Margot Landl

Das Referat für FH-Angelegenheiten: „Viele Mythen, wenig Infos“

  • 28.08.2014, 14:21

Das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft bemüht sich darum, spezielle Probleme an Fachhochschulen sichtbar zu machen und Lösungen dafür zu erarbeiten.

Das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft bemüht sich darum, spezielle Probleme an Fachhochschulen sichtbar zu machen und Lösungen dafür zu erarbeiten.

Im Frühjahr 2009 wurde das Referat für FH-Angelegenheiten der Österreichischen Hochschüler_innenschaft gegründet – nachdem die Fachhochschul-Studierenden Mitglieder der Österreichischen Hochschüler_innenschaft wurden. Seitdem bemüht sich das jüngste ÖH-Referat darum, Probleme an FHs zu thematisieren, sie an das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zu transportieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. „Wir versuchen vor allem bei bildungspolitischen Themen, die Situation im FH-Sektor klarzumachen, da der Fokus immer noch sehr stark auf den Unis liegt. Außerdem wollen wir für Probleme sensibilisieren, die vielleicht auf den ersten Blick nicht sichtbar sind“, erklärt der Referent für FH-Angelegenheiten Michael Hnelozub. Der Architekturstudent hat in der Vergangenheit selbst Wirtschaftsberatung an der FH Wiener Neustadt studiert. Neben ihm sind noch drei weitere Leute in dem kleinen Referat aktiv.

Vielfältige Probleme

Die Probleme, mit denen sich das Referat beschäftigt, sind vielfältig und von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Konkrete Problemfälle gibt es im Bereich der Gleichbehandlung sowie der Lehrveranstaltungsevaluierung. Oft geht es auch um die Frage der Abwesenheit in den Lehrveranstaltungen, welche laut Michael manchmal sehr unsachlich eingeschränkt wird. Er sieht hier vor allem ein Problem in den selbsterklärt „berufsbegleitenden“ Studiengängen: „Das Arbeiten neben dem Studium ist für viele schwer planbar, dennoch werden Lehrveranstaltungen oder Stundenpläne oft sehr kurzfristig festgelegt. Hat man Familie, wird alles noch schwieriger“, erklärt Michael. Es entstehe hier für die Studierenden ein enormer Organisationsaufwand, der sich mit dem spießt, was die FHs an Serviceleistung propagieren.

Immer wieder haben Studierende Fragen bezüglich des Studienrechts, welches im Fachhochschul-Studiengesetz (FHStG) nur sehr oberflächlich behandelt wird. Fachhochschulen fallen nicht unter das Universitätsgesetz, da sie keine staatlichen sondern private Institutionen sind. Jede Fachhochschule hat dabei spezielle Details in ihrer Prüfungsordnung. „Das FHStG ist ein sehr dünnes Gesetz. Das ist problematisch, da es viel Interpretationsspielraum lässt. Außerdem sind Fristen oder Ausbildungsverträge der verschiedenen Fachhochschulen sehr unterschiedlich“, erklärt der Referent. „Im Zweifel wird daher auf das Universitätsgesetz zurückgegriffen und geschaut, wie dort ein Thema geregelt ist.“

Beratung auf Umwegen

Trotz vieler Fragen wird die Möglichkeit der persönlichen Beratung am Referat eher wenig in Anspruch genommen. „Das Referat ist nicht so präsent, da es relativ klein und neu ist. Viele Anfragen kommen deshalb über Umwege zu uns“, so Michael. Die Beratung geschieht viel in Kontakt mit anderen Referaten, vor allem dem Referat für Studien- und Maturant_innenberatung sowie dem Referat für Bildungspolitik. Dort ist auch eine Juristin für Studienrecht beschäftigt, welche sich zunehmend auch mit FH-Recht beschäftigt.

Beratungstermine werden vom Referat für FH-Angelegenheiten auf Anfrage festgelegt, Präsenzzeiten gibt es keine. Die Beratung erfolgt großteils über E-Mail, teilweise telefonisch. „Viele FH-Studierende können nicht persönlich kommen, weil sie berufstätig sind. Außerdem ist der Großteil der FH-Student_innen nicht in Wien“, erklärt Michael. Diese können sich an die lokalen Vertretungen der ÖH wenden, für die das FH-Referat die Schnittstelle mit der Bundesvertretung bildet. Dort werden Schulungen angeboten, Rechte und Prüfungsordnungen abgeklärt sowie Workshops an den einzelnen Fachhochschulen organisiert. Hier erfolgt auch die Weiterleitung von Informationen an die Fachhochschulen selbst.

Das Fachhochschulgesetz ist ein sehr dünnes Gesetz. Im Zweifel wird auf das Universitätsgesetz zurückgegriffen. Foto: Sarah Langoth

 

Entwicklungshilfe für die Vertretungen

Ein wichtiges Ziel ist es, die Studienvertretungen direkt an den Fachhochschulen zu
stärken. „Wir versuchen vor allem sogenannte `Entwicklungshilfe ́ für FH-Vertretungen zu
geben“, erzählt der Referent. Da die Jahrgangsvertretungen immer nur auf ein Jahr gewählt
werden, gibt es eine hohe Fluktuation. Dies wird teilweise von den Studiengangsleitungen
ausgenutzt, indem sie die Lösungen für Probleme einfach aufschieben. Oft gibt es an den FHs nur ein einziges,
kleineres Vertretungsteam, welches für alle Probleme zuständig ist. Referate gibt es kaum.

Studierendenvertretungen an Fachhochschulen werden - wie auch an Pädagogischen Hochschulen - von
der Bundesvertretung der Österreichischen
Hochschüler_innenschaft mitverwaltet. An den Standorten gibt es zwar eigene Vertretungskörper,
diese sind allerdings keine echte Hochschüler_innenschaft und lediglich ein halb-
selbstständiges Konstrukt. „Oft ist unklar, wie Dinge zu regeln sind und was die gewählten
Vertretungen überhaupt tun dürfen. Wann müssen sie die ÖH fragen, wann müssen sie
die FH fragen?“, erklärt Michael. „Erfreulicherweise ist das mit dem Hochschulgesetz
2014 ab dem nächsten Jahr vorbei. Dann sind die Vertretungsstrukturen und Rechte der
Studierendenvertreter_innen einheitlich geregelt.“

Zu wenig Information, viele Mythen

Der Referent stört sich besonders daran, dass bezüglich der Fachhochschulen viele Mythen kursieren, aber wenig echte Information vorhanden ist: Ein Mythos ist beispielsweise die Aussage, Studiengebühren schaden der sozialen Durchmischung nicht. Dass diese an den Fachhochschulen höher liegt, als an Universitäten, ist vielmehr dem Angebot geschuldet. „Es werden einfach andere Gruppen angesprochen“, meint Michael. Dies seien beispielsweise soziale Schichten, für die eine praxisorientierte Ausbildung interessanter ist als eine forschungsorientierte, oder Berufstätige, denen der Studienbeitrag egal ist.

Ein weiterer Mythos ist, dass die Fachhochschulen effizienter mit Geld umgehen würden als die Universitäten. „Die FH Wiener Neustadt hat zum Beispiel mit griechischen Staatsanleihen hohe Verluste gemacht. Auch die FH Wels hat einen Fehlbetrag von einer halben Million Euro erarbeitet. Es kommt also nicht wie versprochen jeder Euro bei den Studierenden an“, so Michael.

Auch dass die Fachhochschulen so viel Raum zur Verfügung hätten, sei ein Mythos, denn auch hier übersteige das Kontingent an Studierenden langsam den Platz. „FH-Themen werden sowohl von der Politik als auch medial zu wenig hinterfragt. Über Unis wird kritisch und differenziert berichtet, über die FHs hingegen sehr einseitig. Dabei sind vor allem diese untereinander sehr verschieden“, erklärt der Referent.

Im Vergleich zu den Universitäten ist die Datenlage im FH-Sektor dürftig. Da Fachhochschulen als Unternehmen geführt werden, wird vieles als „Geschäftsgeheimnis“ der Öffentlichkeit vorenthalten. Zum Teil muss sogar um die Herausgabe des Curriculums oder einzelner Lehrveranstaltungsbeurteilungen gestritten werden. Die verfügbaren Zahlen sind hauptsächlich Selbstangaben der Fachhochschulen, viele Themen werden aber auch gar nicht erhoben. Weiters gibt es kaum Expert_innen für Fachhochschulen. Da sich Studienanfänger_innen oft an mehreren Fachhochschulen und/oder für mehrere Studiengänge bewerben, sind die Zahlenangaben bezüglich der Bewerber_innen ungenau.

Auch die FHs haben’s nicht leicht

Dennoch sind Missstände nicht nur die Schuld der Fachhochschulen: „Fachhochschulen wurden bis jetzt nie kontrolliert. Es gibt kein straffes Gesetz, welches die Organisation regelt, und keine durchsetzungsstarke Kontrollinstanz“, erklärt Michael. „Das Ministerium agiert nur symptombekämpfend. Die FHs wissen also selbst oft gar nicht, was sie dürfen und was nicht, weshalb es teilweise unnötig restriktive Regelungen gibt.“ Ebenso sei es schwer, sich an der Schnittstelle zwischen den Bedürfnissen der Wirtschaft und den Studierenden anzusiedeln: „Das ist ein ewiger Widerspruch an den Fachhochschulen: Die Leute werden zur Unternehmensgründung, aber letztendlich doch als Arbeitnehmer_innen ausgebildet“, so Michael. Und schließlich handeln die FHs oft einfach in Angst vor schlechter Publicity. Damit könnten Bewerber_innen abgeschreckt werden und so deren Studiengebühren sowie die Finanzierung dieser Studienplätze durch den Bund für die betroffene FH verloren gehen.

Ein besonderes Problem ist die falsche Verteilung von Ressourcen und Rechten. Obwohl beispielsweise bei Studien im Gesundheitswesen wie Logopädie deutlich mehr Bedarf ist, gibt es nur eine sehr begrenzte Zahl an Studienplätzen. Die Studienanfänger_innen bewerben sich deshalb oft an mehreren Standorten und/oder für mehrere Studiengänge und suchen sich bei mehr als einer Zusage eine aus. Dadurch bleiben hier und da schlussendlich Plätze unbesetzt. Bekommen Personen hingegen gar keine Zusage, inskribieren sie sich oft vorübergehend an den Universitäten, wodurch diese überlastet sind. 

Stärkeres Hinterfragen

Mit Vorfällen wie jenem an der FH Wien, bei dem vor kurzem falsche Zu- und Absagen per Mail an die Bewerber_innen ausgesandt wurden, sieht Michael wichtige Diskurse angestoßen:  „Auch wenn das Ökonomisierungsdenken zunimmt, entwickeln FH-Studierende dennoch ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass auch sie Rechte haben. Beispielsweise fragen sie öfter nach, ob das wirklich so stimmt, was die FH sagt.“ Nur durch Feedback können Verbesserungen erzeugt werden. Auch die starren Curricula an den Fachhochschulen stoßen vor allem bei Berufstätigen, welche sich eher als „Bildungskonsument_innen“ sehen, zunehmend auf Widerstand. Es muss begründet werden, wieso gewisse Lehrveranstaltungen für das Studium wichtig sind.

Michael sieht das FH-Referat trotz aller Kompromisse als Anlaufstelle für (zukünftige) Student_innen: „Als ÖH sind wir auf der Seite der Studierenden. Wir können Probleme sichtbar machen und die Menschen dahinter anonymisieren. Dadurch tut sich auch was, aber leider oft ein bisschen zu spät“.

Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Mehr Informationen zum Referat

Es muss nicht immer Joggen sein

  • 18.07.2014, 17:17

Vier unkonventionelle Sportarten im Portrait.

Vier unkonventionelle Sportarten im Portrait.

Der Weg des Schwertes

Ein Kendoka

Bei der japanischen Kampfsportart Kendo entscheiden nicht Kraft und Größe. „Die Schnelligkeit macht’s aus“, sagt Dieter Hauck und seine Mundwinkel zucken bei dem Gedanken an so manche Niederlage. Die Sportart setzt sich aus den beiden Wörtern Ken und Do zusammen, was so viel bedeutet wie „Weg des Schwertes.“ Mit echten Schwertern wird freilich nicht gekämpft, Bambusstangen in schwertähnlicher Form verhindern wirkliche Verletzungen. Dieter, laut eigenen Angaben eigentlich eher nicht prädestiniert für diese Sportart, weil zu groß und zu stark, trainiert seit über 30 Jahren Kendo. Schon als Jugendlicher beginnt er mit der japanischen Kampfsportart Jiu Jitsu. „Mitunter ein Grund war damals, mich gegen meine noch größeren Brüder wehren zu können“, sagt er und lacht. Durch einen Freund kam der 51-Jährige zu Kendo und ist seither überzeugter Kendoka. Heute ist er Vizepräsident der europäischen Kendo-Föderation.

Im Gegensatz zu anderen Kampfsportarten setzt Kendo speziell auf der geistigen Ebene an: Den oder die Gegner_ in zu lesen und sich selbst und die Menschen in der eigenen Umgebung zu erfahren, sind Teil des Weges, den es beim Erlernen von Kendo zu bewältigen gilt. Dabei ist die größte Herausforderung bei einem realen oder nachempfundenen Kampf – und damit in der maximalen Risikosituation – die gelernten Techniken durch rasche Entscheidungen und unter Aufwendung aller Energiereserven genau richtig einzusetzen, um den/die Gegner_in zu treffen. Diese Kampfsituationen werden regelmäßig bei Turnieren und bei Welt- und Europameisterschaften nachempfunden, bei denen Dieter auch schon oft als Kämpfer und Funktionär beteiligt war. „Leben kann man von Kendo in Europa allerdings so gut wie nicht“, sagt er. Dafür ist die Kendo- Population in diesen Breiten noch zu klein. In Japan ist die Sportart Teil der Ausbildung von Polizist_innen, des Militärs und der Palastwache und wird auch in Schulen stark gefördert.

Trainiert wird die Kampfsportart ein ganzes Leben lang, sie ist somit Teil des Lebensweges und ständiger Begleiter – auch für den Wiener. Dieter erzählt vom Vater seines japanischen Trainers, der noch bis drei Tage vor seinem Tod Kendo trainiert haben soll. „Wir haben dann gesagt, wir reduzieren das auf zwei Tage, dann haben wir wirklich etwas erreicht“, sagt er und zeichnet mit seinen Armen die typische Schwertbewegung von Kendo nach. (AS)

2,40 Meter hoch, sieben Sprossen
Eine Leiterakrobatin

Eine zufällige Begegnung mit einem Diabolo-Spieler in Berlin hat sie inspiriert und damit ihr bisheriges Leben vollkommen auf den Kopf gestellt. Rosalie Schneitler hat braune Haare und ein Talent, ihr Italienisch so klingen zu lassen, als wäre sie nicht in Oberösterreich geboren. Die heute 30-jährige Mutter beginnt nach diesem Erlebnis die akrobatische Sportart Leiterartistik an der Scuola di Circo Vertigo in Turin zu studieren und entdeckt dort ihre Leidenschaft für den zeitgenössischen Zirkus.

