Unbezahlte Arbeit im Spital

  • 06.07.2013, 15:40

Ab August 2014 wird sich die Ausbildung an den Medizinischen Universitäten ändern: Im letzten Jahr des Studiums sollen Medizinstudierende künftig 35 Stunden pro Woche in Spitälern arbeiten. Allerdings: ohne Bezahlung.

Ab August 2014 wird sich die Ausbildung an den Medizinischen Universitäten ändern: Im letzten Jahr des Studiums sollen Medizinstudierende künftig 35 Stunden pro Woche in Spitälern arbeiten. Allerdings: ohne Bezahlung.

Sinn des Klinisch-Praktischen Jahres (KPJ) ist es, die Studierenden durch praktische Arbeit in den Krankenhäusern auf ihre zukünftige Tätigkeit vorzubereiten. Das KPJ gehört in Deutschland und der Schweiz schon lange zur medizinischen Ausbildung. Nun wird es auch in ganz Österreich eingeführt und umfasst 48 Wochen, bei einer durchschnittlichen 35-Stunden-Woche. Dabei sollen jeweils 16 Wochen auf der Inneren Medizin und der Chirurgie verbracht werden – der Rest der Zeit darf auf Wahlfächer aufgeteilt werden. An den Medizinischen Universitäten Graz und Innsbruck gibt es das KPJ schon jetzt – allerdings dauert es bisher nur 30 Wochen.

Studierende als Systemerhalterinnen? So sinnvoll die Idee hinter dem KPJ ist, so wenig durchdacht scheint seine Umsetzung. Der große Haken: Es gibt bisher keinen klar abgegrenzten Aufgabenbereich für die Medizinstudierenden. Während im bisherigen Tertial-System klar war, dass Studierende hauptsächlich zusehen und von den OberärztInnen lernen sollen, während die TurnusärztInnen die täglich anfallenden Arbeiten erledigen, drohen die Grenzen zwischen Medizinstudierenden und TurnusärztInnen im KPJ zu verschwimmen. „Ich habe Angst, dass ich im KPJ nichts lerne und stattdessen als Systemerhalter verwendet werde“, sagt Medizinstudent Florian. Auch auf Seiten der Krankenhäuser herrscht oftmals Ratlosigkeit. „Niemand weiß momentan, was unser Aufgabenbereich im KPJ ist. Nicht mal die Krankenhäuser“, kritisiert Medizinstudentin Jessica: „Viele Krankenhäuser in den Bundesländern haben sich lange geweigert, überhaupt KPJ-Studierende aufzunehmen, weil sie nicht wissen, was sie mit uns anfangen sollen.“

Die Befürchtungen der Studierenden scheinen nicht unberechtigt. Birgit hat das KPJ in Graz absolviert. „Eigentlich macht man hauptsächlich Turnusarbeit“, erzählt sie: „Es hängt davon ab, ob der Turnusarzt daran interessiert ist, dir was beizubringen oder nicht. Ich war sehr selten mit den Oberärzten unterwegs.“ Bei der ÖH Medizin Wien gibt es derzeit Arbeitsgruppen, die ein konkretes Profil für KPJStudierende erarbeiten. „Das Profil soll so ausformuliert sein, dass wenig Zeit für Erhaltungstätigkeiten bleibt“, erklärt Abelina, Referentin für Bildungspolitik bei der ÖH Medizin Wien.

