerInnen zu dem Thema. Eva Blimlinger und Carola Iller sprechen sich gegen eine weitere Differenzierung aus, da sie die Studienwahl noch weiter erschweren würde. Schuld an dem Frauenmangel in MINT-Fächern beispielsweise sei eher fehlender weiblicher Anschluss im Studium und eine zu kurze Orientierungsphase. Lediglich Andreas Breinbauer spricht sich für eine weitere Differenzierung der Studiengänge aus.

Doch das neue Thema hält sich nicht lange. Zu viele persönliche Äußerungen zur Frage von Theorie und Praxis sind noch ausständig. Das Publikum ist unruhig, es gibt noch einmal eine Wortmeldungsrunde. Katrin Bauer erteilt Karl Pfeiffer, dem Rektor der FH Joanneum das Wort. Er verteidigt vehement den „theoretischen Background“ der Fachhochschulen und will diese nicht als minderwertig beurteilt sehen: „Die FHs sollen nicht auf die Berufsfeldorientierung reduziert werden! Die angewandte Forschung an den FHs ist anerkannt und kann durchaus mit den Technischen Universitäten mithalten.“ Es scheint so, als würde die angebliche Herabwürdigung von Fachhochschulen hier viele Menschen persönlich kränken.

Die ehemalige Vorsitzende der ÖH, Barbara Blaha (mit Mikro), wünscht den FHs mehr Selbstbewusstsein, aber auch eine Anregung des gesamtgesellschaftlichen Denkens. Foto: Christopher Glanzl

Die geplante Zeit der Veranstaltung wurde bereits um zwanzig Minuten überschritten und die Moderatorin will die Diskussion nun rasch zu einem Ende bringen. Die DiskutantInnen dürfen den Fachhochschulen nun noch schnell etwas wünschen. Im Klartext bedeutet das, noch einmal Position zu beziehen. Claus Raindl lehnt sich in seinem Ledersessel zurück, gießt sich das letztes Mal Mineralwasser ein und holt zum Gegenschlag aus: „Ich bin für noch mehr Differenzierung. Fachhochschulen und Universitäten wurden aus anderen Absichten gegründet. Das ist nur elitäre Etikettenschwindelei“. Erneut schwillt die Lautstärke im Publikum an. Karin Bauer gibt rasch das Mikrofon an Carola Iller weiter. „Wir sollten mit dem Schachteldenken aufhören. Fachhochschulen und Universitäten sollten stärker kooperieren, aber die Unterschiede sind wertvoll“, formuliert diese etwas diplomatischer. Barbara Blaha wünscht den FHs „mehr Selbstbewusstsein, aber auch eine Anregung des gesamtgesellschaftlichen Denkens“. Eva Blimliner bleibt pragmatisch und wünscht sowohl den Universitäten als auch den Fachhochschulen „mehr Geld“, womit sich der Kreis zum Thema der Veranstaltung schließt. Andreas Breinbauer schließt sich dem an und fügt hinzu: „Mein Auftrag an die FHs: Bleibts dabei! Aber trotzdem wäre ein wenig mehr Zeit und Geld für Reflexion wünschenswert.“

Margot Landl studiert Politikwissenschaft sowie Lehramt Deutsch und Geschichte an der Universität Wien.

 

„Die Direktwahl ist unser größter Erfolg“

  • 28.05.2014, 22:16

Im Mai 2015 sollen die nächsten ÖH-Wahlen anhand des neuen HochschülerInnengesetzes (HSG 2014) stattfinden. Margot Landl hat für progress online mit der ÖH-Generalsekretärin, Viktoria Spielmann, über das Gesetz und die damit einhergehenden Veränderungen gesprochen.

Im Mai 2015 sollen die nächsten ÖH-Wahlen anhand des neuen HochschülerInnengesetzes (HSG 2014) stattfinden. Margot Landl hat für progress online mit der ÖH-Generalsekretärin, Viktoria Spielmann, über das Gesetz und die damit einhergehenden Veränderungen gesprochen.

progress online: Was sind für dich als Generalsekretärin die wichtigsten Punkte des neuen HochschülerInnengesetzes?

Viktoria Spielmann: Besonders wichtig ist, dass die direkte Mitbestimmung von Studierenden wieder gestärkt worden ist. Das geschieht vor allem durch die Direktwahl, die unter Schwarz-Blau 2004 abgeschafft wurde. Seit zehn Jahren hat die ÖH-Exekutive versucht, diese wieder einzuführen, und das war somit der größte Erfolg. Außerdem bestehen wir jetzt nur noch aus 55 MandaratInnen, was das Arbeiten viel leichter macht. Auch das passive Wahlrecht für Drittstaatsangehörige wurde endlich eingeführt. Davor durften sie nur wählen, aber sich selbst nicht als StudienvertreterIn aufstellen lassen. Dies hat den rassistischen Normalzustand in der Gesellschaft reproduziert. Wichtig ist auch, ist, dass die Privatuniversitäten, die mit der Gesetzesnovelle 2005 aus dem HSG hinausgeflogen sind, wieder das Recht bekommen, mitzubestimmen und sich selbst zu vertreten. Somit sind auch die Pädagogischen Hochschulen und Fachhochschulen Körperschaften des öffentlichen Rechts und haben eine große Autonomie erhalten.

Wieso gibt es in dem Gesetz so viele Ausnahmeregelungen bezüglich der Fachhochschulen?