Als eine von 60 Bewerber_ innen an der Zirkusschule wird sie zusammen mit 15 weiteren Studierenden aufgenommen und stellt sich zwei Jahre lang täglich einem siebenstündigen Training: Muskelkraft, Flexibilität, Bodenakrobatik, zeitgenössischer Tanz und Theater stehen auf der Tagesordnung. Dem folgt ein Training in der jeweiligen individuellen Disziplin der einzelnen Studierenden – für Rosalie war es die Leiter: „Drauf zu stehen und das Gleichgewicht zu halten, das ist eine der ersten Aufgaben, die es zu bewältigen gilt“, sagt Rosalie. Ohne die Leiter an die Wand zu lehnen, versteht sich. Danach folgen die ersten Tricks: Über die vorletzte Sprosse springen und auf der anderen Seite wieder auf dieser landen, die Leiter in Tempo auf und ab erklimmen oder auf der obersten Sprosse in „Fliegerposition“, mit dem Becken auf der Leiter, schweben. Heute lebt die Artistin von dieser akrobatischen Sportart und sieht es als ihre größte Herausforderung, ihre körperlichen Fähigkeiten in einen Ausdruck zu verwandeln und so jedes Stück einzigartig werden zu lassen. „Genau das ist das Besondere am zeitgenössischen Zirkus – jede Person trägt ihre persönliche Note zu einem Stück bei.“ Ihr beruflicher Alltag besteht daraus, von Fest zu Fest zu reisen, von einem Auftritt zum nächsten. Von Mai bis Oktober dauert die Saison. Im Winter hingegen werden neue Shows geprobt, alte verbessert und trainiert. Rosalies eineinhalbjährige Tochter und ihr Lebensgefährte – selbst ein Zirkusartist – sind auf ihren zahlreichen Reisen immer im Gepäck.

Doch die geborene Zwettlerin wünscht sich seit kurzem einen festen Platz im Leben. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten überlegt sie, einen Grund in Italien zu kaufen. „In Österreich gibt es für den zeitgenössischen Zirkus leider zu wenige Möglichkeiten“, sagt sie. Dass diese Art von Zirkus aber nun auch langsam hierzulande ankommt, freut sie besonders. (AS)

Paddeln, fangen, Tore schießen
Kanupolo Foto: Christopher Glanzl

Wer Kanufahren und Ballsport mag, der ist beim KanuPolo richtig. Zwei Mannschaften mit je fünf SpielerInnen versuchen bei dieser Crossover-Sportart, einen Ball mit der Hand oder dem Paddel möglichst oft im gegnerischen Tor zu versenken – während sie in einem Kanu sitzen. Die Sportart erfordert Multitasking: „Es ist eine Herausforderung, ein Boot ideal zu manövrieren und gleichzeitig den Ball zu fangen und zu werfen“, meint die Studentin Michaela Motowidlo. Zum KanuPolo kam sie wie viele andere EinsteigerInnen auch: Eigentlich wollte sie, als sie einen Schnupperkurs des Vienna KanuPolo- Teams besuchte, nur paddeln lernen. Heute ist sie ein führendes Mitglied des Vereins. Auch die Sportart selbst ist vor etwa 100 Jahren in Paddelvereinen entstanden.

Gespielt wird auf einem Spielfeld, das etwa die Maße eines Sportbeckens hat. Im Winter besteht die Möglichkeit, indoor zu trainieren. Allerdings sind die BesitzerInnen von Schwimmhallen oft skeptisch, da sie Angst haben, die Boote könnten das Becken beschädigen. So wird bis November im Freien gespielt. Wenn die Feinmotorik durch die Kälte gehemmt wird, verlagert das Team das Balltraining in die Halle, studiert Spielzüge ein oder analysiert Matches. Im Spielfeld gibt es beim KanuPolo keine fixen Positionen, sondern jede/r macht das, was seinen/ihren Fähigkeiten entspricht.

Ein Match dauert zwei Mal zehn Minuten. Die Verletzungsgefahr ist niedrig, da die SpielerInnen Schutzkleidung tragen. Die Boote sind an den Enden gummiert, da es erlaubt ist, gegnerische SpielerInnen zu rammen – allerdings nur, wenn diese gerade den Ball haben. Die Ausrüstung ist hauptsächlich Vereinsbesitz, weshalb die Kosten für die Mitglieder niedrig sind. „Anfänglich kamen hauptsächlich KanufahrerInnen zum Training, allerdings sind die oft sehr individualistisch. Beim KanuPolo geht es aber vor allem um Teamplay“, meint Heinz Hanko, der das Vienna KanuPolo- Teams trainiert.

Die Sportart ist actionreich und es fallen häufig Tore. Deshalb hat das Training des Vienna KanuPolo- Teams an der Alten Donau immer ZuschauerInnen. Einige davon bekommen dann Lust, KanuPolo selbst auszuprobieren. Neben Wien gibt es KanuPolo noch in Ybbs, Innsbruck und Salzburg. Im Moment besteht das Vienna KanuPolo-Team hauptsächlich aus StudentInnen. Im Training wird mixed gespielt, bei Meisterschaften gibt es eine Damen- und Herrenklasse. Weltweit führend sind die Niederlande. Olympisch ist die Sportart jedoch nicht, weshalb es auch wenig Förderungen und Berichterstattung darüber gibt. Es finden aber häufig internationale Turniere statt, an denen das Vienna KanuPolo-Team teilnimmt. Michaela träumt außerdem von einer Damennationalmannschaft, dafür gibt es derzeit allerdings noch zu wenige Spielerinnen. (ML)

Kampf unter Wasser
Unterwasserrugby Foto: Christopher Glanzl

Von Unterwasserhockey über Unterwasserfußball bis zu Unterwasserrugby: Immer mehr Sportarten werden neuerdings auch im Nassen gespielt und so zu einer besonderen Herausforderung. „Man muss verschiedenste Fähigkeiten beherrschen, da der Sport plötzlich dreidimensional wird“, erklärt Heinz Frühwirt, der Co-Trainier des österreichischen Unterwasserrugby- Nationalteams. Neben Ausdauer, Kraft und Teamfähigkeit werden den SpielerInnen auch gute Tauchfähigkeiten abverlangt. „Viele sind von Unterwasserrugby schnell begeistert, geraten aber ebenso schnell an ihre Grenzen“, erzählt Frühwirt, der den Sport selbst schon beinahe seit seiner Erfindung betreibt.

Unterwasserrugby entstand in den 1970er Jahren in verschiedenen Tauchklubs. Ein Spiel dauert zwei Mal 15 Minuten, Tore werden geschossen, indem die SpielerInnen einen mit Salzwasser gefüllten Ball in einem Korb am Beckengrund versenken. Eine Mannschaft besteht aus zwölf SpielerInnen, davon sind sechs im Spiel, sechs warten auf ihre fliegende Einwechslung. Unterwasserrugby ist ein Vollkontaktsport, bei dem, wie beim Rugby, fast alles erlaubt ist, um dem/ der GegnerIn den Ball zu entreißen. Drei SchiedsrichterInnen, zwei unter, eine/r über Wasser, achten darauf, dass die Regeln eingehalten werden. Zur Ausrüstung gehören ein kurzer Schnorchel, Flossen, eine Maske, eine Badehaube und ein Badeanzug. Die Verletzungsgefahr ist durch das Wasser gemindert, da es die Wucht der Stöße dämpft. „Man kann sich die Sportart als Mischung zwischen Basketball und Eishockey vorstellen. Basketball, weil es mehr Körperkontakt als beim Rugby gibt, Eishockey wegen des fliegenden Einwechselns der SpielerInnen“, erklärt Frühwirt.

Unterwasserrugby ist ein Sport im Auftrieb. Der Wiener Unterwasserrugby Club, der drei Mal pro Woche nach Badeschluss in öffentlichen Schwimmbädern trainiert, profitiert vor allem von einem Unterwasserrugby-USI-Kurs. Den Großteil des Vereins machen StudentInnen aus, die restlichen Mitglieder sind bunt gemischt. Trainiert wird mixed, bei höheren Meisterschaften gibt es Damen- und Herrenteams. Etwa ein Drittel der SpielerInnen sind weiblich, wobei in Österreich gerade versucht wird, ein Damenteam aufzubauen. Unterwasserrugby ist ein traditionell europäischer Sport, führend sind hier vor allem die skandinavischen Länder sowie Deutschland. In Österreich wird Unterwasserrugby in Wien, Salzburg, Klagenfurt, Graz und Innsbruck gespielt. Olympisch ist die Sportart nicht, aber in Wien beispielsweise gibt es ausreichend Förderungen für das Team, so dass es regelmäßig an internationalen Turnieren teilnehmen kann. (ML)

Margot Landl studiert Politikwissenschaft sowie Deutsch und Geschichte im Lehramt in Wien.
Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte in Wien.

 

WU Wien: Erinnerung an einen Mikrokosmos des Grauens

  • 12.05.2014, 13:43

Am 8.Mai 2014 wurde am neuen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien feierlich eine Skulptur enthüllt, die jenen jüdischen Studierenden, DozentInnen und MitarbeiterInnen ein Denkmal setzen soll, welche im Nationalsozialismus von der damaligen Hochschule für Welthandel vertrieben wurden. Margot Landl hat für progress online die Feierlichkeit besucht.

Am 8.Mai 2014 wurde am neuen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien feierlich eine Skulptur enthüllt, die jenen jüdischen Studierenden, DozentInnen und MitarbeiterInnen ein Denkmal setzen soll, welche im Nationalsozialismus von der damaligen Hochschule für Welthandel vertrieben wurden. Margot Landl hat für progress online die Feierlichkeit besucht.

Cilja Odinac. Zacharias Mundstein. Walter Mann. Adele Romanowska. Die metallenen Schriftzüge glänzen in der Sonne. Zusammen ergeben sie eine große silberne Weltkugel, die seit kurzem in der Mitte des neuen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien auf einer kleinen Grünfläche steht. Mehr als 110 Namen verschiedener Herkunft befinden sich auf der Kugel. In ihrer Modernität fügt sie sich gut in den Campus ein. Die Skulptur ist nicht vollständig, etwa ein Drittel der Fläche ist leer geblieben.  Laufend gehen Studierende an ihr vorbei, manche halten kurz an, um die Namen zu lesen. Die StudentInnen Jacqueline und Katja sind gerade auf dem Weg ins benachbarte Library and Learning Center und bleiben stehen, um die Kugel näher zu betrachten. „Durch einen Newsletter, der an alle StudentInnen ausgeschickt wurde, wissen schon einige über das Projekt Bescheid“, meint Jacqueline. Ihr persönlich gefällt die Skulptur. So auch Katja und sie ergänzt: „Die Kugel ist auch dann schön, wenn man nicht genau weiß, worum es geht.“

Dunkle Vergangenheit sichtbar machen

Die Skulptur auf dem WU-Campus ist ein Denkmal für jene Personen, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft im Lauf der Machtergreifung der Nationalsozialisten schrittweise von der damaligen Hochschule für Welthandel verbannt wurden. Und sie wurde auch im Gedenken daran errichtet , dass vielen von ihnen später noch Schlimmeres wiederfahren war. Es handelt sich um DozentInnen, Verwaltungspersonal und vor allem Studierende. „Jene Studierenden, denen man an ihrer Hochschule für Welthandel die Chance auf ein Leben genommen hat, welches sie sich gewünscht hätten“, nennt sie der Rektor der WU Christoph Badelt in seiner Ansprache bei der symbolischen Enthüllung der Kugel am 8.Mai 2014. Bewusst wurde der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus für die Festlichkeit ausgewählt, denn auch die eigene dunkle Vergangenheit soll damit sichtbar gemacht werden, wie es der Rektor formuliert. „Auch wenn die damalige Hochschule für Welthandel nur ein kleiner Bereich war, war sie ein Mikrokosmos des Grauens.“

Ungefähr eineinhalb Jahre haben Peter Berger, WU-Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und sein Mitarbeiter Johannes Koll gebraucht, um die Liste der Namen zu erstellen, die heute als Teil der silbernen Kugel auf dem WU-Campus stehen. Die beiden Wissenschaftler recherchierten in Archiven, Datenbanken, Printmedien sowie Internetressourcen und knüpften Kontakte mit den Hinterbliebenen und Nachfahren der Vertriebenen. Aus dieser Forschungsarbeit entstand auch ein virtuelles Gedenkbuch, welches Kurzbiografien zu vertriebenen, ausgegrenzten oder ermordeten Mitgliedern der damaligen Hochschule für Welthandel enthält. Es ist in deutscher, englischer und polnischer Sprache verfügbar, da die Mehrheit der vertriebenen jüdischen StudentInnen aus Polen war. Vollständig ist die Liste jedoch vermutlich trotzdem nicht, da viele Spuren nicht nachvollzogen werden können. Deshalb hoffen die Historiker, über das Projekt zu weiteren Informationen und Denkanstößen zu gelangen.

Der WU-Professor und Wirtschaftshistoriker Peter Berger hat mit seinem Mitarbeiter Johannes Koll die Liste der Vertriebenen rekonstruiert. Foto: Christopher Glanzl

Doch die vollständige Rekonstruktion der Lebensläufe ist besonders problematisch. „Die Schwierigkeiten beginnen damit, wenn man wissen will, wohin die Menschen gegangen sind“, erklärt Peter Berger im Gespräch. Wie die anderen Universitäten und Hochschulen Österreichs war auch die damalige Hochschule für Welthandel an einer Rückholung der Vertriebenen nicht besonders interessiert. Lediglich ein Professor wurde nach dem Krieg wieder an die Hochschule geholt und auch nur einer von etwa 80 vertriebenen StudentInnen nahm das Studium nach 1945 wieder auf. Deshalb bietet ein Drittel des Denkmals noch Platz für Ergänzungen und auch das Gedenkbuch wird ständig aktualisiert. Vor 1938 war über die Hälfte der Studierenden der Hochschule für Welthandel jüdischer Herkunft. „Die Vertreibung war nur der Höhepunkt eines langen unrühmlichen Prozesses. Davor herrschte schon lange ein Klima des Hasses, des Mobbings und der physischen Bedrängnis“, erklärt Rektor Badelt in seiner Ansprache. „Als Mensch, der 1951 geboren ist und mehr als 60 Jahre des Wohlstands miterlebt hat, stehe ich selbst fassungslos der Geschichte meiner eigenen Universität gegenüber.“

Zwischenstopp am Weg zum Hörsaal

Etwa 200 Menschen wohnen der feierlichen Enthüllung der Skulptur in der Mitte des neuen Campus bei, die von der Ö1-Radiosprecherin Ina Zwerger eröffnet und moderiert wird. 130 Sitzplätze wurden für BesucherInnen in Form von Metallsesseln zur Verfügung gestellt. Dahinter und an der Seite  beobachten viele Zaungäste das Ereignis. Es ist elf Uhr Vormittag und damit Hochbetrieb an der Uni. Unzählige Studierende gehen vorbei und werfen neugierige Blicke auf die Veranstaltung. Einige bleiben an der Seite des abgetrennten Sitzbereichs stehen und schauen neugierig zu. Auch Marina unterbricht ihren Laufschritt von einem zum anderen Universitätsgebäude kurz, um festzustellen, worum es hier geht. „Ich wusste noch gar nichts über das Projekt. Aber ich finde es gut, dass man der Menschen gedenkt, die vertrieben worden sind“, meint sie zustimmend. Danach macht sie sich gleich wieder auf den Weg in den Hörsaal.

