Dezember 2009

Auch ein kleiner Beitrag hilft

  • 30.09.2012, 21:45

„Nachhaltige Umweltsysteme“ nennt sich das berufsbegleitende Studium an der FH Burgenland, über das wir mit dem 26-jährigen Steirer Andreas Kröpfl gesprochen haben.

„Nachhaltige Umweltsysteme“ nennt sich das berufsbegleitende Studium an der FH Burgenland, über das wir mit dem 26-jährigen Steirer Andreas Kröpfl gesprochen haben.

progress: Nehmen die ÖsterreicherInnen den Klimawandel zu sehr auf die leichte Schulter?

Andreas: Den meisten Leuten ist meiner Meinung nach schon bewusst, dass die globale Erwärmung ein Problem darstellt. Mit einfachen Richtlinien würde allen klar was sie selbst tun können um dem entgegen zu wirken. Jeder, auch kleine, Beitrag hilft und ist gesamtheitlich wertvoll. Viele glauben noch immer, Kleinigkeiten bewirken nichts.

progress: Elektrogeräte im Haushalt sind heute deutlich energieeffizienter als noch vor 20 Jahren, trotzdem ist der Stromverbrauch zwischen 1990 und 2007 um fast 24 Prozent gestiegen. Woran könnte das liegen?

Andreas: Der Fernseher braucht heute zwar viel weniger Strom als vor 20 Jahren, nur hat heute jede und jeder drei Fernseher statt einem. Also steigt in Summe der Verbrauch. Wir machen zwar alles stromsparender und effektiver, nur kaufen wir dann einfach mehr davon.

progress: Wie kann den Menschen näher gebracht werden, dass das nachhaltige Handeln jedes und jeder Einzelnen wichtig ist?

Andreas: Es muss ein System geschaffen werden, in dem jedeR Einzelne sieht, welchen Sinn der eigene Beitrag hat. Es könnte für einen Ort eine konkrete Zielvorgabe festgelegt werden, zB eine gewisse Menge Strom, die innerhalb eines Jahres eingespart werden soll. Am Ende des Jahres könnte dann in der Lokalzeitung veröffentlicht werden: Familie Maier hat soviel gespart und Familie Huber soviel. Dann weiß jedeR, wo der eigene Haushalt steht und es gibt einen Anreiz.

progress: Was müsste passieren, damit sich der Einsatz erneuerbare Energien, wie zum Beispiel Photovoltaik-Anlagen auf Privathäusern, tatsächlich rechnet?

Andreas: Die Anschaffung der Anlagen muss günstiger werden oder der Geldertrag steigen. Wenn ich bei Photovoltaik-Anlagen dieselbe Menge absetze wie bei Gasthermen, kann ich mit dem Preis auch so günstig sein, dass sich Photovoltaik auf jeden Fall rechnet. Auch wenn der Strompreis auf entsprechend hohem Niveau läge, wäre eine Rentabilität sofort gegeben.

„Wir lernen gerade Freiheit!“

  • 13.07.2012, 18:18

Ein Auszug aus der Rede Armin Thurnhers im besetzten Audimax der Uni Wien.

Ein Auszug aus der Rede Armin Thurnhers im besetzten Audimax der Uni Wien.

Zuallererst gratuliere ich Ihnen zum politischen Erfolg Ihrer Proteste. Mit Erfolg meine ich selbstverständlich nicht die läppische Geste des [Ex-]Ministers Hahn, der plötzlich ein paar Dutzend Millionen Trinkgeld findet und einmal die Hälfte davon herausrückt, wenn er unter Druck gerät. Nein, mit Erfolg meine ich die Art, wie die Proteste zustande kamen, wie sie wachsen, wie Sie alle miteinander durchhalten, den Protest vorantragen und die Anliegen Ihres Protests artikulieren. Wenn ich Ihre Anliegen denn richtig verstehe, fordern Sie freien Universitäts-Zugang, mehr Geld für Bildung, Bildung statt Ausbildung und eine anders orientierte Bildungspolitik. Ich kann mich noch recht gut an eine etwas weiter zurückliegende Protestbewegung erinnern, die von 1968. Ich habe vor 41 Jahren im Herbst zum ersten Mal diesen Saal hier betreten, er sah noch ganz anders aus, und eine der ersten Veranstaltungen, die ich besuchte, war ein so genanntes Teach-In, also die Vorform einer Besetzung.

