März 2012

Der Drogenkoffer

  • 13.07.2012, 18:18

Cannabis

Der Klassiker. Der Überbegriff Cannabis umfasst alle natürlichen Hanfprodukte, die den psychoaktiven Wirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol) enthalten. Obwohl Haschisch (Hash, Dope, Shit) und Marihuana (Gras, Ganja) von der gleichen weiblichen Hanfpflanze gewonnen werden, ist ihr Aussehen markant unterschiedlich. Während Hash aus dem Harz der Blüten gepresst ist, sollte man bei Marihuana zumindest Bestandteile einer Pflanze erkennen können. Wie oft falsch vermutet, werden nicht allein die charakteristischen Blätter geraucht, sondern die zerriebenen Blüten (buds). Falls mal Knappheit herrscht, können Stängel und kleinere Blätter mitverwendet werden.

Aufnahme: THC kann über die Lungen oder Magenschleimhäute, also oral oder beim Rauchen aufgenommen werden. Vorsicht! Bei oraler Aufnahme wirkt das THC oftmals verstärkt.

Kosten: ca. 10 € / Gramm

Mögliche Wirkung: Unter Einfluss von Cannabis werden Gefühlszustände und Sinneseindrücke verstärkt und das Zeitempfinden wird verändert. Die psychoaktiven Effekte von THC hängen vom Gehalt im konsumierten Cannabis, dem Aufnahmeweg, der Umgebung und der Erfahrung des/r KonsumentIn ab. Oft zur Entspannung eingesetzt, kann Cannabis das Wohlbefinden und die Sensibilität steigern. Es kann ebenfalls zu einer leichten Euphorie, aber auch Halluzinationen führen.

Negative Effekte: Cannabiskonsum hat einen Anstieg der Herz-Lungen-Frequenz sowie die charakteristische Rötung der Augen und die Austrocknung des Mundes zur Folge. Ebenfalls kann es zur Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit (Gedächtnis-, Aufmerksamkeits-, Konzentrationsleistung) kommen. Längerfristig können Aktivitäts-, Interessens- und Motivationsverlust sowie eine gesteigerte Anfälligkeit für Atemwegsbeschwerden eintreten, da die Schädlichkeit eines Joints in etwa der von drei bis fünf Zigaretten entspricht.

Finger weg! Nicht konsumiert werden sollte Cannabis bei Lungenerkrankungen, Herzbeschwerden und Herzerkrankungen, oder bei Ängstlichkeit, Bedrücktheit oder psychischen Problemen.

 

LSD & Magic Mushrooms

Die Bewusstseinsweitung. LSD (Lysergsäurediethylamid) zählt neben verschiedenen Pilzsorten (Magic Mushrooms) zu den Halluzinogenen. LSD ist eine farb-, geschmack-, und geruchlose Flüssigkeit und wird auf Löschpapier, (Mikro-)Tabletten oder Kapseln vertrieben. Mushrooms hingegen sind ausgewählte Pilze der Gattung Psilocybe, Panaelous oder Conocybe, die Psilocybin und Psilocin enthalten.

Aufnahme: Da LSD im Mikrogrammbereich bereits eine hohe Wirksamkeit hat, wird es in minimalen Mengen geträufelt oral konsumiert. Pilze hingegen können getrocknet oder frisch gegessen werden. Vorsicht! Getrocknet wirken Pilze erheblich stärker.

Kosten: Pilze: ca. 10 € / Stück, LSD: ca. 20 bis 60€ / Trip

Mögliche Wirkung: Die Wirkung von LSD setzt nach 30 bis 90 Minuten ein und dauert bis zu 12 Stunden. Bei Pilzen reduziert sich die Dauer der Wirkung auf die Hälfte. Durch die extreme Veränderung des Zeitempfindens kann eine Stunde jedoch als ein Tag oder sogar eine Woche empfunden werden. Zusätzlich werden Stimmungen verstärkt und verändert, Unbewusstes und Vergessenes kann erneut und verändert erlebt werden. Sinneswahrnehmungen werden intensiviert, z.B.: Man hört Farben und schmeckt Töne. Die Wirkung von Halluzinogenen kann eher als eine Reise als ein Zustand verstanden werden. Danach sollte genug Zeit für eine Auseinandersetzung mit dem Erlebten eingeräumt werden.

Negative Effekte: Physisch können eine Erhöhung der Körpertemperatur, Schwindel und Herz-, Atem- und Kreislaufbeschwerden auftreten. Besonders bei (frischen) Pilzen auf vollen Magen kann es zu Übelkeit und Erbrechen kommen. Halluzinogene verändern stark Raum-, Zeit- und Selbstwahrnehmung. Zusätzliche (Pseudo-)Halluzinationen können durch eine erschwerte Unterscheidung von Fantasiewelt und Realität zu „Bad Trips“ führen. Große Angst, Panik und Paranoia sind die Folge. Hier kann Traubenzucker oder Orangensaft helfen. Auch nach Tagen oder Wochen sind erneute sogenannte „Flashbacks“ möglich.

Finger weg! Von einer Einnahme in lauten, menschenvollen und lichtintensiven Umgebungen wird abgeraten. Bei Herzkreislauferkrankungen oder psychischen Problemen sowie bei bestehender Angst vor einem Trip verzichte auf Halluzinogene!

Speed & Ecstasy

Der Motivator. Speed ist ein vollsynthetisch hergestelltes Amphetamin. Ecstasy, also verschiedene Amphetaminderivate (MDMA, MDA, MDE, MBDB), kommt durch kleine, jeweils unterschiedliche Abweichungen in der Molekülstruktur von Amphetamin zustande. Früher alltäglich als Therapiemedikament verschrieben, ist Amphetamin heute verboten. Minimal verändertes Amphetamin (Ritalin) ist jedoch immer noch in Verwendung, z.B. bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS. Ecstasy und Speed sind als Pulver bekannt. Ersteres kommt auch in Form von Tabletten oder Kapseln vor.

Aufnahme: Beide Drogen nimmt man oral (geschluckt) oder nasal (geschnupft) auf. Speed wird in viel selteneren Fällen auch geraucht oder injiziert. Vorsicht! Kristallines Speed und Amphetaminderivate sind reiner und dadurch auch stärker.

Kosten: Ecstasy: ca. 10€ / Kapsel oder Tablette, Speed: ca. 10€ / Gramm

Mögliche Wirkung: Da Amphetamin ein Stimulans ist, bewirkt es im Gehirn eine vermehrte Freisetzung von Adrenalin und Dopamin. Bei Ecstasy wird vermehrt Serotonin freigesetzt. Speed und Amphetaminderivate erzeugen einen Zustand gesteigerter Wachheit, Unbeschwertheit, erhöhter Leistungsfähigkeit und Konzentration. Während Speed zur Selbstüberschätzung führt, verstärkt MDMA besonders die emphatische Empfindung.

Negative Effekte: Körperliche Nebeneffekte sind verspannte Kiefer und Zähneknirschen sowie Mundtrockenheit und ein Anstieg der Körpertemperatur, des Blutdrucks und der Herzfrequenz. Besonders belastet werden Nieren, Leber und Herz. Auf psychischer Ebene kann es auch zu Angstzuständen, im Fall von Speed auch zu Aggression und Reizbarkeit kommen. Besonders das „Runterkommen“ kann begleitet sein von Schlafstörungen, Depression und Erschöpfung. Hier sollten leichte Speisen (Obst) und Vitamine sowie genug Flüssigkeit zugeführt werden. Nur ein Drittel der geprüften Stoffe enthalten wirklich Amphetamin oder -derivate.

Finger weg! Bei Herz-Kreislauf-, Leber-Nieren- und psychischen Problemen als auch bei Epilepsie, Bluthochdruck und Unruhe oder Angst. Alle angeführten Drogen unterliegen dem österreichischen Suchtmittelgesetz. Jede dieser Drogen wirkt auf jeden Menschen unterschiedlich!

Quelle: Verein ChEck iT! – Kompetenzzentrum für Freizeitdrogen

Be aware!

  • 13.07.2012, 18:18

Die anonyme Band Notic Nastic (D, USA) ermutigt ihr Publikum, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Dass dies keinesfalls leise und spaßlos passieren muss, beweisen ihre Live Shows. PROGRESS sprach mit der Frontfrau und Sängerin über Freiheit, Pop und Tubas.

Die anonyme Band Notic Nastic (D, USA) ermutigt ihr Publikum, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Dass dies keinesfalls leise und spaßlos passieren muss, beweisen ihre Live Shows. PROGRESS sprach mit der Frontfrau und Sängerin über Freiheit, Pop und Tubas.