Allerdings sind nicht alle besonders begeistert, wie beispielsweise Philipp. Er beobachtet die Veranstaltung etwas länger und blickt gelangweilt auf die Bühne. Er hält die 25-seitige Broschüre in der Hand, die von der WU extra für das Gedenkprojekt herausgegeben wurde. „Eigentlich interessiere ich mich nicht vordergründig dafür, ich war nur gerade da und es betrifft meine Uni. Von der Veranstaltung habe ich über das Radio erfahren“, meint Philipp. Er deutet auf die Tische für den Sektempfang im Hintergrund und fragt in sarkastischem Tonfall: „Gibt’s da dann koscheres Essen für alle oder wie?“.

Borodajkewycz-Affäre
Bevor der Sekt serviert wird, folgen noch einige Reden. Nach Rektor Badelt richtet die Rektorin der Universität für angewandte Kunst Eva Blimlinger einen längeren Redebeitrag an das Publikum. Denn die Skulptur entstand aus einer Zusammenarbeit der beiden Hochschulen. 28 StudentInnen und AbsolventInnen der Universität für angewandte Kunst reichten Vorschläge für das Denkmal ein, aus denen von einer Fachjury schließlich die Arbeit von Alexander Felch ausgewählt wurde. Blimlinger ist auch Historikerin und schlägt den Bogen zwischen Kunst und Geschichte. In ihrer Ansprache geht sie auf die Borodajkewycz-Affäre ein, die ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte der WU nach 1945 darstellt. Der Historiker Taras Borodajkewycz war von 1934 bis 1945 Mitglied der NSDAP und wurde bereits 1946 im Zuge der Minderbelastetenamnestie rehabilitiert. 1955 erhielt er den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte an der damaligen Hochschule für Welthandel. In seinen Vorlesungen propagierte er öffentlich bis in die 1960er Jahre hinein antisemitisches Gedankengut sowie seine fortbestehenden Sympathien für den Nationalsozialismus.

Der spätere sozialdemokratische Finanzminister Ferdinand Lacina und der heutige Bundespräsident Heinz Fischer waren damals seine Studenten. Sie veröffentlichten seine Vorlesungsinhalte und lösten eine gesellschaftspolitische Diskussion aus. 1965 wurde bei einer Demonstration gegen Taras Borodajkewycz der ehemalige Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger von dem Rechtsradikalen und RFS-Mitglied Günther Kümel brutal niedergeschlagen. Zwei Tage später verstarb Kirchweger an den Folgen des Angriffs. Er wird als „Erstes Opfer der Zweiten Republik“ bezeichnet. Taras Borodajewycz wurde schließlich 1966 bei vollen Bezügen zwangspensioniert. „Man kann sagen, dass Taras Borodajkewycz bis zu seinem Tod 1984 ein illegaler Nationalsozialist war“, resümiert Eva Blimlinger.

Eva Blimlinger thematisierte die Taras Borodajkewycz-Affäre auf der Pressekonferenz zum Mahnmal. Foto: Christopher Glanzl

Ein Riss, der nie ganz geschlossen werden kann

Die Präsentation des Mahnmals ist bewusst international und öffentlich gehalten. Neben der Bühne wehen die Fahnen der EU, Österreichs, Wiens und der WU im Wind.  Eine Stunde davor fand bereits eine Pressekonferenz statt, bei der Christoph Badelt, Eva Blimlinger, Peter Berger und Johannes Koll JournalistInnen das Projekt gegenüber der Presse präsentiert hatten. Die Pressemappe ist zweisprachig und Teile der Redebeiträge sind zweisprachig. Manche Personen sprechen Englisch, einige Herren tragen eine Kippa. Auch die Skulptur symbolisiert laut deren Gestalter Alexander Felch eine Weltkugel, auf der sich die Vertriebenen im Falle einer gelungenen Emigration verstreut haben.

Durch das Mahnmal sollen sie symbolisch zurück in den Kreis der Universität geholt werden. Die Öffnung an der Seite der Kugel steht für den Riss, den der Nationalsozialismus in der Welt hinterlassen hat und der - auch wenn künftig Namen ergänzt werden - nie ganz geschlossen werden kann. „Ich bin selbst der Sohn einer russischen Jüdin, aber bei mir war das nie ein Thema. Darüber bin ich sehr froh“, erklärt der Künstler, der an der Angewandten Bildende Kunst und Kunst im öffentlichen Raum studiert hat und jetzt in Wien und St. Petersburg lebt und arbeitet.

Die Skulptur wurde von dem Künstler Alexander Felch gestaltet. Sie stellt eine Weltkugel dar, auf der sich die Vertriebenen im Falle einer gelungenen Emigration verstreut haben. Foto: Christopher Glanzl

Warum erst jetzt?

Doch bei allgemeiner Begrüßung und Wertschätzung des Projekts stellt sich doch die Frage: Warum passiert das alles erst jetzt? Warum hat es fast 70 Jahre gebraucht, um das Leid der von der Hochschule für Welthandel vertriebenen Juden und Jüdinnen angemessen zu würdigen? Eva Blimlinger nimmt in ihrer Rede zu dem Vorwurf des stark verspäteten Gedenkens folgendermaßen Stellung: „Es kommt spät, das Gedenken. Sehr spät, ja. Der Einwand mag berechtigt sein. Aber meiner Ansicht nach ist es für so etwas nie zu spät.“

„Ich selbst habe von 1971 bis 1975 hier studiert und damals war das politische Klima an der WU noch ein deutlich intoleranteres. Heute haben die Studierenden hier nicht mehr diese Einstellung“, erzählt Paul Berger im Gespräch. Dennoch gab es auch in der jüngeren Vergangenheit schon Versuche der Aufarbeitung: „Bereits 1990 wurde anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Universität ihre Geschichte in zwei Bänden und eine Sonderausgabe der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft veröffentlicht. Den Anstoß für dieses konkrete Projekt gab die Anfrage der Amerikanerin Ilse Nusbaum im Jahre 2012, welche posthum das Doktorat für ihren Vater Karl Löwy beantragte.“ Karl Löwy und Arthur Luka waren zwei jüdische Doktoranden, welche Ende 1938 ihre Doktorarbeit eingereicht hatten. Die Promotion wurde ihnen allerdings verweigert, da sie „mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen“ waren. So wurden sie noch stärker diskriminiert als jene 13 jüdischen DoktorandInnen, welche 1938 ohne Feierlichkeit promovieren konnten. „Es ist gesetzlich nicht möglich, Karl Löwy den Doktortitel im Nachhinein zu verleihen“, erklärt Berger, „doch Ilse Nusbaum hat das Forschungsprojekt ins Laufen gebracht.“ Während sich die Spur von Arthur Luka 1941 im Konzentrationslager verliert, schaffte es Karl Löwy, in die USA zu emigrieren, in der er 1970 verstarb.

WU-Rektor Christoph Badelt will einen Anreiz für Studierende schaffen, sich politisch zu engagieren, „damit nicht ein Hundertstel von dem jemals wieder passiert, was damals geschehen ist.“ Foto: Christopher Glanzl

Christoph Badelt nennt vor allem den Neubau der Wirtschaftsuniversität als Anlass für das erneute Aufrollen des Themas. „Heute haben es die StudentInnen hier schön. Aber sie sollen sich auch an Zeiten erinnern, die nicht so schön waren“, plädiert der Rektor in seiner Rede. Er will einen Anreiz für Studierende schaffen, sich politisch zu engagieren, „damit nicht ein Hundertstel von dem jemals wieder passiert, was damals geschehen ist.“ Am Ende seiner Rede bezieht er sich schließlich konkret auf die aktuelle politische Lage: „Wehret den Anfängen, nicht nur Antisemitismus, sondern auch Rassismus! Verwendet eure Ausbildung, um ein Leben voll Demokratie, Menschenrechten und Toleranz zu führen und tretet jenen entgegen, die – in diesem konkreten politischen Umfeld Europa – diese Werte zuerst mit Worten, aber später auch mit Taten, mit Füßen treten!“

Gedenkbuch der WU Wien: http://gedenkbuch.wu.ac.at/

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

Roma-Frauen: „Wir wissen, was das Beste für sie ist“

  • 06.03.2014, 19:35

Roma sind die größte Minderheit innerhalb der Europäischen Union und werden aufgrund ihres Nomadendaseins als „gesamteuropäisches Problem“ angesehen. Frauen haben es aufgrund der paternalistischen Tradition und Diskriminierung besonders schwer, ein Leben nach ihren Wünschen zu führen.

Roma sind die größte Minderheit innerhalb der Europäischen Union und werden aufgrund ihres Nomadendaseins als „gesamteuropäisches Problem“ angesehen. Frauen haben es aufgrund der paternalistischen Tradition und Diskriminierung besonders schwer, ein Leben nach ihren Wünschen zu führen.

Etwa 12 Millionen Roma leben heute auf unserem Kontinent, die meisten davon in Südost-Europa. Da die Volksgruppe der Roma mit keiner Nationalität verbunden wird, werden nur jene Menschen als Roma bezeichnet, die sich selbst als solche definieren. Viele leben heute in Ländern mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das größte Problem ist die schlechte Bildungssituation der Roma. Es gibt eine überdurchschnittlich hohe Rate an Analphabetismus, was oft ein Grund für spätere Arbeitslosigkeit und gesellschaftliche Exklusion ist. Roma-Kinder werden, beispielsweise in Bulgarien, immer noch zu einem Großteil vom Staat in Schulen gesteckt, in denen das Niveau deutlich niedriger ist als der Durchschnitt, da die Drop-Out-Quote von Romakindern in regulären Schulen überdurchschnittlich hoch ist. Oft können die Kinder der Roma auch gar nicht zur Schule gehen, da der Weg zu weit oder das Geld für Schulmaterial nicht vorhanden ist. Meist sind auch die Eltern nicht zur Schule gegangen oder haben dort schlechte Erfahrungen gemacht. Denn Bildung wird auch bei den Roma vererbt.

Ebenso problematisch ist die Wohnungslage. Roma haben oft keine Urkunden oder Verträge über ihre Behausungen, deshalb können sie einfach in schlechtere Wohngebiete, umgesiedelt werden, wobei oft Menschenrechte und Gesetze verletzt werden. Vielerorts wird ihnen das Recht, sich niederzulassen, verweigert. In Cluj-Napoca in Rumänien wurde im vorigen Jahr eine Roma-Siedlung in der zentralen Coastei Straße zwangsgeräumt und die BewohnerInnen neben einer Müllhalde neu angesiedelt. Nach einem heftigen Protest, vor allem durch Amnesty International, wurde die Vertreibung der etwa 300 Roma vom Landesgericht Cluj-Napoca als rechtswidrig und diskriminierend eingestuft.[1]

Durch solche Praktiken kommt es zu einer Ghettoisierung, welche die Roma zusätzlich vom sozialen Leben ausschließt. Denn diese Siedlungen liegen weit entfernt von Schulen oder anderen Ausbildungsmöglichkeiten, und weisen gravierende Mängel auf. Die Roma-Siedlungen sind verkehrsmäßig schlecht erschlossen und verfügen kaum über Strom, Telefon, Wasseranschluss oder Kanalisation. Durch diese Situation werden jene Vorurteile, die Roma als „dreckig“ bezeichnen, noch  bestärkt.

Mädchen sind eine unrentable Investition

In der Diskussion um Roma muss besonders die Situation der Frauen berücksichtigt werden. Denn der Tradition nach sind Roma-Frauen den Roma-Männern untergeordnet. Ihre Rolle ist jene der Hausfrau und Mutter in einer paternalistischen Gesellschaft. Sie kümmern sich um die Kinder, kochen und helfen manchmal auch bei der Arbeit. Von den Eltern wird es oft als nicht sinnvoll erachtet, Mädchen in die Schule zu schicken, da sie sowieso jung verheiratet werden. Bereits mit etwa 16 Jahren werden in traditionellen Romagemeinschaften die Mädchen aus der Schule genommen und ihrem Mann übergeben. Manche heiraten sogar bereits mit elf oder zwölf. Ein Viertel der 16-Jährigen lebt in einer eheähnlichen Beziehung. Deshalb sind viele Roma-Frauen schlecht ausgebildet und stark armutsgefährdet. Eine Studie der „European Union Agency for Fundamental Rights“ (FRA) zeigt jedoch, dass das Bildungsniveau der Roma-Frauen innerhalb der EU- Mitgliedsstaaten insgesamt zunimmt. Während die durchschnittliche Alphabetisierungsrate bei Roma-Frauen mit 77 Prozent niedriger liegt als bei deren Männern (85 Prozent), weisen junge Roma (der Alterskategorie 16 bis 24 Jahre) eine geschlechtsunabhängige Alphabetisierungsrate von 89 Prozent auf.

Luiza Puiu studiert Soziologie an der Universität Wien. Sie stammt selbst aus Timisoara (Rumänien) und besucht seit vielen Jahren immer wieder eine traditionelle Roma-Wandergemeinschaft, die sich einmal jährlich in der Nähe ihrer Heimatstadt niederlässt.  Sie erzählt von der ökonomischen Dimension der Ehe in traditionellen Roma-Gemeinschaften, welche ein Abkommen von Zusammenleben und Zusammenarbeiten darstellt: „Für die Mädchen ist Liebe entweder fremd oder von der Ehe getrennt. Woher soll ich wissen wer zu mir passt?, sagte mir eine junge Frau, die ich fragte, ob es sie nicht stört, wenn ihre Eltern den Ehemann aussuchen.“ Und Luiza Puiu erzählt weiter, dass die Eltern der jungen Roma-Frau dazu meinten: „Wir wissen, was das Beste für sie ist. Nur hoffentlich läuft sie nicht mit einem Anderen davon.“

Foto: Luiza Puiu

In der traditionell paternalistischen Gesellschaft der Roma ist es eine schlechte Nachricht für die Familie, wenn ein Mädchen geboren wird. „Mädchen sind eine sogenannte „Investition“, die später inklusive Mitgift weitergegeben wird. Ein Junge hingegen bringt seine Braut mit ihrer Arbeitskraft und Mitgift in seine Großfamilie.“, erklärt Luiza. Aufgrund der paternalistischen Tradition ist das Recht von Roma-Frauen und –Mädchen auf freie Entscheidungen oder Bewegungsfreiheit nicht gegeben.  Viele leiden auch unter häuslicher Gewalt.

Der Zugang zu Gesundheitsversorgung ist für Roma aufgrund von Diskriminierung durch die Mehrheitsbevölkerung oft beschränkt, was ein weiterer Grund für den überdurchschnittlich schlechten Gesundheitszustand unter Romas ist, die Kindersterblichkeit liegt in den meisten Ländern weit über dem Durchschnitt. Die Lebenserwartung der Roma im östlichen Europa beträgt im Schnitt zehn Jahre weniger als die der Mehrheitsbevölkerung. Die medizinische Versorgung der Frauen ist besonders prekär. Roma-Frauen ab 50 bezeichnen ihren Gesundheitszustand doppelt so oft wie Nicht-Roma-Frauen als „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Schwangere Frauen sind dabei am schlechtesten gestellt: Sie gelten in der rituellen Tradition als „unrein“ und gehen während der Schwangerschaft auch nicht zum Frauenarzt. Den Geburtstermin erfahren sie erst, wenn die Wehen einsetzen. Auch sind sie unverhältnismäßig stark von den schlechten Wohnbedingungen betroffen, da sie traditionellerweise die meiste Zeit zuhause verbringen.

