Recht auf Spezies?

  • 19.07.2014, 14:26

progress online hat im Zuge einer Lesung in Wien mit dem Tierrechtler, Künstler und Autor Chris Moser (37) ein Gespräch geführt, das spannende Einblicke in Staatsrepression, Tierrechte und Antifaschismus gewähren lässt.

progress online hat im Zuge einer Lesung in Wien mit dem Tierrechtler, Künstler und Autor Chris Moser (37) ein Gespräch geführt, das spannende Einblicke in Staatsrepression, Tierrechte und Antifaschismus gewähren lässt.

Angesichts der minimierten Neuauflage des in die Annalen der Geschichte eingegangenen „Tierschutzprozess“ – der mit fünf Freisprüchen endete – ist dies eine enorm wichtige Hinwendung zu einem politisch relevanten Thema. Chris Moser war im Zuge des Tierschutzprozesses selbst drei Monate in Gefangenschaft gewesen.

progress: Du warst im Jahr 2008 drei Monate in U-Haft. Für dich muss das ein einschneidendes Ereignis in deinem Leben gewesen sein. Hat sich danach auch in deinem Denken und Handeln etwas grundlegend geändert?

Chris Moser: Ja, denn wir wurden ungerechtfertigt in U-Haft gesteckt. Das Gericht hat mir E-Mails mit lustigen Ironie-tags vorgehalten. Sehr wohl ironische, zynische Nachrichten. In einem E-Mail steht: „Machen wir doch einen Aktivist_innenworkshop, wer hat einen Platz?“ Ich habe geschrieben: "Gehen wir doch über die Baumgrenze, das ist cool, da ist niemand." Daraufhin kam die Antwort: "Nein, das ist so unbequem. Die Tierrechtsarbeit ist ohnehin schon schwer genug. Warum kann man es sich nicht gemütlich machen? Wieso muss man sich zurückziehen wie eine paramilitärische Gruppe, die Schießübungen macht?“ Ich habe dann geschrieben: „Das ist ja super, genau was wir wollen.“ Im Mail kann man diese Ironie nicht mehr hinauslesen und das fällt dir dann auf den Kopf. Sogar so arg, dass mein Anwalt gesagt hat: „Entschuldige, das kannst nicht schreiben.“

Obwohl du „emoticons“ verwendet hast – Gesichter aus Satzzeichen, die einer Nachricht den entscheidenden Ton geben können.

Ja und so ähnlich habe ich auch telefoniert. Wenn mich mein Gegenüber beim Telefonieren kennt, dann weiß es zum Teil über meine überspitzten Formulierungen Bescheid. Meine ganze Ironie, meinen ganzen Zynismus, meinen Humor. Und da hockt ein_e dritte_r Telefonteilnehmer_in und ist Polizist_in und denkt sich: „Das ist ja unvorstellbar radikal.“ Ich hatte speziell in den ersten Wochen, in den ersten Monaten Schlafstörungen. Das ist jetzt viel besser, aber es wäre gelogen, wenn ich nicht sagen würde, dass es verschiedene Gerüche gibt, verschiedene Waschmittel, verschiedene Marken, von denen ich Flashbacks bekomme. Das kann in der Früh sein, beim Autostoppen. Ich gehe frohgemut arbeiten, sitze in einem Autostoppauto, der/die Fahrer_in hat entweder ein komisches Rasierwasser oder komisches Shampoo...

Dich erinnern die Gerüche ans Gefängnis.

Ja, das kann mein Wärter mit dem Rasierwasser gewesen sein, das kann ein ähnliches Waschmittel gewesen sein. Mir ist Musik sehr wichtig. Normalerweise höre ich nicht Ö3. Im Gefängnis, das habe ich in meinem ersten Buch geschrieben, ist MTV gelaufen. MTV hatte eine Zeiteinblendung (wir hatten keine Uhr). Ich bin innerhalb von wenigen Tagen in dieser Hitparade drinnen gewesen. Einmal war Amy Winehouse ganz bekannt und super. Ich habe sie vorher nicht gekannt. Aber die Assoziation ist da: wenn ich jetzt so ein Lied höre, dann ist das unvorstellbar. Das habe ich in Wr. Neustadt im Gefängnis gehört. Höre ich es heute wieder, dann macht es zack-bumm! Und plötzlich rieche ich wieder wie es in der Kehle gekocht hat.