Bisher war es so, dass die Hochschulvertretungen der Fachhochschulen nicht durch ein Listenwahlrecht gewählt wurden. Das ist jetzt anders. Diese Regelung wurde vereinheitlicht und ab jetzt gilt überall das Listenwahlrecht. Die Fachhochschulvertretung wurde davor auch nicht direkt gewählt, auch das hat sich geändert. Die Fachhochschulen haben andere gesetzliche Grundstrukturen als die Universitäten. Sie sind privatrechtlich organisiert, genauso wie Privatuniversitäten. Es gibt daher auf Fachhochschulen keine RektorInnen, sondern einen Erhalter oder eine Erhalterin. Dabei handelt es sich um eine juristische und keine reale Person. Wir wollten, dass Studierende, wenn sie sich zum Beispiel einen Raum für Veranstaltungen mieten wollen, eben nicht zu einem Erhalter oder einer Erhalterin gehen müssen. Es wird daher künftig eine reale Person als Kontaktperson für die Studierenden geben. Ab jetzt gibt es daher eine Person, die von dem Erhalter oder der Erhalterin dafür bestimmt wird.

Die Bundesvertretung der ÖH hat nach der Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs Mitte April eine ausführliche Stellungnahme an das Bundesministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Forschung geschickt. Hat sich nach dieser Stellungnahme noch etwas verändert?

Es wurden noch einige Dinge aufgenommen, die wir vorgeschlagen haben. Ein Beispiel dafür ist eben das Festsetzen einer Person von dem Erhalter oder der Erhalterin einer Fachhochschule, die sich um die Vergabe von Veranstaltungsräumen kümmert. Meistens waren es aber kleine Dinge, wie beispielsweise Begrifflichkeiten die formal falsch waren und verbessert wurden, damit man sie nicht falsch versteht. Prinzipiell muss man sagen, dass wir von Anfang an ein Konsenspapier als Exekutive formuliert und dann zusammen mit der Aktionsgemeinschaft als größter Oppositionsfraktion intern verhandelt haben. Anschließend sind wir gemeinsam mit dem Entwurf aller fünf Fraktionen ins Ministerium gegangen. Insofern waren wir von Anfang an stark bei den Reformen des HochschülerInnengesetzes miteingebunden. Und es sind sehr viele Vorschläge von uns von vorne herein mitaufgenommen worden. Wie beispielsweise die 55 ÖH-MandatarInnen.

Viktoria Spielmann im Interview mit Margot Landl für progress online. Foto: Sarah Langoth

Waren auch VertreterInnen der Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen in die Erstellung des Konsenspapiers eingebunden?

In den einzelnen Fraktionen gibt es natürlich auch Studierende von Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen. Wir haben auch versucht, intensiv die Studierenden der Privatunis miteinzubeziehen. Ich bin selbst auf sie zugegangen und habe sie gefragt, was für sie wichtig wäre. Und wir haben uns bemüht bemüht, diese Punkte in das neue HochschülerInnengesetz einfließen zu lassen. Denn es ist schon wichtig, die Leute, die es dann betrifft, auch mithineinzunehmen.

Waren die Privatuniversitäten von Anfang an dem Beitritt zur ÖH positiv eingestellt?

Natürlich gab es am Beginn gewisse Differenzen, aber im Großen und Ganzen ist die ÖH die beste Anlaufstelle, um Studierenden Mitsprache zu gewähren. Wir haben die größten Ressourcen und die meiste Kompetenz. Insofern ist es eine einmalige Gelegenheit gewesen, die Privatuniversitäten wieder vertreten zu können.

Es gibt einen Paragrafen im Gesetz, der besagt, dass es eine Art „Konkurrenzvertretung“ geben könnte. Dieser wird von der Bundesvertretung der ÖH in ihrer Stellungnahme stark kritisiert wird.

Es steht im Gesetz, dass Hochschulvertretungen, die unter 1000 Studierende vertreten und damit keine Körperschaften öffentlichen Rechts sind, mit einer anderen, größeren Hochschulvertretung, die eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist, zusammenschließen können. Wir haben gefordert, dass Hochschulvertretungen, die keine Körperschaften öffentlichen Rechts sind, bei der ÖH-Bundesvertretung bleiben und von dieser wirtschaftlich verwaltet werden. Körperschaften öffentlichen Rechts sind ohnehin von der Bundesvertretung autonom. Uns war aber wichtig, dass die Kompetenz für Hochschulen mit unter 1000 Studierenden bei uns bleibt und dass diese von uns mitbetreut werden. Wir haben jetzt aber immerhin eine notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit solche Zusammenschlüsse in das Gesetz hineinverhandelt.

Die ÖH-Bundesvertretung zeigt sich besonders irritiert über die neuen Kontrollrechte des Bundesministeriums für Wissenschaft, Wirtschaft und Forschung. Was hat sich in diesem Punkt im Vergleich zum vorigen Gesetz verändert? 
Das Kontrollrecht des Bundesministers wurde verschärft. Diesen Schritt betrachten wir als ziemlichen Eingriff in die Autonomie der gesetzlich verankerten und demokratisch legitimierten ÖH. Der Minister könnte theoretisch Beschlüsse aufheben, wenn aufsichtsbehördliche Verfahren laufen. Das wäre beispielsweise 2012 problematisch gewesen, wo wir die Rücklagen zu den autonomen Studiengebühren in Höhe von einer Million Euro aufgelöst hatten. Er hätte dies damals beeinflussen können und wir wollten gleichzeitig gegen die geplanten beziehungsweise dann auch eingeführten autonomen Studiengebühren des Ministers klagen. Hier sehen wir einen Faktor für Machtmissbrauch der politischen Einflussnahme und das tut sicher dem Verhältnis zwischen dem Bundesministerium für Wissenschaft, Wirtschafts und Fordschung und der ÖH nicht gut. Dieser Punkt wurde auch nicht mehr geändert. Ich kann nicht genau sagen, warum die Kontrollrechte verschärft wurden. Denn bislang wurde noch nicht viel Gebrauch davon gemacht.

