Menschenrechte statt Charity

  • 08.12.2013, 15:01

Die österreichische Refugee-Protestbewegung begann am 24. November 2013 mit einem Protestmarsch vom Flüchtlingslager Traiskirchen nach Wien. Nach monatelanger Besetzung der Votivkirche lebten die Flüchtlinge von März bis Ende Oktober im Wiener Servitenkloster. progress online hat die Refugee-AktivistInnen und deren UnterstützerInnen dort besucht.

Die österreichische Refugee-Protestbewegung begann am 24. November 2012 mit einem Protestmarsch vom Flüchtlingslager Traiskirchen nach Wien. Nach monatelanger Besetzung der Votivkirche lebten die Flüchtlinge von März bis Ende Oktober im Wiener Servitenkloster. progress online hat die Refugee-AktivistInnen und deren UnterstützerInnen dort besucht.

Nach der rund elfwöchigen Besetzung der Wiener Votivkirche übersiedelten 63 Flüchtlinge in das naheliegende Servitenkloster. Die meisten von ihnen stammen aus Pakistan. Das Kloster stand zu diesem Zeitpunkt leer und diente den Refugees bis Ende Oktober als Wohnort. Die Betreuung erfolgte durch MitarbeiterInnen der Caritas und war nicht konfliktfrei abgelaufen. Ende Juli hatte die Polizei das Kloster gestürmt. Dabei wurden acht Pakistanis wegen angeblichem „Schlepperverdacht“ festgenommen. Sie wurden schließlich nach Pakistan abgeschoben. Die Stimmung der Refugees war während dieser Zeit bedrückt und von der Angst geprägt auch abgeschoben zu werden.

Der Keller des Servitenklosters diente den Refugees und den AktivistInnen als Aufenthalts- und Begegnungsraum. In ihm diskutierten sie über das Asylrecht und über die Lebensbedingungen in den Flüchtlingswohnheimen. Auf Plena wurden Demonstrationen und Aktionen geplant. Dort haben die Refugees gemeinsam mit ihren aktiven UnterstützerInnen ihr gemeinsames Abendessen eingenommen. Aus Angst vor Polizeidurchsungen und Abschiebungen schliefen sie lieber gemeinsam. So diente der Keller trotz der feuchten Wände und des modrigen Geruchs für viele Flüchtlinge auch als Schlafraum.

In einem weiteren Trakt des Klosters befanden sich die Zimmer der Flüchtlinge, in denen sie ihr Hab und Gut untergebracht hatten. Meist lebten in diesen Zimmern jeweils zwei Refugees miteinander. Sie selbst hatten das Kloster nach eigenen Angaben nie als typisches Flüchtlingslager gesehen, in dem es keine andere Möglichkeiten als zu essen und schlafen gäbe. Vielmehr war das Servitenkloster ein Ort des Protests und der Selbstorganisation. Österreichweit war dies die erste Protestbewegung, bei der sich Flüchtlinge selbst politisch zu Wort gemeldet und den Protest eigenständig organisiert haben – eine Besonderheit in einem Land, das in Europa das Schlusslicht an selbstorganisiertem zivilgesellschaftlichen Protest darstellt. Während der Proteste sind auch viele Freundschaften zwischen den Flüchtlingen und den AktivistInnen entstanden.

Isabelle Massoud* (21) engagierte sich bereits im November 2012 bei der Refugee-Protestbewegung. Die Politikwissenschaftsstudentin hatte zuvor ein Praktikum beim UNHCR gemacht und arbeitet bei der Diakonie im Flüchtlingsheim Traiskirchen in der Rechtsberatung. Dass Flüchtlinge aus Pakistan kein Asyl bekommen, kann Massoud nicht nachvollziehen: „Für Flüchtlinge aus Pakistan gibt es in Österreich eine Anerkennungsrate von nur einem Prozent, während es für jene aus Afghanistan 46 Prozent sind. Auch wenn die Gruppe hier keine homogene ist, so gibt es unter ihnen schiitische Paschtunen, die definitiv verfolgt werden und deren Sicherheitslage sehr schlecht ist.“

Die Abschiebung von pakistanischen Flüchtlingen führt sie auf das mangelhafte außenpolitische Wissen der österreichischen BeamtInnen und PolitikerInnen zurück: „Die meisten Asylanträge werden wegen der Lücken in der Staatendokumentation negativ beschieden. Außerdem wird die Sicherheitslage innerhalb des Heimatlandes des Flüchtlings zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht nochmals geprüft.“ Sie ergänzt: „Momentan sind nicht einmal die Wahlergebnisse der bereits vor Monaten abgehaltenen Wahlen in Pakistan in die Staatendokumentation eingearbeitet. Das ist wirklich erschreckend, denn in anderen EU-Ländern sind die Dokumentationen auf dem aktuellen Stand.“

*Der Name wurde auf Wunsch der Interviewpartnerin geändert und ist der Redaktion bekannt.