Würdest du sagen, dass der Staat mit der Inhaftierung, dem Prozess, mit der Aushorchung der Privatsphäre, mit der Bespitzelung, und all dem ein Verbrechen begangen hat – ist der Staat kriminell?

Schwierige Frage, weil der Staat viele meiner E-Mails als kriminell bezeichnet hat. Mit dem Wort kriminell würde ich vorsichtig sein, man müsste das Wort definieren. Im Grunde hat der Staat ein riesiges Unrecht begangen. Das ist aber in einem Staatskonstrukt nichts Seltenes. Es gehört zu einem Staatskonstrukt dazu, Unrecht zu begehen, weil es auf Unrecht basiert. Das ist einmal meine Meinung. Was er sich bei uns geleistet hat, war ein riesengroßer Schnitzer. Das passiert sehr selten. Sonst ist es ja unter dem Deckmantel der Pseudodemokratie versteckt. Bei uns war das aber nicht mehr möglich. Jeder Hinz und Kunz hat plötzlich gecheckt, dass irgendetwas falsch läuft. In Interviews unmittelbar nach der Enthaftung habe ich gesagt, dass ich diese Haft bzw. Gefangenschaft mit nichts relativieren kann. Versuche ich es aber nüchtern und politisch zu sehen, dann muss ich sagen: Ich wäre niemals so deutlich geworden. Diese Demaskierung wäre mir niemals gelungen. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der meinte, dass an dem Prozess was dran sei. Solche Menschen gibt es aber wahrscheinlich auch.

Ich möchte mit dir auch über Veganismus und Tierrechte sprechen. Wann hast du dich für die vegane Lebensweise entschieden und wie ging es dir dabei? Wo sind die für viele Menschen hohen Hürden für einen Umstieg zum Veganismus?

Unsere Familie und ich haben uns 1999 für das vegane Leben entschieden und sind in der Tierrechtsszene aktiv geworden. Wir haben unser politisches Engagement auch auf nichtmenschliche Tiere ausgeweitet. 1,5 Jahre vorher habe ich die ganzen Fakten über Nutztiere bereits gekannt. Der Umstieg auf eine vegane Lebensweise ist aber ein schwieriger Prozess - da nehme ich mich selbst gar nicht aus. Wenn man das Leben radikal ändern muss, dann geht es darum, die Konsequenzen zu ziehen. Wenn man hergeht und sagt, ich nehme die nichtmenschlichen Tiere auf in mein Gerechtigkeitsempfinden, ich will den Tieren Autonomie gewähren, dann muss die Person erkennen, dass sie es mit ihrem Konsum verbinden muss. Der Mensch kommt dann aber an einen Punkt, wo er erkennen muss: „Wenn ich das jetzt radikal anders mache, dann gestehe ich ein, dass ich etwas die letzten 25 Jahre falsch gemacht habe.“ Wenn begründet wird, dass der Fleischkonsum kulturell bedingt immer schon war, dann heißt das nichts anders als: „Das habe Ich immer schon so gemacht.“ Man muss sich eingestehen, dass man sein ganzes Leben etwas falsch gemacht hat. Aber man sieht nur sich, die eigene Spezies. Genau das ist das Problem. Das ist Willkür.

Gibt es einen relevanten Unterschied zwischen Fleischkonsum und dem Töten von Stieren in den spanischen Stierkampfarenen?

Ich sehe keinen Unterschied, möchte sogar sagen, dass, wenn ich mich entscheiden müsste, ob es weiterhin nur Schweinezucht oder Stierkampf geben würde, ich mich für den Stierkampf entscheiden würde. Der Stierkampf ist quantitativ weniger relevant als der Schweinefleischkonsum in Österreich. Der/die Österreicher_in kann Fleischkaßsemmel essen und sich über den Stierkampf aufregen. Es gibt auch Österreicher_innen, die sich fleischkassemmelessend massiv über Pelz aufregen, weil sie keinen Pelz tragen. Man kann leicht kritisieren, wenn man sich selbst nicht reflektieren muss. Das ist Prämisse Nummer eins - ich bin unfehlbar. Da muss man aber versuchen, sich selbst an der Nase zu nehmen. Das versuche ich selbst, ich werde älter, es ist nicht einfach, aber man muss es sich im Leben eingestehen, wenn man einen Fehler gemacht hat.