Unsere Proteste, die von 1968, entzündeten sich an gesellschaftlichen Verhältnissen, an international als unerträglich empfundenen Verhältnissen. An den USA und ihrem Vietnamkrieg, am Iran des Shah-Regimes zum Beispiel. Rückblickend muss man sagen, dass bei all dem, was daran berechtigt war, auch viel Verrücktes ins Spiel kam; man rechtfertigte nicht nur undemokratische Regimes, man sah bewundernd zu ihnen auf. Aus unserer libertären antiautoritären Bewegung entsprang unversehens der Maoismus und Stalinismus der K-Gruppen, ja auch der RAF-Terrorismus. Die Ikone Che Guevara, für manche Linke bis heute unantastbar, wurde nie so genau betrachtet, dass man das Blut an ihren Händen sah und den unerbittlichen Fanatismus in ihren Augen. Es waren nicht bloß die einfachen Kommilitonen, die solche Fehleinschätzungen trafen, es waren führende Intellektuelle dieser Zeit, die ihnen verfielen: Jean-Paul Sartre und Ernst Bloch zum Beispiel. Die Kritik an Israel, dem Zionismus, wie man sagte, die Sympathie mit den Palästinensern war für viele nur ein Vorwand, wenigstens in einem Punkt mit ihren Nazi-Vätern einig sein zu können: der Antizionismus war salonfähiger Antisemitismus.
Man kann also über die letzte große Protestbewegung nicht nur Gutes und Verklärendes sagen. Wenn man aber die Proteste von 1968 nicht verklären will, soll man sie doch nicht unterschätzen. Sie haben die Gesellschaft verändert, sie waren Ausdruck einer globalen Revolte gegen illiberale Lebensstile. Und sie haben den Universitäten zuerst unglaublich genützt, in der Folge wohl aber auch geschadet.  Was genützt hat, war eine Belebung durch Selbstorganisation, ich war einer der Nutznießer, denn auf der Theaterwissenschaft, wo ich studierte, haben wir in Selbstorganisation mit befreundeten Assistenten in kleinen Kreisen von zehn bis zwanzig Leuten intensiv gelesen, was uns wichtig schien. Das hat mich geprägt, davon zehre ich in gewissem Maß heute noch. Es war eine selbstorganisierte, völlig zweckfreie Lektüre der Ästhetik von Hegel oder des Mann ohne Eigenschaft von Musil zum Beispiel, die mit Ausbildung nichts, mit Bildung aber alles zu tun hatte.

Der akademische Raum ist eben ein gesellschaftlicher Freiraum, daran erinnern uns Ihre Proteste, er ist nicht nur ein Raum zur Aufzucht geeigneten Fachpersonals, er ist auch ein Raum, wo sich eine Gesellschaft selber befragt, zur Debatte stellt, wo sie sich in mehrfacher Weise bildet, indem die besten Köpfe und die brisantesten Einsichten aufeinanderprallen und aneinander wachsen und so aus dem Denken vergangener das Denken neuer Generationen entstehen kann. Die universitäre Öffentlichkeit ist eine zutiefst demokratische Institution, unerlässlicher Teil der demokratischen Öffentlichkeit, die ja nicht nur aus medialer und politischer Öffentlichkeit besteht. Die Universität hat ihren wichtigen Teil zur Selbstvergewisserung der Gesellschaft zu leisten. Deshalb ihre Freiheit. Man darf nicht vergessen, dass die politische Freiheit im antiken Athen damit begann, dass es möglich wurde, andere nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort zu überzeugen. Dass es theoretisch jedem, heute selbstverständlich auch jeder, möglich ist, durch Rede, durch bloßes Wort etwas durchzusetzen. Dieses Moment der Universität darf nicht verloren gehen. Die Universität ist nicht nur zur Produktion von Fachleuten da, sie ist zur Produktion freier Bürgerinnen und Bürger da!