PROGRESS: Wie kam es zur Entstehung von Notic Nastic?

NOTIC NASTIC: Es fing mit dem Gedanken an, dass es Spaß machen würde, in einer Band zu sein. Was anfangs ein Musikprojekt war, entwickelte sich zügig zu einer Band. Mit der Zeit fingen wir an darüber nachzudenken, wie wir als KünstlerInnen unsere Lebensphilosophie besser in das Projekt integrieren können, um Menschen zu erreichen und vielleicht auch eine Botschaft rüberzubringen. Wir sind für ethische Mode, und unser neues Album „Fullscreen“, steht dafür, die Augen aufzumachen.

Wie funktioniert die Symbiose aus elektronischer Musik und politischer Botschaft?

Wir sehen uns selbst nicht als elektronische Band. Es war eher Zufall, dass wir uns in der elektronischen Musik wiederfanden, weil wir ProduzentInnen sind und wir im technischen Sinne wussten, wie das funktioniert. Ursprünglich hab ich Tuba spielen gelernt, aber ich hab nicht wirklich eine Möglichkeit gesehen, damit junge Leute zu erreichen. Für den Weg, den ich gehen wollte, war elektronische Musik einfach passender. Unsere Musik hat eine Message. Mein Ziel ist nicht, den elektronischen Musikgurus auf Weltniveau zu imponieren.

Freiheit ist großes Thema bei Notic Nastic. Was ist für dich Freiheit?

Ich denke Freiheit ist zu einem Großteil, zu verstehen, wie viel Manipulation wir in dieser Welt ausgesetzt sind. Wir werden ständig von Bildern bombardiert. Als ich jünger war, habe ich nicht wirklich realisiert, wie viele von den Dingen, die ich gesagt und getan habe, von äußeren Einflüssen geformt waren. Aber ich habe angefangen, darüber nachzudenken und habe bemerkt, dass ein beträchtlicher Teil meiner Persönlichkeit nicht unbedingt durch meine freie Wahl entstanden ist. Ich denke Freiheit bedeutet einfach, das zu verstehen und bewusst zu entscheiden, was ich unterstützen will.

Ab in den Osten

  • 13.07.2012, 18:18

Rumänien ist für viele noch immer akademisches Niemandsland. Dennoch steigt die Zahl angehender MedizinstudentInnen, die es in die Universitätsstadt Temeswar zieht. Weit entfernt vom Massenbetrieb bildet die Hochschule praxisnah aus.

Rumänien ist für viele noch immer akademisches Niemandsland. Dennoch steigt die Zahl angehender MedizinstudentInnen, die es in die Universitätsstadt Temeswar zieht. Weit entfernt vom Massenbetrieb bildet die Hochschule praxisnah aus.

Was sie einmal werden will, wusste Laura Bogdan schon von klein an. „Medizinerin!“, schießt es aus der heute 24-Jährigen heraus. Doch die Tochter eines Zahnarztes verpasste die Anmeldung für den Eignungstest der österreichischen Medizinuniversitäten in Wien, Graz und Innsbruck. Ein Jahr warten und auf gut Glück an der Seite von 11.000 weiteren Studieninteressierten den Eignungstest durchackern? Das kam für die Klagenfurterin mit deutsch-rumänischen Wurzeln nicht in Frage; sie wollte sofort loslegen. Also suchte sie sich eine Studienstadt im Ausland und landete in ihrer Wahlheimat: Rumänien.

Akademisches Niemandsland. Dass das Land am Rande der Europäischen Union jahrelang als akademisches Niemandsland galt, reizte sie erst recht: „Es gibt sehr viele RumänInnen, die hart, viel und gut im Ausland arbeiten, nur leider wird darüber nichts berichtet.“ Rumänien ist weder für kosmopolitisches Flair, noch für einen gehobenen Lebensstil berühmt. Nach wie vor verbinden die meisten ÖsterreicherInnen mit dem Land Armut, Korruption und technische Rückständigkeit. „Wenn du dort aus einem Auto aussteigst, droht dir sicher jemand mit der Waffe. Viele Autos kann es dort ja nicht geben, mehr Pferdekutschen, oder? Solche und ähnliche Sätze muss ich mir anhören, wenn ich von meinem Studienort erzähle“, so Laura trocken. Sie ist es leid, sich für ihren Studienort rechtfertigen zu müssen. Viel lieber spricht sie über die 300.000-EinwohnerInnen-Stadt im Westen Rumäniens, Temeswar, als ihre Schule des Lebens, über die engagierten ProfessorInnen und erzählt, dass man sich untereinander kennt. „Ich nenne Temeswar gern meinen Dschungel, weil hier vieles so anders ist als im Westen.“
Temeswar ist neben Klausenburg (Cluj) in Siebenbürgen und der Hauptstadt Bukarest die beliebteste Stadt für ein Auslandsstudium in Rumänien. Mittlerweile gibt es bereits 70 Studiengänge in deutscher Sprache, darunter Journalistik, Europawissenschaften und Betriebswirtschaft. Laura, die bereits im achten Semester ist, studiert zusammen mit überschaubaren 1.500 KomilitonInnen an den drei Fakultäten Humanmedizin, Zahnmedizin und Pharmazie. Fast zwei Drittel davon hat es aus aller Welt in die alte mehrsprachige Kulturstadt gezogen, deren drei offizielle Namen von ihrer wechselvollen Geschichte zeugen: Timişoara (rumänisch), Temesvár (ungarisch) und Temeswar oder Temeschwar (deutsch). Das noch bestehende deutsche und ungarische Staatstheater inmitten der Stadt zeugt von ihrer K.u.k.-Vergangenheit. Und aufgrund ihrer optischen und geografischen Nähe zu Wien wurde Temeswar auch immer wieder „Klein-Wien“ genannt.

Vielsprachiges Angebot. Seit 1997 wird hier das Medizinstudium auf Englisch oder Französisch angeboten. Nur ein paar hundert Studierende kommen laut Andrei Motoc, Vizedekan an der Medizinischen Fakultät, aus Deutschland oder Österreich. „Aber es werden immer mehr. Wir überlegen uns auch schon seit geraumer Zeit, Medizin auch in Deutsch anzubieten. Zurzeit wählen die meisten ausländischen Studierenden Französisch als Unterrichtssprache“, sagt Motoc und fügt hinzu: „Und zwar deswegen, weil MarokkanerInnen und TunesierInnen hier am öftesten studieren.“ Der weltgewandte Mann mit dem schwarzen sauber gestutzten Schnauzer und den dunklen Augen sitzt in seinem dezent eingerichteten Büro an der medizinischen Fakultät und erzählt stolz von seinen AbsolventInnen, die nun in den Metropolen der Welt arbeiten. „Das, was das Studium hier so besonders macht, ist die frühe Praxis. Bereits im zweiten Jahr müssen StudentInnen ihr Wissen an den PatientInnen anwenden. Egal, ob sie Rumänisch sprechen oder nicht“, sagt Motoc und fügt hinzu: „PatientInnen sind es hier gewohnt, sich zehn Mal am Tag die Leber von StudentInnen abtasten zu lassen.“
Auch Laura hat schon Blutabnahmen bei Kindern und etliche Krankenhausdienste hinter sich. Mittlerweile ist ihr klares Ziel, einmal Kinderärztin zu werden. „Mit denen ist es viel lustiger. Man muss sie zum Lachen bringen, das ist das Wichtigste.“ Seit Dezember 2010 leitet sie das Projekt „Volunteers for rare diseases“ für „Save the children“ in Rumänien. Dass sie so viel machen kann, verdanke sie vor allem „den tollen ProfessorInnen. Hier kann man viel erarbeiten, wenn man ehrgeizig ist.“
Jede Woche verbringt sie mit anderen Freiwilligen Zeit auf der Kinderstation der Neuropsychiatrie in Temeswar – spielt, lernt und malt mit den jungen PatientInnen. Manchmal sammelt sie auch Geldspenden in Klagenfurt, um Spielzeug zu kaufen oder organisiert Veranstaltungen mit Clowns oder GesichtsmalerInnen im Krankenhaus, um auf die Bedürfnisse der Kinder aufmerksam zu machen. Dass Laura sich hier wohl fühlt, ist nicht zu übersehen.