Diskriminierung und gesellschaftliche Exklusion
Die Roma werden seit Jahrhunderten mit Diskriminierung und Vorurteilen konfrontiert: Man sagt ihnen nach, dass sie faul, kriminell, verlogen wären. Zudem würden sie jede Verantwortung und Arbeit verweigern. Auch die Gewalt gegen Roma wird in vielen Ländern gesellschaftlich akzeptiert. In Rumänien betreiben politische Parteien von rechts bis links Stimmenfang auf Kosten der Roma. Teilweise werden Ressourcen wie Bildung und Arbeit von den Roma bewusst aus traditionellen und kulturellen Motiven nicht in Anspruch genommen, weshalb diese als „undeserving poor“ gelten: Menschen, die arbeiten könnten, dies aber nicht tun und deshalb von der staatlichen Wohlfahrt weniger berücksichtigt werden. Die traditionellen Berufe der Roma werden dabei als nicht produktiv für die Gesellschaft angesehen.[2]

Es muss ebenso bedacht werden, dass viele Roma durch Diskriminierung einen erschwerten Zugang zu Bildung und Arbeit haben und dies Kettenreaktionen auslöst. Diskriminierung erschwert eine gute Schulbildung und gesellschaftliche Integration. Eine schlechte Schulbildung und der Ausschluss von der Gesellschaft erschweren die Arbeitssuche. Und Arbeitslosigkeit wiederum erschwert gesellschaftliche Integration.

In der Sowjetunion wurde noch versucht, die Roma zu assimilieren. Danach wurde immer mehr das andere Extrem beobachtbar: eine systematische Exklusion der Roma von der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft. Im Jahr 1999 wurde in Usti-Nestemice (Tschechische Republik) eine Mauer zwischen der Roma-Siedlung und den Häusern der anderen BewohnerInnen der Straße gebaut, um die „Lärmbelästigung“ durch die Roma einzudämmen. Zwar musste die Mauer nach sechs Wochen wieder abgebaut werden, dennoch zeigt sich hier deutlich die „Wir wollen nichts mit euch zu tun haben“-Attitüde der Bevölkerung gegenüber der Roma. Das wohl erschreckendste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die erzwungene Sterilisation von Roma-Frauen in der Tschechischen Republik in den 1970er Jahren, welche teilweise bis in die 1990er Jahre andauerte, um die Geburtenrate der Roma zu senken. Erst in den 2000er Jahren gab das „United Nation’s Committee against Torture“ (UNCAT) den Anstoß für die Aufarbeitung solcher Fälle.[3]

Foto: Luiza Puiu

„Die Roma“ gibt es nicht

Es wäre falsch, von „den Roma“ als homogene Gemeinschaft zu sprechen und ihnen gewisse Eigenschaften zuzuschreiben. Die Ethnie besteht aus vielen verschiedenen Gruppen und Personen, welche oft höchst unterschiedlich gebildet oder integriert sind. Die Integration ist dabei oft von verschiedenen Faktoren abhängig.  Es kommt darauf an, wie lange sich eine bestimmte Gruppe schon in ihrem Umfeld aufhält  Am wenigsten integriert sind jene, die in separaten Siedlungen wohnen. In diesen leben die Roma mit der höchsten Arbeitslosenquote. Viel wichtiger als die Solidarität innerhalb der Ethnie ist die Solidarität innerhalb von Sippen und Familien. Romagemeinschaften unterscheiden sich meist durch deren Berufe. Die Hauptgruppen sind hier Handwerker wie Kesselschmiede oder Löffelschnitzer, Händlerberufe wie beispielsweise Pferdehändler, oder Unterhaltungsberufe  wie Musiker oder Schauspieler.

Die Jahrzehnte sozialistischer Assimilationspolitik ermöglichten die Herausbildung einer Roma-Elite aus RechtsanwältInnen und anderen AkademikerInnen. Die 33-jährige Jane Simon, heute Bildungsreferentin sowie Mediatorin für Roma-Frauen in Deutschland, kommt selbst aus einer bildungsfernen Familie. Ihre Eltern haben nie die Schule besucht, doch sie selbst beschloss mit Anfang 20, auf der Abendschule ihr Abitur und danach Karriere zu machen. Jetzt kämpft sie aus ihrer etablierten Position für mehr Bildung für Roma, wobei sie auch schon vor dem deutschen Bundesrat Vorträge hielt.[4]

Dennoch sind solche Karrieren, gemessen an der Gesamtzahl aller Roma, deutlich seltener als in der Mehrheitsbevölkerung. Etwa 80 Prozent der Roma leben immer noch in Armut.

Selbst sprechen lassen

Den Roma ist es bisher nur in geringem Maß gelungen, sich politisch zu organisieren, da sie sich eher aus der Politik heraushalten. Die Wahlbeteiligung wird auf unter 15 Prozent geschätzt, da sie sich nicht von der Politik angesprochen fühlen. Zudem wurde durch die fehlende Ausbildung über Generationen hinweg  die Entwicklung eines politischen Bewusstseins unterbunden. Einem großen Anteil der Roma ist die Existenz ihrer Organisationen gar nicht bewusst.

Mit Blick auf die paternalistische Struktur der meisten Roma-Familien wurde von der EU ein Projekt entwickelt, welches ausgewählte Roma-Frauen für den Einstieg in Politik, Verwaltung oder NGOs schulen sollte. Sie benötigen dabei Unterstützung von außen, da in ihrer Tradition Berufstätigkeit bedeutet ledig zu bleiben und ihnen auch  - aufgrund meist ungenügender Ausbildung - Kenntnisse in bestimmten Themenbereichen fehlen. Gegenüber 40 Prozent der Roma-Männer gehen nur 24 Prozent der Roma-Frauen einer bezahlten Arbeit nach. Allerdings sind von den arbeitenden Frauen 61 Prozent in Vollzeit beschäftigt, während der entsprechende Anteil bei Männern lediglich 38 Prozent beträgt. Da die Frauen tendenziell überdurchschnittlich viel Hausarbeit verrichten und die Kinderbetreuungsmöglichkeiten schlecht sind, entscheiden sich die meisten Frauen nur dann für einen Job, wenn sich dieser wirklich für sie rentiert.

Insgesamt hat sich die Situation der Roma jedoch in den letzten Jahren stetig verbessert. Dies zeigt sich vor allem an der steigenden Bildungsrate. Dennoch sind noch viele Hilfestellungen von außen nötig, um besonders Roma-Frauen die gleichen Chancen und Auswahlmöglichkeiten zu bieten, die die Frauen der Mehrheitsgesellschaft haben. Wichtig ist auch der Umgang mit der Minderheit. Denn: Es geht weder um Exklusion noch Assimilation, sondern darum, gleiche Chancen  für Roma und Nicht-Roma wie für Männer und Frauen zu schaffen.

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

Links:

http://fra.europa.eu/de/news/2013/die-situation-von-roma-frauen-fra-datenanalyse

http://romaniprojekt.uni-graz.at//

Referenzen:

1 http://www.amnesty.at/service_links/presse/pressemitteilungen/zwangsraeumung_von_roma_in_cluj_napoca_war_illegal/

2 Konzept des Soziologen Stephan Lessenich: “neosozialer Staat"

3 vgl. CROWE, David M.: The Roma in Post-Communist Eastern Europe: Questions of Ethnic Conflict and Ethnic Peace. Nationalities Papers, Vol. 36, No. 3, July 2008, Routledge, London

4 http://www.bild.de/news/inland/integration/ich-bin-roma-bild-report-teil-2-29370174.bild.html

 

„Mittendrin“ für einen Tag

  • 18.02.2014, 18:26

In dem Hausprojekt „VinziRast“ leben StudentInnen und ehemalige Obdachlose in Wohngemeinschaften unter einem Dach. Lisa Zeller und Margot Landl haben für progress online die innovative Einrichtung besucht.

In dem Hausprojekt „VinziRast“ leben StudentInnen und ehemalige Obdachlose in Wohngemeinschaften unter einem Dach. Lisa Zeller und Margot Landl haben für progress online die innovative Einrichtung besucht.

Neunter Wiener Gemeindebezirk, Lackierergasse Ecke Währinger Straße: Ein unauffälliges kleines Lokal mit dem Namen „mittendrin“ im Erdgeschoß eines großen alten Hauses. Es ist Teil der „VinziRast-mittendrin“, einer Einrichtung, in der StudentInnen und ehemalige Obdachlose gemeinsam in Wohngemeinschaften leben. Was für viele abschreckend klingen mag, ist für die StudentInnen, die dort leben, eine Chance auf eine außergewöhnliche Erfahrung. „Die Idee für dieses Projekt ist aus der #unibrennt-Bewegung, also den Studierendenprotesten 2009, entstanden“, erklärt die Leiterin des Hauses Cecily Corti. „Viele Obdachlose sind damals in die Uni gekommen, um dort zu übernachten.“ Die Geschichtestudentin Karin Stanger war 2009 bei #unibrennt sowie bei der Entstehung der VinziRast dabei. „Viele von ihnen hatten das Problem, dass sie keinen europäischen Reisepass hatten und von einigen Obdachloseneinrichtungen abgewiesen wurden.“ Zu Beginn habe es innerhalb der Protestbewegung Diskussionen gegeben, ob sie bleiben können, meint sie. „Es gab dann recht schnell Konsens darüber, dass es sich um einen gesamtgesellschaftlichen Protest handelt. Langsam wurden sie Teil des Protests.“ Dabei haben die Obdachlosen sich auch selbst etwa in der Volxküche des Protests engagiert. „Als zu Beginn des Winters klar wurde, dass der Protest zu Ende geht, war unklar, was nun passieren würde. Einfach zurück auf die Straße, nur weil der Protest vorbei war, ging nicht.“ Die Idee für ein solches Projekt wie die VinziRast reifte. Sie traten an Cecily Corti und Hans Peter Haselsteiner heran, der den Kauf des Hauses zu diesem Zweck ermöglichte. Es wurde dann mit vielen privaten Spenden und mit Hilfe mehrerer Kredite vom Architekturbüro Gaupenraub generalsaniert. Auch Studierende, ehemals Obdachlose und ehrenamtliche MitarbeiterInnen halfen bei den umfangreichen Arbeiten mit.

Auf der Dachterasse: Der Dachgarten wurde von Studierenden der Universität für Bodenkultur gespendet. Foto: Christopher Glanzl

Inklusion statt Reintegration

500 bis 1000 Obdachlose leben momentan in Wien und die Nächte im Winter sind kalt. Doch für viele Schlafstellen gibt es Beschränkungen: Kein Alkohol, keine Hunde, niemand aus dem Ausland. In der VinziRast-Notschlafstelle in Meidling, die bereits im April 2004 eröffnet wurde, gibt es so etwas nicht. Für Cecily Corti nichts Besonderes: „Wir verstehen unser Engagement nicht als „gutmenschlich“, sondern finden es ganz normal, das zu tun was zu tun ist. Wir haben nicht den Anspruch, diese Menschen in die Gesellschaft zu reintegrieren. Wir wollen sie inkludieren, ihnen ein warmes Bett zur Verfügung stellen und ihnen vor allem mit Respekt begegnen. Das ist alles.“ Von Anfang an gab es keine öffentlichen Gelder, vor allem auch, da die Behörden der Ansicht waren, das sei eine Aufgabe für „ExpertInnen“. Doch genau das soll es laut Cecily Corti nicht sein, sondern jeder und jede Beteiligte lernt unendlich viel dabei. Wir profitieren alle: „Es geht doch darum, was heißt Mensch sein für mich? Wie verhalte ich mich Fremden gegenüber? Wie gehe ich mit Urteil, mit Vorurteil um? Wir setzen uns keine konkreten Ziele, es ist ein Projekt mit offenem Ausgang. Vielleicht eine Versuchsbühne für eine humanere Zukunft“.

Mittendrin in Wien: Blick auf die Währingerstraße. Foto: Christopher Glanzl

Seit Juni 2013 ist das Haus in der Währingerstraße jetzt in Betrieb. Die Studierenden wurden aus Bewerbungen ausgewählt, die Obdachlosen durch Gespräche und Kontakte aus der Notschlafstelle VinziRast. Bis jetzt gab es wenige Konflikte und wenige AussteigerInnen. Natürlich gibt es Spannungen, aber gerade darum geht es ja: Wie kann man diese lösen und neue Formen der Verständigung finden? Es stehen Zweier- und Dreierwohngemeinschaften zur Verfügung, im Moment sind 24 von 27 verfügbaren Plätzen belegt. Zusätzlich attraktiv wird das Wohnprojekt durch die unmittelbare Nähe zur Universität Wien, die Mieten belaufen sich auf 300 bis 350 Euro im Monat. Im Moment mangelt es an Studierenden, besonders an Studentinnen. Lediglich sechs Frauen leben im Augenblick in der VinziRast, weshalb auch vermehrt nach Bewohnerinnen gesucht wird.

Noch ist die Bibliothek recht wenig besucht - zur Prüfungszeit ändert sich das allerdings. Foto: Christopher Glanzl

Viel Platz für Gemeinschaft
Jede/r der BewohnerInnen hat ein eigenes Zimmer innerhalb der Wohneinheiten, doch besonderer Wert wird auf die Gemeinschaftsräume gelegt. Unter dem Lokal „mittendrin“ befindet sich ein Veranstaltungsraum, in dem einmal im Monat ein Filmabend stattfindet sowie des Öfteren auch Lesungen, Vorträge, Konzerte etc. An der Tür einer der Stockwerksküchen hängt die Film-Ankündigung für die Woche nach dem Zeitpunkt unseres Besuchs: „Invictus“, ein Film über Nelson Mandela. Die BewohnerInnen können in den Stockwerksküchen sowie in den Küchen der Wohneinheiten gemeinsam kochen, was auch viel in Anspruch genommen wird. Sie sind selbst verantwortlich für die Sauberkeit im Haus, einmal pro Monat ist eine Wohneinheit mit Großputz dran. Der vermutlich beliebteste Gemeinschaftsraum ist die geräumige Dachterrasse, auf der ein kleiner von Studierenden der Universität für Bodenkultur gespendeter Dachgarten gedeiht. Mangold, Dill, ausgewachsener Kohl und Ringelblumen sprießen hier in der außergewöhnlich warmen Januarsonne. Der Raum im Dachgeschoss wird auch für Veranstaltungen gegen eine Spende zur Verfügung gestellt, am Vortag fand eine Podiumsdiskussion statt, die Sessel stehen noch da. Der Tischfußballtisch ist momentan in eine Ecke verbannt. Auch sämtliche Möbel für das ganze Heim sind gespendet. Weitere Gemeinschaftsräume sind ein Studienraum mit zwei Computern und einer ansehnlichen Bibliothek an Büchern und Spielen. Im Moment befinden sich nur zwei Bewohner darin, aber zur Prüfungszeit wird er deutlich intensiver genutzt. Im Keller des Hauses befinden sich die Waschküche und je eine Textil-, Metall- und Holzwerkstätte. Dadurch soll einerseits die interne Gemeinschaft gefördert und den BewohnerInnen eine Beschäftigung geboten werden, andererseits wird aber auch die Kommunikation nach außen ermöglicht, indem beispielsweise Fahrräder zum Reparieren hierher gebracht werden.