Meine Damen und Herren, als ich gestern im Fernsehen den kleinen Showkampf mit dem frischrasierten Minister (Johannes Hahn, Anm.) sah, dachte ich, er hat sich rasiert und er wurde rasiert. Noch etwas außer der Schweigsamkeit des Ministers fiel bei dieser Diskussion auf: Der Vertreter der Unibürokratie ereiferte sich darüber, dass 1000 Menschen Architektur studieren wollen. Statt sich darüber zu beschweren, dass ihm die Mittel fehlen, diese 1000 adäquaten Möglichkeiten zu bieten, forderte er implizit, man müsse diese 1000 von der Uni fernhalten. Ich stelle mir schon länger die Frage, warum sich universitäre Proteste stets gegen die Politik, aber kaum gegen die Universitätsverwaltung selbst richten? Ich denke, Sie sollten die Uni selbst nicht aus der Pflicht lassen. Ebenso wie ich meine, dass man die Bildungsfrage nicht isoliert anhand der Universitäten abhandeln kann, sondern auch die höheren Schulen mit einschließen muss. Dort beginnt die Selektion, und sie beginnt viel zu früh. Dort wird jener freie Zugang zur Bildung für viele verhindert, jener freie Zugang, der Ihnen mit Recht so wichtig ist.
Gestern habe ich eine Zeit lang den Livestream verfolgt und hörte einen deutschen Kollegen den schönen Satz sagen: „Ihr lernt gerade Freiheit!“ Noch besser hätte mir gefallen, hätte er gesagt: Wir lernen gerade Freiheit! Aber egal, er hat’s erfasst – das ist nach wie vor das höchste Ziel der Universität, was immer Ihnen betriebswirtschafts- oder effizienzorientierte Ideologen sagen mögen: Sie sind hier, um Freiheit zu lernen, Freiheit des Denkens und Freiheit des Handelns – nicht nur des Handels! – damit Sie als freie Menschen, als freie Bürgerinnen und Bürger ein menschenwürdiges Leben führen und dies auch allen anderen ermöglichen. Das, meine Damen und Herren, ist meine vielleicht bizarre und möglicherweise altmodische Idee von Bildung. Sie steht gegen das neoliberale Paradigma, das ja nicht von Gott gewollt ist. Sie beharrt darauf, dass auch Ineffizienz und Romantizismus zur Bildung gehören können, die nutzlosesten Dinge oft nützlich sind und Neues auf nicht vorhersehbare Weise fruchtbar wird. Wer hätte schon daran gedacht, dass die antiautoritäre Bewegung und die Idee von Kollektiven die Arbeitswelt von Grund auf revolutionieren und sich am Ende als effektiver erweisen als tayloristische Hierarchien?

Ich verstehe das österreichische Kleinkrämertum nicht. Ich habe nie verstanden, warum einer der reichsten Staaten der Welt, machtlos und bedeutungslos wie er ist, nichts aus seiner neutralen Rolle machen will: als sicherer Hafen für die Verfolgten dieser Erde. Oder eben auch als Insel der Bildung, die man gern erreicht und wo alle willkommen sind, die hier studieren und lehren wollen, weil sie unser Land bereichern. Ich habe keine Lust, mich mit dem Schlaucherlstaat abzufinden, der wir nun einmal sind. Ich will Ihre Motive nicht überinterpretieren, aber ich begreife Ihren Protest auch als Protest gegen diesen Kleinmut, gegen diesen Willen zum umfassenden Kleinformat.
In der 68er Bewegung gab es den Slogan „Die Fantasie an die Front“– fälschlich kolportiert als „Die Fantasie an die Macht“. Die Fantasie an der Macht verdorrt. Nein, die Fantasie muss an die Front der Auseinandersetzung. Sie muss sich so etwas wie ein „Bildungsparadies Österreich“ vorstellen können, sie muss jene aschgrauen Amtsträger wegfantasieren, die dagegen bloß die Phrase von der Kulturnation daherstammeln. Die absolute Ideenlosigkeit der politischen Klasse, die ärgerliche und kleinliche Abschottungsmentalität, die von den meisten Medien befördert wird, diese Selbstprovinzialisierung eines Landes haben wir nicht verdient. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie hier etwas dagegen unternehmen. Auch in diesem Sinn ist Ihr Protest selbst ein Bildungsprojekt.

Was ist aus den Protesten zu lernen?