Höhere Gebühren für AusländerInnen. Doch auch Rumänien hat seinen Preis. Rund 2.000 Euro Studiengebühren zahlen ausländische Studierende pro Semester, obwohl Rumänien von Brüssel dazu angehalten wird, einheimische und ausländische StudentInnen gleichzustellen, so wie es in der EU üblich ist. Vielleicht versucht Rumänien seine – angesichts der Finanzkrise – gebeutelte Lage zu stabilisieren; LehrerInnen und ProfessorInnen mussten sich ihr ohnehin bescheidenes Gehalt um 25 Prozent kürzen lassen, vielerorts sticht auch in der Region um Temeswar noch die Armut ins Auge.
„Also mir gefällt es hier sehr gut. Man muss es im Verhältnis sehen, im Gegenzug gibt es keine Aufnahmeprüfung und die Lebenskosten sind hier äußerst gering“, sagt Laura. Aber auch sie wird nach dem Studium in Österreich oder Deutschland als Assistenzärztin
arbeiten. Hier würde sie einem mageren Lohn von 300 Euro ins Auge sehen; in Deutschland wird sie mit 3.700 Euro mehr als das Zehnfache verdienen. „So gut es mir hier gefällt, ich kann und will nicht weitere fünf Jahre von meinen Eltern Geld verlangen.“

 

Feministisch Schmökern

  • 13.07.2012, 18:18

Wien hat wieder eine feministische Buchhandlung. Zu Gast bei den Betreiberinnen zu einem Gespräch über Literatur, das Teilen der Macht und Österreichs kleine, aber feine feministische Szene.

Wien hat wieder eine feministische Buchhandlung. Zu Gast bei den Betreiberinnen zu einem Gespräch über Literatur, das Teilen der Macht und Österreichs kleine, aber feine feministische Szene.

Vor fünf Jahren hat die Buchhandlung Frauenzimmer zugesperrt. Im vergangenen Jahr ist die Zeitschrift AUF zum letzten Mal erschienen – doch wer fürchtet, die feministische Szene in Wien werde bald ganz verschwinden, darf aufatmen: Seit Anfang 2012 residiert die feministische Buchhandlung ChickLit in der Kleeblattgasse im ersten Bezirk – just in den ehemaligen AUF-Redaktionsräumen.

Roman-Schwerpunkt und Webshop. Lesbenromane und Krimis – der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Roman-Seite, doch es gibt auch Literatur zur Frauenbewegung und -geschichte, Kinder- und Jugendbücher und solche zu feministischer Ökonomiekritik. Neben einem eigenen Webshop (derzeit noch im Entstehen) soll es eine Abteilung zu Wissenschafterinnen geben, die in und um Wien forschen.
Betrieben wird ChickLit vom AUF-Verein, der 31 Jahre lang die gleichnamige feministische Zeitschrift herausgegeben hat. Eva Geber hat jahrzehntelang als Redakteurin mitgearbeitet. Die 70-jährige Journalistin und Buchautorin berichtet, der feministische Aktivismus habe sich in den vergangenen Jahrzehnten quasi von der Straße hinter den Schreibtisch verlagert, und sagt: „Früher haben sich viele nicht getraut, zu sagen ‚Ich bin Feministin‘.“
Heute kann man sich trauen. Doch viele junge Frauen distanzieren sich davon, Feministinnen zu sein – dabei gäbe es noch viel zu tun: Die auseinanderklaffende ökonomische Schere oder Jobs von Frauen, die in Zeiten der Krise als erstes wackeln. Wie lange es dauert, bis sich etwas ändert, ist auch in der Literatur nachzulesen. „Wir müssen uns noch immer mit diesem blöden Thema beschäftigen“, das in Zeitschriften von 1790 ebenso zu finden ist wie in „Stadt der Frauen“ von Christine de Pizan aus dem 15. Jahrhundert. „Es dauert, es ist unfassbar. Die Macht wird nicht abgegeben oder geteilt“, sagt Geber. „Wir sind ja gar nicht so böse!“
Wahrlich nicht. Jenny Unger und Paula Bolyos – zwei Frauen Anfang 30 – schmeißen den Buchladen mit Charme und Humor. Und wenn Paula anfängt, Buchtipps zu geben, ist sie schwer zu bremsen (siehe unten). Für Jenny ist ChickLit ein Raum, der es ermöglicht, selbst wieder nach Büchern zu stöbern; denn das Internet stellt für sie keine Alternative dar: „Ich brauche jemanden, der eine Vorauswahl getroffen hat“, und fügt lachend hinzu: „Jetzt sucht Paula die Bücher raus, und ich lese sie dann.“

Obwohl die feministische Szene in Wien verschwindend klein ist, gibt es vergleichsweise viele feministische AutorInnen. Geber erinnert das an die „hundeschlechte“ Presselandschaft – doch in Kontrast dazu habe es immer außergewöhnlich viele feministische Zeitschriften gegeben, um die sie von Freundinnen aus dem Ausland beneidet wurde. Männer sind in der Kleeblattgasse übrigens genauso willkommen: „Wir wollen natürlich, dass Männer kommen und sich weiterbilden“, sagt Paula und Geber fügt hinzu: „Außer sie reden blöd, dann fliegen sie gleich wieder raus.“    

Buchtipps:

„Engel des Vergessens“ von Maja Haderlap (Bachmann-Preisträgerin 2011) – eine Familiengeschichte über die Kärntner SlowenInnen. Michelle Tea, eine queer-feministische Schreiberin aus den USA. Der autobiografische Roman „Der Boden unter meinen Füßen“ von Eva Kollisch, die 1939 als 14-Jährige nach Großbritannien flüchten musste. Katharina Tiwald, eine junge burgenländische Autorin. Von Sara Dreher stammt die sympathische lesbische Privatdetektivin Stoner MacTavish. Audre Lorde, eine feministische, schwarze, lesbische Aktivistin und Autorin aus den USA. Graphic Novels und Comics von Ulli Lust.

 

Studieren gegen die Uhr

  • 13.07.2012, 18:18

Schon vor Jahren wurden fast alle Diplomstudien auf Bachelor und Master umgestellt. Für Studierende, die doch noch im Diplom begonnen haben, tickt nun die Uhr: Ihre Studienpläne laufen jetzt endgültig aus.

Schon vor Jahren wurden fast alle Diplomstudien auf Bachelor und Master umgestellt. Für Studierende, die doch noch im Diplom begonnen haben, tickt nun die Uhr: Ihre Studienpläne laufen jetzt endgültig aus.

Anna Schwab* hat Angst. Angst davor, dass sie mit ihrer fertigen Diplomarbeit ganz am Ende nochmal zurück an den Anfang geworfen wird. Sie ist 25 Jahre alt und studiert Pädagogik „auf Diplom“, also nach dem alten Studienplan, an der Universität Wien. 100 Seiten hat ihre Arbeit bereits, 30 sollen noch dazukommen. In einem Monat will sie die wissenschaftliche Abschlussarbeit abgeben. Bis heute arbeitet sie ins Blaue hinein: „Ich kriege so wenige Rückmeldungen, dass ich nicht weiß, wo ich stehe.“ Ihre Diplomarbeitsbetreuerin ist zwar bemüht, hat aber einfach keine Zeit für intensive Betreuung. Von Anna Schwabs fast fertiger Diplomarbeit hat die Professorin noch keine Zeile gelesen. Es sind zu viele Studierende für zu wenig Lehrende: Alleine auf der Pädagogik wollen heuer noch 650 Studentinnen und Studenten abschließen. Anna Schwab sagt: „Ich fühle mich alleine gelassen. Ich habe Angst, dass das Feedback zu spät kommt und ich die Änderungen nicht mehr rechtzeitig einarbeiten kann.“ Dann müsste sie in den neuen Studienplan umsteigen und noch einige Lehrveranstaltung zusätzlich absolvieren.

Plötzliches Ende? Am 30. November 2012 ist es zu spät. Im neuen Bachelor-Studienplan der Pädagogik heißt es auf amtsdeutsch: „Studierende, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Curriculums in einen vor Erlassung dieses Curriculums gültigen Studienplan unterstellt waren, sind berechtigt, ihr Diplomstudium der Pädagogik bis zum 30.11.2012 abzuschließen.“ Das heißt: Alle Lehrveranstaltungen, die Diplomarbeit sowie die kommissionelle Diplomprüfung müssen bis dahin absolviert sein. Wer die Diplomprüfung beim ersten Mal verhaut, hat eigentlich noch drei weitere Chancen. Anna Schwab darf sich nicht so viele Fehltritte erlauben: Die Universität Wien garantiert die vier Prüfungsantritte nur, wenn die Abschlussarbeit bereits im Jänner 2012 eingereicht wurde.
Prinzipiell ist das Ende des Diplomstudiums schon lange bekannt. Das Ablaufdatum der alten Diplomstudien konnten alle Studierenden in den neuen Bachelorstudienplänen nachlesen: Seit 2007 im Fall der Pädagogik bzw. Bildungswissenschaft. Sie wussten, bis wann sie mit dem Diplom fertig werden müssen und hätten jederzeit in den aktuellen Bachelor- oder Masterstudienplan umsteigen können. Die absolvierten Lehrveranstaltungen werden beim Umstieg meistens kulant für den neuen Studienplan angerechnet. Trotzdem haben es sehr viele Studentinnen und Studenten an der Universität Wien vorgezogen im Diplom zu bleiben. Warum?

