Die Hacklerinnen_

  • 23.02.2017, 18:04
Philosophie als Mackerdisziplin? Mit einer untypischen Philosophiepraxis bieten Frauen_ falschen Genies, mühsamen Gesprächskulturen und sinnloser Ghettoisierung die Stirn.

Philosophie als Mackerdisziplin? Mit einer untypischen Philosophiepraxis bieten Frauen_ falschen Genies, mühsamen Gesprächskulturen und sinnloser Ghettoisierung die Stirn.

„Ich fand abstraktes Denken schon immer spannend“, so Karoline Paier. Die 24-Jährige begann nach der Schule Philosophie und Psychologie zu studieren. Damals war noch nicht klar, dass Philosophie ihr Schwerpunkt werden würde. Heute ist Paier Studienassistentin und Tutorin bei mehreren Professor_innen am Institut für Philosophie der Universität Wien und arbeitet in den Bereichen Logik, Wissenschafts- und analytische Philosophie. „Dass ich im akademischen Kontext eine Frau bin, fiel mir erst auf, als in meinen ersten Logik-Lehrveranstaltungen nur Texte von Männern gelesen wurden und ich und höchstens eine andere die einzigen Frauen im Raum waren“, schildert Paier. Persönlich und erkenntnistheoretisch problematisch findet sie die in der Philosophie verbreitete Gesprächskultur des Gegeneinanders und Namedroppings. „Für ein gutes Arbeiten sollten Gruppen Probleme gemeinsam angehen und Gespräche auch so gestalten. Wie ernst philosophische Fragen genommen und behandelt werden, hat viel mit der Kultur, mit der Philosophie praktiziert wird, zu tun“, so Paier. Dass sie trotzdem bei der Philosophie blieb, lag nicht nur an ihrer Faszination logische Schlüsse mit Gesellschaftskritik zu verbinden. „Ich begann früh am Institut zu arbeiten und war Teil des Wiener Forums für Analytische Philosophie, das ich jetzt leite. Dort konnte ich in einem sicheren Umfeld Argumente ausprobieren und Fragen stellen. Das gab mir ein Gefühl von Zugehörigkeit“, so Paier.

ERBE. Immer wieder besucht Paier Vorträge von Philosophinnen_, die im Rahmen der Reihen „Philosophinnen*geschichten“ an das Institut für Wissenschaft und Forschung und „Women in Philosophy“ an das Philosophie-Institut der Karl- Franzens-Universität in Graz eingeladen werden. Studierende mit international renommierten Philosophinnen_ zusammenzubringen, war ein Ausgangspunkt für Amelie Stuart und vier weitere Frauen_, „Women in Philosophy“ überhaupt zu gründen. „Die Vortragsreihe soll den weiblichen Nachwuchs ermutigen und den männlich geprägten Kanon um wichtige Beiträge erweitern“, so Amelie Stuart. Die Frauen_ hinter den Texten live zu erleben hat für die Veranstalterinnen_ drei positive Seiten: Philosophinnen_ können ihre hochwertige Forschung präsentieren, sich vernetzen und als Vorbilder wirken. Das Ziel von „Women in Philosophy“ ist, (junge) Frauen dazu zu motivieren, längerfristig in der Philosophie zu bleiben.

MUNDARBEIT. Anhand der statistischen Daten von unidata des BMWFW zeigt sich, dass am Weg vom Bachelor zum Doktorat immer mehr Frauen_ der Universität den Rücken kehren. Während im Wintersemester 2015 am Institut für Philosophie an der Universität Wien – mit 2.838 Studierenden Österreichs größtes – 43,3 Prozent Frauen_ im Bachelor studierten, waren es im Master 41 Prozent und im Doktorat 33,8 Prozent. Was die Institute in ganz Österreich angeht, wirkt die Verteilung jedoch halbwegs ausgeglichen. Im Wintersemester 2015 studierten an Österreichs öffentlichen Universitäten insgesamt 4.866 Personen im Bachelor, Master und Doktorat Philosophie, davon waren 2.222 Frauen_ (45,6 Prozent). Das Projekt „philosopHER“ der Studierendenvertretung Philosophie und des Referats für feministische Politik der ÖH Uni Graz fragte in einer eigenen Instituts-Umfrage nicht nur nach den Verteilungen, sondern auch nach der Wahrnehmung der Philosophie-Studierenden der Universität Graz. Der Aussage „Männliche Studierende sind in LVs zurückhaltender als weibliche“ stimmten 91 Prozent der Befragten „eher nicht“ oder „gar nicht“ zu. Weiters gaben 84 Prozent der Frauen_, die Philosophie studieren, an, sich „eher ungern“ bis „sehr ungern“ mündlich in Lehrveranstaltungen einzubringen.

SCHWEISS. Die Philosophin Elisabeth Nemeth war bis September Dekanin der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft an der Universität Wien und ist Vorstandsmitglied der anerkannten Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft. Sie findet die statistische Herangehensweise, um Missstände aufzuzeigen, gut, kritisiert aber die Fokussierung auf die Kategorien „Männer“ und „Frauen“. „Wenn man nur von Frauen und Männern redet, sieht man viel dazwischen nicht, damit meine ich keineswegs nur queere Personen, sondern die vielen Lebensentwürfe, die untypisch sind“, so Nemeth. Mit zwei Kindern konnte sie mit Glück und intensiver Arbeit eine philosophische Laufbahn machen – aber es war schwer. „Ich litt darunter, nichts gescheit machen zu können. Wenn ich keine Kinder bekommen hätte, hätte ich noch viel mehr erreicht. Aber ich weiß nicht, ob ich das überhaupt wollte. Eher nicht“, so Nemeth. Aufgrund der großen Unterstützung seitens des Instituts blieb sie im akademischen Bereich. Nemeth hält die Fokussierung auf Frauen_ längerfristig aber für strategisch wenig sinnvoll: „Frauen extra zu betreuen und herauszuheben, birgt die Gefahr der Ghettoisierung und Spezialbehandlung. In der Lehre geht es darum, möglichst klare Arbeitsund Lernbedingungen zu schaffen, damit Personen von ihrem individuellen Standpunkt aus arbeiten können“, betont Nemeth. Dass das nicht selbstverständlich ist, läge in der Vorstellung, Philosophie sei stark mit Genialität und Begabung verbunden. Das sei, laut Nemeth, auch der Grund dafür, warum viele Frauen_, die sich für Philosophie interessieren, trotzdem nicht glauben, ein Philosophiestudium sei etwas für sie. „Die Vorstellung des genialen und begabten Philosophen ist extrem ausschließend. Die einzige Möglichkeit dagegen, ist ein anderes Konzept von Philosophie zu praktizieren. Nämlich alle, Männer und Frauen, dazu zu bringen, Philosophie als Arbeit an Texten und Argumentationsstrukturen wahrzunehmen und nicht als geniales Gequatsche“, schließt Nemeth.

Marlene Brüggemann hat Philosophie an der Universität Wien studiert.

AutorInnen: Marlene Brüggemann