  • 13.07.2012, 18:18

Die Proteste der Studierenden weisen in die Zukunft, weil sie vorzeigen, was „Eigenverantwortung“ heißt; allerdings nicht im neoliberalen Sinn, dass jeder und jede für die eigene Pension vorsorgt oder eine private Krankenversicherung abschließt, sondern im besten „liberalen“ Sinn

Die Proteste der Studierenden weisen in die Zukunft, weil sie vorzeigen, was „Eigenverantwortung“ heißt; allerdings nicht im neoliberalen Sinn, dass jeder und jede für die eigene Pension vorsorgt oder eine private Krankenversicherung abschließt, sondern im besten „liberalen“ Sinn: Ein Kollektiv setzt sich für die eigenen Rechte ein und bedient damit gleichzeitig das Gemeinwohl. Denn freie, offene und chancengleiche Unis sind ein Lebenselixier der Demokratie. Das Hoffnungsmachende ist, dass die Studierenden dieses Lebenselixier nicht nur von den Verantwortlichen einfordern, sondern auch gleich selbst brauen: durch Selbstorganisation, Selbstgestaltung und Selbstumsetzung. Eigenverantwortung im besten Sinne.
Daran könnten nicht nur, sondern sollten sich auch andere gesellschaftliche Gruppen ein Beispiel nehmen: In den Schulen sollten Lernende und Lehrende die Schulen nach dem Geschmack der Lerngemeinschaft selbst gestalten, nicht nach dem Geschmack von BildungspolitikerInnen und SpitzenbeamtInnen. Die Bahn sollte von den Reisenden und den ÖBB-Bediensteten selbst organisiert werden, nicht von Proporzmanagern auf Versorgungsposten. Die Banken sollten ebenfalls von den BürgerInnen übernommen und – wie einst Raiffeisen – als Selbsthilfe organisiert werden.
Natürlich sollten Protest und Alternativen nicht dauerhaft im rechtsfreien Raum stattfinden, sondern sich den entsprechenden Rechtsrahmen ebenfalls aneignen. Ein möglicher Weg dorthin: Ein direkt gewählter Bildungskonvent könnte die Werte, Ziele und Finanzierung der Universitäten und Schulen neu festlegen und Mitbestimmung als universalen Wert und materielles Recht verankern. Analog könnten weitere Konvente für die Bahn, die Banken oder die gesamte Wirtschaft tagen.
Hätte der Souverän das grundlegendste aller Rechte: selbst Gesetze zu beschließen, dann bräuchte es weder Protest noch Besetzung, denn dann könnten wir – als Souverän – die Bildungspolitik selbst machen. Es ist der Gesellschaft zu wünschen, dass die Proteste zu dieser höheren Form demokratischer Freiheit führen.

Die Bastel-Fee

  • 13.07.2012, 18:18

Sarah, 23 stellt Schmuck her.

Der Wiener Charme bekommt nicht jedem. Mir zumindest nicht. Der Anfang in dieser Stadt war schwierig, denn die Leute hier sind ein bisschen unfreundlich. Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt. Ich kann mir sogar gut vorstellen, hier zu bleiben. Ursprünglich bin ich aus Deutschland. Bevor ich nach Wien kam, reiste ich lange in Südamerika herum. In Uruguay habe ich meinen Freund kennen gelernt und mit nach Wien gebracht. Mit Leon zusammen bastle ich Schmuck und kleine Pfeifen, die wir auf verschiedenen Märkten in der Stadt verkaufen. Diesen Monat bieten wir unsere Sachen am Weihnachtsmarkt am Spittelberg an.

Die Arbeit ist nicht gerade eine Goldgrube. Ich versuche schon lange nicht mehr, mir den Stundenlohn für meine Arbeit zu berechnen, weil mich das deprimieren würde. Darum geht es auch nicht. Ich brauche die Arbeit als Ausgleich zu meinem kopflastigen Studium am Afrikanistik-Institut. In jeder Kette und jedem Ohrring steckt etwas von mir drin. Diese Arbeit macht mir mehr Spaß als ein stinknormaler Studentenjob. Zu mehr als zum bloßen Überleben reicht es aber mit dem Geld nicht.

Die Bedingungen an der Universität hier sind schlimm, aber mir gefällt das Studium, trotz am-Boden-sitzen in den Hörsälen. Vielleicht wäre es angenehmer, zuhause in Deutschland zu studieren. Mein Leben in Wien ist oft ziemlich karg. Ich will aber auf jeden Fall weitermachen.

 

Prekäre Lehre

  • 13.07.2012, 18:18

Prekäre Arbeitsverhältnisse an Universitäten existieren nicht erst seit gestern. Schon in den 1960er-Jahren wurden LektorInnen für einzelne Lehraufträge beschäftigt. Mittlerweile sind zwar alle angestellt, bekommen aber nur schlecht dotierte Semesterverträge.