Option Umstieg. Raphaela Blaßnig hat es sich nie überlegt. Die Pädagogikstudentin schreibt jeden Tag im Lesesaal der Universitätsbibliothek an ihrer Diplomarbeit. „Ich bin keine Bachelor-Freundin: Es ist mir zu schulisch aufgebaut, zu wenig frei, zu wenig Entscheidungen, zu wenig Bildung um ihrer selbst willen“, sagt die 25 jährige Studentin. Es mache Sinn länger zu studieren – für die Selbsterfahrung und die allgemeine Bildung. Schlussendlich aber auch, um am Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben. In die selbe Kerbe schlägt der baldige Politikwissenschafts-Magister Michael Wögerer. Der 30-jährige war immer nur zur Hälfte Student. Die andere Hälfte der Zeit hat er mit Arbeit und politischem Engagement verbracht. In der kleinen niederösterreichischen Gemeinde Winklarn war er einst der jüngste Gemeinderat. „Gerade bei einem Studium wie Politikwissenschaft sagen sie einem durch die Bank, man solle sich nicht nur auf das Fach konzentrieren. Es ist sicher kein Problem, das Studium in der Frist zu schaffen. Aber du hast keine Chance am Arbeitsmarkt, wenn du dich nicht vorher umgesehen hast“, sagt Wögerer. In Studienrichtungen ohne ein konkretes Berufsbild ist es wichtig, Erfahrungen zu sammeln, eigene Interessen zu entwickeln und sich mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Wer sich rein auf sein Fach konzentriert, tut sich danach noch schwerer im Kampf um die Jobs.

Problemfall Uni Wien. Wie viele Studenten und Studentinnen noch in einem auslaufenden Diplomstudien studieren, weiß man nicht. Die Sprecherin des Rektorats der Universität Wien geht von 15.000 Studierenden aus, die in diesem und dem nächsten Jahr ihr Studium abschließen müssen. Wie viele es genau sind, kann die Universität Wien auch nach mehrmaligem Nachfragen des PROGRESS

nicht sagen. Jedenfalls müssen Diplomstudierende aus 33 Studienrichtungen 2012 und 2013 abschließen. Der große Zeitdruck für die Studierenden und Mehrbelastungen für die Lehrenden sind aber hausgemacht: An keiner anderen Universität oder Hochschule in Österreich gibt es solch massive Probleme. Die Universität Wien hat sich bei der Befristung der Diplomstudien an der Mindeststudienzeit plus zwei Extra-Semestern orientiert – also im Regelfall zehn Semester. Dass der Durchschnitt aber 13,3 Semester bis zum Diplom braucht, wollten die Vorsitzenden der zuständigen Stellen im Senat nicht gelten lassen.

In vielen Studienrichtungen haben Studierende und Lehrende Initiativen gesetzt, um die Frist zur Beendigung des Diplomstudiums zu verlängern. An der Uni Wien bisher stets erfolglos. „Die Leute im Diplomstudium sollen fertig machen dürfen. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso man ihnen da Steine in den Weg legt“, fragt sich Michael Wögerer. Sein Vorschlag lautet: „Alle, die den ersten Studienabschnitt abgeschlossen haben, dürfen das Diplomstudium noch fertig machen.“ Die Umsetzung für die Universität wäre ein Leichtes: Alter und neuer Studienplan kosten gleich viel und mittels Äquivalenzlisten – die gleichwertige Lehrveranstaltungen für das BA/MA und das Diplomsystem ausschildern – hat es auch bisher bestens funktioniert, beide Systeme parallel laufen zu lassen. Die Universität für Bodenkultur war jedenfalls toleranter. Insgesamt 16 Semester wurden dort beispielsweise den Diplomstudierenden des Fachs Lebensmittel- und Biotechnologie Zeit gegeben. Auch eine Verlängerung der Frist war dort im Gegensatz zur Uni Wien kein Ding der Unmöglichkeit: Die Auslauffrist des Diplomstudiums Kulturtechnik und Wasserwirtschaft wurde im Nachhinein um ein Jahr verlängert.

Genau weiß die Universität Wien nicht, was in den nächsten Monaten auf sie zukommt. Die Dekanin der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft, Ines Maria Breinbauer, fühlt sich aber organisatorisch gut gerüstet: „Ich versuche, es so gut es geht aufzufangen. Ich kann aber nicht garantieren, dass es gelingt. Probleme gibt es dann, wenn irgendwer krank wird oder ausfällt.“ Allein 650 Studierende der Pädagogik arbeiten daran, noch heuer fertig zu werden. Mit zusätzlichem Geld aus dem Wissenschaftsministerium will die Uni Wien die angespannte Lage verbessern: „In auslaufenden Diplomstudien, in denen noch viele Abschlussarbeiten anstehen, werden Gastprofessuren zur Unterstützung der DiplomandInnen eingesetzt, um Betreuungsengpässen entgegenzuwirken“, sagt eine Sprecherin der Uni Wien.

„Diese Professoren und Pofessorinnen kommen mit März 2012 zu spät“, kritisiert der Studienvertreter der Vergleichenden Literaturwissenschaft Andreas Maier, der eigentlich auch sein Diplomstudium noch abschließen wollte. „Aber ich müsste mein ganzes politisches Engagement in der ÖH sein lassen oder die Diplomarbeit wird nicht fertig“, sagt der Student im elften Semester. Ein halbjähriges Auslandspraktikum in Ankara, die Zusatzausbildung „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ und das Engagement als Studienvertreter kosten zu viel Zeit. Statt seine komplette Aufmerksamkeit der Diplomarbeit zu widmen, wird er in das Masterstudium wechseln: Zehn absolvierte Lehrveranstaltungen sind damit quasi umsonst, weil sie nicht anrechenbar sind. Außerdem braucht er dadurch ein Jahr länger bis zum Abschluss.

Während am Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft noch ein Jahr Zeit ist, hat die Politikwissenschaft der Uni Wien den Diplomarbeitsmarathon schon hinter sich. Wer vor dem 30. April – und damit das Diplomstudium – abschließen will, musste am 31. Jänner die Diplomarbeit einreichen. Stundenlanges Warten, überforderte BetreuerInnen, das Versagen der elektronischen Plagiatsprüfung und Frust bei allen Beteiligten waren die Folge. „Den Unmut bekommen die an der Basis zu spüren, nicht die Oberen, die das entschieden haben“, ärgert sich Michael Wögerer. Auch die Ellenbogenmentalität unter den Studierenden habe in den letzten Monaten zugenommen, hat er beobachtet: „Durch den großen Druck hat keiner mehr Ressourcen, um anderen zu helfen.“

Harte Monate.Schon unter normalen Bedingungen ist das Leben für Studierende nicht einfach, in einer solchen Drucksituation geht es aber an das Eingemachte. Ohne die finanzielle Unterstützung der Eltern würde die Studienbeihilfebezieherin Raphaela Blaßnig die Diplomarbeit nicht fristgerecht schaffen. Ihr Arbeitsleben als Outdoortrainerin bei Schulprojektwochen ist im Moment gestrichen. Auch Michael Wögerer hat einige harte Monate hinter sich, aber für ihn persönlich hatte die nahende Frist auch eine positive Auswirkung: Es motivierte. „So kann man die Diplomarbeit nicht mehr hinausschieben. Einen 10-Stunden-Schreib-Marathon macht man ohne Druck einfach nicht“, sagt er, und gibt zu bedenken: „Der enorme Stress war sicher nicht gesund. Ich war noch nie so oft krank wie in diesem Jahr.“

*Da die Diplomprüfung noch bevorsteht, wurde der Name von der Redaktion geändert.

Gesichter der STEOP

  • 13.07.2012, 18:18

Mit der Begründung, StudienanfängerInnen einen Einblick in ihr Studium geben zu wollen, wurde im Wintersemester 2011/12 die Studieneingangsphase (STEOP) verschärft und verpflichtend am Anfang des Studiums an allen österreichischen universitäten eingeführt. Wieviel dieser Einblick gebracht hat, erzählen drei STEOP-Prüflinge.

