Der Ausverkauf der Studierendenwohnheime

  • 20.09.2012, 17:17

Das Leben in Studierendenwohnheimen gilt als sozial und günstig. Doch diese Zeiten könnten bald vorüber sein. Die Streichung der Förderung für Heime zwingt die BetreiberInnen zu gravierenden Maßnahmen.

Das Leben in Studierendenwohnheimen gilt als sozial und günstig. Doch diese Zeiten könnten bald vorüber sein. Die Streichung der Förderung für Heime zwingt die BetreiberInnen zu gravierenden Maßnahmen.

Ein langer Gang führt in den Gemeinschaftsraum des vierten Stocks im Studierendenheim Haus Döbling im 19. Wiener Gemeindebezirk. Farbe blättert von den Wänden, der Boden ist abgenutzt und fleckig. Drei Sofas stehen um einen Tisch gruppiert, die Bezüge sind aufgeplatzt, das Futter quillt heraus. In einem Kobel in der Mitte des Gangs befindet sich die Gemeinschaftsküche. Vier Kochplatten, ein Kühlschrank für den gesamten Stockbereich. Eine bunte Fotowand zeigt ehemalige und aktuelle BewohnerInnen. Auf beiden Seiten des Gangs liegen die Einzelzimmer der Studierenden, zehn Quadratmeter groß und mit dem Notwendigsten ausgestattet. Zur Mittagszeit öffnen sich die ersten Türen, man trifft sich auf Kaffee und Kipferl. „Die wahren Werte des Haus Döbling liegen im Inneren. Es schaut zwar schirch aus, aber die Gemeinschaft ist das Wertvolle“, sagt Lisa, die seit 2009 hier wohnt. Die Vorsitzende des Heimausschusses setzt sich zusammen mit einigen anderen BewohnerInnen für ihr Haus Döbling ein. Denn Teilen des Hauses aus den 1970er-Jahren droht der Abriss. Vierzig Jahre lang wurde das Gebäude nicht renoviert, jetzt ist es nicht mehr renovierfähig. „Die haben das Haus mutwillig heruntergewirtschaftet“, sagt Michael, der stellvertretende Vorsitzende des Heimausschusses. Zwar sei die Renovierung im Gemeinderat bereits beschlossen gewesen, 2009 hob die SPÖ den Beschluss jedoch wieder auf. Die alten Gebäudeteile sollen abgerissen werden, an ihrer Stelle plant die Stadt den Bau von Genossenschaftswohnungen.

REGIERUNGSKLAUSUR LOIPERSDORF. Grund dafür könnte die Streichung der Sanierungsförderung für Studierendenwohnheime bei der Regierungsklausur in Loipersdorf im Oktober 2010 sein. Aufgrund dieses Beschlusses fällt die Unterstützung des Bundes bei Sanierungsvorhaben und Neubauten von Wohnheimen weg. Problematisch ist das vor allem, weil es den Heimen, die als gemeinnützige Organisationen agieren, bisher nicht erlaubt war, Rücklagen für allfällige Sanierungen zu bilden. Jetzt bleibt vielen Trägerorganisationen von Studierendenwohnheimen nichts anderes übrig, als die Heime zuzusperren oder die Preise drastisch zu erhöhen. Insgesamt wohnen in Österreich laut Studierendensozialerhebung 2009 32.000 Studierende in Wohnheimen, etwa zehn Prozent aller Studierenden in Österreich. Sie zahlen dafür durchschnittlich 245 Euro monatlich, ein Viertel weniger, als sie für Wohnungen ausgeben müssten.

Das Haus Döbling gehört der Wien Holding, einem Tochterunternehmen der Stadt Wien. Als das Haus als nicht mehr renovierungsfähig eingestuft wurde - im Büro des Stadtrates Ludwig spricht man von Baufälligkeit und Ungeziefer, wurde beschlossen, das Baurecht an die Gesiba, ebenfalls eine Tochtergesellschaft der Stadt Wien, zu verkaufen. Laut den Studierenden im Haus Döbling zu einem Preis von 152 Euro pro Quadratmeter. Kein schlechtes Geschäft mitten im Nobelbezirk Döbling. Zwar sehe das Baurecht vor, dass wieder ein Studierendenheim errichtet werden muss, die Stadt Wien als Eigentümer konnte das Grundstück jedoch mit Zustimmung der Heimleitung des Haus Döbling umwidmen, erzählen die engagierten HeimvertreterInnen. Die Studierenden befürchten Konflikte mit den zukünftigen BewohnerInnen der geplanten Genossenschaftswohnungen. Denn die Gebäude teilen sich einen Innenhof, den die Studierenden vor allem in der warmen Jahreszeit gerne nutzen.