Gereon erzählt von seiner Zweier-WG in der VinziRast. Foto: Christopher Glanzl

Eine gemeinsame Sprache für alle finden

Die Türen der Wohneinheiten sind zumeist offen, als wir ins Haus kommen, treffen wir den deutschen Psychologiestudenten Gereon, der gerade putzt. „Wo ist dein Mitbewohner? Hilft er dir?“, fragt ihn Frau Corti. „Ich weiß nicht… Trinken?“, antwortet Gereon mit einem Augenzwinkern. Prinzipiell versteht er sich gut mit seinem tschetschenischen Mitbewohner, nur beim Putzen kommt es immer wieder zu Kabbeleien. Er hat über die „KRIPS“ (Kritische PsychologiestudentInnen) von dem Projekt erfahren und nachdem er mit seiner vorigen WG unzufrieden war, da die wie er sagt, „mehr Klischees von Obdachlosen erfüllt hat, als ich hier tagtäglich zu Gesicht bekomme“, beschloss er, sich für das Heim zu bewerben. Er sieht das Verhältnis zu seinem Mitbewohner als beidseitig befruchtend, da sie viel über Religion, vor allem über Buddhismus und Islam diskutieren: „Wir unterhalten uns oft stundenlang und da wir aus verschiedenen Kulturen stammen und verschiedenen Religionen angehören, kommt es da oft zu Differenzen und neuen Erkenntnissen.“ Nur gemeinsam kochen können sie nicht. „Ich bin Veganer, für ihn hingegen ist Fleisch Ausdruck von Männlichkeit“, schmunzelt Gereon.

In Carmens Dreier-WG gestaltet sich das Putzthema hingegen völlig anders. Die Studentin der Internationalen Entwicklung wohnt hier gemeinsam mit dem ehemaligen Obdachlosen Heimo und einer weiteren Studentin, Christine. „Unser Mitbewohner putzt sehr gerne. Die Messies sind im Heim meiner Meinung nach die Studies“, lacht sie. Auch sie hat über den Email-Verteiler ihrer Studienvertretung von dem Projekt erfahren. Sie schätzt an dem Heim, dass sich alle persönlich kennen und die viele gemeinsame Zeit, die man miteinander verbringt. Sie mag auch die offenen Türen: „Es ist noch nie etwas weggekommen. Am Anfang habe ich meine Tür immer abgeschlossen, mittlerweile nicht mehr. Nur das Geschirr verteilt sich im ganzen Haus“. Eine besondere Rolle spielt dabei die Küche Eins. „Wenn das Lokal unten zumacht, kommt das übrige Essen in Küche eins, welche dann zum Hotspot wird“, erzählt uns Carmen. Essen wird häufig geteilt, besonders wenn zu viel da ist – auch Gereon hat bereits zehn Packungen gedumpsterten Räucherlachs im ganzen Haus verteilt. Einmal pro Woche kann, wer will, gemeinsam musizieren. Auch FreundInnen herzubringen ist kein Problem. In Stockwerks- und Hausrunden einmal pro Monat können Anliegen besprochen werden. Aber auch sonst bleiben Carmen und andere BewohnerInnen oft lange in die Nacht hinein gemeinsam in den Küchen sitzen, um zu plaudern. Abschließend sagt Carmen noch: „Es ist schön, dass viele verschiedene Leute hier wohnen. Und die größte Herausforderung ist es wohl, eine gemeinsame Sprache für alle zu finden.“

Carmen erzählt von ihrem WG-Leben in der VinziRast. Foto: Christopher Glanzl

Interessierte können sich gerne um einen Wohnplatz bewerben unter vinzirastmittendrin@gmail.com .

Politikverdrossen und ohne Perspektive?

  • 20.01.2014, 00:41

Der für den 1.1.2014 angesetzte Schengenbeitritt Rumäniens und Bulgariens wurde verschoben, nachdem sich einige EU-Länder wie etwa Frankreich und die Niederlande gegen einen Beitritt stellten. Im letzten Jahr wurde angekündigt, die Kriterien für den Beitritt seien erfüllt. Margot Landl berichtet für progress online von der politischen Situation Rumäniens.

Der für den 1.1.2014 angesetzte Schengenbeitritt Rumäniens und Bulgariens wurde verschoben, nachdem sich einige EU-Länder wie etwa Frankreich und die Niederlande gegen einen Beitritt stellten. Im letzten Jahr wurde angekündigt, die Kriterien für den Beitritt seien erfüllt. Margot Landl berichtet für progress online von der politischen Situation Rumäniens.

Eine sinkende Wahlbeteiligung, immer stärkere Politikverdrossenheit und ein abnehmendes Vertrauen in die Politik und ihre VertreterInnen: Was nach der Neuauflage der unbeliebten Großen Koalition sehr österreichisch klingt, ist in Rumänien noch viel drastischer ausgeprägt. In allen postkommunistischen Ländern liegt die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent, deutlich niedriger als in nord- und westeuropäischen Ländern, in Rumänien betrug sie bei den Parlamentswahlen 2012 nur 42%. Seit den „founding elections“ nach dem kommunistischen Systemkollaps ist der WählerInnenanteil kontinuierlich rückläufig.

Das Land ist nicht nur, wie die anderen postsozialistischen Staaten, geprägt vom Einfluss der Sowjetunion, sondern hat auch eine brutale Diktatur hinter sich. Das autokratische Regime Nicolae Ceausescus bis zu dessen Ermordung 1989 hat sowohl auf politischer wie auch wirtschaftlicher Ebene großen Schaden hinterlassen. Wenn auch das Anwachsen des NichtwählerInnenanteils ebenso in stärker konsolidierten Demokratien ein wachsendes Problem ist, so sind doch in Rumänien das Misstrauen und die Skepsis gegenüber der politischen Sphäre auch heute noch enorm. Die Menschen in Rumänien haben das Gefühl, dass es keine Rolle spielt, wer an der Macht ist, da es sowieso nur um persönliche Bereicherung geht. Der Weg ins Parlament eröffnet Möglichkeiten auf Umwegen Geld zu verdienen und nicht die Gesellschaft zu verändern. Sowohl die Politik als auch das gesellschaftliche Leben in Rumänien sind durchzogen von Korruption. Stimmenkauf ist genauso üblich wie das kleine Extrageld für den praktischen Arzt, um eine bessere Behandlung zu erhalten. Die vielen gesellschaftlichen Probleme werden kaum sachlich zu lösen versucht.

Abwanderung statt 350 Euro Durchschnittslohn

Bei einem Treffen mit Michael Schwarzinger, dem österreichischen Botschafter für Rumänien und der Republik Moldau, spricht dieser über die Perspektivenlosigkeit der rumänischen Jugend: „Rumänien leidet unter einer großen Abwanderung, etwa zwei bis drei Millionen RumänInnen leben im Ausland. Diejenigen, die Deutsch können, wollen nach Deutschland, die meisten gehen jedoch nach Südosteuropa, um dort in der Landwirtschaft zu arbeiten.“ Das größte Problem sei die Abwanderung der jungen Arbeitskräfte mit einer abgeschlossenen Ausbildung: „Die Intelligenz verlässt das Land. Rumänien bildet sehr viele Ärzte, Lehrer und so weiter aus, dennoch herrscht ein Mangel an Fachkräften“. Auch wenn die Lebenserhaltungskosten in Rumänien im Vergleich zu Österreich sehr niedrig sind, sind 350 Euro Durchschnittslohn für die meisten jungen Menschen unattraktiv.  Besonders kritisiert der Botschafter das Fehlen einer dualen Lehrlingsausbildung, welches viel Potenzial vergibt: „Da kommt dann ein junger Mann in eine Firma und sagt, ja, ich bin ausgebildeter Elektriker, aber nur in der Theorie. So jemand ist für Betriebe nicht attraktiv.“

„Ideologie ist genau das, was diesem Land fehlt“

Das Parteienspektrum des Landes ähnelt auf den ersten Blick dem Parteienspektrum anderer europäischer Länder. Die Parteien treten bei Wahlen meist in Wahlbündnissen an, um die 5%-Hürde zu überwinden. Dennoch ist die ideologische Bindung der PolitikerInnen an ihre Partei hier außergewöhnlich schwach, da nach 1989 versucht wurde, dem Land ein nicht natürlich gewachsenes Parteienspektrum überzustülpen. Politik erfolgt wenig auf sachlicher und viel auf persönlicher Ebene – als Beispiel die Schlammschlacht zwischen Präsident Traian Basescu und Premierminister Viktor Ponta.

Sven-Joachim Irmer ist der Leiter des Auslandsbüros der konservativen und CDU/CSU-nahen deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest. Diese versucht, für Mitte-Rechts-Parteien Inhalte zu promoten, er selbst hat das Parteiprogramm der liberaldemokratischen Partei PDL geschrieben. Seiner Ansicht nach positionieren sich die Parteien hier bewusst unklar, um sich so mehr Optionen zur Regierungsbildung offenzuhalten. Irmer kommentiert die Lage mit klaren Worten: „Ideologie ist genau das, was diesem Land fehlt. Dann hätten die Leute endlich inhaltlich was zum Streiten. Politik ist hier nicht sachlich, sondern man versucht, den anderen fertig zu machen.“ Bezeichnend dafür ist die gängige Praxis, als Abgeordnete/r nach der Wahl zu einer anderen – meist stärkeren – Partei zu wechseln und somit die politischen Kräfteverhältnisse zu verschieben. Dies setzt jedoch Wahlen als Sanktionsmechanismus und Basis einer funktionierenden Demokratie außer Kraft: Wenn ich mit meiner Stimme sowieso nichts bewirken kann, wieso soll ich dann überhaupt zur Wahl gehen?

Der über die Grünen ins rumänische Parlament gekommene, jedoch mittlerweile unabhängige Abgeordnete Remus Cernea sieht in der Art und Weise, in denen sich Parteien und Abgeordnete über den WählerInnenwillen hinwegsetzen, ebenfalls eine Gefahr für die Demokratie. Seiner Meinung nach bräuchte man mehr ideologische Parteien, da die vorhandenen ihr Programm oft nach der Wahl ändern. Sie handeln gleich wie die Regierung davor, Debatten beschränken sich oft lediglich auf Personen, nicht auf Themen. Die PolitikerInnen im Land  sieht er nicht als Leitfiguren, sondern lediglich als Fähnchen im Wind auf der Suche nach Prestige und Profit. Dennoch hat er sich dafür entschieden, den institutionellen Weg der politischen Partizipation zu beschreiten. Bei dem Besuch einer Sitzung des Parlaments lässt sich die mangelnde Diskussionskultur mit eigenem Auge betrachten: Nur wenige der Abgeordneten reden, laut Cernea wissen viele bei Abstimmungen gar nicht, was eigentlich hier gerade beschlossen wird oder bekommen Geld für ihre Stimme. Ihn stört vor allem die mangelnde Diskussionskultur: „Democracy is not only voting – it’s debating. Without debating you don’t have a democracy.“  

Erstarkende Zivilgesellschaft

Das tief verwurzelte Misstrauen gegenüber der Politik wird besonders im Gespräch mit VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Organisationen deutlich, deren Zahl erfreulicherweise stetig wächst. Die NGO „militia spirituale“ versucht, SchülerInnen und StudentInnen in Rumänien dazu zu motivieren, sich politisch zu engagieren und sich für ihre Interessen einzusetzen. Von einer Parteigründung oder Ähnlichem wollen aber auch deren MitarbeiterInnen nichts wissen: „Parties only promote unqualified candidates and false values. People elect them because of their presents and because there are no alternatives. It’s our aim to create a critical society”, sagt Alexandra Panait von der “militia spirituale”.

Ein aktuelles Beispiel für das Hinwegsetzen über die zivilgesellschaftliche Meinung war der Versuch der Regierung, gegen ursprüngliche Wahlversprechen ein Gesetz für die Legalisierung des Goldabbaus im Gebiet des Ortes Rosia Montana durchzusetzen. Gegen den Goldabbau, der mit der hochgiftigen Chemikalie Zyanid durchgeführt werden soll, hat sich mittlerweile ein breiter gesellschaftlicher Widerstand formiert. Bei einem Unfall könnte ein immenser Schaden für die Umwelt entstehen. Besonders jene Menschen, die im Zuge dieses Goldabbaus umgesiedelt werden müssten, sträuben sich gegen das Projekt. 35.000 Menschen sind bereits dagegen auf die Straße gegangen und der Protest weitet sich laufend aus – auch über die rumänischen Grenzen hinaus.

Diese Herausbildung einer aktiven Zivilgesellschaft wird allgemein als sehr positiv empfunden und ist mit Sicherheit ein wichtiger Schritt auf dem Weg Rumäniens zu einer funktionierenden Demokratie. Im Moment wird das Land in der Politikwissenschaft noch zusammen mit Bulgarien und Lettland, der Gruppe der nicht vollständig konsolidierten europäischen Demokratien zugeordnet. Bulgarien und Rumänien sind im Moment die ärmsten Länder der EU mit einem BIP pro Kopf, welches kleiner ist als die Hälfte des EU-Durchschnitts. Allerdings wächst die rumänische Wirtschaft kontinuierlich, maßgeblich durch Auslandinvestitionen, und auch der EU-Beitritt hat sich auf die Entwicklung des Landes positiv ausgewirkt. Bis zum Entstehen einer Politik, der die Menschen vertrauen und an der sie partizipieren, um ihr Land nach ihren Vorstellungen zu verändern, wird es in Rumänien trotzdem noch eine Weile dauern. Dafür muss erst eine politische Kultur entstehen, in der zumindest versucht wird, Inhalte sachlich zu diskutieren und in der sich zivilgesellschaftliche Bewegungen mit ihren Anliegen Gehör verschaffen können. 

Die Autorin studiert Politikwissenschaften an der Universität Wien und hat an einer Exkursion des Instituts für Politikwissenschaft teilgenommen.

„Hoppauf, Hakoah!“

  • 01.12.2013, 13:17

Der jüdische Sportverein Hakoah Wien zählt seit mehr als 100 Jahren zu einem der erfolgreichsten Sportvereine Österreichs. Eine Fotoreportage von Margot Landl und Sarah Langoth.

Der jüdische Sportverein Hakoah Wien zählt seit mehr als 100 Jahren zu einem der erfolgreichsten Sportvereine Österreichs. Eine Fotoreportage.

Der SC Hakoah wurde im Jahr 1909 als Zeichen jüdischer und zionistischer Kultur und gleichzeitig als Reaktion auf die in immer mehr Sportvereinen gültigen rassischen Arierparagrafen gegründet. Diese schlossen Juden und Jüdinnen in Zeiten des wachsenden Antisemitismus immer stärker vom gesellschaftlichen und damit vereinssportlichen Leben aus. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg feierte die Hakoah viele Erfolge und war weltweit einer der erfolgreichsten Breitensportvereine. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde auch die Hakoah aufgelöst und enteignet.

Nach 1945 konnte die Vereinstätigkeit jedoch bald wieder aufgenommen werden. Heute steht ein modernes Sportzentrum auf dem etwa 2000 Quadratmeter großen Grundstück im zweiten Wiener Gemeindebezirk, welches dem Verein erst 70 Jahre nach seiner Enteignung zurückgegeben wurde.