Nehmen wir an, alle Menschen auf der Welt würden vegan leben. Wie ist das mit dem Welthunger? Abgeschafft? Zumindest hört man das Argument von vegan lebenden Menschen sehr oft.

Was man sagen und berechnen kann, ist: Es würde mehr Anbauflächen geben. Es gibt aber ein Verteilungsproblem. Der Welthunger wäre jetzt auch nicht da, wenn es das Verteilungsproblem nicht geben würde. Ich muss ganz ehrlich sagen – und ich hoffe, dass es in meinen Büchern so rüberkommt - ich finde, Veganismus ist elementar Teil eines emanzipatorischen Denkens, aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Ähnlich wie Selbstbestimmung oder Antirassismus. Es ist elementar, kann aber nicht bereits dort enden.

Der Veganismus also als Grundlage, auf der menschliches Handeln aufgebaut sein soll?

Genau. Und Voraussetzung für eine emanzipatorische Herangehensweise. Man kann nicht sagen: „Ich bin emanzipatorisch“ und fresse gleichzeitig Tiere. Immer vorausgesetzt, dass es nicht anders möglich ist.

Wie soll dabei jetzt die „perfekte“ Welt aussehen? Wie stellst du sie dir vor?

Grundsätzlich einmal schön.

Schönes Wetter?

Nein, Wetter kann nicht „schön“ oder „schlecht“ sein. Ich möchte Selbstbestimmung statt Hierarchie. Ich möchte ein Miteinander statt gegeneinander. Ich möchte Anarchie statt abgegebener Verantwortung. Es ist sehr schwer, weil jeder andere Vorstellungen von Worten hat. Um es aber zu vereinfachen: ich stelle mir eine perfekte Welt vegan-anarchistisch vor.

Anarchie? Ist das nicht Chaos pur?

(lacht) Anarchie heißt Ordnung ohne Herrschaft.

Wie soll das funktionieren? Braucht der Mensch nicht ein ihn kontrollierendes Element, das hinter ihm steht und Anweisungen gibt?

Die Menschen werden weggezüchtet von einer Menschlichkeit, die ein Frei-Sein ermöglicht und von klein auf indoktriniert. Hierarchie wird als etwas total Normales verkauft. Ungerechtigkeit wird als etwas Normales verkauft. Unterdrückung wird als etwas Normales verkauft. Dass solche Menschen, als Sklaven geboren und zu Sklaven gemacht, von heute auf morgen selbstbestimmt und frei leben können, das ist leider nicht so einfach. Deswegen geht der Weg zu einer freien anarchistisch-veganen Gesellschaft nur über Bewusstseinsbildung. Und das ist das, was ich jeden Tag mache. Wenn es nur die klitzekleine Möglichkeit gibt, das umzusetzen, dann ist es das wert, sehr viel aufzugeben.

Glaubst du, dass du jemals in so einer Welt leben wirst?

Schwer zu sagen. Ich und andere schaffen es teilweise, sich aus Strukturen auszuklinken. Wenn ich das nicht schaffen würde, wäre ich bereits am Sand.

Ist das aber nicht nur eine Insel im Kapitalismus?

Keine Frage. Das ist aber genau diese Insel, wo du dir als Widerstandskämpfer_in die investierte Energie auch wieder schnappen kannst, es ist gut, einen Rückzugsraum zu haben. Ein Refugium, wo du weißt, dass die Uhren anders ticken. Kraft tanken ist sehr wichtig. Im Kapitalismus geht das nicht, der Kapitalismus frisst nur, auch Kraft. Im Endeffekt stillt der Kapitalismus nicht die Bedürfnisse, die er weckt. Rückzugsorte können aber auch als Oasen im Kapitalismus gesehen werden. Ein Weg kann auch sein, diese Oasen auszudehnen. Ich bin aber der Letzte, der behauptet, die Antworten gefunden zu haben.