Prekäre Arbeitsverhältnisse an Universitäten existieren nicht erst seit gestern. Schon in den 1960er-Jahren wurden LektorInnen für einzelne Lehraufträge beschäftigt. Mittlerweile sind zwar alle angestellt, bekommen aber nur schlecht dotierte Semesterverträge.

Was sich aber gegenüber den 1960er-Jahren geändert hat, ist die Tatsache, dass viele LektorInnen mittlerweile auch außerhalb der Universitäten oft nur ähnlich prekäre Beschäftigungsverhältnisse vorfinden wie innerhalb der Unis. Zwar gibt es immer noch den Typus des Anwalts, der nebenher eine Lehrveranstaltung hält, dieser ist jedoch mittlerweile die große Ausnahme. Für immer mehr WissenschaftlerInnen sieht die Welt außerhalb der Unis nicht besser aus als innerhalb. Und so gibt es heute deutlich mehr LektorInnen, die entweder (fast) nur davon leben, mehrere Lehraufträge parallel – manchmal auch an mehreren Universitäten – zu halten, oder sich von einem Projekt zum nächsten durchzuwurschteln. Dabei wird zwar oft auch geforscht und damit inhaltlicher Input für die Lehrveranstaltungen geschaffen, soziale Sicherheiten bringen solche (Forschungs-)Projekte jedoch nicht. Kein Wunder, dass viele jüngere LektorInnen nach einigen Jahren entweder aus der Wissenschaft aussteigen oder ins Ausland abwandern. Älteren LektorInnen bleibt auch diese Option nur selten. Werden diese einmal krank oder ist ihre Lehre plötzlich nicht mehr gefragt, weil sie durch jüngere oder durch Senior Lecturer ersetzen worden sind, müssen sie nicht einmal gekündigt werden. Es genügt ihnen, einfach keinen Lehrauftrag mehr zu geben. Und schon steht der 50 Jahre alte Sozial- und Kulturanthropologe oder die 45 Jahre alte Philosophin auf der Strasse. Hochqualifizierte werden am AMS dann rasch zu Überqualifzierten. 

Förderung? LektorInnen erhalten jeweils nur für ein Semester gültige Verträge. Das ist eine Entscheidung der jeweiligen Universitäten. Nach dem neuen Kollektivvertrag wäre es sehr wohl möglich, langjährigen LektorInnen auch längerfristige oder unbefristete Arbeitsverträge zu geben. LektorInnen haben fast nirgends einen Arbeitsplatz. Wenn überhaupt Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird, dann allenfalls eine Kopierkarte, ein Postfach oder ein Institutsschlüssel. An manchen Instituten gibt es nicht einmal das. LektorInnen haben keinen Zugang zu Förderungen zu denen anderes wissenschaftliches Personal Zugang hat, etwa für den Besuch von internationalen Konferenzen oder Übersetzungskosten für wissenschaftliche Artikel. Obwohl also sämtliche wissenschaftliche Artikel zu Hause mit eigenem Computer am eigenen Arbeitsplatz mit eigenen Büchern verfasst werden, werden LektorInnen einmal im Jahr von den Universitäten aufgefordert, ihre wissenschaftliche Leistung für die Leistungsbilanzen ihrer Universitäten zur Verfügung zu stellen. Die Uni profitiert damit gleich mehrfach von ihren prekarisierten MitarbeiterInnen.
 

Die Aufheiter-Expertin

  • 13.07.2012, 18:18

Sophia, 22 ist Clownin.

Sophia, 22 ist Clownin.