Studierende als gratis Arbeitskräfte? Besonders prekär wird das KPJ vor allem für berufstätige Studierende. Jessica arbeitet etwa 20 Stunden die Woche als OP-Assistentin. „Es ist jetzt schon schwierig genug, neben dem Studium zu arbeiten. Neben dem KPJ wird sich das nicht mehr ausgehen“, sagt sie. Da die KPJ-Studierenden künftig auch einiges in den Spitälern leisten werden, wollen
sie für ihre Arbeit auch entlohnt werden. Bisher sollen die Studierenden im KPJ aber nicht bezahlt werden. Die ÖH Medizin fordert in erster Linie eine Aufwandsentschädigung. „Eine fixe Aufwandsentschädigung im KPJ wäre schon eine deutliche Entlastung“, sagt Abelina. Darüber hinaus wird versucht, das KPJ so flexibel wie möglich zu gestalten, sodass die Möglichkeit, nebenbei zu arbeiten, grundsätzlich realistisch bleibt: Es soll keine täglichen Fixstunden geben und die Stunden der Nachtdienste sollen auf die 35 Wochenstunden voll angerechnet werden. Zusätzlich soll es die Möglichkeit geben, sich im KPJ auch 25 Tage freizunehmen.

Die unabhängige Fachschaftsliste der Medizinuni, UFMUW, die bei den ÖH-Wahlen im Mai diesen Jahres die Mehrheit an der Medizinischen Universität erzielen konnte und demnächst gemeinsam mit dem VSStÖ den Vorsitz der ÖH Medizin übernehmen wird, spricht sich klar gegen Nebenjobs im KPJ aus: „Studierende sollten die Zeit, die sie während des KPJ nicht im Krankenhaus verbringen, dazu nutzen können sich Wissen anzueignen – und nicht von einer Arbeitsstelle zur nächste hetzen“, heißt es. Schon jetzt gibt es Gerüchte über Spitäler, die Turnusarztstellen abbauen wollen, um bezahlte TurnusärztInnen durch unbezahlte Medizinstudierende ersetzen zu können. „Wenn die Krankenhäuser einsparen, gibt es auch kein Argument, dass das Geld für die KPJ-Studierenden nicht da ist“, kommentiert Abelina die Gerüchte. Die UFMUW fordert eine Aufwandsentschädigung, die zumindest der Geringfügigkeitsgrenze entspricht, um die Studierenden sozial abzusichern. „Von den Studierenden zu verlangen, am Wochenende und in der Nacht arbeiten zu gehen, um tagsüber gratis in den Lehrkrankenhäusern mitzuarbeiten, erachten wir als maximale Ausbeutung von kostenlosen Arbeitskräften.“

Flucht ins bezahlte Ausland. Viele Medizinstudierende flüchten vor den unsicheren Zuständen an den heimischen Unis ins Ausland. In Deutschland und in der Schweiz wird das KPJ angemessen entlohnt. Laut der UFMUW werden in Deutschland oft 300 Euro bis 600 Euro bezahlt, in der Schweiz sogar 1000 Euro bis 1500 Euro. Jessica, die zum ersten KPJJahrgang gehören wird, will einen Teil des KPJ in der Schweiz machen. „In der Schweiz ist alles strukturierter. Dort lernt man wirklich etwas“, sagt sie. Florian wird zum zweiten KPJ-Jahrgang gehören. Er fürchtet, dass die Universität angesichts der Flucht des ersten KPJ-Jahrgangs ins Ausland dem zweiten Jahrgang Auslandsaufenthalte verbieten könnte. „Vielleicht bekommt die Uni Angst, dass die Studierenden ins
Ausland gehen, dort Bezahlung bekommen und dann nicht mehr zurückkommen“, meint er. Zumindest diese Unklarheiten scheinen aber mittlerweile geklärt zu sein. “Die ersten zwei Tertiale des KPJ kann man fix ins Ausland gehen“, erklärt Abelina: „Für das dritte Tertial muss man bei der Uni ansuchen – das sollte aber auch kein Problem sein.“

Ob das KPJ ein sinnvoller Teil des Studiums oder doch nur unbezahlte Arbeit zur Systemerhaltung sein wird, wird sich wohl erst zeigen. Fakt ist jedoch, dass Studierende, Krankenanstalten und Lehrende über Zweck und Ablauf des KPJ informiert werden müssen. Dies hat die Medizinische Universität Wien bisher jedenfalls verabsäumt.

Die Autorin ist Juristin und studiert derzeit Vergleichende Literaturwissenschaften an der Universität Wien.

AutorInnen: Verena Ehrnberger