 

Foto: Sarah Langoth

„Hakoah“ ist hebräisch und bedeutet so viel wie „Kraft“. Der Verein war ein Teil jüdischer Kultur und ist es auch heute noch. „Heute besitzen wir etwa 500 Mitglieder und natürlich sind die meisten davon jüdischer Religion, doch wir sind offen für Menschen aus allen Kulturen und Religionen“, erklärt der Präsident des Vereins Paul Haber.

„Viele Menschen kommen auch einfach zu uns, weil sie unsere Angebote nutzen möchten. Markus Rogan ist auch erst zum Judentum übergetreten, als er schon lange nicht mehr bei uns trainiert hat. Nicht der Hakoah, sondern der Liebe wegen“, schmunzelt er.

 

Foto: Sarah Langoth

Der Präsident Paul Haber ist der 69-jährige Sohn von Karl Haber, der die Hakoah nach dem Krieg neu gegründet hat. „Ich bin im Verein groß geworden. Meine Großeltern sind alle im Krieg umgekommen, viele Verwandte emigriert oder gestorben. Die Hakoah war, wenn man so will, ein Familienersatz.“

In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zählte die Hakoah etwa 8000 Mitglieder – „So viel, wie heute die ganze Kultusgemeinde“, überlegt Paul Haber. Der Verein war mehr als ein Sportklub, er hatte ein eigenes Orchester, veranstaltete Bälle und die Fußballmatches zogen auch Juden und Jüdinnen an, die sich sonst eher wenig für Sport begeisterten. 25.000 ZuschauerInnen bei einem Derby waren keine Seltenheit. Der Schlachtruf lautete: „Hoppauf, Hakoah!“.

 

Foto: Sarah Langoth

Mannschaftssportarten wie Fußball, Handball oder Wasserball waren beliebte Disziplinen beim SC Hakoah. Ein Wasserballer, der auf anderem Weg berühmt geworden ist,  ist der Schriftsteller Friedrich Torberg. Heute besteht der Verein aus den Sektionen Basketball, Bowling, Judo, Karate, Schwimmen, Tennis, Tischtennis, Wandern und Skifahren.

 

Foto: Sarah Langoth

Bela Guttmann war 1925 mit dem Fußballklub der Wiener Hakoah österreichischer Meister, danach führte er als Trainer beispielsweise Spanien zu einem Sieg im Europacup.

Der Fußballplatz war, damals wie heute, immer ein Ort der Emotionen. Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten wurde auch das Fußballfeld immer mehr zum Platz der Diskriminierung und der Gewalt, bis schließlich ab 1933 die sportliche Tätigkeit der Hakoah in allen Bereichen immer stärker eingeschränkt und schließlich unterbunden wurde.

 

Foto: Sarah Langoth

Eine der erfolgreichsten und berühmtesten Schwimmerinnen der Hakoah war Hedy Bienenfeld. Sie gewann nicht nur verschiedene österreichische, sondern auch zahlreiche internationale Meistertitel, beispielsweise bei den Maccabiaden, der größten jüdischen, internationalen Sportveranstaltung.

Bei vielen Wettbewerben waren die SportlerInnen offenen antisemitischen Angriffen ausgesetzt. „Bei manchen Bewerben musste die Hakoah-Ringerstaffel die Schwimmerinnen bis zum Start begleiten“, erzählt Paul Haber. Nicht alle von ihnen nahmen diesen Zustand wortlos hin: Im Jahr 1936 verweigerten die Schwimmerinnen Judith Deutsch, Lucie Goldner und Ruth Langer neben einigen Leichtathleten die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Berlin aus Protest gegen die nationalsozialistische Rassenideologie – eine Entscheidung, die nach den Statuten des Internationalen Olympischen Komitees erlaubt war. Daraufhin wurden sie durch den österreichischen Schwimmverband lebenslänglich gesperrt und es wurden ihnen alle Titel aberkannt. Es dauerte bis in die 1990er Jahre, bis die Sportlerinnen öffentlich rehabilitiert wurden.

 

Foto: Sarah Langoth

Paul Haber zeigt auf die vielen Pokale, Plaketten und Medaillen, die in den Schaukästen im Eingangsbereich des Sportzentrums ausgestellt sind: „Die Hakoah konnte in allen betriebenen Sportarten mindestens einen Staatsmeistertitel vorweisen, in einigen Bereichen konnte man sogar Weltklassesportler hervorbringen, wie beispielsweise Ringen oder Schwimmen. In den 1930ern  waren wir der größte Allroundsportklub der Welt.“

Der SC Hakoah war auf Breitensport hin ausgerichtet, das Angebot des Vereins vor dem Zweiten Weltkrieg umfasste dreizehn verschiedene Sportarten: Fußball, Schwimmen, Ringen, aber beispielsweise auch Fechten oder Schach. Trotzdem, oder genau deshalb, gelang es, in einigen Sportarten SportlerInnen bis an die Weltspitze zu bringen.

 

Foto: Sarah Langoth

In dem Museum des SC Hakoah, welches eine Enklave des Jüdischen Museums Wiens ist, sind Fotos, Texte und Gegenstände ausgestellt, welche hauptsächlich die Zeit vor 1945 thematisieren. Der muskulöse Mann auf dem Schwarz-Weiß-Foto ist Paul Haber im Jahr 1964, als er österreichischer Meister im Schwimmen wurde.

Schwimmen war eine der wenigen Sportarten, welche im Verein kontinuierlich ausgeübt werden konnte, da man dafür nicht viele Ressourcen benötigte. Als nach dem Zweiten Weltkrieg der Verein die meisten seiner, vor allem jungen Mitglieder und sein gesamtes Eigentum verloren hatte, waren Schwimmen und Leichtathletik vorerst die einzigen Sportarten, die weiter praktiziert werden konnten.

 

Foto: Sarah Langoth

Da das Sportzentrum erst 2008 nach der Rückerstattung des Hakoah-Grundstücks gebaut wurde, ist es äußerst modern ausgestattet. „Es ist mit Sicherheit eines der modernsten Fitnessstudios Österreichs“, beurteilt Paul Haber.

Durch die Zusammenarbeit mit der TU und Universität Wien soll auch alles getan werden, um immer auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben. Ein Team aus PhysiotherapeutInnen, SportmedizinerInnen, TrainerInnen und LeistungssportlerInnen steht den Mitgliedern des Vereins zur Verfügung.

 

Foto: Sarah Langoth

Das Sportzentrum besitzt eine sogenannte „Dreifach-Halle“, welche in drei einzelne Hallen unterteilt werden kann. Diese wird unter der Woche von der benachbarten jüdischen Zwi Perez Chajes-Schule genutzt, die dort ihren Turnunterricht abhält.

Auf der anderen Seite des Gebäudes grenzt das Maimonides-Zentrum an, eine Kombination aus betreutem Wohnen und Seniorenheim für vorwiegend jüdische Personen. Auch einige von diesen kommen regelmäßig in das Fitness- und Wellnesscenter.

 

Foto: Sarah Langoth

Der Außenbereich der Sportanlage besteht aus drei Tennisplätzen, einem Hartplatz und einem Swimming Pool für den Sommer. Alle Sektionen haben hier ihren Standpunkt, außer die Bowling- und die Schwimmsektion, die in eigenen Hallen in anderen Bereichen Wiens trainieren.

 

Foto: Sarah Langoth

Neben dem Fitnessbereich besitzt das Sportzentrum auch einen modernen Wellnessbereich mit Sauna, Solarium und Massagemöglichkeit. Ebenso gibt es einen Aufenthaltsbereich im Freien für den Sommer, einen Seminarraum oder eine Cafeteria, das Tagesgericht ist ein Falafelteller.

„Wir haben ein relativ hohes Durchschnittsalter im Verein, die ältesten Mitglieder sind über 80 Jahre alt. Ich selbst lege als Sportmediziner einen besonderen Schwerpunkt auf ältere Menschen“, erzählt Paul Haber. Andererseits ist der Verein auch eine Trainingsakademie für LeistungssportlerInnen und bringt immer wieder Medaillenhoffnungen wie den Judoka Stephan Hegyi hervor. Alle Generationen sollen eingeladen sein.

 

Sportclub Hakoah
Karl Haber Sport & Freizeitzentrum
Simon-Wiesenthal-Gasse 3 (Eingang: Wehlistr. 326)
1020 Wien

Telefon: +43/1/726 46 98 - 0
FAX:      +43/1/726 46 98 - 999
e-Mail:    office@hakoah.at

Öffnungszeiten:
 Mo. - Fr. (werktags): 08:00 - 22:30
 Sa., So., feiertags:    09:00 - 21:00

Gedenken und Gegenwart

  • 12.11.2013, 13:23

Jedes Jahr findet am 9.November, dem Tag des Gedenkens an das Novemberpogrom, eine Gedenkkundgebung für die Opfer des Nationalsozialismus am ehemaligen Wiener Aspangbahnhof statt. Heuer haben um die 200 Menschen teilgenommen, um der Vergangenheit zu gedenken und die Gegenwart kritisch zu hinterfragen. Margot Landl hat für progress online an der Kundgebung teilgenommen.

Jedes Jahr findet am 9.November, dem Tag des Gedenkens an das Novemberpogrom, eine Gedenkkundgebung für die Opfer des Nationalsozialismus am ehemaligen Wiener Aspangbahnhof statt. Von diesem Ort haben die NationalsozialistInnen während der Jahre 1939 bis 1942 über 10.000 Menschen in Vernichtungslager deportiert.  Heuer haben um die 200 Menschen teilgenommen, um der Vergangenheit zu gedenken und die Gegenwart kritisch zu hinterfragen. Margot Landl hat für progress online an der Kundgebung teilgenommen.

 

„Weit, weit in Polen, am Ufer des Dnester, ist der Krieg entbrannt, bei Nacht und Nebel bin ich mit mein Esther und mit mein‘ Weib davon gerannt.

Wochen und Wochen durch Steine und Feld, Tage und Nächte in der einzigen Kält‘. Das konnten die zwei nicht ertragen, jetzt bin ich allein auf der Welt.“ ---

 

Nach dieser Strophe ist das Lied zu Ende, die Ziehharmonika gibt unter dem letzten Druck noch ein paar knarrende Töne von sich, dann ist es still. Sekunden später erklingt Applaus für jenen älteren Herrn, der sich mit einem leichten Nicken und einem zarten Lächeln für den Beifall bedankt, bevor er das Instrument abstellt. Auf einer Bierbank vor der Bühne sitzt ein altes Ehepaar andächtig nebeneinander. Die Frau hält immer noch den Blick gesenkt, auf ihren Lippen liegt ein zaghaftes Lächeln. Als der Veranstaltungsleiter vom Wiener Arbeiter*innen Syndikat sich bei dem Musiker Isaac Loberan bedankt, dass er auch ohne seinen kurzfristig verhinderten Partner vom Klezmer Ensemble „Scholem Aljechem“ aufgetreten ist, antwortet dieser schlicht: „Es war mir wichtig“.

 

Am Platz der Opfer der Deportation

Wichtig ist die Veranstaltung wohl für alle Menschen, die sich am Abend des 9. November 2013 zur Gedenkfeier anlässlich der Novemberpogrome vor 75 Jahren bei dem Gedenkstein am ehemaligen Wiener Aspangbahnhof eingefunden haben. Seit 1994 heißt dieser Ort „Platz der Opfer der Deportation“. Der kleine Park ist nach dem jüdischen Publizisten Leon Zelman benannt. Etwa in der Mitte der Grünanlage sind heute, anlässlich der Gedenkfeier, drei weiße Planen befestigt, auf denen in neun Spalten alphabetisch Namen aufgelistet sind. Es sind um die 800 Namen jener Menschen, die  am 5. Juni 1942 deportiert wurden. Darüber steht in roter Schrift geschrieben: „In den Jahren 1939 – 1942 wurden vom ehemaligen Aspangbahnhof zehntausende österreichische Juden in Vernichtungslager transportiert und kehrten nicht mehr zurück.“ Die etwa 800 Namen auf den Transparenten benennen ausschließlich die Deportierten des Transports vom 5. Juni 1942 nach Izbica.

 

Foto: Christopher Glanzl

 

„Ich bin von der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung“ erklärt ein junger blonder Mann in einer grünen Regenjacke, während er die Transparente betrachtet. „Wir betreuen Asylwerber und sind heute Mitveranstalter der Gedenkfeier, denn jeder von uns trägt eine Verantwortung – damals wie heute. Und das Problem der Diskriminierung ist immer noch aktuell.“

 

„Wir wussten von nichts“ – Wir wissen von nichts?

Der aktuelle Aspekt ist in der Kundgebung präsent. Sowohl im Bewusstsein der Anwesenden, wie auch in den Reden der verschiedenen RepräsentantInnen. Wilhelm Mernyi, der Vorsitzende des Mauthausen-Komitees Österreich, zitiert aus den Aussagen von SS-Männern, die diese während ihrer Gerichtsprozesse nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschlands tätigten. Es sind Aussagen wie: „Ich wusste nicht, was dieses Zeichen auf der Fahne bedeutete. Ich war ständig betrunken und hab von alldem nichts mitbekommen. Meine rechte Hand hob ich nur gegen die Sonne“. Ein paar Leute kichern über die Dummheit dieser Ausreden, „Unfassbar!“, murmeln einige. Die meisten wissen offensichtlich nicht, ob sie angesichts dieser unverschämten Aussagen lachen oder weinen sollen. „Die verarschen uns sogar noch vor Gericht!“, wettert Mernyi. Er spannt den Bogen bis ins 21.Jahrhundert, konkret bis zum aktuellen „Objekt 21“-Prozess, der letzte Woche in Wels mit Schuldsprüchen für alle Angeklagten sein Ende fand: „Wieso hat es bis zu diesem Prozess so lange gedauert? Wieso war der Verfassungsschutz so lange untätig? Und wieso werden hier immer noch viele Zusammenhänge verschwiegen?“. An diesem Abend geht es auch um das, was heute passiert, vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

 

„Niemals vergessen“ steht schwarz auf weiß auf einem beleuchteten Transparent, das zwischen zwei Bäumen zur Straße hin befestigt wurde und die Ankommenden zur Veranstaltung führt. Wenn man von der S-Bahn-Station Rennweg den Gleisen in Richtung des Platzes der Opfer der Deportation folgt, hört man bereits von fern die Stimmen der RednerInnen. Nur wenige Autos fahren heute auf der Straße neben der Zugstrecke, die Nacht ist kühl und ruhig. Einzig die S-Bahn Richtung Floridsdorf, die alle paar Minuten vorbeirattert, und das Surren der Scheinwerfer stören die Andacht ein wenig. Am Rand des Platzes haben einige AktivistInnen provisorische Stände aufgebaut, um im Zuge der Veranstaltung auch Mitglieder für ihre Organisationen anzuwerben. Ankommenden, die über diese Tatsache meist wenig begeistert sind, werden sofort Flugblätter der „Revolutionären KommunistInnen“ in die Hand gedrückt. Außerdem sind auch VertreterInnen von Gruppen wie „Nazis raus aus dem Parlament“ oder das „Antifa Komitee für Griechenland“ mit Flyern, Spendenkassen und Broschüren anwesend.  Insgesamt stört das die Veranstaltung ein wenig. Es entsteht das Gefühl, dass hier versucht wird, die Veranstaltung für partielle Interessen zu instrumentalisieren, die jedoch nicht mehr alle BesucherInnen betreffen und so möglicherweise in ihrer Andacht stören.

