Made in China

  • 13.07.2012, 18:18

Während sowohl chinesische KapitaleignerInnen als auch ausländische InvestorInnen und KonsumentInnen weiter von den niedrigen Lohnkosten in China profitieren, regt sich der Widerstand bei den unterbezahlten und unzulänglich vertretenen ArbeiterInnen. Deren Erwartungen steigen nach 30-jährigem Wirtschaftswachstum auf Kosten ihrer Rechte.

Während sowohl chinesische KapitaleignerInnen als auch ausländische InvestorInnen und KonsumentInnen weiter von den niedrigen Lohnkosten in China profitieren, regt sich der Widerstand bei den unterbezahlten und unzulänglich vertretenen ArbeiterInnen. Deren Erwartungen steigen nach 30-jährigem Wirtschaftswachstum auf Kosten ihrer Rechte.

Die All-China Federation of Trade Unions ist mit über 130 Millionen Mitgliedern die größte Gewerkschaft der Welt. Doch wer sich davon eine starke Vertretung der chinesischen ArbeitnehmerInnen erwartet, irrt. Die von Peking kontrollierte Einheitsgewerkschaft spielt bei Lohnverhandlungen praktisch keine Rolle, sondern tritt eher durch die Organisation von Sportveranstaltungen in Erscheinung. Ihre Funktionäre kooperieren häufig mit dem Management und genießen wenig Vertrauen in der Belegschaft. Zwar wurde durch die 1994 eingeführten Dienstverträge eine Basis für Kollektivverträge geschaffen, auf eine spätestens dadurch notwendige, demokratischrepräsentative Struktur wurde allerdings verzichtet.

13 Selbstmordversuche. So ist es kaum verwunderlich, dass der Lohn vieler ArbeiterInnen trotz Arbeitszeiten von bis zu 70 Wochenstunden nicht einmal ansatzweise den Erwerb der in ihrer Fabrik hergestellten Produkte ermöglicht. Obwohl die Löhne seit einigen Jahren trotz der hohen Inflation zumindest offiziell real ansteigen, machen die hohen Wohnkosten, die substantielle Einkommensungleichheit und die damit verbundene Perspektivenlosigkeit zu schaffen. Der Fall von 13 Selbstmordversuchen innerhalb von fünf Monaten bei Foxconn in Shenzhen, das unter anderem für Apple und HP produziert, hat auf tragische Weise dazu beigetragen, Medien in und außerhalb Chinas auf die schwere Situation der chinesischen ArbeiterInnen aufmerksam zu machen. Doch weil die harten Arbeitsbedingungen bei Foxconn vergleichsweise moderat sind, wird kritisiert, dass noch fundamentalere Probleme des chinesischen Arbeitsmarktes weiter im Dunklen bleiben.

Am Rand der Gesellschaft. Seit der Liberalisierung des chinesischen Arbeitsmarktes Anfang der 80er Jahre ziehen WanderarbeiterInnen vom Land in die Städte, wo das Lohnniveau etwa 3,3 Mal so hoch ist wie in der Peripherie. Derzeit werden etwa 150 Millionen Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund geschätzt – die gesamte Erwerbsbevölkerung Chinas machte 2009 zum Vergleich 813 Millionen Menschen aus. Viele Eltern erhofften sich, ihre Familie durch das höhere Einkommen finanziell unterstützen zu können, was unter anderem etwa 20 Millionen in den Provinzen zurückgelassene Kinder zufolge hatte. Die Rechte der WanderarbeiterInnen sind zudem durch die Wohnsitzregistrierung, die Ende der 50er Jahre zur Kontrolle der internen Migration eingeführt wurde, minimal. Wer den eigenen hokou, also den Wohnsitz, am Land hat, hat zwar ein Recht auf Versorgung durch die Kommune – dieses ist jedoch örtlich gebunden. Somit haben MigrantInnen meist keinen Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung, Sozialwohnungen und Bildung, sofern sie finanziell nicht dafür aufkommen können. Als wäre das noch nicht genug, stehen sie durch ihre AußenseiterInnenrolle und aufgrund ihres niedrigen Bildungsniveaus am Rand der Gesellschaft und haben fast nur in arbeitsintensiven Sparten Berufsaussichten, etwa am Bau oder in Kohlebergwerken, während sie überproportional von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
Während die erste Generation der WanderarbeiterInnen diese Lasten selbstlos auf sich nahm, wachsen die Ansprüche in der zweiten Generation der migrantischen Arbeitskräfte, die nicht mehr der willkürliche Bauteil einer Profitmaschine sein wollen. Unter anderem die Tatsache, dass sie sich nicht mehr mit ihrem Schicksal zufrieden geben wollen, heizt die Stimmung gegen die schlechte ArbeitnehmerInnenvertretung und die katastrophalen Arbeitsbedingungen bei niedrigsten Löhnen an. Die Arbeitsniederlegung der Belegschaft einer Honda-Fabrik in Guangdong, wo ein Großteil der ArbeiterInnen aus den zentralen Provinzen zugewandert ist, und die Forderungen nach bis zu 50 Prozent höheren Löhnen setzten die japanische Firma im Mai 2010 unter großen Druck. In privaten Unternehmen sind nicht nur Löhne und ArbeitnehmerInnenvergünstigungen geringer als in Staatsbetrieben, auch die Lohnspanne von eins zu 50 zwischen japanischen und chinesischen ArbeiterInnen gab den Ausschlag zu den Unruhen. Schlussendlich gab Honda angesichts der dadurch zu entstehen drohenden finanziellen Schadens nach und kündigte anschließend die Streikführer.

Kein Steikrecht. Obwohl Streiks in China nicht explizit verboten sind, wurde das Streikrecht 1982 abgeschafft, weil die Regierung die Probleme zwischen KapitaleignerInnen und Proletariat offiziell als beseitigt ansah – ein zynisches Urteil. Dennoch begegnet die KP Arbeitsunruhen wie denen in Guangdong bisher mit Geduld und spricht von privaten Problemen zwischen ArbeiterInnen und dem Management.
Von diesen unabhängig, von den Gewerkschaften organisierten und in erster Linie auf eine Verbesserung der eigenen Arbeitsbedingungen ausgerichteten Forderungen wird in westlichen Medien in letzter Zeit vermehrt berichtet. Leider täuscht der Eindruck, dass es sich dabei um einen radikalen Umschwung handelt, denn Streiks wie in Guangdong fanden auch in der Vergangenheit regelmäßig statt, ohne dabei auf großes Interesse bei den staatlich kontrollierten Medien zu stoßen. Von einer neuen ArbeiterInnenbewegung kann insofern keine Rede sein, denn solange es keine unabhängige Vertretung mit Kündigungsschutz gibt, sind seriöse Verhandlungen mit dem Management nicht möglich, wie der Streik in Guangdong zeigt.
Diverse NGOs, etwa China Labour Bulletin (clb.org.hk), haben es sich deshalb zum Ziel gemacht, die restliche Welt auf die fundamentalen Missstände und die chinesischen ArbeiterInnen auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Auch das 2008 eingeführte neue Arbeitsrecht und durch das Internet leichter zugängliche Informationen über die Arbeitsbedingungen in anderen Provinzen haben das Bewusstsein der Arbeitskräfte hinsichtlich der Mindeststandards geschärft. Berichte darüber, dass die Einheitsgewerkschaft ab nächstem Jahr vermehrt lokalen, basisdemokratisch gewählten und vom Management unabhängigen GewerkschafterInnen das Parkett überlassen will, bringen ebenfalls Grund zur Hoffnung.

AutorInnen: Christof Brandtner