Mir Jahangir Awan (25) kommt aus Kaschmir und ist einer der Refugees, die aus politischen Gründen aus ihrer Heimat fliehen mussten. Awan studierte Business Management und engagierte sich in einer StudentInnenorganisation gegen pakistanische Verwaltung der Region Kaschmir. Als ihn die pakistanische Intelligent Security Agency verfolgte, beschloss er, aus der Region zu fliehen. Da Mir Jahangir Awan im Jahr 2005 in seiner Heimatstadt Muzaffarabad mit österreichischen UN-Truppen gut zusammengearbeitet hatte, beschloss er nach Österreich zu fliehen. Nach seiner Ankunft in Österreich im Herbst 2011 meldete er sich freiwillig als Flüchtling in Traiskirchen. Die Situation in Traiskirchen war sehr schlecht. Es gab eine große Anzahl an Flüchtlingen, die in einem Zimmer mit zwanzig Betten untergebracht waren und die Situation war sehr schwierig, da Flüchtlinge aus den unterschiedlichen Ländern und Kulturen in diesem Raum schlafen mussten. Das Essen war auch sehr schlecht und wenn man das Frühstück verpasste, so erhielt man keines mehr“, erzählt Mir Jahangir Awan von seinen Erfahrungen und ergänzt: „Das Flüchtlingslager Traiskirchen zu verlassen wurde mir verboten. Ich habe mich wie in einem Gefängnis gefühlt.“

Nach einem Monat in Traiskirchen wurde Mir Jahangir Awan in ein Flüchtlingslager im Bezirk Vöcklabruck (Oberösterreich) überstellt: „Während dieser Zeit habe ich mich an der FH Steyr an der Fakultät für Management beworben. Ich hatte die Anforderungen erfüllt. Doch leider wurde ich nicht zugelassen, da ich keinen Reisepass besitze.“ Er berichtet, dass er im Flüchtlingslager nichts – abgesehen von essen und schlafen – machen konnte. „Als ich von dem Protest in Wien gehört hatte, habe ich mich im Dezember 2012 dem Protest angeschlossen. Wir gehörten zu den 60 Leuten, die damals in der Votivkirche waren und wir haben viel Öffentlichkeit und Sympathien von der österreichischen und europäischen Zivilgesellschaft bekommen“, erzählt Mir Jahangir Awan. Er erläutert auch seine politische Sicht: „Der österreichische Staat reagiert nun verärgert, weil wir auf die wahre Situation der Asylpolitik aufmerksam gemacht haben. Die PolitikerInnen möchten ein Zeichen zu setzen, um andere Flüchtlinge abzuschrecken.“

Mir Jahangir Awan hat große Angst nach Pakistan abgeschoben zu werden: „Wenn ich nach Pakistan zurückkehren muss, dann werde ich von der pakistanischen Federal Agency am Flughafen verhaftet und in ein Gefängnis für sechs Monate ohne Verfahren und Anhörung gesteckt – und niemand wird jemals davon erfahren.“

„Österreich ist ein reiches Land und wir können es uns nicht leisten, Menschen in Kriegsregionen zurückzuschicken. Das ist eine Schande“, hält der Politikwissenschafts- und Philosophiestudent Louis Reumann (19) entschieden fest. Seit Dezember 2012 ist er innerhalb der Refugee-Protestbewegung aktiv und erzählt, wie er damals in der Votivkirche viele offene Leute kennengelernt und sich mit „Händen und Füßen“ verständigt hat. Reumann gehört zu den 50 bis 70 AktivistInnen, die ganz eng mit den Refugees zusammenarbeiten. Er kümmert sich um die Pressearbeit sowie um Krankenhausbesuche und gibt den Refugees psychischen Halt. Die Situation der Flüchtlinge betrachtet Reumann kritisch: „Man kann zwar hier leben, aber die Bedingungen sind nicht human. Ich persönlich würde seitens der Kirche die Menschen hier nicht in diesem feuchten Keller schlafen lassen.“

Besonders berührt hat ihn die Teilnahme am Protest-Songcontest, bei der die Refugees den zweiten Platz erhielten. Reumann erzählt aber auch von seinen negativen Erlebnissen: „Im Jänner 2013 haben Neonazis versucht in die Votivkirche einzudringen und sind am Eingangstor hochgeklettert. Wir haben damals die Leute weggebracht und sind in ein Lokal geflohen.“ Auch mit den österreichischen PolitikerInnen hat er schlechte Erfahrungen gemacht: „ Einmal waren wir beim SPÖ-Kanzlerfest und dort habe ich mit Josef Cap über die Situation der Refugees geredet. Cap hat mir damals erzählt, dass die Wahlen in Pakistan demokratisch wären und dass wir die Sicherheitslage unterschätzen würden. Die Flüchtlinge könnten seinem Erachten nach durchaus nach Pakistan zurückgeschickt werden, weil es ein sicheres Land sei. Das war sehr zynisch und ich glaube, dass es da auch um rechte WählerInnenstimmen geht.“