 

Foto: Isabella Riedel

 

Die etwa 180 TeilnehmerInnen der Gedenkfeier stehen in welkem Herbstlaub im Halbkreis um die kleine zeltartige Überdachung des RednerInnentisches und des Notenständers. Scheinwerfer beleuchten die Transparente und das Rednerpult, ein paar Bierbänke sind aufgestellt, um vor allem den zahlreichen älteren TeilnehmerInnen das lange Stehen abzunehmen. Für die Facebookveranstaltung „NIEMALS VERGESSEN! Nie wieder Faschismus! Mahnwache und Kundgebung“ haben von etwa 700 eingeladenen Gästen lediglich sechzehn zugesagt. Das Publikum hier wird von älteren Personen dominiert. „Die Gedenkfeier als Projekt der Initiative Aspangbahnhof  gibt es bereits seit 1994. Allerdings waren noch nie so viele TeilnehmerInnen wie heuer da“, erklärt einer der Organisatoren vom Wiener Arbeiter*Innen Syndikat. Die Accessoires des Abends sind Schirm, Handschuhe und Baskenmütze. Die Menschen haben ihre Hände in den Hosentaschen vergraben, um sie bei dem nasskalten Wetter ein wenig anzuwärmen. Um die acht Grad Celsius und den immer wieder einsetzenden leichten Nieselregen erträglicher zu machen, haben die Veranstalter ein paar Behälter mit warmem Tee bereitgestellt. Auf einer der Parkbänke sitzen zwei Frauen und trinken Tee aus ihren Thermoskannen. Dampf steigt auf in der nasskalten Spätherbstluft.

 

Auf der Bank daneben sitzt eine asiatisch aussehende Frau, die eine lachende Filzsonne an ihren braunen Parka geheftet hat. Sie ist Künstlerin unter dem Namen Lilli Fortuna und hat durch eine Freundin, welche Mitglied der Grünen ist, von der Gedenkfeier erfahren. Auf die Frage, warum sie an diesem Abend hier ist, antwortet sie: „Ich lebe mittlerweile seit 27 Jahren in Wien. Nun besitze ich seit zwei Jahren auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Als ich von Japan hergekommen bin, habe ich sehr viele Holocaust-Dramen gesehen. Für mich wäre es eine Schande, als neue Staatsbürgerin über diese Zeit nicht Bescheid zu wissen.“ Ihr aktueller Bezugspunkt ist dabei die Europäische Union: „Es braucht eine Art Vereinigte Staaten von Europa. Es darf nie wieder Krieg geben und wir müssen achtsam miteinander umgehen.“

 

Vom Verbotsgesetz bis zur EU

Auch die weiteren RednerInnen beziehen sich in ihren Appellen auf das Hier und Jetzt. Zur Sprache kommen Themen wie die vor kurzem von FPÖ-PolitikerInnen erneut geforderte Abschaffung des NS-Verbotsgesetzes oder der Umgang der Europäischen Union mit Flüchtlingen. Isabella Riedl vom „Verein Gedenkdienst“ erwähnt in ihrer Rede unter anderem die Ergebnisse der letzten Nationalratswahl. „Es ist wichtig, dass wir, wenn wir über diese Ereignisse sprechen, nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter erwähnen. Die letzte Nationalratswahl hat gezeigt, dass eine Partei, die sich nicht definitiv von ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit und rechtsextremen Burschenschaften abgrenzt, für einen maßgeblichen Teil der Österreicherinnen und Österreicher eine wählbare Alternative ist. Das sollte uns zu denken geben.“ Die junge Frau erntet kräftigen Applaus für ihre Worte.

 

Währenddessen spielen ein paar Kinder etwas abseits hinter dem Gedenkstein um einen Baum herum Fangen. Einige Eltern haben ihre Sprösslinge zu der Gedenkveranstaltung mitgebracht, diese zeigen sich jedoch noch relativ unbeeindruckt von den Worten der RednerInnen. Als jedoch die Künstlerin Ivana Ferencova-Hrickova vom „Verein für Roma“ ihre kräftige Stimme erhebt, um ein Romalied zu singen, halten sie inne. Auch wenn sie die Bedeutung der Worte und Zeichen auf der Gedenkfeier noch nicht erfassen können, so spüren sie doch die feierliche wie betretene Stimmung, die an diesem Abend herrscht.

 

Erinnerung zwei Stunden lang

Um 20.30 Uhr haben schon viele TeilnehmerInnen die Gedenkkundgebung verlassen. Nach eineinhalb Stunden schließt die letzte Rede mit der Parole: „Nie wieder Faschismus!“. Danach tritt der Leiter der Veranstaltung noch einmal kurz an den notdürftigen Rednertisch, um ein paar letzte Worte zu sagen: „Wir wollen zeigen, dass die Anwesenden heute nicht alleine sind in ihrem Gedenken. Und wir hoffen, dass sie Kraft schöpfen können für ihren Alltag, der vielleicht immer noch von Rassismus geprägt ist.“ Danach schneidet ihm die ankommende S-Bahn das Wort ab. Innerhalb einer Viertelstunde wird das Equipment der Veranstaltung wieder abgebaut. Ein paar Polizisten schauen kurz vorbei, fahren aber nach einem kurzen Rundgang wieder weg. Die Gedenkfeier war ein Abend des Friedens und niemand wollte diesen Frieden brechen. Die Kabel werden eingerollt, die Bierbänke zusammengeklappt, die Transparente abgehängt. Die noch anwesenden AktivistInnen versuchen, ihre letzten Flyer loszuwerden.

 

Die wenigen übriggebliebenen BesucherInnen trinken den letzten Tee oder helfen, die Tische wegzuräumen. Unter ihnen ist Gerhard Burda vom Verein „Steine des Gedenkens für die Opfer der Shoah“, der noch angeregt mit zwei Leuten plaudert. In seiner Rede während der Veranstaltung hat er von seiner Bürgerinitiative im dritten Wiener Gemeindebezirk erzählt, welche „Stolpersteine“, kleine Messingtafeln zur Erinnerung an jüdisches Leben an dieser Stelle, in die Gehsteige Wiens einlässt. Morgen soll der 30. Gedenkstein gesetzt werden. Er erzählt auch von einer eingerichteten Personendatenbank für den dritten Bezirk, mit der jüdische Verwandte ausgeforscht werden können, welche während der Zeit des Nationalsozialismus vertrieben oder ermordet wurden.

 

Foto: Christopher Glanzl

 

Österreich ist Meister der Verdrängung

Vor dem Gedenkstein mit den eingravierten Worten „In den Jahren 1939-1942 wurden vom ehemaligen Aspangbahnhof zehntausende österreichische Juden in Vernichtungslager transportiert und kehrten nicht mehr zurück – Niemals vergessen.“ steht ein bebrillter, grau melierter Herr in einer dunklen Winterjacke. „Ich habe zufällig durch ein Plakat von der Veranstaltung erfahren. Es ist das erste Mal, dass ich hier bin. Mich hat das Thema schon immer interessiert, es hat ja jeder irgendjemanden in der Familie, von der einen oder der anderen Seite, von den Guten oder den Bösen. Ein Verwandter von mir war bei der SS, mein Großvater hingegen war ganz anders“, erzählt er. Zur österreichischen Vergangenheitspolitik hält er fest: „Was mir immer mehr bewusst wird ist, dass ich viel Falsches in der Schule gelernt habe. Österreich ist ein Meister der Verdrängung und die Aufarbeitung ist ein schleichender Prozess.“ Als er sich zum Gehen wendet, fällt eines der Grablichter, die um den Gedenkstein herum im Kies aufgestellt sind, um und erlischt.

 

Die anderen Kerzen flackern noch schwach im Wind, es beginnt erneut zu nieseln. Um 21.00 Uhr sieht der „Platz der Opfer der Deportation“ wieder genauso aus wie normalerweise unterm Jahr. Unauffällig liegt der Gedenkstein zwischen Schotter und ein paar Gräsern. Und nur noch die Grablichter zeugen von dem Bemühen einiger Menschen, die Erinnerung an den Nationalsozialismus immer wieder aufflackern zu lassen.

 

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt für Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

 

progress-online Schwerpunkt: Im Gedenken an das Novemberpogrom 1938:

"Was passiert, wenn wir vergessen uns zu erinnern?"

Einmal Palästina und wieder zurück

 

„Was passiert, wenn wir vergessen uns zu erinnern?“

  • 07.11.2013, 20:43

"Was passiert, wenn wir vergessen uns zu erinnern?". Margot Landl berichtet über das sechsmonatige Gedenkprojekt "The Vienna Project“, das sich mit den Opfern des Nationalsozialismus auseinandersetzt.

„The Vienna Project“, ein sechsmonatiges Gedenkprojekt für die Opfer des Nationalsozialismus, soll 75 Jahre nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland die Geschehnisse von damals zur Sprache bringen. Die Botschaft des interaktiven Mahnmals lautet: Gegen das Vergessen und für das Lernen aus der Geschichte.

Es ist Freitag der 24. Oktober 2013, elf Uhr Vormittag, vor der Universität Wien. Die letzten Studierenden verlassen das Gebäude, gedanklich bereits im Wochenende. Nur wenige bemerken die zwei jungen Frauen, die auf dem Asphalt am Ende der breiten, steinernen Treppe Papierschablonen am Boden befestigen. Erst beim Zischen der Spraydose werden ein paar aufmerksam, manche kommen näher, um die so entstandenen weißen Schriftzüge auf dem Asphalt entziffern zu können: „Was, wenn wir vergessen, uns zu erinnern? What happens when we forget to remember? Kaj se zgodi, ko se pozabimo spominjati?”

Foto: Christian Wind

Orte der Erinnerung

In zehn verschiedenen Sprachen – Deutsch, Englisch, Jiddisch, Hebräisch, Rumänisch, Polnisch, Türkisch, Slowenisch, Russisch und Bosnisch- Kroatisch- Serbisch – wird dieser Leitsatz auf Gehsteige gesprayt. Als „Sidewalk Installation“ werden die Schriftzüge in den nächsten sechs Monaten an 38 Orten der Stadt auftauchen. 38 steht für 1938, das Jahr des „Anschlusses“ Österreichs an Hitlerdeutschland vor 75 Jahren. 38 Orte der Erinnerung werden im Zuge des „Vienna Project“ auf verschiedenste Weise inszeniert. Orte des Verbrechens, der Beschimpfung und Erniedrigung, aber auch des Widerstands, der Unterstützung und des Zusammenhalts.

Die Smartphone-App des „Vienna Project“ bietet neben vielen Informationen eine Karte, auf der alle Plätze eingezeichnet sind und zu denen man jeweils eine kurze Beschreibung aufrufen kann. In dieser wird erläutert, aus welchem Grund genau dieser Ort  ein „Ort der Erinnerung“ ist. Einige davon sind bekannt, viele jedoch nicht. Auch die bekannteren Orte werden aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Die Liste reicht von Orten der Diskriminierung und des Ausschlusses von Juden und Jüdinnen, wie der Universität Wien oder der Staatsoper, über Deportationsbahnhöfe wie etwa dem Aspangbahnhof zu eher wenig bekannten Stätten wie dem Klublokal des jüdischen Sportvereins Hakoah oder dem Heim für von den Nazis als sogenannte „Mischehepaare“ Bezeichnete . Den Schwerpunkt des Projekts stellen die Verfolgung und Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens dar. Aber auch das Schicksal von Roma und Sinti, psychisch Kranken, Körperbehinderten, Homosexuellen, Opfern der NS-Euthanasie, politisch Verfolgten, DissidentInnen, slowenischen PartisanInnen und Angehörigen der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas werden thematisiert.

Ein Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Das Programm „Vienna Project“ ist, da es als ein Projekt des sozialen Handelns konzipiert ist, außerordentlich umfangreich. Die Liste der Mitarbeitenden ist lang, sie umfasst Studierende, HistorikerInnen, ProfessorInnen, KünstlerInnen und PädagogInnen. Kunst, Pädagogik, Technologie und Wissenschaft sollen, immer auf Basis des Dialogs miteinander, verbunden werden. Das immerwährende Aufwerfen von Fragen zu den Verbrechen des NS-Regimes soll mit einem Gegenwartsbezug einhergehen, erklärte die Initiatorin des Projekts, die in den USA aufgewachsene Künstlerin und Aktivistin Dr. Karin Frostig, in einem ORF-Interview. Ihre Idee für das „Vienna Project“ entstand aufgrund ihrer persönlichen Lebensgeschichte: Als sie vor etwa zehn Jahren Briefe ihrer in Österreich unter Hitler lebenden Großeltern an ihren 1938 im Zuge einer Verfolgungswelle österreichischer Intellektueller in die USA vertriebenen Vater erbte und diese übersetzte, gaben ihr diese Aufschluss über ihre im Dritten Reich von den Nazis ermordete Großfamilie, von der die US-Amerikanerin bis dahin nichts wusste. Eine Reise nach Wien und die anschließende Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft im Jahr 2007 waren die Basis für die neue Beziehung zu Österreich, dem Land ihrer Vorfahren, und die Umsetzung des Gedenkprojekts.

Interaktion als Leitsatz

Am Abend des 23. Oktober 2013 wurde das „Vienna Project“ nach dreijähriger Planung feierlich im Odeon Theater in Wien-Leopoldstadt eröffnet. Ursprünglich sollte das seit drei Jahren geplante Projekt lediglich aus Graffitis bestehen. Für diese wurde jedoch seitens der Behörden keine Genehmigung erteilt, weshalb nun Gehsteiginstallationen, Projektionen, und künstlerische Performances den Kern des Projekts bilden. Unter den  Ehrengästen der Eröffnung befanden sich unter anderem Bundespräsident Heinz Fischer und der US-amerikanische Schriftsteller mit österreich-jüdischer Herkunft Frederic Morton. Auf die Vorstellung des Projekts folgten eine Lesung des Schriftstellers Robert Schindl und eine Performance der Schauspielerin und Regisseurin Sandra Selimovic aus ihrem neuen Stück „Mindj Panther“, in welchem sie als Roma-Boxerin gegen Antiziganismus ankämpft. Interviews mit Sandra Selimovic und anderen an dem Projekt beteiligten KünstlerInnen sind auf dem Blog des Projekts nachzulesen. Um 20:30 startete schließlich der „Parcours des Erinnerns“ mit insgesamt sieben Lichtinstallationen entlang des Donaukanals. Auf Brücken, Mauern und Häuserwände wurden Botschaften projiziert, welche die BetrachterInnen zum Nachdenken über die Vergangenheit und Gegenwart animieren sollten. Bei der Installation „Right to be present“ von Martina Menegnon und Stefano d’Alessio werden beispielsweise Auszüge aus der Menschenrechtsdeklaration auf die Unterseite der Salztorbrücke projiziert, wodurch ein Thema inszeniert wird, das universelle Gültigkeit besitzt.

