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  • 21.09.2012, 12:17

Die Arbeit hoch? Über den Wandel der Lohnarbeit und den Kampf gegen sie. Ein Kommentar von Simon Sailer.

Die Arbeit hoch? Über den Wandel der Lohnarbeit und den Kampf gegen sie. Ein Kommentar von Simon Sailer.

Am 1. Mai wird traditionell der „Kampftag der Arbeiterbewegung“ abgehalten oder der „Tag der Arbeit“ gefeiert. Von den beiden Bezeichnungen scheint sich die letztere durchgesetzt zu haben. Das liegt nicht nur an dem kämpferischen Ton der Alternative, welche in wenig kämpferischen Zeiten schwer über die Lippen kommt, es handelt sich dabei auch um eine inhaltliche Verschiebung. In gewisser Weise sind die beiden Ausdrücke sogar entgegengesetzt: In ihnen spiegelt sich die Ambivalenz der Geschichte dieses gerade in Österreich bedeutsamen Tages.

KÄMPFEN. Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte die organisierte Arbeiter*innenbewegung Arbeitsrechte zu erkämpfen, wie etwa die Verringerung der Arbeitszeit, das Recht auf geregelte Feiertage und bessere Arbeitsbedingungen. Das stärkste Mittel dieses Kampfes war der Streik, das kollektive Niederlegen der Arbeit. Im Vordergrund stand also zunächst die Weigerung, sich weiter schinden zu lassen, also die Ablehnung der menschenfeindlichen Auswirkungen von Lohnarbeit. Motiviert waren die Kämpfe von dem Wunsch nach erträglichen Lebensbedingungen. Selbstverständlich spielten aber auch Utopien umfassender gesellschaftlicher Veränderung, in Österreich vor allem in der Sozialdemokratie, eine entscheidende Rolle. Im Austrofaschismus wurden die sozialdemokratischen Maiaufmärsche verboten, während der 1. Mai aber weiterhin als Feiertag bestehen blieb. Die Nationalsozialist*innen erklärten den Tag zum „Tag der deutschen Arbeit“ beziehungsweise zum „Tag der Nationalen Arbeit“. Die Arbeitnehmer*innen fassten sie mit den Arbeitgeber*innen in einer Organisation zusammen: der „Deutschen Arbeitsfront“. Gewerkschaften wurden aufgelöst und das Streikrecht wurde abgeschafft. Die Sozialdemokratie versuchte in Österreich kurz nach der Befreiung wieder an die Tradition aus den 1920er-Jahren anzuknüpfen; in den unterschiedlichen Bezeichnungen für den 1. Mai drückt sich aber weiterhin die geschichtliche Mehrdeutigkeit des Tages aus.

ABFINDEN. Die Ambivalenz ergibt sich aber nicht nur aus der widersprüchlichen Geschichte des Tages, vielmehr ist diese Ausdruck der zwiespältigen Lage der Arbeiter*innen selbst. Zunächst kämpften sie für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, also um die Befreiung von der Gewalt der Arbeit, um schließlich die Arbeit selbst zu feiern und „Die Arbeit hoch!“ zu rufen. Diese Entwicklung kann als Abfinden mit dem Elend, das die Arbeit bedeutet, interpretiert werden. Nach dem Scheitern der Versuche, die Notwendigkeit menschenunwürdiger Arbeit durch gesellschaftliche Veränderung zu beseitigen, gibt man sich damit zufrieden, die eigene Situation schön zu feiern. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine Entscheidung, die von der arbeitenden Bevölkerung immer wieder aufs Neue getroffen wird. Vielmehr ist der Gegensatz, welcher zwischen Arbeit und Wirtschaft besteht, seit dem Nationalsozialismus seltsam zugedeckt. Die Institution, die die Schlichtung des unauflösbaren Konfliktes verkörpert, ist die österreichische Sozialpartner*innenschaft. Sie lässt es so aussehen, als säßen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen in einem Boot, als hätten die Lohnarbeiter*innen zwar im Kleinen, nicht aber insgesamt andere Interessen.

BESCHÄFTIGEN. Diese Befriedung erstreckt sich aber weit über die Domäne der Arbeit und Ökonomie hinaus. Das Reglement, welches die Lohnarbeit den Menschen vorgibt, macht sich auch in deren Freizeit bemerkbar. Diese näherte sich in den 1950er- und 60er-Jahren immer mehr der Struktur der Lohnarbeit an. Dass es ein eigenes Wort für eine emsig betriebene Freizeitbeschäftigung gibt („Hobby“), zeugt von dieser Annäherung. Es handelt sich dabei um eine arbeitsförmige Beschäftigung, die sich, nur weil sie unbezahlt und freiwillig ausgeführt wird, dazu eignet, wieder fit für die Arbeit zu werden. Heute erstreckt sich die Lohnarbeit mehr und mehr tatsächlich und unmittelbar in die von ihr auf den ersten Blick verschonte freie Zeit. Die Handy-Nutzer*innen müssen immer erreichbar sein, sie müssen sich im Internet angemessen repräsentieren und müssen, um im Beruf nicht auf der Strecke zu bleiben, wo sie auch hinkommen, fleißig „networken“. Das führt aber dazu, dass die sozialen Beziehungen verkümmern und instrumenteller werden. Und weil das menschliche Gefühlsleben von sozialen Beziehungen abhängt, muss jemand sich um die verstümmelten Seelen bemühen. Ein Teil dieser emotionalen Arbeit kann als Psychotherapie oder Sozialarbeit professionalisiert werden, aber nicht alle psychische Instandhaltung eignet sich zu solcher Auslagerung auf Unbeteiligte.

ARBEITEN. Diese übrige Arbeit (wie übrigens auch die klassische reproduktive Arbeit), die so wenig messbar, und doch für den Fortbestand des Kapitalismus so entscheidend ist, bildet eine Art Schatten und eine unbemerkte, stillschweigende Voraussetzung der bezahlten Arbeit, die mit Respekt und Anerkennung belohnt wird. Gerade die Ausführung dieser abgespaltenen Arbeit wird aber vielfach von Frauen erwartet. Aufgrund der Strukturen des Arbeitsmarktes und bestimmter Geschlechterbilder werden ihnen diejenigen Tätigkeiten aufgedrängt, die den größten Einsatz der ganzen Person verlangen und gleichzeitig – vielleicht eben deshalb – gesellschaftlich am geringsten geschätzt werden. Übrigens betrifft dieses Phänomen nicht nur Frauen, sondern es tendiert dazu, sich auf andere gesellschaftlich marginalisierte Gruppen zu verschieben. Diese Flexibilität rührt aus dem angesprochenen Zusammenhang mit dem Kapitalismus: Irgendwer muss diese Arbeit erledigen, und es werden immer die schlechter gestellten einer Gesellschaft sein.

SOLIDARISIEREN. Einen Ausweg aus diesen Verhängnissen würde nur eine Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise und der beschriebenen Arbeitsverhältnisse versprechen. Eine derartige Entwicklung ist allerdings nicht in Aussicht und es scheint also vorerst nichts übrigzubleiben, als sich für jene einzusetzen, die gerade am stärksten von diesen Tendenzen betroffen sind. Außerdem gilt es zu versuchen, sich von Verhältnissen nicht dumm machen zu lassen, die zwar vorläufig kaum zu ändern, aber doch zumindest besser zu begreifen sind.

Der Autor studiert Philosophie in Wien.

AutorInnen: Simon Sailer