Möglichkeiten antinationaler Kritik

  • 23.02.2017, 19:42
Thorsten Mense hat in seinem kürzlich in der Theorie.org-Reihe erschienenen Einführungswerk „Kritik des Nationalismus“ ein innerhalb der Linken durchwegs kontroversiell diskutiertes Thema einer fundierten Analyse unterzogen.

Thorsten Mense hat in seinem kürzlich in der Theorie.org-Reihe erschienenen Einführungswerk „Kritik des Nationalismus“ ein innerhalb der Linken durchwegs kontroversiell diskutiertes Thema einer fundierten Analyse unterzogen. Er beleuchtet die Entstehungsgeschichte, Transformationen und den facettenreichen konstruierten Charakter der Idee der Nation sowie kritische Nationalismustheorien. Eingangs wird festgestellt, dass von Marx und Engels über die Kritische Theorie bis hin zum Dekonstruktivismus einer Theorie des Nationalismus nur wenig Bedeutung zugemessen wurde. Bei Nationalismus handelt es sich nicht nur um ein ideologisches Konstrukt, sondern um ein durchwegs wirkungsmächtiges Phänomen, das gleichermaßen als Welterklärung und Sinnstiftung funktioniert und vor allem über die Ethnisierung des Sozialen und Politischen hergestellt wird. Gerade aktuelle Berufungen auf ein vermeintlich nationales Interesse fungieren, so der Autor, als wirkmächtige neue Herrschaftslegitimation, die zur Inklusion bestimmter Menschen nach den Kriterien „Abstammung“ und „Herkunft“, bei gleichzeitiger Exklusion anderer, führt. Im Zentrum von Menses Analyse steht auch die vor allem in linken Kreisen verbreitete Unterscheidung zwischen Befreiungs- und Unterdrückungsnationalismen. Obgleich Mense sich für Differenzierungen, beispielsweise Befreiung von kolonialer Herrschaft betreffend, stark macht, zeigt er mit aller Deutlichkeit, dass die Argumente vermeintlich linker Anhänger_ innen des Befreiungsnationalismus sich kaum von jenen der extremen Rechten unterscheiden. Die Bedeutung und Neuheit von Menses Ausführungen liegt vor allem in seiner ideologiekritischen Perspektive, mit der er Nationalismus in den Kontext einer Kritik an Staat und bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaft stellt und damit Grundsteine einer wirksamen Nationskritik legt. Schwachstellen ergeben sich lediglich dadurch, dass die Funktionsweisen von Sexismus und Antisemitismus zwar in kurzen Abschnitten, nicht jedoch als Querschnittsthemen abgehandelt werden.

Thorsten Mense (2016): Kritik des Nationalismus. Stuttgart: Schmetterling Verlag 214 Seiten, 10 Euro.

Judith Goetz ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

AutorInnen: Judith Goetz