Wie beurteilt die Bundesvertretung der ÖH die nun mögliche Briefwahl bei ÖH-Wahlen?

Die derzeitigen Koalitionsfraktionen FEST, FLÖ, GRAS und VSSTÖ wollten keine Briefwahl. Allerdings sollte die Möglichkeit einer Distanzwahl geschaffen werden, jedoch nicht als Briefwahl. Denn diese verstößt gegen drei der sechs Wahlgrundsätze, da keine geheime, freie und persönliche Wahl garantiert werden kann. Wenn ich ein Briefkuvert habe, kann mir eine Person sagen: „Naja wie wär’s denn mit dieser Fraktion? Die tut das und das für dich.“ Aber wenn du in einer Wahlkabine stehst, musst du vor Ort selbst entscheiden, wen du jetzt wählst. Außerdem wäre eine Briefwahl seitens der Administration schwierig für uns. Die Bundesvertretung wäre noch relativ einfach zu bewältigen, aber auf Hochschulvertretungsebene wäre das ein ziemlicher Wahnsinn. Wir hätten uns statt der Briefwahl ein Wahlkartensystem gewünscht, das man aber nicht abschicken muss. Man kann also die Stimme am Wahltag auch auf einer anderen ÖH als der eigenen abgeben. Das Ministerium wollte aber ganz klar die Briefwahl.

Die ÖHs fast aller Universitäten - inklusive der Bundesvertretung - haben eine Stellungnahme an das Ministerium geschickt, die im Internet veröffentlicht wurde. Spricht diese Stellungnahme der Bundesvertretung nicht für alle Hochschulen?

Es sind auch Stellungnahmen von Fachhochschulen und der Österreichischen Privatuniversitätenkonferenz und von sämtlichen Universitäten enthalten. Das hat damit zu tun, dass sich für manche ganz neue Strukturen auftun und die Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen wollen diese natürlich selbst kommentieren und präsentieren. Vor allem aber haben wir alle jetzt zehn Jahre auf die Wiedereinführung der Direktwahl gewartet. Aufgrund dieses Erfolgs wollten sich wahrscheinlich alle noch einmal zu dem ganzen HochschülerInnen-Gesetzesentwurf äußern.

Ein Punkt, den ihr sehr begrüßt, ist die Zentralisierung der Justiz. Wieso ist das so wichtig?

Es erleichtert die Arbeit enorm. Es ist am Besten, wenn gleich alle Fälle beim Bundesverwaltungsgericht zusammenlaufen. Denn es ist sehr mühsam, wenn wir in den einzelnen Bundesländern zu den Verwaltungsgerichten gehen müssen.

Ist die ÖH-Bundesvertretung also insgesamt mit dem Gesetz zufrieden?

Wir als Bundesvertretung sind insgesamt sehr zufrieden damit, denn wir haben es ja auch mitverhandelt. Natürlich sind ein bis zwei Punkte drinnen, die nicht so toll sind. Aber andererseits haben wir die Direktwahl wieder erkämpft, die quasi fünf Generationen vor uns wiedereinführen wollten.

Das Interview führte Margot Landl. Sie studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Teach for Austria: Mehr als ein Job!

  • 13.05.2014, 11:59

Die 2011 ins Leben gerufene Bildungsinitiative „Teach for Austria“ soll bessere Zukunftschancen für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen. Sogenannte „Fellows“ arbeiten zwei Jahre lang als volle Lehrkräfte in Schulen an sozialen Brennpunkten. Margot Landl hat für progress online mit dem Gründer Walter Emberger gesprochen und einen der Fellows in seinen Unterricht begleitet.

Die 2011 ins Leben gerufene Bildungsinitiative „Teach for Austria“ soll bessere Zukunftschancen für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen. Sogenannte „Fellows“ arbeiten zwei Jahre lang als volle Lehrkräfte in Schulen an sozialen Brennpunkten. Margot Landl hat für progress online mit dem Gründer Walter Emberger gesprochen und einen der Fellows in seinen Unterricht begleitet.

Wien-Brigittenau: In der Neuen Mittelschule Pöchlarnstraße läutet es zur fünften Stunde. Der Fellow Johannes Steiner (29) betritt die vierte Klasse, in der er nun das zweite Jahr unterrichtet. Die Schule mit Montessori-Schwerpunkt besuchen hauptsächlich SchülerInnen aus bildungsfernen Schichten. Viele von ihnen haben Migrationshintergrund und daher oft Schwierigkeiten, dem deutschsprachigen Unterricht folgen zu können. Zehn Jungen und dreizehn Mädchen sitzen in der Abschlussklasse, die Johannes jetzt unterrichten wird, alle um die vierzehn Jahre alt. Sie begrüßen ihren Geschichtelehrer herzlich. „Fellow“ ist das englische Wort für „Kumpel“.