Grenzüberschreitendes. Foto: Chris Moser

Ich möchte kurz auf deine Kunst eingehen, die du ja im Zuge der Verhandlungen im Tierrechtsprozess der Richterin erklären musstest. Wie fühlt man sich in so einer, beschwichtigend formuliert, verstörenden Situation?

Es sollte nicht notwendig sein, Kunst zu erklären. Ich erkläre meine Kunst aber gerne, ich tausche mich gerne aus. Was aber tatsächlich alarmierend war, ist, dass ich das im Gerichtssaal machen musste. Als politisch Interessierter sollten alle Glocken klingeln, wenn man der Frau Einzelrichterin Kunstwerke erklären muss. Spätestens da muss es aus sein. Es sind aber viele Sachen im Prozess geschehen, es war ein Riesenprozess. Vor dem Prozess habe ich auch bereits keine hohe Meinung vom Staatskonstrukt gehabt. Ich habe weniger Achtung, eine weniger hohe Meinung nach diesem Prozess. Ich bin aber zu politisch und zu aufmerksam, als dass ich ernsthaft enttäuscht sein kann. Du hast es bei einigen Angeklagten aber gemerkt: „Scheiße, das ist Demokratie." Ich habe mir dabei gedacht: "Genauso ist es, ich habe es gewusst!"

Ich wäre so gerne im Alter von 35 Jahren aufgewacht und hätte mir gedacht: „Jetzt hast du dein ganzes Leben lang gegen ein faschistoides Phantom gekämpft und jetzt siehst du, es ist gar nicht da. In meinem Fall war das anders: Ich habe ein ganzes Leben lang gegen ein faschistoides Phantom gekämpft und plötzlich erkennst du: Es ist noch viel schlimmer! Und das war für mich ein riesen Aha-Effekt! Ich habe aber gemerkt, dass es auch für viele im Prozess ein Aha-Effekt war. Uns allen wurde bewusst, dass wir lediglich die Spitze von diesem Eisberg sind. Bei uns ist der Prozess relativ glimpflich ausgegangen, es war sehr viel Öffentlichkeit involviert und wir sind alle nicht aufs Maul gefallen. Aber was passiert mit denen, die keine Öffentlichkeit und vielleicht nur eine andere Sprache beherrschen? Das passiert laufend! Das ist aber etwas, auf das sich unser Staat gründet. Proudhon sagte: „Wer immer die Hand auf mich legt, um über mich zu herrschen, ist ein Usurpator und ein Tyrann. Ich erkläre ihn zu meinem Feinde.“ Das war schon mein Ding, als ich 15 war und das hat sich bestätigt.

Kannst du nach den jahrelangen Erfahrungen mit Repression noch irgendetwas Gutes über den Staat Österreich sagen?

Ich freue mich natürlich über den Freispruch, obwohl dieser ja selbstverständlich sein sollte. Ich lehne den „Staat Österreich“ ab, wie ich alle Nationen und Staaten ablehne, nicht anerkenne. Ich geh aber davon aus, dass es in Staatskonstrukten anderswo auf der Welt zum Teil bestimmt weit übler hätte kommen können. Das ist keine Versöhnung, sondern klar faktisch. Nur weil es vielleicht anderswo auch schrecklich oder noch schrecklicher ist, relativiert das nicht die Scheiße vor der eigenen Haustüre. Eine Versöhnung gibt es nicht, genauso wie es kein Vergessen geben wird. Niemals, in keinem Punkt!

Lieber Chris, vielen Dank für das spannende Gespräch und alles Gute für deine Zukunft.

Sehr gerne. Und lieben dank für die Wünsche; es war mir eine Freude, mich derart gut zu unterhalten!

Aufnahmen nach der Verhaftung 2008. Foto via: Chris Moser

 

Bücher von Chris Moser:

- Die Kunst, Widerstand zu leisten: Ein Tatsachenbericht. kyrene, März 2012

- m.E. - meines Erachtens - Essay. kyrene, September 2013

- Galerie des Entsetzens: Die ungeschminkte Wahrheit über Mensch-Tier-Verhältnisse. SeitenHieb, März 2014. (Chris Moser mit Tobias Hainer)

 

Gabriel Binder (geb. 1987) studiert Geschichte an der Universität Wien, ist freier Schriftsteller und mitunter bei Screaming Birds engagiert.

AutorInnen: Gabriel Binder