Früher dachte ich, Österreich wäre wie Deutschland. Das war bevor ich herkam. Seit einigen Wochen studiere ich Internationale Entwicklung an der Uni Wien, weil es diese Studienrichtung nur hier gibt. In Österreich sind nicht nur die Ladenöffnungszeiten anders als in Deutschland. Zu Hause konnte ich mir mit meinen Auftritten leicht Geld verdienen. Ich bin nämlich ausgebildete Clownin. Zwei Jahre habe ich die Clownschule in Mainz besucht, seither mache ich für die Kinder Faxen – gegen Bezahlung. In Wien suche ich noch nach Gigs. Mit meinen Clown-Künsten kann ich hoffentlich einen Teil meines Lebensunterhalts selbst verdienen, den Rest bekomme ich von meinen Eltern. Die haben selbst neben ihren LehrerInnenjobs gemeinsam ein Zirkusprojekt am Laufen.
Mit meinem Freund wohne ich in einem Zirkuswagen am Wagenplatz zusammen, einem autonomen Gelände, wo jeder sich ansiedeln darf. Im Winter beheizen wir unser Zuhause mit Holz, das auf der Baustelle nebenan übrig bleibt. Wie ich mit meinem Geld auskommen würde, wenn ich eine „normale“ Wohnung bezahlen müsste, weiß ich nicht. Ich bin auch politisch aktiv. Vor ein paar Jahren habe ich als Teil der Clown Army gegen G8-Gipfel und Atommülltransporte demonstriert. Zusammen mit meinem Freund will ich Clowns ohne Grenzen in Österreich gründen und für Kinder in Flüchtlingsheimen auftreten. Wenn ich die Energie dazu habe … 

 

Der Zwergeflüsterer

  • 13.07.2012, 18:18

Jan, 25 ist Handballtrainer.

Jan, 25 ist Handballtrainer.

 Kindern das Handball spielen beizubringen ist nicht mein Traumberuf, aber es ist sicher eine gute Sache. Denn in einem Sportverein wird mehr vermittelt als nur die Technik an sich. Das Miteinander ist besonders wichtig und im Training lernen die Kinder Probleme in der Gruppe zu lösen. Auf Teamfahrten werden Freundschaften vertieft und es ist auch eine sehr interessante Erfahrung mal der zu sein, der in der Jugendherberge dafür sorgt, dass alle im Zimmer sind.
Noch drei Trainingseinheiten und ich habe die erste Million zusammen. Naja, nicht ganz. Reich wird man dabei sicher nicht. Die Aufwandsentschädigung genügt, um die Miete zu bezahlen. Deswegen habe ich noch einen zweiten Job bei einer Zeitarbeitsfirma angenommen und erledige gelegentlich Projekte als Büroaushilfe oder Statistiker. Dort erhält man einen facettenreichen Einblick in die Berufswelt und lernt viele interessante Menschen kennen.
Meine Eltern können mich finanziell leider nicht unterstützen, da ich drei Schwestern habe, von denen zwei noch zur Schule gehen und deshalb erstmal versorgt werden müssen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass sich die zwangsläufig erlernte Eigenverantwortung und Selbständigkeit später einmal bezahlt machen werden. Bis dahin hilft nur Optimismus und meine mich liebevoll unterstützende Freundin.
Ach ja, nebenbei studiere ich Psychologie und Betriebswirtschaft.

 

Der Weltenbummel-Kellner

  • 13.07.2012, 18:18

Gregor, 26 ist Kellner.

Gregor, 26 ist Kellner.

Manchmal ist Zurückkommen schon merkwürdig. Während meiner Studienzeit war ich öfters im Ausland, einmal als Englischlehrer für Waisenkinder in Armenien, ein anderes Mal für ein Jahr auf Erasmus-Austausch in Litauen. Jedes Mal, wenn ich wieder da bin, gibt es für mich die gleichen Kellner-Jobs – für gleich wenig Geld. Inflation scheint es im Gastgewerbe nur bei den Getränkepreisen zu geben. Seit dem Sommer wohne ich wieder in Wien. Seither arbeite ich zwei bis dreimal die Woche am Abend in einem Gasthaus. Im Vorhinein weiß ich nie genau Bescheid, ob und wann ich arbeiten soll. Ich gehe heim, nachdem der letzte Gast gegangen ist. Da ich nicht abkassieren darf, nehme ich nur meinen Stundenlohn mit nach Hause, etwa € 60 für einen Abend. Diese Summe ist im Wiener Nachtleben leider viel zu schnell wieder ausgegeben. Die meiste Zeit lebe ich bescheiden und rauche Wuzel-Zigaretten. Sonst müsste ich verhungern.
Mein Geld verdiene ich jedoch nicht, um damit Party zu machen, sondern um mein Studium zu finanzieren. Im Moment plane ich meine Diplomarbeit in Politikwissenschaft, außerdem studiere ich nebenbei Russisch. Nach meinem Abschluss gehe ich sicher wieder ins Ausland. Ich will meinen Eltern dann aber nicht mehr auf der Tasche liegen. Als Student muss ich bei allem, was ich tue, auf die Kohle schauen. Das macht einen auf die Dauer verrückt! 