Johannes scheint für seine SchülerInnen eine Mischung zwischen diesem und einem Lehrer zu sein. „Sie wissen nicht, dass ich kein normaler Lehrer bin“, erklärt er. Und man kann beobachten, dass die Jugendlichen – unter anderem auch aufgrund seines jugendlichen Auftretens – einen besonderen Zugang zu ihm zu haben. „Er schimpft nicht so viel“, meint die 13-jährige Asmira. „Ja, und er macht es mit Action“, pflichtet ihr ihre Klassenkameradin Alyssa bei. Burak aus der hintersten Reihe lässt sich schließlich zum größten Kompliment hinreißen, das man von einem 15-Jährigen als Lehrer wohl bekommen kann: „Er ist cool!“ Dennoch bemüht sich Johannes, bei allem, oft über den normalen Unterricht hinausgehenden Engagement für seine Schützlinge, die Balance zur Professionalität bei der Lehre zu wahren: „Meine SchülerInnen fassen schnell Vertrauen zu mir und erzählen mir dann auch von persönlichen Problemen. Trotzdem muss die Grenze zwischen Freund und Lehrer klar definiert bleiben.“

Johannes Steiner hat einen besonderen Zugang zu seinen SchülerInnen. Foto: Christopher Glanzl

Win-Win-Situation

Die Bildungsinitiative „Teach for Austria“ wurde 2011 als unabhängige und gemeinnützige Organisation von dem Wirtschaftsfachmann Walter Emberger nach internationalem Vorbild gegründet. Mit dem Schuljahr 2012/13 ist das Programm in Wien und Salzburg, der Heimat Embergers, gestartet. 2015 soll es auf ein weiteres Bundesland in Österreich ausgedehnt werden. Größere Städte sind vorerst das Ziel des Projekts, da es dort vermehrt soziale Brennpunkte gibt. „Es wäre beispielsweise eine unternehmerische Herausforderung für Ex-Fellows, neue Standorte zu eröffnen“, meint Emberger.

Um zu den Fellows von „Teach for Austria“ zu gehören, müssen die BewerberInnen hohe Qualifikationsstandards erfüllen. So müssen sie mindestens ein abgeschlossenes Bachelorstudium mit besonders guten Noten vorweisen können. Auch Berufs- und Auslandserfahrung sind bei der Bewerbung von Vorteil. Fellows sind also keine LehramtsabsolventInnen, sondern „Young Professionals“. Ein Trend, aus welchen Fachrichtungen die BewerberInnen kommen, lässt sich dabei nicht feststellen. Von Soziologie über BWL bis zu Informatik ist alles dabei. Psychische Voraussetzungen wie Belastbarkeit, Kommunikations- und Motivationsfähigkeit, Reflexion, Kritikfähigkeit und Durchhaltevermögen werden in einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren getestet.

Nur etwa zehn Prozent der BewerberInnen werden schließlich ausgewählt und einer Hauptschule oder Neuen Mittelschule zugeteilt, die als sozialer Brennpunkt gilt. In dieser bekommen sie zwei bis maximal drei Jahre eine volle Lehrverpflichtung. Bezüglich der Fächer können Präferenzen angegeben werden, üblicherweise werden aber mehrere Fächer gleichzeitig unterrichtet. In einer sechswöchigen Sommerakademie werden die Fellows durch PädagogInnen auf ihre Tätigkeit als LehrerIn vorbereitet. Während ihrer Arbeit bekommen sie Unterstützung durch TrainerInnen, die davor verschiedene Berufe ausgeübt haben. Ständige Weiterbildung ist Pflicht, ebenso sollen sich die Fellows gegenseitig helfen.

Nur zu einem geringen Teil wird die Initiative „Teach for Austria“ staatlich finanziert. Die Fellows erhalten zwar gewöhnliche LehrerInnengehälter, die Organisation finanziert sich jedoch hauptsächlich durch Firmen und Stiftungen. „Wir betrachten Bildung aus einer ökonomischen Perspektive“, so Walter Emberger. „Innovationsbewusste Firmen, die die SchülerInnen als zukünftige MitarbeiterInnen betrachten, haben ein Interesse daran, deren Ausbildung zu fördern.“  Im wirtschaftlichen Sinne sollen SchülerInnen, Fellows und Firmen gleichermaßen von dem Programm profitieren. Daher können auch nur die besten zehn Prozent des Landes unterrichten. Als Vorbild dient Finnland, das Land mit der besten Pisa-Studie. Da es dort jährlich etwa zehn Mal so viele BewerberInnen wie Studienplätze gibt, existiert für das Lehramtsstudium eine Eignungsprüfung. Auch bei „Teach for Austria“ existiert so eine strenge Selektion, wodurch der Beruf eine starke Aufwertung erfährt – allerdings ohne Lehramtsstudium.

Frische Impulse für das Schulsystem

Die Idee ist nicht neu und orientiert sich stark an der Vorbildorganisation „Teach for America“. International betrachtet ist die Initiative „Teach for Austria“ einer von 32 Mitgliedern der weltweiten Initiative „Teach for all“. „Die Fellows haben einen anderen Zugang zu ihrer Tätigkeit als LehrerIn und können frische Impulse ins System bringen“, erklärt der Gründer der Initiative Walter Emberger. „Außerdem sind sie eine gute Ergänzung für das Lehrerkollegium. Von Eltern, DirektorInnen wie auch LehrerInnen bekommen wir laufend positive Rückmeldungen.“ Auch die Fellows sollen von dem Exkurs profitieren, auf den Prospekten der Organisation ist der Slogan „Win Win“ abgedruckt: „Die Fellows lernen viel für sich selbst und gehen auch manchmal an ihre Grenzen. Sie stellen sich neuen Herausforderungen und lernen davon“, meint Emberger. Viele Firmen betrachtet die Tätigkeit bei „Teach for Austria“ positiv und als Leadership-Training. Die Arbeit bei der Organisation bietet die Möglichkeit, Kontakte zu PartnerInnen aus Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu knüpfen. Ein Alumni-Netzwerk soll dafür sorgen, dass ehemalige Fellows der Organisation erhalten bleiben und weiter auf verschiedenste Weise im Bildungsbereich tätig werden. Der Mehrwert zeigt sich also nicht nur in der Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch im Lebenslauf der Fellows.