Mit der Begründung, StudienanfängerInnen einen Einblick in ihr Studium geben zu wollen, wurde im Wintersemester 2011/12 die Studieneingangsphase (STEOP) verschärft und verpflichtend am Anfang des Studiums an allen österreichischen universitäten eingeführt. Wieviel dieser Einblick gebracht hat, erzählen drei STEOP-Prüflinge.

Seit dem Wintersemester 2011/12 gibt es an allen österreichischen Universitäten eine verpflichtende Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP). Die Umsetzung dieser wird allerdings nicht einheitlich gehandhabt. So kommt es vor, dass den StudienanfängerInnen an fast allen Wiener Unis sowie in Graz, Klagenfurt, Salzburg und Leoben drei Prüfungsantritte pro STEOP-Prüfung zugestanden werden, während die Uni Linz und Uni Wien eine rigorose Umsetzung mit nur zwei Antritten beschlossen haben. Meist sind die Prüfungen, die man innerhalb der STEOP absolvieren muss, klar vorgeschrieben, vereinzelt können die StudienanfängerInnen wählen. Immer aber kann man mit negativ absolvierter STEOP keine anderen Lehrveranstaltungen abschließen, was nun viele Studierende vor immense Beihilfen- oder Stipendienprobleme stellt.

Alexandra, Johanna und Stefan erzählen dem PROGRESS ihre Geschichte:

 

Foto: Johanna Rauch

„Es sind nur 26 Leute angetreten“

Die Linzerin Johanna Mayr (18) studiert Mathematik im Bachelor an der Karl Franzens Universität in Graz:

„Meine STEOP besteht aus einer Orientierungslehrveranstaltung und einer Vorlesung zu Linearer Algebra, insgesamt ist sie 6,5 ECTS wert. Neben den Leuten aus dem ersten Semester, die den Mathe-Bachelor angefangen haben, sitzen da auch die Lehramtsleute aus dem dritten Semester drinnen. Es ist also vielleicht nicht die beste Idee, gerade diese Vorlesung in eine STEOP reinzupacken. Ich finde, sie war relativ schwierig.

Die Prüfung sieht so aus, dass es zuerst einen schriftlichen Teil gibt, und erst, wenn du den bestehst, darfst du zur mündlichen Prüfung antreten. Bei der schriftlichen Prüfung hat es drei Fragen gegeben, wobei wir die erste so nie durchgemacht haben. Zu der Prüfung sind nur 26 Leute angetreten, weil sie als so schwierig gilt. 14 Leute haben 8,5 Punkte und dürfen zur mündlichen Prüfung antreten, zwölf haben weniger. Ich hab 8,5 Punkte und darf antreten. Ich habe mir in der Schule recht leicht getan mit dem Lernen, mein Maturazeugnis hat einen 1,0-Schnitt. Aber für die Uni muss ich viel mehr lernen, und viele sind die anderen Prüfungsmodalitäten auch noch nicht gewöhnt. Mathe in der Schule und Mathe auf der Uni sind halt zwei ganz verschiedene Dinge. Zum Glück werde ich auch finanziell von meinen Eltern unterstützt. Wenn ich nebenbei 20 Stunden die Woche arbeiten müsste, wäre sich das mit der STEOP nie ausgegangen.

Ich würde die STEOP abschaffen, was sonst? Sie hat überhaupt nicht zu meiner Orientierung beigetragen. Ich finde das nicht sinnvoll, weil es nur Stress schafft. In Graz hat man zwei normale Antritte und der dritte ist kommissionell. Wenn ich weiß, ich hab jetzt zwei Antritte und dann sitz ich vor der Kommission, dann glaub ich nicht, dass man da gut rausfinden kann, ob das das richtige Studium für einen ist. Wie soll eine Prüfung darüber entscheiden? Die meisten Leute kommen direkt von der Schule oder nach dem Zivi, und die sind schon generell von der Abstraktion am Anfang überfordert.“

 

Foto: Johanna Rauch

„Es ist eine Selektionsphase“

Stefan Kastel ist Mitbegründer der Stop-STEOP-Bewegung in Wien und wollte Deutsch und Geschichte auf Lehramt studieren:

„Ich hab mir nach der Schule überlegt, welchen Beruf es gibt, wo ich mit Menschen in Kontakt kommen kann und anderen helfen kann. Das war dann der Lehrerberuf, und da bin ich auch mit viel Begeisterung an die Sache rangegangen. Mit der STEOP ist das dann immer weniger geworden. Ich wollte Deutsch- und Geschichtelehrer werden, und habe auch in beiden Fächern alle Prüfungen und Übungen positiv absolviert. Nur die Pädagogikprüfung, die hab ich verhaut. Die Pädagogikprüfung ist für alle, die Lehramt studieren wollen, gleich. Das war ein Single Choice Test. Da sind die meisten gescheitert, ich denke, ein paar hundert.

Diese Prüfung sagt überhaupt nichts darüber aus, ob du als Lehrer geeignet bist oder nicht. Aus der Sicht von vielen waren bei den Fragestellungen mehrere Antworten möglich, das war teilweise einfach nur realitätsfremd. Eine Frage war zum Beispiel: ‚Was ist ein symbolhaftes Tier für den Unterricht?“ Esel wär‘s gewesen, keine Ahnung. Das Problem ist aber sowieso eher grundsätzlich: Bei einem Test mit 40 Fragen kannst du nicht herausfiltern, ob du für den Beruf geeignet bist oder nicht. Aber das interessiert die Uni anscheinend nicht. Meine Erwartungen waren, dass es zuerst mal die Möglichkeit gibt, sich wirklich zu orientieren, genug Zeit für sich selber zu haben, und he- rauszufinden, was wichtig ist fürs Studium. In der Realität war es dann so, dass sie uns in der zweiten Woche gesagt haben: ‚Ihr habt zwei Antritte, dann fliegt ihr raus.‘ Vom Stress her war das sicherlich wesentlich mehr als bei der Matura.

Die Stimmung im Studium war einfach nur angepisst. Alle haben sich das anders vorgestellt, orientierungsmäßiger, ruhiger, und nicht so zukunftsabhängig. Die Studieneingangs- und Orientierungsphase soll ihrem Namen gerecht werden, jetzt ist das eine Selektionsphase. Ich glaube, es wurde gezielt so angelegt, dass einige Studenten keine Chance haben, weiter zu studieren. In Pädagogik war es so, dass ein paar zuerst 20 von 40 Punkten hatten und kurz vor der Prüfungseinsicht waren‘s dann auf einmal 21. Töchterle finde ich extrem arrogant. Wie kann ein Mensch, der alles erreicht hat und sicher gut verdient, so herablassend mit den Zukunftsplänen anderer Menschen umgehen?“

 

Foto: Jakob Burtscher

„Dem Töchterle ist das scheißegal“

Alexandra Eisenmenger (33) ist alleinerziehende Mutter und wollte Biologie an der Uni Wien studieren:

„Ich bin eine Nachzüglerin. Ich habe vor sechs Jahren die Matura an der Abendschule nachgeholt, und letztes Wintersemester Biologie inskribiert.
Ich bin draufgekommen, dass mich Biologie extrem interessiert, dass ich gerne ins Labor gehen würde. Ich komme aus der kaufmännischen Richtung und wollte weg von dort. Da ich alleinerziehende Mutter bin, habe ich mich um ein Stipendium gekümmert, und das auch bekommen.
Ich habe mich sehr darauf gefreut und war irrsinnig motiviert. Ich war bestimmt 80 Prozent der Vorlesungen anwesend, hab das immer irgendwie gedeichselt, außer wenn ich krank war oder es nicht gegangen ist wegen meiner Tochter. Ich habe auch parallel schon andere Vorlesungen besucht.

Bei der ersten von zwei Prüfungen habe ich mich gefragt, ob ich da wirklich auf der Uni bin. Die Prüfung hat 15 Minuten später gestartet, weil sie zu wenig Prüfungsbögen hatten, die Fragen hatten überhaupt nichts mit Wissen zu tun. Wir waren so eine Vierer-Mädls-Lernpartie, die haben alle zu mir gesagt, ich könne das in- und auswendig. Es hat dann geheißen, das Ergebnis komme vor Weihnachten, erfahren hab ich es dann nach Jahreswechsel: Nicht geschafft. Das war wirklich das totale Aussiebverfahren, 56 Prozent sind durchgefallen. Ich hab mich aber wieder hingesetzt, alles gelernt, ich hab mir gedacht: ‚Bitte fragt’s mich das alles, ich kann’s ja!’ Bei der zweiten Prüfung war’s aber dasselbe in grün. Ich find’s irrsinnig traurig, wie man Leuten wie mir, die halt erst später draufkommen, was sie machen wollen, noch mehr Steine in den Weg legen kann. Die Fragen waren viel zu detailliert und teilweise auch nicht mal aus dem Stoffgebiet. Die Stimmung unter den Studierenden war absoluter Wahnsinn, wir haben uns alle angeschaut und gefragt, was das für ein Theaterstadl ist! Warum kann man denn da keine normalen Fragen stellen? Ich bin wiedermal in ein großes Loch gefallen. Von der Stipendienstelle hab ich bestimmte Auflagen bekommen, und man kann ja keine anderen Prüfungen machen, solange man die STEOP nicht abgeschlossen hat. Ich muss jetzt knapp 5.000 Euro zurückzahlen, außer ich finde eine andere Lösung. Ein mündlicher Antritt – ich würd’ alles dafür geben.

