Schlaflos

  • 24.06.2015, 17:12

Nur zwei Stunden Schlaf am Tag? Das polyphasische Schlafmodell, ein künstlich umgestellter Schlafrhythmus, soll das ermöglichen. progress sprach mit dem Schlafberater Georg Mühlenkamp.

Nur zwei Stunden Schlaf am Tag? Das polyphasische Schlafmodell, ein künstlich umgestellter Schlafrhythmus, soll das ermöglichen. progress sprach mit dem Schlafberater Georg Mühlenkamp.

Zeit, die wir mit Schlafen verbringen, ist Zeit, die uns tagsüber oft fehlt. Doch ist Schlaf tatsächlich verlorene Zeit, die wir sinnvoller nützen könnten? Gerade in der Prüfungs- und Abgabenzeit am Ende des Semesters tauschen viele Studierende Studienerfolg  gegen Schlaf,  wie einige US-Studien zeigen. Das polyphasische Schlafmodell kann helfen, das eigene Schlafpensum zu reduzieren. Dabei handelt es sich um einen künstlich umgestellten Schlafrhythmus, bei dem, im Gegensatz zum monophasischen Schlafmodell, statt über einen längeren Zeitraum in der Nacht mehrmals täglich für kürzere Zeit geschlafen wird.

progress: Eine Studie der Universität Cambridge besagt, dass zu viel Schlaf genauso ungesund ist wie zu wenig Schlaf – wie viel Stunden Schlaf benötigen wir wirklich?
Georg Mühlenkamp: Jeder Mensch hat ein individuelles Schlafmuster, das zum Teil vererbt wird und zum Teil antrainiert ist. Es gibt Menschen, denen reichen täglich fünf Stunden Schlaf,  um ihre Leistungsfähigkeit zu regenerieren. Andere wiederum benötigen zehn Stunden Schlaf. Der statistische Mittelwert liegt bei sieben Stunden.  Versuche  von SchlafforscherInnen  in  sogenannten Bunkern - ProbandInnen haben keine Uhr, kein natürliches Licht, keinen Kontakt zur Außenwelt - zeigten, dass die Menschen anfangs zehn Stunden durchschliefen und dabei ihr Schlafdefizit aufholten. Danach schliefen sie circa acht Stunden am Stück.

Polyphasisches Schlafen bedeutet im Gegensatz zum monophasischen Schlafen,  dass man mehrmals kurz am Tag schläft. Welche physischen und psychischen Beeinträchtigungen kann das mit sich bringen?
Eine Änderung des Schlafrhythmus ist mit den Auswirkungen eines Jetlags oder einer Zeitumstellung vergleichbar. Dazu zählen zum Beispiel Appetitlosigkeit, Depressionen, Konzentrationsschwächen, Stimmungsschwankungen und Unwohlsein.

Ist Leistungsfähigkeit ohne ausreichenden Schlaf überhaupt möglich?
Wir alle wissen, wie es uns nach einer schlaflosen Nacht geht. Unsere Leistungsfähigkeit hängt zum überwältigenden Teil von unserem Schlaf ab. Ein Beispiel: SpitzensportlerInnen können nur dann Topleistungen vollbringen, wenn sie vor Wettkämpfen ausreichend schlafen. Daher ist Doping mit Schlafmitteln im Spitzensport weit verbreitet.

Bei einer Umstellung des Schlafrhythmus auf polyphasisches Schlafen leidet der Körper besonders in den ersten Wochen unter Schlafentzug. Welche Folgen hat Schlafentzug über einen längeren Zeitraum?
Der Schlaf dient der geistigen, psychischen und physischen Regeneration. Unser Immunsystem regeneriert sich während des Schlafs und auch der größte Teil der Zellerneuerung geschieht im Schlaf. Unser Gedächtnis sortiert jede Nacht Wichtiges und Unwichtiges. Schlafentzug birgt schwere gesundheitliche Risiken und ist das weltweit am häufigsten eingesetzte Foltermittel. 

Wenn wir acht Stunden am Stück schlafen, stellen sich auf die Nacht verteilt in etwa zwei Stunden Tiefschlafzeit –  also  die  für die  Erholung wichtigen REM-Phasen – ein. Beim polyphasischen Schlafen wird das Gehirn mehrmals am Tag dazu gebracht, beim Einschlafen direkt in diese REM-Phasen zu gleiten und danach gleich wieder aufzuwachen. Was ist daran so verlockend?

Fälschlicherweise halten viele Menschen die Schlafzeit für verlorene Zeit und möchten daher ihr Schlafpensum reduzieren. Internet und Fernsehen haben  unsere Gesellschaft in eine 24-Stunden-Gesellschaft verwandelt. Wer schläft, hat Angst etwas zu verpassen.

Polyphasisches Schlafen kann nach unterschiedlichen Mustern praktiziert werden – die extremste Variante ist das „Uberman“-Schlafmuster. Konkret bedeutet das  sechs Mal 20 Minuten Schlaf und 22 Stunden Wachzeit täglich. Kann sich ein solches Schlafmuster bewähren?

Wenn es tatsächlich gelingt, sich während dieser insgesamt zwei Stunden Schlaf durchgehend in den REM-Phasen zu befinden, dann ja. Gelingt das nicht, ist es mit diesem Schlafmuster ähnlich wie mit Energiedrinks und Kaffee: Sie versetzen einen in ein künstliches Wachsein. Hier verwechselt man Unruhe sehr schnell mit Lebensenergie.

Gibt es eine gesunde und effektive Technik, das eigene Schlafpensum zu reduzieren?
Definitiv nicht. Wir sollten unser Schlafpensum auch nicht  reduzieren und unseren Schlaf nicht als Zeitverschwendung betrachten. Unsere Gesundheit, unser Sozialverhalten und unsere Leistungsfähigkeit hängen vom gesunden und erholsamen Schlaf ab.

In zahlreichen Blogs, Online-Foren und Büchern berichten  Menschen über ihre Erfahrungen mit dem polyphasischen Schlafmodell. Ist polyphasisches Schlafen ein Trend?
Ich würde es nicht als Trend bezeichnen, aber als einen begrüßenswerten Schritt in die Richtung, sich mit seinem oder ihrem Schlaf zu beschäftigen. Was gegen einen Trend spricht, ist die Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit durch den Arbeitsrhythmus in ein zeitliches Schema zur Regeneration gezwungen wird.

Viele kommen in ihren Selbstversuchen zum Schluss, dass das polyphasische Schlafmodell langfristig gesehen nicht sehr erholsam ist. Warum wird der Versuch des polyphasischen Schlafens dennoch praktiziert?

Wir leben in einer Zeit, in der Menschen das Interesse am Schlaf wiederentdecken und sich mit ihrem eigenen Schlafverhalten auseinandersetzen wollen. Wegen der Sachzwänge wie Arbeit oder Studium bleibt es in der Regel  aber beim Versuch.


Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOAN- NEUM in Graz.

AutorInnen: Sandra Schieder