Der angehende Fellow Anna Grüssinger hat „Teach for Austria“ online entdeckt. „Ich habe mich näher informiert und einen Fellow kontaktiert, um konkrete Nachfragen stellen zu können“, berichtet die Absolventin einer Journalismus-FH, die zusätzlich eine Ausbildung zur Tanzpädagogin gemacht hat. Nachdem sie den mehrstufigen Bewerbungsprozess durchlaufen hat, ist sie nun eine von 35 zukünftigen Fellows, die aus 650 BewerberInnen ausgewählt wurden. Anna sieht den Job als neue Herausforderung: „Ich bin mir sicher, dadurch spannende Impulse erhalten zu können. Aber ich denke, man muss es wirklich wollen.“ Sie kann sich vorstellen, alles zu unterrichten - „außer vielleicht Naturwissenschaften.“

Fit für die Leistungsgesellschaft

„Wir wollen Schülerinnen und Schüler für das spätere Leben in einer Leistungsgesellschaft fit machen“, erklärt Walter Emberger. „Die Erwartungen der Eltern von SchülerInnen, die Hauptschulen und Neuen Mittelschulen besuchen, sind oft sehr niedrig. Doch man darf durchaus hohe Erwartungen an Kinder setzen. Denn sie wollen sich miteinander messen.“ Eine frühe Selektion der SchülerInnen sei nicht von Vorteil, da so die Chancen der Kinder eingeschränkt werden. Emberger selbst bekam als Jugendlicher nur durch die Fürsprache eines engagierten Lehrers die Chance, ein Gymnasium zu besuchen und eine höhere Bildung zu genießen.

Teach for Austria Gründer Walter Emberger kommt aus einer ArbeiterInnenfamilie und hat als Einziger maturiert. Foto: Christopher Glanzl

Er stammt aus einer Schneiderfamilie und ist, wie er selbst sagt, immer noch der Einzige mit Matura in seiner Familie. Nach der Matura studierte er an der WU Wien Handelswissenschaften und promovierte anschließend in Volkswirtschaft. Danach arbeitete er in Frankreich und der Schweiz. Zuletzt war er Studienlehrgangsleiter für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Salzburg. „Die soziale Herkunft darf nicht ausschlaggebend für eine spätere Karriere sein“, meint er. Nachdem er bereits vor vielen Jahren auf die Initiative „Teach for America“ gestoßen war, etablierte Emberger das Programm auch in Österreich. Auf die Frage, woher er die Motivation dafür gewann, antwortet er schlicht: „Das ist es, man weiß es!“

Motivation für berufliche Ziele

Auch Johannes Steiner will seine SchülerInnen zu mehr Selbstvertrauen und Engagement bewegen. „Eine meiner Schülerinnen wollte vor kurzem eine Lehre beginnen. Ich habe zu ihr gesagt: ‚Das ist natürlich okay, aber du kannst mehr!' Jetzt hat sie sich dafür entschieden, einen höheren Bildungsweg einzuschlagen“, berichtet Johannes und man merkt ihm die Freude über diesen Erfolg an. Und er ergänzt: „Aber das ist natürlich eine Ausnahme. Es reicht schon, wenn die Kinder gern in die Schule gehen.“ Die anderen SchülerInnen von Johannes haben bereits eine fixe Vorstellung davon, was sie nach der Schule machen möchten. Asmira will eine Ausbildung zur Kindergartenpädagogin machen und Alyssa will die Fachschule für Tourismus absolvieren. Burak möchte eine Lehre als Installateur beginnen und danach, wie viele seiner Schulkollegen, Polizist werden. Durch „Teach for Austria“ sollen die SchülerInnen motiviert werden, sich eigenständig Ziele zu setzen und dafür zu arbeiten – eine Qualität, die auch ihre späteren ArbeitgeberInnen sehr schätzen werden.

Besonders während der Stunde merkt man den Willen des Fellows, die SchülerInnen zu motivieren. Johannes lässt sich durch falsche Aussagen nicht beirren, sondern besteht mit einem hartnäckigen „Das könnt ihr, das weiß ich!“ auf die richtigen Antworten. Die SchülerInnen ihrerseits reagieren auf den jungen engagierten Lehrer sehr positiv und arbeiten die ganze Stunde lang mit.  „Es ist in diesem Bereich ein großer Vorteil, ein Mann zu sein“, meint Johannes, „es gibt schließlich so wenige Hauptschullehrer. Für die Jungs ist es oft gut, auch männliche Lehrer zu haben.“ Auch für Walter Emberger ist es ein Ziel, den Männeranteil unter den Fellows zu erhöhen. Im ersten Jahrgang war das Verhältnis Eins zu Vier, mittlerweile ist der Prozentsatz der männlichen Followers auf dreißig Prozent angestiegen.

Nur etwa zehn Prozent der BewerberInnen werden schließlich ausgewählt und einer Hauptschule oder Neuen Mittelschule zugeteilt, die als sozialer Brennpunkt gilt. Foto: Christopher Glanzl

Nur eine kurze Episode?

Um sich bei „Teach for Austria“ zu bewerben, ist Johannes extra aus Äthiopien nach Österreich zurückgekehrt. Dort hatte er an einem Bildungsprojekt der NGO Project-E mitgearbeitet. Doch als ihm seine Schwester von einem von ihr über die Organisation gelesenen Artikel erzählte, konnte er sich in dem angeforderten Profil zu hundert Prozent wiedererkennen. Seine Wunschfächer waren Geographie, Geschichte und Englisch. Englisch ist sein Hauptfach, die Sprache, die er durch seine Auslandsaufenthalte gut beherrscht und in der er auch seine beiden universitären Abschlussarbeiten verfasst hat. Zusätzlich unterrichtet er noch Musikerziehung und Werken.