Ich bin 33, ich bin nicht alt, das weiß ich schon – aber für gewisse Sachen bleibt die Zeit nicht stehen, die rennt. Irgendwann geht’s einfach nicht mehr mit Ausbildung und Hin und Her. Ich hab nicht wirklich ein anderes Fach, das ich studieren will. Viele haben auch gesagt; ‚Na dann geh doch nach Graz studieren!’, aber die stellen sich das auch ziemlich einfach vor: Ich bin alleinerziehend mit einem siebenjährigen, schulpflichtigen Kind. Ich kann nicht einfach alle Sachen packen und gehen!
Mein Lernaufwand war sehr hoch. Neben 20 Stunden die Woche Arbeiten und meinem Kind habe ich zwei Monate intensiv gelernt. Es gibt natürlich immer welche, die’s heraußen haben. Ich hab seit sechs Jahren nichts mehr gelernt, trotzdem war ich supergut vorbereitet. Jetzt bin ich lebenslang für Biologie gesperrt.
Überall liest man: Bildung! Bildung! Bildung! Wir wollen alle bilden und stellen alles zur Verfügung! Da kannst du dir doch nur an den Kopf greifen, wenn dann sowas rauskommt. Aber so Leuten wie dem Töchterle, denen is das im Prinzip alles scheißegal.“

„Es sind nur 26 Leute angetreten“

  • 13.07.2012, 18:18

Die Linzerin Johanna Mayr (18) studiert Mathematik im Bachelor an der Karl Franzens Universität in Graz:

„Meine STEOP besteht aus einer Orientierungslehrveranstaltung und einer Vorlesung zu Linearer Algebra, insgesamt ist sie 6,5 ECTS wert. Neben den Leuten aus dem ersten Semester, die den Mathe-Bachelor angefangen haben, sitzen da auch die Lehramtsleute aus dem dritten Semester drinnen. Es ist also vielleicht nicht die beste Idee, gerade diese Vorlesung in eine STEOP reinzupacken. Ich finde, sie war relativ schwierig.

Die Prüfung sieht so aus, dass es zuerst einen schriftlichen Teil gibt, und erst, wenn du den bestehst, darfst du zur mündlichen Prüfung antreten. Bei der schriftlichen Prüfung hat es drei Fragen gegeben, wobei wir die erste so nie durchgemacht haben. Zu der Prüfung sind nur 26 Leute angetreten, weil sie als so schwierig gilt. 14 Leute haben 8,5 Punkte und dürfen zur mündlichen Prüfung antreten, zwölf haben weniger. Ich hab 8,5 Punkte und darf antreten. Ich habe mir in der Schule recht leicht getan mit dem Lernen, mein Maturazeugnis hat einen 1,0-Schnitt. Aber für die Uni muss ich viel mehr lernen, und viele sind die anderen Prüfungsmodalitäten auch noch nicht gewöhnt. Mathe in der Schule und Mathe auf der Uni sind halt zwei ganz verschiedene Dinge. Zum Glück werde ich auch finanziell von meinen Eltern unterstützt. Wenn ich nebenbei 20 Stunden die Woche arbeiten müsste, wäre sich das mit der STEOP nie ausgegangen.

Ich würde die STEOP abschaffen, was sonst? Sie hat überhaupt nicht zu meiner Orientierung beigetragen. Ich finde das nicht sinnvoll, weil es nur Stress schafft. In Graz hat man zwei normale Antritte und der dritte ist kommissionell. Wenn ich weiß, ich hab jetzt zwei Antritte und dann sitz ich vor der Kommission, dann glaub ich nicht, dass man da gut rausfinden kann, ob das das richtige Studium für einen ist. Wie soll eine Prüfung darüber entscheiden? Die meisten Leute kommen direkt von der Schule oder nach dem Zivi, und die sind schon generell von der Abstraktion am Anfang überfordert.“

„Es ist eine Selektionsphase“

  • 13.07.2012, 18:18

Stefan Kastel ist Mitbegründer der Stop-STEOP-Bewegung in Wien und wollte Deutsch und Geschichte auf Lehramt studieren:

„Ich hab mir nach der Schule überlegt, welchen Beruf es gibt, wo ich mit Menschen in Kontakt kommen kann und anderen helfen kann. Das war dann der Lehrerberuf, und da bin ich auch mit viel Begeisterung an die Sache rangegangen. Mit der STEOP ist das dann immer weniger geworden. Ich wollte Deutsch- und Geschichtelehrer werden, und habe auch in beiden Fächern alle Prüfungen und Übungen positiv absolviert. Nur die Pädagogikprüfung, die hab ich verhaut. Die Pädagogikprüfung ist für alle, die Lehramt studieren wollen, gleich. Das war ein Single Choice Test. Da sind die meisten gescheitert, ich denke, ein paar hundert.

Diese Prüfung sagt überhaupt nichts darüber aus, ob du als Lehrer geeignet bist oder nicht. Aus der Sicht von vielen waren bei den Fragestellungen mehrere Antworten möglich, das war teilweise einfach nur realitätsfremd. Eine Frage war zum Beispiel: ‚Was ist ein symbolhaftes Tier für den Unterricht?“ Esel wär‘s gewesen, keine Ahnung. Das Problem ist aber sowieso eher grundsätzlich: Bei einem Test mit 40 Fragen kannst du nicht herausfiltern, ob du für den Beruf geeignet bist oder nicht. Aber das interessiert die Uni anscheinend nicht. Meine Erwartungen waren, dass es zuerst mal die Möglichkeit gibt, sich wirklich zu orientieren, genug Zeit für sich selber zu haben, und he- rauszufinden, was wichtig ist fürs Studium. In der Realität war es dann so, dass sie uns in der zweiten Woche gesagt haben: ‚Ihr habt zwei Antritte, dann fliegt ihr raus.‘ Vom Stress her war das sicherlich wesentlich mehr als bei der Matura.

Die Stimmung im Studium war einfach nur angepisst. Alle haben sich das anders vorgestellt, orientierungsmäßiger, ruhiger, und nicht so zukunftsabhängig. Die Studieneingangs- und Orientierungsphase soll ihrem Namen gerecht werden, jetzt ist das eine Selektionsphase. Ich glaube, es wurde gezielt so angelegt, dass einige Studenten keine Chance haben, weiter zu studieren. In Pädagogik war es so, dass ein paar zuerst 20 von 40 Punkten hatten und kurz vor der Prüfungseinsicht waren‘s dann auf einmal 21. Töchterle finde ich extrem arrogant. Wie kann ein Mensch, der alles erreicht hat und sicher gut verdient, so herablassend mit den Zukunftsplänen anderer Menschen umgehen?“

„Dem Töchterle ist das scheißegal“

  • 13.07.2012, 18:18

Alexandra Eisenmenger (33) ist alleinerziehende Mutter und wollte Biologie an der Uni Wien studieren:

„Ich bin eine Nachzüglerin. Ich habe vor sechs Jahren die Matura an der Abendschule nachgeholt, und letztes Wintersemester Biologie inskribiert.
Ich bin draufgekommen, dass mich Biologie extrem interessiert, dass ich gerne ins Labor gehen würde. Ich komme aus der kaufmännischen Richtung und wollte weg von dort. Da ich alleinerziehende Mutter bin, habe ich mich um ein Stipendium gekümmert, und das auch bekommen.
Ich habe mich sehr darauf gefreut und war irrsinnig motiviert. Ich war bestimmt 80 Prozent der Vorlesungen anwesend, hab das immer irgendwie gedeichselt, außer wenn ich krank war oder es nicht gegangen ist wegen meiner Tochter. Ich habe auch parallel schon andere Vorlesungen besucht.