 

 

Der 150-Kilometer-Kurier

  • 13.07.2012, 18:18

Hannes, 24 ist Fahrradkurier.

Hannes, 24 ist Fahrradkurier.

Wenn ich auf dem Fahrrad sitze, dann lege ich pro Tag zwischen 100 und 150 Kilometer zurück. Eine Leidenschaft für Fahrräder und das Fahren hatte ich schon immer. Die Vorstellung, damit Geld zu verdienen, brachte mich soweit, es als Fahrradkurier zu versuchen.
Das Honorar steht natürlich in keiner Relation zur Hack’n. Ich will das auf keinen Fall weiter hauptberuflich machen, aber ich kann’s auch nicht ganz bleiben lassen. Es ist ein Lebensgefühl. Der Job hat viele Vorteile: Ich bin überall unterwegs, völlig flexible Arbeitszeiten, immer in Bewegung, immer fit, und Oberschenkel wie ein Mammutbaum. So richtig geile, pure körperliche Scheißarbeit. Es ist so eine Art Hassliebe. Meine größten GegnerInnen im Straßenverkehr sind die Autos. Seit längerem fahre ich nur noch mit Kopfhörern im Ohr, damit ich mir die Beleidigungen der AutolenkerInnen nicht mehr anhören muss.
Ich beziehe keinerlei Beihilfen, und meine Eltern unterstützen mich nur bedingt. Nebenher baue ich aus alten Teilen neue Fahrräder und verkaufe sie. Mein Job ist harte Arbeit, trotzdem reicht das Geld gerade eben so. Irgendwann hab’ ich mich so reingesteigert, dass ich nur mehr geradelt bin. Mein Architekturstudium auf der TU Wien ist zurzeit auf Pause geschaltet. Vielleicht schaffe ich im nächsten Jahr mehr. 

Wien brennt!

  • 13.07.2012, 18:18

Wer denkt, die Studierenden in Österreich blickten auf eine langweilige Geschichte zurück, der irrt. Im Jahr 1848 ging es in Wien rund: Aufständische, unter ihnen viele Studenten, vertrieben die kaiserliche Familie aus Wien und bezahlten das oft mit ihrem Leben.

Wer denkt, die Studierenden in Österreich blickten auf eine langweilige Geschichte zurück, der irrt. Im Jahr 1848 ging es in Wien rund: Aufständische, unter ihnen viele Studenten, vertrieben die kaiserliche Familie aus Wien und bezahlten das oft mit ihrem Leben.

Nachdem Napoleon Bonaparte halb Europa erobert und wieder verloren hatte, legte der Wiener Kongress, geführt von Fürst Metternich, im Jahr 1815 die europäischen Grenzen neu fest. Das war der Ursprung der Revolutionen von 1848. Die Phase der Restauration – also der Wiederherstellung der absolutistischen Ordnung – formte liberal-bürgerliche Bewegungen, die den Ideen der Restauration entgegenwirkten.
Vor allem in Frankreich bildeten sich innerhalb des BürgerInnentums und unter den Studenten Gruppen, die liberale, demokratische Reformen forderten. Durch das Fortschreiten der Restauration und letztlich durch den Versuch, das französische Parlament aufzulösen, kam es zu einem Aufstand der HandwerkerInnen, ArbeiterInnen und Studenten, welcher in der Julirevolution von 1830 mündete und den endgültigen Sturz der herrschenden Bourbonen in Frankreich und die erneute Machtergreifung des BürgerInnentums zur Folge hatte.
Die Revolution von 1830 war der Auslöser für eine ganze Reihe von Ereignissen, die Europa in den folgenden Jahren erfassen sollten und letztlich in der Februarrevolution von 1848 mündeten. Nachdem 1848 die zweite französische Republik ausgerufen wurde, breiteten sich weitere Aufstände, die unter dem Namen der Märzrevolution von 1848/49 Eingang in die Geschichtsbücher fanden, über Europa aus und forderten die Überwindung der beim Wiener Kongress geschaffenen metternischen Restauration.