Sich immer wieder neu erfinden

Johannes ist ein Fellow des ersten Jahrgangs und kann zwei Universitätsabschlüsse vorweisen. Der gebürtige Oberösterreicher hat in Salzburg Politikwissenschaft und in Amsterdam International Development studiert. Ebenso hat er in Uganda und Äthiopien an Bildungsprojekten mitgearbeitet. „Bildung bedingt für mich Entwicklung und Bildung sollte es für jede und jeden geben. Sie sollte unabhängig vom Einkommen der Eltern sein.“, erklärt Johannes. „Für mich ist die Initiative mehr als ein Job. Es ist das, woran ich glaube.“ Was er nach seiner Zeit bei „Teach for Austria“ machen möchte, weiß er noch nicht. Er kann sich vorstellen, wieder nach Afrika zu gehen, eine andere Aufgabe bei „Teach for Austria“ zu übernehmen oder vielleicht auch weiterhin als Lehrer zu arbeiten. Dafür müsste er jedoch das Lehramtsstudium nachholen.

„Ein Viertel bis ein Drittel der Fellows werden nach dem Ablauf ihrer Zeit LehrerInnen“, erzählt Walter Emberger. Doch sie betreten den Beruf seiner Ansicht nach mit einem durch ihre vorherigen Tätigkeiten erweiterten Horizont. „Auch LehrerInnen sollten immer wieder neue, außerschulische Erfahrungen sammeln“, meint Emberger. „Personen, die im Finanz-, Bank- oder Beratungsbereich arbeiten, müssen sich alle paar Jahre neu erfinden. Die Gesellschaft ändert sich stetig und schnell und mit ihr auch das Bildungssystem.“ Permanente Anpassung an aktuelle Herausforderungen zählt für ihn dabei mehr als Kontinuität.

Emberger: "Unserer Gesellschaft ist das Bewusstsein abhandengekommen, dass Leistung gut ist und sich lohnt. Aber stetiges Lernen ist wichtig und notwendig. Und oft zahlt es sich aus, den schwierigeren Weg zu gehen.“ Foto: Christopher Glanzl

Auf die Frage, welche Werte er den SchülerInnen neben dem Fachwissen vermitteln möchte, antwortet er: „Sie sollen an sich glauben. Beispielsweise sollen Kinder mit Migrationshintergrund und nichtdeutscher Muttersprache erkennen, dass ihre Zweisprachigkeit etwas Wertvolles ist. Sie dürfen sich ruhig etwas zutrauen.“ Abschließend  konstatiert Emberger: „Unserer Gesellschaft ist das Bewusstsein abhandengekommen, dass Leistung gut ist und sich lohnt. Aber stetiges Lernen ist wichtig und notwendig. Und oft zahlt es sich aus, den schwierigeren Weg zu gehen.“

Link: http://www.teachforaustria.at/

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

Alles neu im Lehramt?

  • 21.03.2014, 12:33

Rund vier Stunden mehr pro Woche in der Klasse, weniger Geld, Berufseinstieg schon nach dem Bachelor – die Regierung hält das neue LehrerInnendienstrecht für einen Geniestreich, die Gewerkschaft ist sauer. Passend dazu wird auch die Ausbildung für angehende LehrerInnen komplett neu konzipiert. Was bedeutet das alles konkret für Lehramtsstudierende?

Rund vier Stunden mehr pro Woche in der Klasse, weniger Geld, Berufseinstieg schon nach dem Bachelor – die Regierung hält das neue LehrerInnendienstrecht für einen Geniestreich, die Gewerkschaft ist sauer. Passend dazu wird auch die Ausbildung für angehende LehrerInnen komplett neu konzipiert. Was bedeutet das alles konkret für Lehramtsstudierende?

Demonstrationen, ein scheinbar unendlicher Koalitionskrieg zwischen SPÖ und ÖVP, innerparteiliche Flügelkämpfe und ein zähes Ringen zwischen Gewerkschaft und Regierung prägten die insgesamt über ein Jahrzehnt dauernden Verhandlungen über das neue LehrerInnendienstrecht. Am 17. Dezember des vergangenen Jahres wurde das Gesetz dann im Parlament beschlossen. Ab dem Schuljahr 2019/20 tritt es voll in Kraft – bis dahin können neu in den Dienst eintretende LehrerInnen zwischen dem neuen und dem alten Dienstrecht wählen. Das neue Modell betrifft in erster Linie das Gehalt der LehrerInnen: Statt zweijährigen Gehaltssprüngen gibt es nun nur noch sieben Gehaltsstufen. Außerdem werden erstmals alle LehrerInnen gleich bezahlt, egal an welchem Schultyp sie unterrichten. Das Einstiegsgehalt der AHS- und BHS-LehrerInnen steigt dabei um rund 200 Euro, das der Volks-, Haupt- oder SonderschullehrerInnen um rund 400 Euro. In Bezug auf die Anzahl der Unterrichtsstunden bringt das neue Dienstrecht mit sich, dass LehrerInnen zwei bis vier Stunden pro Woche länger in der Klasse stehen müssen. Eine Zulage von bis zu 679 Euro pro Monat gibt es in allen Schultypen für Fächer, die mit einem höheren Vor- oder Nachbereitungsaufwand verbunden sind. Auch für Leitungs- oder Beratungsfunktionen sind zusätzliche Vergütungen vorgesehen.

