Hürdenlauf Nostrifizierung

  • 05.12.2015, 19:18

Dokumente, Taxen, Ergänzungsprüfungen: Das steht Migrantinnen und Migranten bei der Nostrifizierung bevor. Wie erfolgt eigentlich die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse in Österreich? Eine Spurensuche.

Dokumente, Taxen, Ergänzungsprüfungen: Das steht Migrantinnen und Migranten bei der Nostrifizierung bevor. Wie erfolgt eigentlich die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse in Österreich? Eine Spurensuche.

Hasan H. (Name auf Wunsch geändert) aus dem syrischen Homs ist seit vier Monaten in Österreich und lebt in einer Flüchtlingsunterkunft in Reichenau an der Rax. Sein Asylverfahren ist mittlerweile in Gang, doch Hasan will arbeiten, und zwar so rasch wie möglich. In Syrien war der 33-Jährige als Agraringenieur tätig. Fünf Jahre hat sein Studium gedauert, nach einem weiteren Jahr und einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit wurde ihm der Magistergrad (Arabisch: Al-madjistir) verliehen. Ob das Studium in Österreich anerkannt wird, dafür gibt es keine pauschale Regelung. Im besten Fall wird Hasan H. nach einigen Monaten Verfahrensdauer das Studium voll anerkannt. Im schlimmsten Fall gibt es keinen positiven Bescheid, sondern maximal die Anerkennung einzelner Prüfungen.

HÜRDENLAUF. Es ist ein steiniger, mit Barrieren gepflasterter Weg, den Asylwerbende und anerkannte Flüchtlinge in Österreich gehen müssen, wenn sie ihre akademischen Ausbildungen anerkennen lassen wollen. Dafür braucht es eine Menge Unterlagen, vor allem aber viel Geduld und Durchhaltevermögen. Die Nostrifizierung, so der Fachbegriff für das Verfahren zur Anerkennung ausländischer Studien in Österreich, hängt von Staatsangehörigkeit und Berufsart ab. Eine „automatische“ Anerkennung gibt es nicht – auch nicht angesichts der 90.000 Asylanträge, die in Österreich bis Jahresende 2015 zu erwarten sind. Begründung: Die Studieninhalte sind zu unterschiedlich, eine Prüfung im Einzelfall ist daher zwingend notwendig. Ein syrischer Arzt kann sich nicht darauf verlassen, in Österreich rasch in seinem Beruf arbeiten zu können.

Diese Ungewissheit schreckt viele Migrantinnen und Migranten ab, es überhaupt zu versuchen: Nur jedeR Dritte lässt sich die im Ausland erworbene akademische Ausbildung nostrifizieren. Andere verzweifeln an der Dauer des Verfahrens, an den Ergänzungsprüfungen – und geben am Weg zur Nostrifizierung auf. Selbst eine erfolgreiche Nostrifizierung ist noch kein Garant dafür, danach auch einen adäquaten Job zu bekommen. Laut einer Befragung aus dem Jahr 2012 im Auftrag der Arbeiterkammer Wien ist jedeR dritte MigrantIn in Wien unterhalb ihres/seines Ausbildungsniveaus beschäftigt. Der Anteil von überqualifiziert beschäftigten Migrantinnen und Migranten ist laut OECD in Österreich einer der höchsten innerhalb der 34 OECD-Staaten. Gesamtstatistiken gibt es jedoch nicht.

KOMPETENZ-CHECKS. Erschwert wird die Anerkennung von akademischen Abschlüssen durch das mangelnde Wissen über die Kompetenzen der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Viele Klischees stehen im Raum – doch Daten gibt es kaum bis gar nicht. Um den Bildungsstatus zu erfassen, führt das Arbeitsmarktservice (AMS) aktuell Kompetenz-Checks durch. Mitte Dezember sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Wer ist für die Anerkennung von Studien überhaupt zuständig? Einfach ist es nicht, das herauszufinden. Erste Anlaufstelle ist in den meisten Fällen ENIC-NARIC-Austria. Ein zehnköpfiges Team kümmert sich im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) um Anerkennungsfragen. Einrichtungen dieser Art gibt es in allen EU-Staaten. Doch die tatsächliche Anerkennung eines ausländischen Studienabschlusses als gleichwertig mit dem Abschluss eines inländischen Studiums erfolgt direkt an der Universität bzw. Fachhochschule. Zwischen 2010 und 2013 gab es laut ENIC-NARIC-Austria etwa 13.000 Ansuchen auf Titel-Anerkennung, zum Großteil aus osteuropäischen Staaten und Russland. Nicht notwendig ist die Nostrifizierung übrigens für die Zulassung zu weiterführenden Studien (Magister/Master, Doktorat, PhD).