Die Geschäftsführerin der base 19, die das Haus Döbling betreibt, Michaela Lindenbauer, erklärt die Situation so: „Die Streichung ist ein großer Einschnitt in die Planung von Sanierungs- oder Bauvorhaben. Wir bekommen für die Sanierung überhaupt keine Bundesförderung oder sonstige Förderungen mehr. Das Geld für die Sanierung müssen wir über ein Wohnbaudarlehen der Stadt Wien aufbringen.“ Ein Teil der Sanierungskosten komme außerdem vom Verkauf des Teilgrundstücks, auf dem die alten Gebäude stehen. Bis Sommer 2013 sollen die verbleibenden Wohneinheiten fertig renoviert sein, erst dann werden die alten Gebäude abgerissen.

EIN DORF IN WIEN. Aber die BewohnerInnen hängen an dem alten Heim, vor allem aufgrund der guten Gemeinschaft. „Das Heim ist wirklich was Besonderes. Vor allem das soziale Zusammenleben“, sagt Lisa. Michael stimmt zu: „Wir sind ein Dorf in Wien.“ Aber auch die günstigen Preise machen das Wohnheim beliebt: 200 Euro Zimmerpreis für zehn Quadratmeter, Betriebskosten und Internet inklusive, machen das Haus Döbling zu einem der günstigsten Studierendenwohnheime in Wien. Da nimmt man gerne ein paar Unannehmlichkeiten in Kauf. Mit diesen billigen Preisen wäre es nach dem Abriss vorbei. Momentan kostet ein bereits renoviertes Zimmer im Gebäudeteil D schon 299 Euro. Als Alternative für die Studierenden in den abrissreifen Teilen bietet das Heim eine Ausweichmöglichkeit in den neuen Gebäudeteil - diese Variante können aber nur langjährige HeimbewohnerInnen beanspruchen, denn um das Heim zu leeren, vergebe die Heimverwaltung nur noch befristete Plätze, so die Studierenden. Zusätzlich werden Erasmus-Studierende eingemietet. „Seit einiger Zeit kommen hauptsächlich Erasmus-Studierende ins Heim. Das ist zwar gut für die Internationalität, aber schlecht für das soziale Leben, weil die lieber feiern, als sich für das Heim zu engagieren“, erzählt Lisa. Noch ist ungeklärt, ob die Preise für die alteingesessenen BewohnerInnen bei einer Umsiedlung in den neuen Trakt steigen werden.

DIE PREISE WERDEN STEIGEN. Lindenbauer rechnet mit einem Anstieg der Preise, denn das Sanierungsdarlehen müsse auch wieder zurückgezahlt werden. Zusätzlich fallen Kosten für die Möblierung an, die bisher der Bund getragen hat. „Das Haus Döbling ist momentan deshalb so günstig, weil ein enormer Sanierungsbedarf besteht. Eine Preiserhöhung wird kommen müssen. Mehr als 300 Euro wird ein Zimmer aber auch zukünftig nicht kosten.“ Aber nicht nur das Haus Döbling wird teurer. Da Sanierungen in Zukunft durch Kredite finanziert werden müssen, werden die Preise zeitversetzt steigen, erklärt Bernhard Tschrepitsch, Generalsekretär der Akademikerhilfe, die rund 20 Wohnheime betreibt. Die ÖH rechnet damit, dass das Benützungsentgelt mittelfristig um rund zehn bis 20 Prozent teurer wird.

In den Studierendenheimen der WIHAST steht die Preiserhöhung schon fest. Um fünf bis acht Prozent werden die Zimmer ab Herbst teurer, erklärt Martin Strobl, stellvertretender Generalsekretär der WIHAST-Heime. Auf lange Sicht schätzt er die Lage jedoch dramatischer ein: „Damit können wir die Häuser schwer sanieren, beziehungsweise Neubauten finanzieren.“ Strobl hält es für möglich, dass Zimmer in Studierendenheimen in Zukunft sogar über 400 Euro kosten könnten. Wenn dann die Studierenden auf den Wohnungsmarkt drängen, würden auch dort die Preise drastisch ansteigen.