Mehr Arbeit für weniger Geld. Kritik an dem neuen Dienstrecht übt unter anderem die Initiative für ein faires Dienstrecht für LehrerInnen (IFDL), eine unabhängige und überparteiliche Gruppe von JunglehrerInnen sowie LehramtsstudentInnen. Sie hat sich über soziale Netzwerke organisiert und tritt vehement gegen das neue Dienstrecht auf. Der IFDL ist vor allem die Ausweitung der Lehrverpflichtung ein Dorn im Auge: Sie würde sich vor allem in den Sprachfächern, aufgrund der hohen Vor- und Nachbereitungszeit potenzieren, so das Argument. PH-Studentin Anna Rauch schließt sich dieser Kritik an: „Vier Stunden mehr aktiv zu unterrichten, das fällt ins Gewicht. Da bleibt auf jeden Fall weniger Zeit für Vor- und Nachbereitung.“ Auch die individuelle Betreuung der SchülerInnen würde darunter leiden. Außerdem entsteht durch die erhöhte Arbeitszeit und die geringere Bezahlung auf lange Sicht eine erhebliche Gehaltseinbuße.

Des Weiteren bemängelt die IFDL, dass bei der Kalkulation der Arbeitszeit von LehrerInnen nur die reine Unterrichtszeit miteinbezogen wird. Auch Vor- und Nachbereitung, Gangaufsichten, Gespräche, Vertretungsstunden, Organisationsarbeit, Konferenzen, Fortbildungen (welche nunmehr außerhalb der Unterrichtszeit stattfinden müssen) etc. müssten berücksichtigt werden. Kritisiert wird auch die neue Regelung, dass LehrerInnen in Fächern eingesetzt werden können, für die sie nicht ausgebildet sind. Darf man als DeutschlehrerIn also künftig Physik unterrichten? Das Unterrichtsministerium erklärte in einem Telefonat: „Nein! Hier wurde die Bestimmung vom alten Gesetz übernommen. Dass LehrerInnen vermehrt fachfremd eingesetzt werden sollen, ist ein Gerücht, das sich hartnäckig hält.“ Wenn LehrerInnen länger als ein Semester ein Fach unterrichten sollen, für das sie nicht ausgebildet sind, bedarf dies laut dem neuen Dienstrecht ihrer Zustimmung, sonst kann das nur vorübergehend und „aus wichtigen dienstlichen Gründen“ passieren.

Anne-Sophie Zechmeister, die an der Uni Wien Lehramt Englisch und Deutsch studiert, fühlt sich durch die ständigen Änderungen zunehmend entmutigt: „Durch laufende Erneuerungen – neues LehrerInnendienstrecht, Zentralmatura, Bildungsstandards etc. – fühlt man sich als angehende/r JunglehrerIn doch etwas überfordert. Von Transparenz ist keine Spur. Es scheinen sich jede Menge Herausforderungen anzuhäufen, die man nach dem Studium bewältigen soll.“

Die Vorsitzende der neuen Studienprogrammleitung Lehrer/innenbildung, Universitätsprofessorin Barbara Schneider-Taylor, sieht ebenfalls noch viel Klärungsund Aufklärungsbedarf, was das neue Dienstrecht angeht: „Ich sehe mich selbst dafür verantwortlich, dass die Studierenden der Universität Wien noch mehr als bisher auf diese Problematik aufmerksam gemacht werden.“ Sie will die Studierenden aber auch anregen, sich selbst im Zuge ihrer Ausbildung stärker mit der Thematik zu befassen: „Studierende des Lehramts müssen, ebenso wie andere Studierende, während ihres Studiums ein Bewusstsein entwickeln, in welchem rechtlichen Raum sie sich künftig bewegen werden.“

Bologna-System und mehr Pädagogik. Nicht nur das Dienstrecht, auch die LehrerInnenausbildung wird sich verändern. Glaubt man dem Ministerium, soll mit der Pädagog/innenbildung NEU die Qualität der Ausbildung gesteigert werden. Mit dem Studienjahr 2014/15 müssen alle Lehramtsstudien an der Uni Wien vom Diplomstudium auf das Bachelor-Master-System umgestellt werden. Dadurch sollen die Lehramtsausbildungen vereinheitlicht werden. Unabhängig vom Schultyp müssen alle LehramtsstudentInnen an Uni und PH dann ein vierjähriges Bachelorstudium absolvieren. Danach ist, eventuell berufsbegleitend, ein ein- bis eineinhalbjähriges Masterstudium anzuhängen, das für eine Fixanstellung nötig ist. Vorgesehen ist dabei eine stärkere Kooperation der PHs mit den Universitäten. „Die Idee ist, dass PH und Unis keine Konkurrenten mehr sind“, heißt es aus dem Ministerium. Die Zusammenarbeit soll auch im Bereich der Weiterbildung intensiviert werden. Hehres Ziel des Ministeriums ist eine stärkere Durchlässigkeit zwischen Unis und Pädagogischen Hochschulen, sie sollen gleichwertig werden, Ministerium und Gewerkschaften wollen die Pädagogischen Hochschulen „akademisieren“: Ab 2029 sollen nur noch Master-AbsolventInnen in den Klassen stehen. Für künftige PflichtschullehrerInnen dauert die Ausbildung somit fast doppelt so lange wie bisher.