Es sind also die Universitäten und FHs selbst, die über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse entscheiden. Doch: keine Regel ohne Ausnahme. So erkennt das BMWFW – und nicht die von zwischenstaatlichen (bilateralen) Abkommen direkt an. „Dieses vereinfachte Verfahren gilt für Absolventinnen und Absolventen bestimmter Studien aus Bosnien und Herzegowina, Italien, dem Kosovo, Kroatien, Liechtenstein, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien“, erklärt Heinz Kasparovsky, Leiter der Informationsstelle. Auch Studienabsolventinnen und -absolventen von päpstlichen Universitäten dürfen sich über ein vereinfachtes Anerkennungsverfahren dank eines bilateralen Abkommens freuen. Initiativen, die Verfahren nun angesichts tausender Asylwerbender in Österreich zu vereinfachen, gibt es aktuell nicht. Dabei könnte eine raschere Anerkennung akademischer Studien dem Mangel an Fachkräften in zahlreichen Branchen entgegenwirken. Einerseits suchen österreichische Krankenhäuser händeringend nach medizinischem Personal, andererseits müssen aber in diesem Bereich ausgebildete Fachkräfte den langen, zermürbenden Weg der Anerkennung gehen.

BEISPIEL: UNIVERSITÄT WIEN. Dem Großteil der an der Nostrifizierung Interessierten bleibt der Gang an die Universitäten und Fachhochschulen nicht erspart. An der Universität Wien entscheidet gemäß Satzung und Universitätsgesetz die/der Studienpräses über die Nostrifizierung. Um das Verfahren starten zu können, sind zahlreiche Unterlagen nötig, so Claudia Universitäten bzw. FHs – einzelne Studien aus bestimmten Staaten aufgrund Fritz-Larott vom Büro der Studienpräses: Neben dem Antragsformular sind das die Geburtsurkunde, ein Staatsbürgerschaftsnachweis/ Reisepass, der Aufenthaltstitel, das Reifeprüfungszeugnis, ein kurzer Lebenslauf, die Urkunde über den ausländischen Studienabschluss und möglichst viele Unterlagen zum absolvierten Studium selbst, also Zeugnisse über Prüfungen, Studienbuch, Studienplan, wissenschaftliche Arbeiten usw. Die Antragstellerin oder der Antragsteller muss zudem nachweisen, dass die Nostrifizierung zwingend notwendig ist für die Berufsausübung oder die Fortsetzung der Ausbildung – ein Nachweis, der in der Praxis häufig schwierig zu beschaffen ist. De facto kann das durch den/die (künftige/n) ArbeitgeberIn geschehen, aber auch durch ein Schreiben einer Behörde.

Neben den Dokumenten ist zudem die Zahlung der Nostrifizierungstaxe erforderlich. Claudia Fritz-Larott von der Universität Wien sagt dazu: „Diese beträgt 150 Euro und ist damit im europäischen Vergleich nicht besonders hoch.“ Das Verfahren verteuert sich jedoch durch die Übersetzung der zahlreichen Dokumente, die für die Nostrifizierung vorzulegen sind. Das Nostrifizierungsverfahren dauert etwa drei Monate, so die Universität Wien, und mündet in einen Bescheid. Ist er positiv, gilt der ausländische Studienabschluss als mit dem inländischen gleichwertig. Ist er negativ, ist eine Anerkennung nicht möglich, denn Inhalt und Dauer des im Ausland absolvierten Studiums gelten als zu stark von den österreichischen Studien abweichend. Ein negativer Bescheid wird auch ausgestellt, wenn Unterlagen fehlen, die Hochschule nicht anerkannt oder die eingereichten Diplome ungültig sind. Möglich ist es dann noch, sich für ein Studium an einer österreichischen Universität einzuschreiben und einzelne Prüfungen anerkennen zu lassen. In der Praxis gibt es häufig einen Mittelweg zwischen positivem und negativem Bescheid: Der Antragstellerin oder dem Antragsteller werden Bedingungen gesetzt: Sie oder er muss dann noch einmal eine Abschlussarbeit verfassen, einzelne Lehrveranstaltungen nachholen oder Prüfungen ablegen. Auf Deutsch, versteht sich.

SPRACHKENNTNISSE ALS SCHLÜSSEL. Hier liegen auch die größten Schwierigkeiten für Migrantinnen und Migranten, so der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF). Auf der Flucht verloren gegangene oder im Herkunftsland zurückgelassene Dokumente lassen sich äußerst selten beschaffen. Dies führt zu Auflagen im Nostrifizierungsverfahren – und zu Verzögerungen. Denn um Prüfungen auf Deutsch ablegen zu können, ist in der Regel ein Sprachniveau auf B2 und damit ein mehrjähriges Erlernen der Sprache erforderlich. Bei „geschützten“ Berufen wie RechtsAnanwältinnen und Rechtsanwälten, Lehrerinnen und Lehrern, Medizinerinnen und Medizinern haben zudem auch die Berufsvertretungen – von der Rechtsanwaltskammer über die Ärztekammer bis hin zum Hebammengremium – mitzureden. Viele Migrantinnen und Migranten, so der WAFF, lassen es daher überhaupt bleiben und nehmen dieses langwierige Verfahren gar nicht auf sich.

Welche Alternativen bleiben Flüchtlingen also? Eine Möglichkeit wäre ein Studierendenvisum. Haken an der Sache ist jedoch, dass dieses bereits im Herkunftsland gestellt werden muss – und neben dem Nachweis, über ausreichend finanzielle Mittel (8.000 Euro am Bankkonto) zu verfügen, auch eine Versicherung sowie einen festen Wohnsitz erfordert. Einfacher geht es mit der Initiative MORE (s. Seite 11). Haken an der Sache: Prüfungen können MORE-Studierende nicht ablegen. In Deutschland startet mit dem Wintersemester die Pilotphase der „Wings University“: Sie ermöglicht, per Online-Studium auf Englisch einen Studienabschluss zu erwerben. Momentan sind vier Studiengänge im Angebot: Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Ingenieurwissenschaften und Architektur. Der Zugang zur Online-Uni erfolgt über Einstufungstests. Zeugnisse müssen die angehenden Studierenden nicht vorlegen. All diese Initiativen, so vorbildlich und kreativ sie auch sein mögen, ändern jedoch nichts am komplizierten Verfahren der Nostrifizierung.

Hasan H. will es jedenfalls probieren und sein Studium hier in Österreich anerkennen lassen. „Was habe ich schon zu verlieren?“, meint der junge Mann aus Syrien. Sobald sein Asylantrag bearbeitet ist, will er seine Unterlagen für die Nostrifizierung an der Universität für Bodenkultur in Wien einreichen. Ihm geht es bei dem Antrag nicht nur um die Anerkennung seines akademischen Titels. Er will sich in Österreich integrieren – anerkannt sein. Nicht nur akademisch und rechtlich, sondern beruflich und persönlich.

Susanne Weber hat Politikwissenschaft in Wien und Brüssel studiert und arbeitet als Pressereferentin.

Informationszentrum für akademische Anerkennung ENIC-NARIC-Austria
www.nostrifizierung.at (auf Deutsch und Englisch)
Telefon: 0800 312 500 (gebührenfrei aus ganz Österreich)
info@nostrifizierung.at
KundInnendienstzeiten: Dienstag und Donnerstag, 9.00 bis 12.00 Uhr

AutorInnen: Susanne Weber