Kürzen bis der Wohlstand kommt

  • 13.07.2012, 18:18

Quer durch Europa gibt es an den Universitäten Widerstand gegen die Ökonomisierung der Bildung. Was aber ist eigentlich gemeint mit der viel zitierten „Ökonomisierung“? Und vor allem: Wie betrifft sie Studierende?

Quer durch Europa gibt es an den Universitäten Widerstand gegen die Ökonomisierung der Bildung. Was aber ist eigentlich gemeint mit der viel zitierten „Ökonomisierung“? Und vor allem: Wie betrifft sie Studierende?

Ökonomisierung klingt neutral – ist aber ein höchst politischer Vorgang. Es bedeutet mehr soziale Selektion und Elitenbildung, egal ob im Kindergarten, in den Schulen oder den Universitäten. 

Wie es dazu kam. In den Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre begann der Motor zu stottern, der Europas Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg antrieb. Als Reaktion arbeiteten konservative PolitikerInnen daran, die Meinung zu sähen, der Wohlfahrtssaat sei unfinanzierbar und vernichte die Wettbewerbsfähigkeit Europas. 

Ihre Saat ging auf. Im Laufe der drei vergangenen Dekaden wurden die Sozialstaaten mehr und mehr zu Wettbewerbsstaaten umgerüstet. Bildung wurde als zentraler Standortfaktor entdeckt – vom Kindergarten bis zur Hochschule. Speziell die Universitäten, als wichtiger Wachstumsmotor, sollten „effizienter“ werden.  Da die Universitäten da aber nicht mitmachen wollten, wurde ihr auf Demokratie aufgebautes System zerstört. Nicht mehr akademische Mehrheiten gaben von nun an den Ton an, sondern betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Faktoren. Wer nicht mitmachte, dessen Budget wurde zusammengekürzt.
Bildung sollte nicht mehr als Grundrecht, sondern als Investition in das eigene „Humankapital“ wahrgenommen werden. Diese Meinung wurde von neoliberalen Lobbys und Konzernen jahrelang modelliert, die bis heute viel Geld und Kraft in die Reform der europäischen Bildungssysteme stecken. Der Zweck dahinter: Die Unis sollten unter Budgetdruck und dem Anreiz privater Investitionen dazu gebracht werden, den Unternehmen AbsolventInnen in Aussicht zu stellen, die speziell an die dortigen Arbeitsplätze angepasst sind. Damit sollten die Gewinne der Unternehmen erhöht werden. Die Europäische Industriellenvereinigung (ERT) beklagte 1995, dass „die Industrie momentan zu wenig Einfluss auf die Lehrpläne hat“ und, „(dass, Anm.) die Lehrenden nur ein ungenügendes Verständnis von Geschäft, Profit und den Bedarf der Industrie haben“. Die EU-Kommission wiederum zeigte sich 2005 in einer Mitteilung besorgt über den „mangelnden Unternehmergeist der Hochqualifizierten“. Das ist die Melange, aus der alle jüngeren Bildungsreformen bestanden – auch in Österreich. 

"Mangelnder Unternehmergeist." Der ökonomische Sinn hinter dem gesamten Projekt der „Ökonomisierung“ ist zumindest fraglich: Es ist alles andere als sicher, ob die Beschränkung auf eine „Elite“ volkswirtschaftlich nützlich ist, wenn gleichzeitig die Breitenbildung vernachlässigt wird – eher ist das Gegenteil anzunehmen. Die Widersprüche fangen damit aber erst an: Aus der Sicht einer neoliberalen Politik der „Ökonomisierung“ werden zwar mehr (betriebswirtschaftlich fähige) AkademikerInnen benötigt, auf der anderen Seite sollen aber die Ausgaben dafür sinken. Das kann nur gelöst werden, indem die Studierenden selbst Beiträge zahlen, die Studienzeit verkürzt wird, die Universitäten attraktiv für private Investitionen werden – und vor allem: indem die Universitäten zum Sparen angehalten werden. Was aber machen sparende Universitäten? Sparende Universitäten wollen über Zugangsbeschränkungen erreichen, dass sie möglichst wenig Studierende ausbilden müssen. Das führt zu einer sinkenden AkademikerInnenquote.
Zugangsbeschränkungen sind noch aus weiteren Gründen hinterfragenswert: Sie benachteiligen empirisch gesehen Menschen aus ärmeren Familien und Frauen. Denn auch wenn von Zugangsbeschränkungen formal alle gleich getroffen werden, haben sie tatsächlich sehr unterschiedliche Konsequenzen für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen.
Zusammengefasst kann gesagt werden: Die Regierungen in Europa versuchen, das gesamte Bildungssystem zu einer Ausbildungsstätte zu machen, die der Privatwirtschaft in die Hand arbeiten soll. Wissen, welches betriebswirtschaftlich nicht direkt anwendbar ist, soll nur noch einen marginalen Platz auf den Lehrplänen finden.  Das könnte sich als folgenschwerer Fehler erweisen: Gerade in wirtschaftlich instabilen Epochen steigt die Bedeutung von antizyklischem und kritischem Verständnis. Private Unternehmen können dieses nicht bieten, da der Markt nicht weiß, was Zukunft ist.

AutorInnen: Julian Schmid