Auch Nisar Ali (22) – links im Bild - ist ein politischer Flüchtling und hat in Pakistan Informatik studiert. Sein Heimatort im pakistanischen Swat Valley ist nur drei Kilometer von jenem der Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai entfernt. Malala ist mittlerweile für ihr Frauenrechtsengagement weltweit bekannt. „Im Swat Valley leiden wir besonders stark unter dem Terror der verschiedenen Terrorgruppen. Al-Quaida ist nur eine von über 30 Organisationen“, erklärt Nisar Ali und ergänzt: „Viele Menschen leiden unter Selbstmordanschlägen und Entführungen. Auch ich hatte Probleme mit Terrorgruppen und der Regierung und habe deshalb Pakistan verlassen.“ Er erzählt davon, dass in den letzten Jahren über 60.000 Menschen durch Bombenanschlägen oder Selbstmordanschlägen getötet wurden. Nisar Ali erzählt von seinen Hoffnungen und seinen Träumen sich in Europa ein Leben aufzubauen. Heute resigniert er: „In Pakistan musste ich jeden Tag damit rechnen getötet zu werden. Mittlerweile denke ich aber, dass es besser gewesen wäre in Pakistan zu bleiben. Denn hier lebe ich wie in einem Gefängnis.“ Auch er kann sein Studium in Österreich aus rechtlichen Gründen nicht fortsetzen. Außerdem, erzählt er, dass ihm selbst der Besuch eines Deutschkurses nicht möglich sei, da er keinen Aufenthaltstitel hat.

Die Abschiebung der acht Pakistanis hat auch ihn sehr erschüttert. Nisar Ali kann das Vorgehen der österreichischen Behörden und PolitikerInnen nicht verstehen: „Die ganze Welt weiß, dass Pakistan ein unsicherer Staat ist. Wir haben keine Menschenrechte und können dort nicht leben. Abschiebungen in unsichere Länder sind komplett gegen die Menschenrechte.“ Er weist auch auf die Nichteinhaltung der polizeilichen Richtlinien bei der Abschiebung seiner Freunde hin: „Normalerweise werden den Menschen vor ihrer Abschiebung Briefe geschrieben und in Untersuchungshaft gesteckt. Doch das ist nicht geschehen. Sie haben unseren Freunden nicht die Chance zur Verteidigung gegeben.“ Auch Nisar Ali hat große Angst davor nach Pakistan abgeschoben zu werden. Denn mittlerweile hat er den dritten negativen Asylbescheid bekommen.

Ende Oktober haben die letzten Refugees das Wiener Servitenkloster verlassen und die Akademie der Bildenden Künste für einige Tage besetzt. Momentan wissen sie nicht, wie es mit ihnen weitergehen wird. Doch eines ist für sie gewiss: Sie wollen weiter zusammen bleiben und für ihre Forderungen als Vienna Refugee Movement kämpfen.

 

Das Refugee Protest Camp Vienna wurde für den respekt.net Weihnachts-Award nominiert!

Bis 15. Dezember 2013 könnt ihr täglich eure Stimme für die Refugee Protest Bewegung abgeben: www.respekt.net

Link zu den Awards: http://www.respekt.net/projekte-unterstuetzen/awards/awards-bei-respektn...

Es geht um ein Preisgeld von 5.000 EUR für die Refugees!

 

Sami hat uns auf folgende Fakten aufmerksam gemacht, die wir hiermit gerne veröffentlichen:
"Ein kleiner Fehler ist mir aufgefallen: "Die Betreuung erfolgte durch MitarbeiterInnen der Caritas und war nicht konfliktfrei abgelaufen. Ende Juli hatte die Polizei das Kloster gestürmt. Dabei wurden acht Pakistanis wegen angeblichem „Schlepperverdacht“ festgenommen. Sie wurden schließlich nach Pakistan abgeschoben."

Im Juli ist zuerst das sogenannte "gelindere Mittel" (Schubhaftersatzmaßnahmen bei der sich Betroffene täglich bei der Fremdenpolizei melden müssen um sich kontrollieren zu lassen) über (soweit ichs noch im Kopf hab) 21 Refugees gegeben. Dann wurden auf einen Schlag bei einer solchen täglichen Kontrolle (zu der die Refugees ja gehen mussten) 8 dieser festgenommen. Die übrigen über die diese Maßnahme verhängt wurde, wurden vermutlich nur deshalb nicht festgenommen, weil sie der Kontrolle fernblieben.

Die 8 Festgenommen wurden abgeschoben, 7 nach Pakistan, einer nach Ungarn (sogenannte Dublin II Abschiebung).

Während diesbezüglich gerade die Wellen des Protests hochgingen, wurden dann weitere Menschen festgenommen, davon 3 aus dem Refugeebewegungskontext. Ihnen wird seitdem "Schlepperei" vorgeworfen, sie sitzen seitdem in Österrreich in U-Haft, derzeit in Wiener Neustadt (die aus dem Tierschutzprozess berüchtigte Staatsanwaltschaft Wr Neustadt kümmert sich um den Fall http://wien.orf.at/news/stories/2619435/)."

 

 

AutorInnen: Claudia Aurednik