Bei der ersten von zwei Prüfungen habe ich mich gefragt, ob ich da wirklich auf der Uni bin. Die Prüfung hat 15 Minuten später gestartet, weil sie zu wenig Prüfungsbögen hatten, die Fragen hatten überhaupt nichts mit Wissen zu tun. Wir waren so eine Vierer-Mädls-Lernpartie, die haben alle zu mir gesagt, ich könne das in- und auswendig. Es hat dann geheißen, das Ergebnis komme vor Weihnachten, erfahren hab ich es dann nach Jahreswechsel: Nicht geschafft. Das war wirklich das totale Aussiebverfahren, 56 Prozent sind durchgefallen. Ich hab mich aber wieder hingesetzt, alles gelernt, ich hab mir gedacht: ‚Bitte fragt’s mich das alles, ich kann’s ja!’ Bei der zweiten Prüfung war’s aber dasselbe in grün. Ich find’s irrsinnig traurig, wie man Leuten wie mir, die halt erst später draufkommen, was sie machen wollen, noch mehr Steine in den Weg legen kann. Die Fragen waren viel zu detailliert und teilweise auch nicht mal aus dem Stoffgebiet. Die Stimmung unter den Studierenden war absoluter Wahnsinn, wir haben uns alle angeschaut und gefragt, was das für ein Theaterstadl ist! Warum kann man denn da keine normalen Fragen stellen? Ich bin wiedermal in ein großes Loch gefallen. Von der Stipendienstelle hab ich bestimmte Auflagen bekommen, und man kann ja keine anderen Prüfungen machen, solange man die STEOP nicht abgeschlossen hat. Ich muss jetzt knapp 5.000 Euro zurückzahlen, außer ich finde eine andere Lösung. Ein mündlicher Antritt – ich würd’ alles dafür geben.


Ich bin 33, ich bin nicht alt, das weiß ich schon – aber für gewisse Sachen bleibt die Zeit nicht stehen, die rennt. Irgendwann geht’s einfach nicht mehr mit Ausbildung und Hin und Her. Ich hab nicht wirklich ein anderes Fach, das ich studieren will. Viele haben auch gesagt; ‚Na dann geh doch nach Graz studieren!’, aber die stellen sich das auch ziemlich einfach vor: Ich bin alleinerziehend mit einem siebenjährigen, schulpflichtigen Kind. Ich kann nicht einfach alle Sachen packen und gehen!
Mein Lernaufwand war sehr hoch. Neben 20 Stunden die Woche Arbeiten und meinem Kind habe ich zwei Monate intensiv gelernt. Es gibt natürlich immer welche, die’s heraußen haben. Ich hab seit sechs Jahren nichts mehr gelernt, trotzdem war ich supergut vorbereitet. Jetzt bin ich lebenslang für Biologie gesperrt.
Überall liest man: Bildung! Bildung! Bildung! Wir wollen alle bilden und stellen alles zur Verfügung! Da kannst du dir doch nur an den Kopf greifen, wenn dann sowas rauskommt. Aber so Leuten wie dem Töchterle, denen is das im Prinzip alles scheißegal.“

Ich wollte ein Männerleben leben

  • 13.07.2012, 18:18

Der Cowboy Katja Kullmann über weiches Kapital und harte Realität.

Der Cowboy Katja Kullmann über weiches Kapital und harte Realität.

Wir trafen die selbsternannte Weltenbürgerin Katja Kullmann, die schon zwischen Financial Times, dem Freitag, der EMMA als auch der GALA oder für Sie bummelte, an einem windigen Vormittag auf der Prater Hauptallee in Wien. Bei einem Kaffee am dortigen Antifaschismus-Platz erklärt sie uns, wo bei dieser Bandbreite an Medien ihre Loyalität liegt: Bei den linken Feministinnen, auch wenn die nicht mehr so viel EMMA lesen wie früher. In ihrer Erzählung spannt Katja Kullmann große Bögen, baut argumentative Kurven – und steht dabei aber immer auf dem Boden der Realität.

PROGRESS: Du beschäftigst dich in deinen Büchern sehr stark mit dem Generationenwandel. Was unterscheidet dich von der heutigen Studentin?

KULLMANN: Meine Frauengeneration hatte noch ein durchwegs positives Ideal von Freiheit und Autonomie. Das war für uns noch nicht neoliberal besetzt, sondern eine positive Utopie. Ich war eine Nach-68erin, hatte vereinzelt LehrerInnen, die sehr liberal waren. Ich gehöre zur ersten Frauengeneration, die zum Selbstbewusstsein erzogen wurde. Alte Säcke als Lehrer hatte ich zwar schon noch im Gymnasium, aber eine oder zwei junge Kolleginnen waren auch dabei. Zwischen diesen Polen bin ich aufgewachsen. Mein Ziel war es, mein Leben größer zu machen, als das meiner Eltern. Wir hatten das Versprechen vor uns, dass die Kindergeneration ein Stückchen weiter kommen sollte. Das habe ich absolut verinnerlicht. Ich bin dabei nicht der Schrankwand-Typ und ich brauche kein teures Auto, aber ich bin immer viel gereist und das war mir in puncto Freiheit und Autonomie immer wahnsinnig wichtig.

Sollte der Begriff Freiheit aus linker Perspektive zurückerobert werden?

Ich habe den Deal immer als fair empfunden: Ich strenge mich an, schreibe gute Noten und lerne Fremdsprachen, und damit komme ich dann weiter. Das war der Plan: nicht früh zu heiraten, nicht an den Herd gefesselt zu sein und auch was die Berufstätigkeit betrifft, mich nicht über 40 Jahre hochdienen müssen. Vor allem: immer selbstständig sein, von niemandem abhängig, und bloß Staats-Stipendium beantragen oder sowas. Heute reibe ich mich daran, dass es letztlich ein lupenrein neoliberaler Entwurf des Ich ist – ein perfekter Yuppie-, Westerwelle-, FDP-Lebenslauf. Obwohl es ursprünglich widerständig gemeint war. Die jüngere, eure Generation, ist da viel realistischer: Ihr wisst, wie hart es aussieht. Ihr habt den Vorteil, dass sich der Restglaube an Statussicherheit erübrigt hat. Keiner rechnet wahrscheinlich mit einer festen Anstellung oder anderen verlässlichen sozialen Absicherungen.

Wie hat sich diese Vorstellung vom perfekten Lebenslauf verändert?

Die Marge der Leute, die sich heute noch Praktika leisten können, wird immer kleiner: Denn sie werden nicht mehr bezahlt. Damit spielt das Elternhaus eine viel größere Rolle. Bei meinen Praktika war zumindest die Unterkunft gedeckt. Herkunftsfragen werden für Männer wie auch Frauen wichtiger. Denn Ausbildung ist unser neues Gut, unser weiches Kapital. Es ist zunehmend ungerecht verteilt, weil der Zugang schwerer wird.

Wie geht die Generation Praktikum mit den schlechten Rahmenbedingungen um?

Bei den Mittzwanzigern und Jüngeren gibt es aus meiner Sicht einerseits solche, die das, was man in den 80ern Ellenbogengesellschaft nannte, extrem fahren. Das ist die Gruppe, die sich extrem ins Private zurückzieht, eine Affinität zu Psychotherapien und zu einer unglaublichen Innerlichkeit entwickelt hat. Sie wollen sich schützen und besitzen eine kaltschnäuzige Statusangst. Auf der anderen Seite sehe ich eine ganz starke Repolitisierung, gerade bei jungen Frauen, die unbelastet schwere Begriffe, mit denen meine Generation noch Schwierigkeiten hatte, wie Solidarität, auf den Lippen haben. Allein das Wort Feminismus nehmen die Jüngeren viel sportlicher in die Hand und sprechen es aus. Ich glaube, es gibt die Streber und die, die sich politisieren.

Warum fangen trotzdem so wenige etwas mit dem Wort Feminismus an?

Man sollte das nicht zu kleinreden. Ich sehe wirklich viele junge Frauen, die versuchen, den Feminismus neu zu bespielen, ihm neue Inhalte zu geben. Es gibt aber viele Ängste. Wir leben in einem Klima, in dem es einerseits diese starken, politisierten Bewegungen gibt und andererseits aber diese Diskussion, wo unglaublich schnell geschlechtsübergreifend abgewatscht wird. Es gibt viele Leute, die sagen, sie würden lieber hungern, als im Lidl bei den abgeranzten Hartz-IV-Leuten einkaufen zu gehen. Die Angst davor, zur „Gutmenschin“ oder „Wutbürgerin“ erklärt zu werden, ist heutzutage riesig. Denn als solches abgestempelt zu werden, macht dich zum Problemfall, zur Querulantin. Das ist ein Spiegel dieses Funktionieren-Müssens. Erstmals betrifft das beide Geschlechter: Dieser Leistungsdruck, diese fröhlich wirkende Stromlinienförmigkeit, die man erfüllen sollte, und die sehr stark ins Persönliche reicht. Damit hängt auch die Angst zusammen, das Wort Feminismus in den Mund zu nehmen, denn es klingt nach Problemen, nach Haltung. Seit den späten 90ern heißt es: Die Zeit der Ideologien ist vorbei. Genau das ist aber die neue Ideologie.