In Salzburg hat das Studentenwerk kreativ kalkuliert: Aufgrund einer Vorausplanung über 40 Jahre, die alle anstehenden Sanierungen berücksichtigt, müssen die Studierenden jetzt nur eine Preiserhöhung von 23 Euro statt den geplanten 60 Euro in Kauf nehmen. Die Erleichterung bei den BewohnerInnen sei groß, erzählt Georg Leitinger, Geschäftsführer des Salzburger Studentenwerks. „Unser Ziel war es, günstigen Wohnraum für Studierende zu erhalten. Wir holen das Geld von den Banken, nicht von den Studierenden. Denn die 23 Euro wandern als Rücklage auf ein separates Konto, das jederzeit von den BewohnerInnen einsehbar ist.“ Weil über 40 Jahre geplant wurde, muss der Betrag nicht an den Index angepasst werden und bleibt somit gleich, da die Bank eine Verzinsung garantiert. Das sei in der Stadt Salzburg besonders wichtig, da es kaum leistbaren Wohnraum für Studierende gebe, sagt Leitinger. Denn einerseits fehlen die großen WG-geeigneten Altbauten, andererseits sind kleinere Wohnungen unerschwinglich. Das hat zur Folge, dass Salzburg den zweitgrößten Anteil an Studierendenheimen hat. 18 Prozent wohnen hier in Heimen, viele andere müssen pendeln.

ZURÜCK NACH DÖBLING. Im Haus Döbling leben im Moment 860 Studierende. 360 von ihnen müssen sich nach einer anderen Wohngelegenheit umsehen. Das Büro des Wohnbaustadtrats Michael Ludwig weist auf Ausweichmöglichkeiten hin: In der Gasgasse im 15. Wiener Gemeindebezirk, in der Kandlgasse im Siebten oder in dem geplanten Heim in der im Bau befindlichen Seestadt Aspern. Aber die Studierenden schätzen vor allem die gute Lage des Hauses Döbling. Fünf Minuten sind es von hier zur Wirtschaftsuniversität, zur Universität für Bodenkultur und auch die Hauptuniversität ist nicht weit. Von den Ausweichmöglichkeiten im 22. Bezirk sind die Studierenden nicht begeistert: „Wer will denn dort hin? Da fährst du ja überall ewig hin.“ Ähnlich sieht das auch Tschrepitsch von der Akademikerhilfe. Seiner Meinung nach fehle das Commitment, das Studierende dazu berechtigt, sozialverträglich und zentrumsnah zu wohnen. „Nur weil der Grund an der Stadtgrenze billig ist, ist das noch lange kein Grund, Studierende in die Peripherie abzuschieben.“ Seit etwa zwei Jahren bietet die Stadt Wien auch die Wohnungsaktion für Studierende an. Wer unter 26 Jahren ist und mindestens ein Jahr in einem Studierendenwohnheim gewohnt hat, kann sich von der Stadt Wien ein einmaliges Wohnungsangebot für eine Kleinwohnung von bis zu 35 Quadratmetern unterbreiten lassen. Der Haken an der Sache: Es gibt Wartezeiten von ein bis eineinhalb Jahren. Ähnlich sieht es vermutlich bei den oben genannten Ausweichheimen aus. Zwar schätzt das Sozialreferat der Österreichischen HochschülerInnenschaft, dass alle Studierenden, die in Wien einen Heimplatz suchen, auch einen bekommen. Jedoch sind vor allem Heime in Universitätsnähe oder Innenbezirkslage begehrt. Hier gibt es ebenfalls Wartelisten.