Foto: Stefan Arztman

Am darauf folgenden Tag starteten die „Sidewalk Installations“ mit einer Sprayaktion vor dem Parlament. Spezielle Events sind für die Pogrom-Nächte vom 6. bis zum 9. November geplant. Am Abend des 7. November findet die erste „Stille Mahnwache“ am Friedhof Seegasse, dem Aspangbahnhof und dem ehemaligen Nordbahnhof statt. Diese stellt ein gemeinsames Gedenken an die Opfer der Deportation und Vernichtung dar. Die „Stille Mahnwache“ soll bis in den April 2014 an jedem ersten Donnerstag des Monats abgehalten werden. Unter der Prämisse der Interaktivität lädt „The Vienna Project“ jeden zur Teilnahme an sämtlichen Veranstaltungen ein. Das Programm ist auf der Website http://theviennaproject.org/ verfügbar, die App und die Facebook-Seite „The Vienna Project“ informieren zusätzlich über aktuelle Veranstaltungen.

Foto: Christian Wind

Am 25. November beginnt mit dem „Violence Against Women Remembrance Day“ eine Serie von „Performance Art“ – Darbietungen, die einen besonderen Gegenwartsbezug durch das Thematisieren aktueller Debatten herstellen sollen. Dabei sollen verschiedene Fragen aufgeworfen werden: Wo findet heute Diskriminierung statt? Wer ist davon betroffen? Und was kann man dagegen tun? Die Veranstaltungen finden dabei am „Internationalen Tag gegen die Gewalt an Frauen“ (25. November), am „Tag der Menschenrechte“ (10. Dezember), am „Internationalen Holocaust-Gedenktag“ (27. Januar), dem „Internationalen Tag der Roma“ (8. April) und in den „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ im März statt.

Die Aktionen werden durch ein pädagogisches Programm ergänzt, das neben einem LehrerInnenseminar Führungen, Aktions- und Austauschanregungen für SchülerInnen und ein abschließendes internationales wissenschaftliches Symposion beinhaltet. Das Verständnis der Öffentlichkeit für den Nationalsozialismus soll auf diese Weise vertieft werden. Auch persönlichen Beziehungen zu dieser Zeit soll Raum gegeben werden.

Das Projekt wird mit der Projektion von 90.000 Namen der Opfer des NS-Regimes auf die Wiener Flaktürme vom 6. bis zum 8. Mai 2014 enden. Darüber hinaus ist auch ein zweites Abschlussevent in Planung. Doch  neben der Erinnerung soll auch ein Teil des Projekts bestehen bleiben: Auf der Website des Projekts wird ein digitales Denkmal im Stil der Flakturm-Projektionen installiert. In diesem werden über 80.000 Namen und Symbole für bestimmte Gruppen in zufälliger Anordnung beim Öffnen der Website erscheinen. Anhand einer Vergrößerungsmöglichkeit können hundert Namen auf einmal auf dem Bildschirm betrachtet werden, in dieser Ansicht sind auch Einzelpersonen festzustellen. Bei der Verkleinerung jedoch füllen immer mehr Namen in immer kleinerer Schrift den Bildschirm und symbolisieren so den Verlust von Individualität in einer Zeit der haltlosen Massenvernichtung.

Blog zum „Vienna Project“: http://viennaproject.tumblr.com/

Foto: Kabren Levinson

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

 

progress-online Schwerpunkt: Im Gedenken an das Novemberpogrom 1938

Einmal Palästina und wieder zurück.

Gedenken und Gegenwart

 

 

 

 

Hilfe zur Selbsthilfe: Das Referat für Studien- und Maturant_innenberatung

  • 02.07.2014, 10:50

Das Referat für Studien- und Maturant_innenberatung der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft hat sich zum Ziel gesetzt, Studieneinsteiger_innen bei der Suche nach dem richtigen Studium zu unterstützen.

Das Referat für Studien- und Maturant_innenberatung der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschüler_innenschaft hat sich zum Ziel gesetzt, Studieneinsteiger_innen bei der Suche nach dem richtigen Studium zu unterstützen.

20.000 zu beratende Personen pro Jahr, 342 betreute Schulen, etwa 2000 Studiengänge, die in Österreich angeboten werden: Das Referat für Maturant_innenberatung der ÖH-Bundesvertretung hat es mit großen Zahlen zu tun. „Wir sind ein sehr großes Referat“, erklärt Magdalena Hangel. Die Germanistik-Doktorandin ist Referentin für Maturant_innenberatung, neben ihr arbeiten noch 15 Sachbearbeiter_innen und drei fix Angestellte für das Referat. Alle Mitarbeiter_innen des Referats sind fraktionslos und damit unabhängig von Wahlen im Amt. Ein großer Teil der Arbeit fällt auf den Mailverkehr, der durch die persönliche Beratung von Studienanfänger_innen oder die Kooperation mit Schulen entsteht. Seit 2008 haben sich dabei die Ressourcen des Referats aufgrund einer Kooperation mit dem Bundesministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Forschung und teilweise auch mit dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur nahezu verzehnfacht.

Referentin für Maturant_innenberatung Magdalena Hangel. Foto: Sarah Langoth

Erzählen aus der eigenen Realität

Die Beratung an Schulen ist eine der wichtigsten Aufgaben des Referats. „Wir bieten Beratung an 174 Schulen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland an. Schulen aus den anderen Bundesländern vermitteln wir an die lokalen ÖH-Stellen“, erklärt Magdalena. „Alle österreichischen Schulen bekommen am Beginn des Schuljahres ein E-Mail mit unserem Angebot einer Beratung, welches sie dann in Anspruch nehmen können.“ Dann besuchen vier bis fünf Student_innen möglichst unterschiedlicher Studienrichtungen eine Schule, halten dort einen einstündigen Vortrag vor den siebten und achten Klassen und stehen den Schüler_innen anschließend in Kleingruppen je nach persönlichem Interesse für Fragen zur Verfügung. Es besteht auch die Möglichkeit, dass Lehrer_innen vorab die Interessen ihrer Schüler_innen evaluieren und so gezielt Berater_innen für besonders gefragte Studienrichtungen eingeladen werden können. „Unser großer Pluspunkt ist, dass wir Leute hinschicken können, welche selbst gerade studieren. Es sind keine Psycholog_innen, aber sie können von ihren Erfahrungen erzählen“, beurteilt Magdalena die Situation. „Unser Bildungssystem verändert sich ständig so stark, dass Bildungsberater_innen an den Schulen oft nicht mehr so gut Bescheid wissen. Auch funktioniert Studieren nicht mehr so wie bei Eltern oder älteren Geschwistern.“

Das Interesse der Schulen an dem Beratungsangebot ist hoch, außer sie bieten selbst Alumni-Days an. Wenn die Schulleiter_innen das Angebot der Maturant_innenberatung ablehnen, kann es vorkommen, dass die Schüler_innenvertretung selbst um Beratung ansucht. Der Termin ist für die Schulen frei wählbar, am meisten Nachfrage besteht von November bis Februar. Danach beginnt langsam der Maturastress. Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit, auf der Messe für Beruf, Studium und Weiterbildung eine ÖH-Beratung in Anspruch zu nehmen. Die etwa 60 Studierenden, welche sich als Berater_innen zur Verfügung stellen, arbeiten dabei auf Werkvertragsbasis oder ehrenamtlich für die ÖH.

David Loibl bei der E-Mail-Beratung. Foto: Sarah Langoth

„Die Leute aktivieren“

Neben den Beratungsterminen an Schulen besteht die Möglichkeit, sich von der ÖH persönlich oder per E-Mail, Telefon sowie Skype beraten zu lassen. Sieben Mal drei Stunden pro Woche, Montag, Dienstag und Donnerstag hat das Referat zur Beratung geöffnet. Dienstag Abend kann man eine spezielle Beratung zur Studien- und Berufsreifeprüfung in Anspruch zu nehmen. E-Mails werden meist innerhalb von ein bis zwei Tagen beantwortet. Im Sommer vor Ende der Inskriptionsfrist suchen besonders viele Schüler_innen die Beratungsstelle auf. Magdalena empfiehlt den Schüler_innen, sich bereits in der siebten Klasse Gedanken über die Studienwahl zu machen: „Anmeldefristen wie beispielsweise für den Medizinaufnahmetest sind schon im Februar. In der Schule drücken alle ein Auge zu, wenn man eine Frist verpasst. Wenn man auf der Universität eine Frist verpasst, verliert man im schlimmsten Fall ein ganzes Jahr.“ Dafür soll auch bei den Schulterminen ein Bewusstsein geschaffen werden: „Wir wollen die Leute aktivieren, damit sie sich damit auseinandersetzen: Bis wann muss ich was machen? Fristen, Inskribieren, Aufnahmetests und so weiter“, so Magdalena. Die Menschen, die in die Beratung kommen, sollen vor allem zur Selbsthilfe angeleitet werden. Ihnen soll ein Grundwissen mitgegeben werden, um sich in der österreichischen Hochschullandschaft zu orientieren. „Wir können einen Prozess begleiten und anregen, aber niemandem die Entscheidung, was er oder sie studieren soll, abnehmen“, stellt Johannes Ruland klar. Er ist für das Projekt Studienplattform zuständig.

„Die Website ist sehr niederschwellig, da Studienanfänger_innen sowieso mit Information überschüttet werden“ - Johannes Ruland vom Projekt Studienplattform. Foto: Sarah Langoth

Projekt Studienplattform

Um den Studienanfänger_innen eine Hilfestellung zu geben, das Chaos an Fristen und Terminen und Studiengängen zu überblicken, hat das Referat für Studien- und Maturant_innenberatung im Jahr 2012 die Studienplattform ins Leben gerufen. Darauf sind Informationen zu sämtlichen Studien und Hochschulen in Österreich inklusive der Privatuniversitäten gesammelt und strukturiert. „Die Website ist sehr niederschwellig, da Studienanfänger_innen sowieso mit Information überschüttet werden“, erklärt Johannes. Er selbst befindet sich im Masterstudiengang Soziologie und wird zusätzlich im Herbst an der FH Burgenland Angewandtes Wissensmanagement studieren. „Wir versuchen auch, Begriffe wie Studiengebühren oder Curriculum zu erklären, da hier die verschiedenen Hochschulen oft sehr unterschiedliches Vokabular verwenden“, so Johannes. Auf der Studienplattform sind die Basisinformationen zu jedem Studiengang aufgelistet, weiters die Standorte, an denen dieser Studiengang verfügbar ist, der Studienplan, ein Link zur jeweiligen Studienvertretung und ein kurzer Beschreibungstext. Dort sollen auch Informationen gegeben werden, die auf den ersten Blick möglicherweise nicht ersichtlich werden, etwa spezielle Voraussetzungen.

„Auf der Homepage wird nach Studiengang und nicht nach Hochschule selektiert. Das hat zwar teilweise für Kritik gesorgt, aber so sollen den Leuten neue Möglichkeiten aufgezeigt werden. Der Studiengang sollte Vorrang haben“, erklärt Johannes. „Auch ist inhaltliche Nähe wichtiger als fixe Kategorisierung. Wer Französisch studieren möchte, hat dafür beispielsweise mehrere Möglichkeiten“. Zusätzlich zum Studienangebot gibt es spezielle Links für Studierende mit besonderen Bedürfnissen, wie etwa Studierende mit Kind, nicht-deutscher Erstsprache oder einer Behinderung. In Zusammenarbeit mit dem Referat für Pädagogische Angelegenheiten wurde außerdem eine spezielle Informationsseite für die Lehramtsstudien erstellt, da hier in letzter Zeit viele Änderungen erfolgt sind. Die etwa 200 User_innen, die täglich die Plattform besuchen, haben die Möglichkeit, um eine Verbesserung der Homepage anzusuchen, falls Informationen nicht mehr aktuell sind.

Studieren probieren

Ein weiteres Angebot des Referats ist „Studieren Probieren“. Dabei bieten zweimal pro Semester verschiedene Studierende den Maturant_innen einige Wochen lang die Möglichkeit, sie zu Lehrveranstaltungen aus ihrem Studium zu begleiten. Terminvorschläge werden gesammelt und am 20.Oktober sowie am 20.März online gestellt. „Vorlesungen auf Universitäten sind grundsätzlich öffentlich, aber nicht an Pädagogischen Hochschulen oder Fachhochschulen. Auch Übungen und Seminare sind geschlossen. Mit Studieren probieren kann man Grundlagen-Lehrveranstaltungen mit einer Person besuchen, sich mit dieser danach noch unterhalten und vielleicht sogar in Kontakt bleiben“, erklärt Magdalena. „Im besten Fall stellt man so fest, ob man das Studium mag oder nicht.“ Das Angebot „Studieren probieren“ ist österreichweit, die Projektleitung befindet sich in Wien. „Eine Hochschule stellt sich oft anders dar, als sie Studierende empfinden“, meint Johannes. Magdalena sieht dies besonders im Fall von Tagen der offenen Tür: „Hier wird oft Werbung gemacht, anstatt die Realität abzubilden, besonders auch bei FHs, da diese ja mit den Studierenden etwas verdienen.“

Beratung auch per Telefon. Auf dem Bild: Theresa Kases. Foto: Sarah Langoth

Medizin, Wirtschaft, Jus                                                                        

Magdalena diagnostiziert bei den Schüler_innen eine deutlich stärkere Belastung durch die Frage der Studienwahl als noch vor ein paar Jahren: „Einerseits stehen die Schüler_innen stärker unter Druck, da der Zwang immer stärker wird, bei einem angefangenen Studium zu bleiben. Vor der STEOP und den Aufnahmeverfahren herrscht teilweise wirkliche Angst. Im Fall einer nicht absolvierten STEOP müssen beispielsweise Beihilfen wieder zurückgezahlt werden, weshalb oft gar nicht darum angesucht wird“, erzählt Magdalena aus den Beratungsgesprächen. „Ich finde es schade, dass kein Raum mehr für Fehler gegeben wird. Es besteht keine Möglichkeit mehr, die ersten paar Monate mit Orientierung zu verbringen, weil sonst die Beihilfen wegfallen.“

Auch die Arbeitsmarktorientierung wird Schüler_innen immer stärker bewusst, weshalb die gefragtesten Studien nach wie vor Medizin, Jus und Wirtschaft sind, wo ein klares Berufsbild im Kopf ist. „Oft wird man gefragt: Krieg ich damit einen Job? Aber niemand kann garantieren, wie der Arbeitsmarkt in fünf Jahren aussehen wird“, erklärt Magdalena. Der Appell von ihr und Johannes an die Studienanfänger_innen ist, das zu studieren, was sie interessiert und worin sie sich auszeichnen und nicht auf Arbeitsmarktprognosen oder die Wünsche der Eltern zu hören. „Es wird auch langsam wieder weniger mit dem Durchschleusen durch das Studium“, meint Johannes. „Alles was man einmal studiert hat, ist eine zusätzliche Qualifikation, außerdem sammelt man Lebenserfahrung. Manchmal ist auch ein Auslandsjahr oder ein soziales Jahr eine Möglichkeit.“ Ein wichtiger Aspekt in der Beratung ist auch, Berufsbilder zu außergewöhnlichen Studienrichtungen, wie etwa Orientalistik aufzuzeigen und klarzustellen, dass man beispielsweise auch als Jus-Absolvent_in noch eine Zusatzausbildung braucht, um Richter_in zu werden. Doch trotz aller Hürden ist Magdalenas Appell klar: „Wir möchten junge Menschen zum Studieren motivieren. Das wird von der Politik oft nicht so kommuniziert, aber Studieren ist etwas Gutes!“

http://www.studienplattform.at/

http://studierenprobieren.at/

http://www.oeh.ac.at/organisation/referate/referat-fuer-studien-und-Maturant_innenberatung/

Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Universität Wien.

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