Inwiefern wirkt sich das neue Prekariat auf die Geschlechterverhältnisse aus?

Es gibt dieses Zitat, dass es in jeder Schicht oder Klasse eine Unterklasse oder Unterschicht gibt, und das sind die Frauen. Seit über 20 Jahren kennen wir dieselben Zahlen: Frauen verdienen im Schnitt, quer durch alle Branchen, noch immer rund ein Viertel weniger als Männer. Und wenn sie zur Alleinerziehenden werden, ist das Armutsrisiko besonders hoch. Gerade in der sogenannten Kreativbranche werden Frauen, denen es beruflich oder finanziell mal nicht so gut geht, schnell pathologisiert – als ob sie ein psychologisches Problem hätten. Da heißt es dann: Die trinkt, die nimmt Drogen, die ist depressiv. Typen können genauso abgebrannt sein, aber potentiell gibt es immer das Bild vom Cowboy oder dem Lonely Wolf, wo gesagt wird, der hat einfach eine schwierige Phase. Genau dieses Bild – der lonesome rider, immer unterwegs, die Welt entdecken – war übrigens eine Art Leitbild für mich, als ganz junges Mädchen. Das hat wieder mit dem unbedingten Willen zur Autonomie zu tun: Es gab fast nur männliche Vorbilder dafür. Im Grunde wollte ich immer eher ein Männerleben führen, denke ich. In Teilen ist mir das auch gelungen.

Nach dem Erfolg deines Buches „Generation Ally“ und deiner Zeit als selbständige Journalistin folgte bei dir eine sehr prekäre Phase als Hartz-IV-Empfängerin. Wie hast du die erlebt?

Das ist eine schizophrene Erfahrung, die viele in den Nullerjahren gemacht haben. Als ich beim Amt als künftige Hartz-IV-Empfängerin vorsprechen musste, war das eine Mischung aus Arzt- und Vorstellungsgespräch. Ich hatte mir einen Businessplan zurechtgelegt, der natürlich nicht funktioniert hat. Denn du darfst dann im Grunde nicht mehr freiberuflich tätig sein. Es blieb dabei: Ich hatte 13 Euro am Tag, ich durfte nicht aus der Stadt weg, das war vollkommen irre. Ich dachte mir: Aha, jetzt bin ich also auch eine Verliererin – und so sieht das also aus: Sie lassen dich nicht mehr mitspielen.

Hat diese Erfahrung mit Hartz-IV deine Sicht auf die Welt verändert?

Meine Repolitisierung ist auf diesem Amtsflur passiert, weil ich gesehen habe, dass ich als Medienarbeiterin Teil einer Avantgarde bin, die systemisch freigesetzt ist. Das ist eine neurotische Branche, die mitforciert hat, dass der Fensterputzer und die Pflegekraft mit immer niedrigeren Löhnen in die Knie gezwungen werden. Und ich bin Teil derer, die den Quatsch auch noch erzählt haben: Jeder sei seines Glückes Schmied.

Würdest du sagen, du hast erlebt, was Armut ist?

Man darf so ein elitenartiges Prekariat, wie ich es erlebt habe, nicht verkitschen und vergleichen mit echter Armut. Damit meine ich, wenn du in der dritten oder vierten Generation SozialhilfeempfängerIn bist und es nicht zum Abitur geschafft hast, fehlt dir ein ganz wichtiges Kapital, das Kulturkapital. Das unterscheidet dann doch die akademisch Prekarisierten von dem Kollegen mit dem Hauptschulabschluss. In Bezug auf Status und Codes kann man sich dann trotzdem noch verkaufen, kann sich seinen Blog so einrichten, dass man so wirkt, als sei man beschäftigt und kann sich augenzwinkernd im abgefransten Kaffeehaus treffen. Das hilft erstens, vor sich selber viel zu verschleiern, und zweitens, diesen Shabby Chic zur Schau zu stellen. Jemand, der wirklich arm ist, kann das gar nicht so veräußern.

Wie ist denn das Frauenbild unter diesen Bobohipstern? Gibt’s da einen Backlash?

Das Abziehbild ist tendenziell männlich, wir denken ja sofort an die Typen mit den Jesusbärten und den Baumwollbeuteln. Den Hipster aber gab’s schon immer, der ist nicht neu. Das ist sozusagen eine urbane Avantgarde. Es gab schon den Yuppie, den Bobo, das taucht alle fünf Jahre auf. Was eigentlich damit gemeint ist, ist diese bunte Bildungselite, die sehr urban, intellektuell, gut vernetzt ist, die diese Codes kennt und die reiche Symbolsprache, an die auch Statusfragen gehängt werden. Auch wenn sie im Second Hand Shop um drei Euro ihre Karohemden kaufen, kann das statusmäßig ein total wertvolles Karohemd sein. Du musst nur wissen, wie das gerade zu tragen ist, und ab wann nicht mehr. Sobald das Elitenwissen dann im Mainstream angelangt ist und die BerlintouristInnen das auch tragen, suchst du dir was Neues.

Ist das Hipstertum so männlich, weil es so Ich-bezogen ist?

Ja, damit hat das sicher zu tun – was ich interessant finde, gerade weil der Begriff do it yourself stark verbreitet ist. Das ist ja auch ein Teil dieser Bewegung: Sehr viele der modischen und hippen Frauen stricken oder craften. Auch auf queerfeministischen Webseiten spielt das eine Rolle. Ich habe nichts gegen Stricken, ich kann aber die bildhafte Logik überhaupt nicht verstehen, und sehe nicht, was daran zum Beispiel widerständig oder feministisch ist. Der Hipster ist jedenfalls keine politische Figur, er demonstriert nicht, er beschäftigt sich mit sich selbst, seinen Gefühlen, seinen Style-Ängsten, und sieht dabei veträumt aus.

Gibt es denn heute positive feministische Rolemodels?

Es gibt heute ein unglaubliches Prinzessinnenwesen. In den 70er-Jahren waren es vor allem im Kinderfernsehen Figuren wie die Rote Zora, Ronja Räubertochter. Das waren aggressive, mutige, aufmüpfige Figuren und Namen. Heute haben wir Lillifee und die Manga-Ästhetik, also diese Verniedlichung. Schwierig finde ich auch, dass jüngere Frauen sich wieder so „girliehaft“ benennen, wie wir es vor 20 Jahren schon mal hatten: Sie nennen sich „Mädchen“ oder „Missys“. Ich kann nur sagen: Dieses Augenzwinkern hat der Feminismus schon einmal versucht – es funktioniert nicht. Ich glaube nicht, dass es die eine gibt, die saisonal das Rolemodel schlechthin ist. Das entspricht auch nicht der Vielfalt und Diversität der Frauen. Für mich ist es Le Tigre Kathleen Hanna. Ich glaub auch, dass Anke Engelke eine Breitenfunktion besitzt, die ganz anders ist, als eine klassische fernseh-feminine Frau. Es ist grundsätzlich erst mal gut, dass es heute mehr interessante Frauen in der Öffentlichkeit gibt, glücklicherweise nicht nur verzweifelte Schlauchboot-Lippen-Trägerinnen.

Warum ist es heute überhaupt so kompliziert, Feministin zu sein?

Die Welt ist ganz schön unübersichtlich. Und ich denke, der Feminismus leidet wie auch andere politische Inhalte und Strömungen darunter, dass die Leute vereinzelt sind. Darüber hinaus ist es vor allem der Leistungsdruck, unter dem wir leiden, und die Angst davor, zu nervig und zu kompliziert zu sein, in dem Moment, in dem man Prinzipienfragen stellt. Ich glaube, dass Feminismus ganz oft mit innerem Unmut anfängt. Man muss den Mut finden, Dinge auszusprechen, dazu muss man stark sein. Und viele Leute fühlen sich gerade nicht stark, haben Angst, sich verwundbar zu machen. Aber ich habe den positiven Eindruck, dass es eine neue Sehnsucht gibt, sich mit anderen zusammenzutun und dass das, erst mal im Kleinen, auch gerade wieder passiert. Niemand kann alleine Verhältnisse umstoßen.

 

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