LOKALAUGENSCHEIN KLAGENFURT. Das Haus Döbling ist kein Einzelfall. Während die großen Heimträgerorganisationen wie zum Beispiel die STUWO, die sich durch Genossenschaftswohnungen querfinanziert, größere Überlebenschancen haben, sieht die Lage bei kleinen Heimen düster aus. So auch im Mozartheim in Klagenfurt. Dort sollen bis August 2012 die 145 HeimbewohnerInnen ihre Zimmer räumen, das günstigste Heim in Klagenfurt muss seine Türen schließen. Ähnlich wie im Haus Döbling wurde auch hier seit den 1970er-Jahren nicht mehr renoviert. Eigentlich wäre hier die Sanierung bereits geplant gewesen. Der Bund hätte von den Gesamtkosten von rund 1,5 Millionen Euro 900.000 übernommen, erzählt Hermann Riepl, der Geschäftsführer der Volkshilfe Kärnten, die das Heim betreibt. Doch mit dem Sparpaket Loipersdorf fiel dieses Vorhaben ins Wasser. Das Land war nicht bereit, die Kosten zu übernehmen. Am Faschingsdienstag 2012 bekam Riepl daher völlig überraschend ein E-Mail: Das Land Kärnten kündigt den Vertrag mit der Volkshilfe. Ein Grund dafür ist auch der enorme Verlust, den das Land mit dem Heim erwirtschaftet. Die jährliche Miete von 265.000 Euro, die das Land dem Eigentümer des Gebäudes, der Landesimmobiliengesellschaft (LIG) bezahlen muss, ist zu teuer. So viel kann die Volkshilfe mit den Benützungsgebühren der Studierenden nicht einnehmen. Das Heim steht vor dem Aus. Geschäftsführer Riepl hält diese Kündigung weder für frist- noch formgerecht. Laut Studentenheimgesetz haben Erstsemestrige das Recht, zwei Jahre lang im Heim zu wohnen. Die letzten Studierenden wären somit erst im Herbst 2013 kündbar, noch gibt es keine Alternativlösung. Das Land Kärnten sucht derzeit einen neuen Heimbetreiber, der auch die Sanierungskosten trägt. Ob sich dieser finden lässt, bleibt offen, genauso wie die rechtliche Situation der HeimbewohnerInnen. Diese Suche läuft noch bis Juni 2012, findet sich dann kein Betreiber, wird das Gebäude zum öffentlichen Verkauf ausgeschrieben. Das könnte bedeuten, dass aus einem Studierendenwohnheim private Wohnungen werden. Der Geschäftsführer des momentanen Hausbesitzers LIG, Rene Oberleitner, hält diese Variante durchaus für möglich. Bisher hatte der Bund durch die Förderung der Heime ein Mitspracherecht bei der Platzvergabe, die vor allem nach sozialen und örtlichen Gesichtspunkten, wie zum Beispiel dem Einkommen der Eltern, erfolgte. Da diese Förderung nun weggefallen ist, können die Heime nach eigenen Kriterien Plätze vergeben und müssen, um auch in Zukunft kostendeckend arbeiten zu können, privatwirtschaftlicher agieren. Das könnte eine Verlagerung von Benützungsverträgen zu klassischen Mieten bedeuten. Schon jetzt fällt bei manchen Neubauten der soziale Gesichtspunkt weg.

„WIR BLEIBEN.“ Um ihr Sozialleben fürchten auch die Studierenden im Haus Döbling. Für die neuen Zimmer ist jeweils eine Kochnische vorgesehen. Gemeinsames Kochen im Stockwerk wird es dann nicht mehr geben. „Wir merken schon jetzt, dass es im neu renovierten Gebäudeteil kein aktives Stockleben mehr gibt. Die Leute lernen sich erst auf den Heimpartys kennen. Viele sieht man gar nicht“, sagt Lisa. Die Studierenden wehren sich: Protestfeste, Flyerverteilen oder ein Herbergsgesang für zukünftig obdachlose Studierende. Neben den öffentlichen Protesten in Wien und Klagenfurt versuchen die Studierenden des Haus Döbling auch auf rechtlichem Weg, gegen den Abriss ihres Heimes vorzugehen. Denn die Heimverwaltung hätte mit ihrem Beschluss die Informationsrechte der BewohnerInnen verletzt, die von dem Abriss aus der Zeitung erfahren haben. In Paragraph acht des Studentenheimgesetzes heißt es: „(2) Der Heimträger hat die Heimvertretung über alle wesentlichen Angelegenheiten, die das Studentenheim betreffen, zu informieren bzw. über Verlangen umfassend Auskunft zu geben.“ In den Heimstatuten des Haus Döbling sei laut Heimvertretung zusätzlich ein Mitspracherecht der Studierenden verankert. Soeben ist die Bildung eines Schlichtungsausschusses nach dem Studentenheimgesetz abgeblitzt, der sich in dieser Sache für nicht zuständig erklärt hat. Jetzt bleibt nur noch der zivilgerichtliche Weg, der teuer und aufwändig wäre - ohne Garantie auf Erfolg. Denn im Studentenheimgesetz sind keine Konsequenzen für einen Verstoß gegen dasselbe angeführt. Der Abriss im Sommer 2013 scheint nicht mehr abzuwenden.

Inzwischen ist der Mitbewohner Lauschi zur Kaffeerunde im Haus Döbling dazugestoßen: „Die müssen uns schon wegtragen“, sagt er: „Wir haben uns für den Sommer 2013 auf jeden Fall nichts vorgenommen.“

AutorInnen: Elisabeth Mittendorfer, Barbara Wakolbinger