Das Kreuz mit dem Wahlrecht

  • 25.01.2015, 18:12

Niederösterreichs Gemeindewahlrecht ist ein Kuriosum: Hier gibt es Regelungen, die anderswo wohl Wahlbeobachtung auf den Plan rufen würden.

Niederösterreich wählte gestern seine Kommunalparlamente. Insgesamt 1.844 Listen warben um die Gunst der WählerInnen, 11.725 Mandate waren zu vergeben, mehr als 1.5 Millionen Menschen dazu aufgerufen, zu den Urnen zu gehen. Das klingt in erster Linie einmal nicht so spektakulär, doch: Niederösterreich ist anders.

Gilt normalerweise der Grundsatz der Wahlgleichheit („one man – one vote“) in internationalen Standards als Voraussetzung einer fairen Wahl, so kann im größten Bundesland Österreich jedoch mehrmals gewählt werden. Wer einen Zweitwohnsitz hat – zum Beispiel das Haus der Eltern, oder einen Ferienwohnsitz – der ist dort sowohl aktiv als auch passiv wahlberechtigt. Was schon bei der letzten Kommunalwahl 2010 für Aufregung gesorgt hat, tritt mittlerweile verstärkt auf: Scheinmeldungen, die zusätzliche WählerInnenstimmen garantieren. Ganz besonders krass sind Fälle, in denen ein Wohnsitz in einer öffentlichen Schule gemeldet wird, wie das etwa in Grafenwörth passiert ist. Teilweise gibt es Haushalte, bei denen mehr als 10 Personen zusätzlich gemeldet sind.

Das führt dazu, dass bei den Gemeinderatswahlen mehr als 300.000 Menschen mehr wahlberechtigt sind, als bei den Nationalratswahlen im September 2013– und das ohne nennenswerten Bevölkerungszuwachs. Nebenwohnsitze stellen in Niederösterreich etwa ein Fünftel aller Wahlberechtigten. Bedenklich wird es auch, wenn eine Kandidatur für eine wahlwerbende Liste überhaupt erst durch eine Scheinmeldung möglich wird. In Wieder Neustadt gibt es gleich zwei solcher Fälle.

Ebenfalls weltweit ein wichtiger Faktor für ordnungsgemäß ablaufende Wahlen: ein einheitlicher Stimmzettel. In Niederösterreich? Fehlanzeige. Neben amtlichen Stimmzetteln kann jede wahlwerbende Liste eigene Zettel mit aufgedruckten Namen verteilen. Diese müssen kaum einheitlich gestaltet sein. Das führt zu einer Flut an sogenannten nichtamtlichen Stimmzetteln. Rund 1.5 Millionen davon will die ÖVP verteilt haben, die SPÖ immerhin noch 1,1 Millionen. Das bedeutet, dass auf jede/n Wahlberechtigte/n mehr als ein verteilter nichtamtlicher Stimmzettel kommt. An dieser Praxis beteiligen sich nahezu alle Parteien und Listen – auch die Grünen, die zwar Kritik daran üben, aber etwa in Baden Stimmzettel für ihre Spitzenkandidatin Helga Krismer unters Volk bringen.

(c) Michael Mayer

Ganz besonders dreist nutzte die ÖVP in Felixdorf die Möglichkeiten, die ein nichtamtlicher Stimmzettel bietet, aus. Dort wurden wenige Tage vor der Wahl Stimmzettel verteilt, auf denen man scheinbar für ein Projekt abstimmen kann. Im dazugehörigen Begleitschreiben heißt es: „Bitte verwenden Sie beiliegenden Wahlzettel und wählen Sie Ihre Wunschprojekte. Der Stimmzettel kann einfach in das Wahlkuvert beigelegt werden.“ Blöd nur: Bei der Gemeinderatswahl besteht gar nicht die Möglichkeit, gezielt Themen zu wählen. Gewählt wird eine Liste. Und da auf dem verteilten Zettel neben Dingen wie „leistbares & modernes Wohnen“, „Freizeitangebot für Junge“ oder „Trinkwasser UV-Desinfektionsanlage“ auch die Namen aller 50 KandidatInnen der ÖVP stehen, gilt diese Stimme automatisch als Vorzugsstimme für den Listenersten, Alexander Smuk.

(c) Michael Mayer

Die Niederösterreichische Gemeindewahlordnung deckt dieses Vorgehen: „Der nichtamtliche Stimmzettel muss aus weichem weißlichen Papier sein, das Ausmaß von 20,5 bis 21,5 cm in der Länge und von 14,3 bis 15,3 cm in der Breite aufweisen und darf keine Fotos oder bildhafte Darstellungen von Personen enthalten […] Es können sowohl amtliche, als auch nichtamtliche Stimmzettel verwendet werden.“ Zugestimmt haben dieser Wahlordnung, die seit 1994 besteht, neben der ÖVP auch die SPÖ, die immer wieder gerne die Praxis der Gemeinderatswahlen in NÖ kritisiert – aber mit einem Augenzwinkern mitspielt.

Mit solchen Kleinigkeiten hält man sich in Röhrenbach nicht auf. Dort staunten einige nicht schlecht, als sie die amtlichen Stimmzettel sahen. In der Gemeinde kandidieren zwei Listen, ÖVP und SPÖ. Am Wahlzettel hingegen steht nur eine Option zur Auswahl – dort kann nur die ÖVP angekreuzt werden. Der Bürgermeister, der ja gleichzeitig Vorsitzender der lokalen Wahlbehörde ist, hatte einfach darauf vergessen, dass es dieses Mal eine zweite Liste gibt, die sich der Wahl stellt. Eine Wahlanfechtung ist die logische Konsequenz.

Teilweise haben Wahlwerbende jegliche Scham verloren. So berichtet ein Wähler aus dem Bezirk Gänserndorf, er wurde am Wahltag etwa 50 Meter vorm Wahllokal angesprochen, ob er noch einen Wahlzettel brauche. Die Frage kam übrigens von Wahlhelfern der Mehrheitspartei SPÖ.

 

Michael Mayer ist u.a. Blogger und arbeitet für einen Think Tank zum Thema Jugendarbeitslosigkeit.

AutorInnen: Michael Mayer