Anonym und kostenlos

  • 09.12.2012, 18:53

Zehn Mitarbeiterinnen sitzen schichtweise am anderen Ende dieser Nummer: 0800 222 555. Seit 1998 gibt es die bundesweite Frauenhelpline. Sie bietet Beratung kostenlos, rund um die Uhr und mehrsprachig. progress traf die Telefonberaterin Angelika Eisterer an ihrem Arbeitsplatz.

Zehn Mitarbeiterinnen sitzen schichtweise am anderen Ende dieser Nummer: 0800 222 555. Seit 1998 gibt es die bundesweite Frauenhelpline. Sie bietet Beratung kostenlos, rund um die Uhr und mehrsprachig. progress traf die Telefonberaterin Angelika Eisterer an ihrem Arbeitsplatz.

In dem Büro stehen ein Schreibtisch mit Telefon und Computer, Ordner und zwei Betten. „Für die Nachtschichten, für den Fall dass es vielleicht länger keine Anrufe gibt“, sagt Angelika.

progress: Wie viele Anrufe kommen denn so im Schnitt?

Eisterer: Laut unserer jährlichen Statistik sind es durchschnittlich etwa 30 Anrufe am Tag mit 24 Stunden. Ein Tag besteht aus drei Diensten und das verteilt sich eben auch. Es gibt Zeiten, in denen es ganz dicht ist und dann gibt es wieder Zeiten, in denen es vielleicht einen Anruf in der Schicht gibt und wenn man das nicht statistisch erfasst, dann merkt man das als Beraterin nicht, wie viele Anrufe es sind. Man kriegt eher mit, heute ist ein heftiger Tag oder heute ist ein ruhigerer Tag.

progress: Und wenn in einer heftigen Zeit die Leitung besetzt ist?

Eisterer: Das sollte natürlich nicht passieren, aber wenn, dann gibt es einen Spruch am Tonband, das sagt: „Die Beraterin ist gerade in einem Gespräch. