Geschmacksunterschiede

  • 10.06.2014, 16:31

6 spannende Fakten zum Thema Essen. Welches Essen macht gute Laune? Ernähren sich alle queeren Menschen vegan? Woher kommt Geschmack? Wie soll der Welthunger bekämpft werden? Riot oder Diet?

Geschmackssache
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt ein bekanntes Sprichwort. Ob mensch als Naschkatze auf die Welt kommt oder eben nicht, wird im Allgemeinen als individuell und zufällig betrachtet. Eine andere Meinung vertritt Pierre Bourdieu, der sich in seinem 1979 erschienenen soziologischen Klassiker „Die feinen Unterschiede” mit dem Zusammenhang von Geschmack und sozialer Klasse beschäftigt hat. Bourdieu argumentiert, dass sich Klassenstrukturen durch die Anhäufung von kulturellem Kapital reproduzieren. Unseren Geschmack – egal ob es um Kunst oder Nahrungsmittel geht – sieht er als eine der Manifestationen dieses Kapitals. Während sozial benachteiligte Klassen aufgrund ihrer Erfahrung von Not und Mangel nahrhafte Speisen vorzögen, würden privilegierte Klassen mehr Wert auf Luxus und Feinheit legen, so Bourdieu. Hinzu kommt dann eine Aufwertung des Essens der Privilegierten und die soziale Hierarchie der Geschmacksunterschiede verfestigt sich. Wer der Käsekrainer also Blauschimmelkäse oder Bio-Falafel vorzieht, darf sich aufgefordert fühlen, die Hintergründe ihrer*seiner Entscheidung mitzubedenken.

Gute-Laune-Essen
Nicht nur Keksen, auch vielen anderen Nahrungsmitteln wird nachgesagt, dass sie gute Laune machen. Der Verzehr von Schokolade, wie auch anderer kohlenhydratreicher Lebensmittel, lässt unseren Körper angeblich Glückshormone ausschütten und als besonders wirksames Wohlfühlmittel gilt immer noch das ehemalige Luxusgut Kaffee. Dabei findet ein Zusammenspiel von Chemie und Psychologie statt, das noch nicht vollends entschlüsselt wurde. Ob es der befriedigte Appetit nach dem Schema der Selbstbelohnung, das sinnliche Erleben von Wärme und Duft einer Speise oder ganz banal die Zuckerzufuhr ans Gehirn ist, was die Nerven beruhigt und die Welt nach einer Mahlzeit besser aussehen läßt, ist möglicherweise auch von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Was zählt, ist wohl, dass die Drogen des Alltags wirken. Um die verschiedenen Bedürfnisse, die fürs Essen sprechen, fassen zu können, gibt es mittlerweile verschiedene Begriffe wie beispielsweise Magenhunger, Augenhunger, Mundhunger oder Herzhunger. Forschungen über Essen, das schlechte Laune macht, scheinen bisher übrigens kaum fortgeschritten.

Illustration einer Gabel. Illustration: Christina Uhl

What does the Unicorn eat?
Dass sich queere, nicht heteronormativ lebende Menschen vegan ernähren, ist ein Stereotyp. Obwohl sich wohl nur ein Bruchteil jener, die sich mit einer der unzähligen Definitionen von queer und Queerfeminismus identifizieren, tatsächlich vegan ernährt, findet sich auf theoretischer Ebene durchaus ein Zusammenhang: Antispeziezismus, Veganismus und der Einsatz für Tierrechte beruhen – zum Teil – auf einer Kritik der Herrschaft von Menschen über Tiere und einer straffen Grenzziehung zwischen Mensch und Tier, die viele Gemeinsamkeiten und Grauzonen zwischen den beiden Gruppen unbeachtet lässt. Auch der Queerfeminismus setzt sich gegen Herrschaft und Binarität zur Wehr. So meinen manche Queers/Queerfeminist*innen, der Prozess der Emanzipation von Menschen aus Geschlechterhierarchien und anderen diskriminierenden Strukturen müsse letztlich auch mit der Befreiung der Tiere einhergehen.

Riot! Don’t Diet
Mächtige Schönheitsideale und Körpernormen beeinflussen unser Essverhalten und verderben so manch einer*m den Appetit. Die Riot! Don‘t Diet-Kampagne stellt einen Versuch dar, sich gegen (kapitalistischen) Körperkult und damit einhergehende Zwänge und Vorstellungen von adäquatem Gewicht und optimaler Kleidergröße zu wehren. Statt sich für die Normierung des eigenen Körpers
abzustrampeln, solle sich mensch dem Widerstand gegen sexistische gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen widmen, so die Idee. Was jedoch nicht vergessen werden darf: Auch Diäten sind stigmatisiert. Als cool gilt heute am ehesten noch, wer auf
Diäten pfeift, genüsslich einen Burger verdrückt und dabei auch noch sexy aussieht. Weder der Imperativ „Don’t diet!” noch das Schweigen über den Druck, der vor allem – aber nicht nur – auf Frauenkörper ausgeübt wird, sind also der richtige Weg.

Illustration eines Cupcakes. Illustration: Christina Uhl

Zwangsernährung
Hungerstreik ist als eine Form des gewaltlosen politischen Protests bekannt. Der eigene Körper dient dabei oft als letztes Mittel des Widerstands, wenn andere Möglichkeiten des Ausdrucks nicht zugänglich sind. In Europa waren es in den letzten Jahren vor allem Flüchtlinge, die auf diese Protestform zurückgriffen – kollektiv, wie 2013 in der Wiener Votivkirche, oder einzeln, in Schubhaft und
von Abschiebung bedroht. Österreichische Schubhaftgefängnisse lassen Inhaftierte mitunter wieder frei, wenn diese einen niedrigen Blutzuckerwert haben. Das veranlasst viele dazu, sich selbst in Gefahr zu bringen. Denn Hungerstreik kann nicht nur akut lebensgefährdend sein, sondern auch mit körperlichen Langzeitschäden einhergehen, besonders wenn er wiederholt angewandt wird. Die zynische politische Reaktion auf diese Umstände war in Österreich die Einführung des Paragrafen 78 des Fremdenpolizeigesetzes, der fortan Zwangsernährung von hungerstreikenden Schubhäftlingen erlaubte.

Welthunger
Heute leiden etwa 870 Millionen Menschen an Unterernährung. Anders gesagt: jeder achte Mensch. Frauen und Kinder sind am stärksten von Hunger betroffen. Dass der Grund für den Hunger keineswegs Ressourcenknappheit ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Soziale und vor allem politische Zusammenhänge verursachen die anhaltende Unterernährung einer großen Zahl von Menschen. Auch die Nahrungsmittelhilfe, die akut in Hungersnöten eingesetzt wird, trägt mitunter zur Aufrechterhaltung jener Strukturen, die den Hunger (mit-)begründen, bei: So zum Beispiel eine kalorienreiche, komprimierte Speise namens PlumpyNut, die
aus nicht-regionalen Zutaten hergestellt und in Krisenregionen importiert wird, um kurzfristige Hilfe zu leisten. Dadurch werden jedoch unbeabsichtigt neue Abhängigkeiten geschaffen. In die Entwicklung und Patentierung von PlumpyNut wurden große Summen investiert, in den Ausbau der lokalen Landwirtschaft aber nicht. Nach wie vor wird über eine politische Lösung des Problems Welthunger selten gesprochen.

 

Jasmin Rückert studiert Japanologie und Gender Studies an der Universität Wien.
Illustrationen: Christina Uhl.

AutorInnen: Jasmin Rückert