Revolution im KaiserInnenreich Österreich. Erste Aufstände im Jänner 1848 erschütterten österreichische Provinzen im heutigen Italien und führten bereits zu blutigen Ausschreitungen im KaiserInnentum. Es wurden jedoch nur regionale Reformen durchgesetzt, welche die Gemüter weiterhin erhitzten, sodass es am 13. März 1848 zum Ausbruch der Märzrevolution kam, die zum Sturz Metternichs führte. Einen Tag zuvor, am 12. März, hielten die Studenten unter der Leitung sämtlicher Professoren eine Sitzung ab, bei welcher sie Forderungen wie Pressefreiheit, Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Gerichte, diverse soziale Forderungen, sowie demokratische Reformen an das Kaiserhaus richteten.
Als sich die revolutionären Kräfte am 13. März vor dem Ständehaus versammelten, brach das Gerücht aus, dass einige Studenten verhaftet worden waren.Die Massen fingen an zu toben und stürmten die Paläste der Herrschaft, alles wurde zertrümmert. Das Zeughaus wurde eingenommen und es hallte durch die Wiener Gassen: „Nieder mit Metternich! Freiheit! Waffen!“ Metternich floh nach England. Das Neue Wiener Journal schrieb: „Gestern Kampf, Blut und Tod in allen Straßen, fürchterliches Geschrei um Freiheit, die heute die Stadt schmückt wie eine Braut; aus allen Fenstern fliegen weiße und rote Kokarden, Kränze, Bänder, Fahnen.“
Die Aufstände breiteten sich über alle Provinzen Österreich-Ungarns wie ein Fegefeuer aus. Kaiser Ferdinand I. sah sich zu Zugeständnissen gezwungen, er ging scheinbar auf Forderungen der Aufständischen nach einer neuen Verfassung und nach der Abschaffung der Zensur ein. In den folgenden Wochen und Monaten war die politische Realität im KaiserInnentum von wechselnden Reformen zwischen den zentralistischen Bestrebungen der Krone und den liberalen Forderungen der Aufständischen geprägt.

Die kaiserliche Armee setzte sich aber letztlich in fast allen Regionen des Reiches durch und so kam es, dass die deutschsprachigen Studenten Rückhalt in Deutschland, welches auch eine bürgerliche Revolution erlebte, suchten und unter schwarz-rot-goldener Fahne für eine großdeutsche Lösung kämpften. Ende April 1848 wurde die Pillersdorsche Verfassung, die erste österreichische Verfassung, erlassen. Diese aufgezwungene Verfassung führte erneut zu Protesten und leitete die zweite Phase der Revolution ein.
Diese Verfassung wurde ohne eine Volksvertretung erstellt, sie wurde von den liberalen Kräften als zu wenig demokratisch abgelehnt und nach Straßenkämpfen zwischen der kaiserlichen Armee auf der einen Seite und BürgerInnen auf der anderen Seite wieder zurückgenommen. In Folge gelang es einer Gruppe von ArbeiterInnen und Studenten, erste wichtige soziale Forderungen durchzusetzen, wie etwa Lohnerhöhungen und den Zehn-Stunden-Arbeitstag. Erneute Reformen entgegen den Forderungen der Aufständischen spitzten die krisenhafte Lage jedoch weiter zu und leiteten die dritte Phase der Revolution ein, welche bürgerkriegsähnliche Zustände nach Wien brachte.

Wochen der Hinrichtung. Am 6. Oktober 1848 sollten von Wien aus kaiserliche Truppen gegen das aufständische Ungarn ziehen, um die Unruhen dort zu ersticken. Als Antwort formierten sich Wiener ArbeiterInnen und Studenten und es kam zu Straßenkämpfen, welche mit dem Erhängen des Kriegsministers Theoder von Latour endeten. Der kaiserliche Hof floh aus der Stadt und es gelang den Wiener BürgerInnen, die Hauptstadt in ihre Gewalt zu bringen. Nur einige Wochen später rekrutierte die österreichische Krone Armeetruppen aus verschiedenen Provinzen, worauf konterrevolutionäre Truppen Wien beschossen und schließlich erstürmten. Es folgten Wochen der Hinrichtungen und viele der RevolutionsführerInnen mussten wegen ihrer Freiheitsliebe sterben. Die Bürgerliche Revolution in Österreich war damit niedergeschlagen. Es kam nie zur Realisierung der im März ausgearbeiteten Verfassung, stattdessen zu einem Siegeszug der monarchisch-konservativen Kräfte.

 

 

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