Auf das Studium folgt, anstatt des bisherigen Unterrichtspraktikums, eine ein- bis zweijährige Berufseinführungsphase bei bereits bestehendem Dienstverhältnis. In dieser Zeit werden die jungen LehrerInnen von speziell ausgebildeten MentorInnen begleitet. Außerdem kann währenddessen das Masterstudium absolviert werden. Lisa Strasser, seit zwei Jahren Volksschullehrerin in Wien, ist skeptisch: „Mir fehlt jetzt schon die Zeit, um mich mehr vorzubereiten. Bei einem zusätzlichen Master leidet die Qualität hundertprozentig.“ Auch Maria Wörister, die an der Uni Wien Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert, ist davon überzeugt, dass die Qualität des Unterrichts durch die neue Ausbildung eher sinkt als steigt: „Die Erhöhung der Arbeitszeit bringt mit Sicherheit Verschlechterungen im Betreuungsverhältnis mit sich.“

Aufnahmeverfahren. Ab nächstem Wintersemester gibt es laut dem neuen Universitätsgesetz auch für das universitäre Lehramtsstudium ein Aufnahmeverfahren. Bisher war das nur an den Pädagogischen Hochschulen der Fall. Für das Wintersemester 2014/15 ist an der Uni Wien ein dreistufiges Prozedere vorgesehen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Selektion. Alle, die das ganze Verfahren durchlaufen, bekommen einen Studienplatz. Zuerst findet ein Online-Assessment statt, in dem die persönlichen Erwartungen und Interessen geklärt werden können, der Informationsstand zum Lehramt vertieft wird und die AnwärterInnen sich anhand psychologischer Tests mit ihrer persönlichen Eignung auseinandersetzen. Weiters wird es am 1. September einen schriftlichen Test über logisch schlussfolgerndes Denken, verbale und analytische Grundkompetenzen sowie Wissen über eine Sammlung einführender bildungswissenschaftlicher Texte geben. Alle BewerberInnen, die 30 Prozent der Punkte erreichen, werden automatisch zugelassen, die anderen werden zu einem Informations- und Beratungsgespräch eingeladen und erhalten eine Analyse ihrer Testergebnisse und Empfehlungen zum Studieneinstieg. Laut einem Newsletter des Rektorats der Uni Wien erwartet man sich davon, „dass die strukturierte Auseinandersetzung mit dem Studienwunsch und dem Berufsbild LehrerIn zu einer fundierten Studienwahl und einem besseren Studieneinstieg führt“. Das Vorsitzteam der ÖHBundesvertretung sieht das anders: „Die geplanten Aufnahmeprüfungen für alle PädagogInnen lehnen wir aufs Schärfste ab. Aufnahmeverfahren hindern vor allem finanziell schlechter gestellte Studierende am Studium. Die Universität Innsbruck plant sogar, rechtswidrige Gebühren für den Aufnahmetest zu verlangen. Zudem ist die Überprüfung der scheinbaren Eignung bereits vor Antritt des Studiums mehr als fragwürdig.“ Wie andere Universitäten das Aufnahmeverfahren im Detail gestalten wollen, ist noch nicht bekannt.

An den Studienplänen für das Lehramt NEU bastelt das Ministerium noch. Bis zum Wintersemester 2015/16 sollen sie fertig sein. Fachdidaktik, pädagogische Inhalte und Wahlfächer sollen ausgebaut werden, ebenso sollen mehr Praxisstunden an Schulen absolviert werden. Außerdem sind im Lehramt NEU Zeitfenster vorgesehen, die LehramtsstudentInnen anregen sollen, ins Ausland zu gehen und Erfahrungen für den Umgang mit immer multikulturelleren Klassen zu sammeln.

Lehramt neu denken. Eine Änderung des Curriculums wird von den Lehramtsstudierenden aber durchwegs positiv aufgenommen: „Pädagogik sollte viel praxisbezogener sein. Wie man mit SchülerInnen im Unterricht umgeht, muss viel ausführlicher besprochen werden. Und nicht zuletzt müsste man als StudentIn viel öfter und früher Unterrichtsstunden halten, um herauszufinden, ob der Beruf überhaupt für einen geeignet ist“, sagt Ulli Grill, die in Wien Mathematik und Darstellende Geometrie auf Lehramt studiert. Auch die PH-Studentin Julia Schmidt stimmt dem zu: „Das Wichtigste ist die Praxis. Davon haben wir auf der PH schon viel, aber es kann ruhig noch mehr sein. Vor allem in der AHS fehlt die Praxis.“ In ihrem bildungspolitischen Positionspapier Forum Hochschule sieht die ÖH-Bundesvertretung es als künftige Herausforderung der LehrerInnenausbildungen, die Stärken der praxisbezogenen PH- und der fachlich-wissenschaftlichen Uni-Ausbildung in einem gemeinsamen System zu vereinen.

Simon Weinberger ist Lehramtsstudent an der KFU Graz für die Fächer Physik und Geographie und kritisiert vor allem die inadäquate Behandlung der LehramtsstudentInnen an den Universitäten: „Oft sind die Lehrveranstaltungen für LehramtsstudentInnen nicht an ihren späteren Berufsweg angepasst. Aufgrund von Sparmaßnahmen haben wir oft die selben Lehrveranstaltungen wie jene Studierenden, die das Fach nicht auf Lehramt studieren. Das ist nicht förderlich.“

Während die Kritik am Dienstrecht überwiegt und sich kaum zustimmende Positionen unter den angehenden LehrerInnen finden, wird die neue Ausbildung differenzierter beurteilt: Moritz Deininger, der an der KFU Graz Englisch und Geschichte auf Lehramt studiert und sich auch in der Studienvertretung engagiert, spricht abschließend noch einen wichtigen Punkt an: das allgegenwärtige LehrerInnen-Bashing. „Was mich besonders nervt, ist der Reflex mich bereits jetzt für meinen zukünftigen Beruf rechtfertigen zu müssen. Die dienstrechtliche Debatte, zusammen mit der fragwürdigen Berichterstattung, hat da viel böses Blut gemacht und ich finde es unfair, dass wir angehenden Lehrenden das nun ausbaden können!“

 

Fragen und Antworten zum neuen Dienstrecht: http://bit.ly/1dSgbcu

Blog der Initiative für ein faires Dienstrecht für LehrerInnen: http://ifld-blog.at

 

Lisa Breit studiert Publizistik, Margot Landl Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

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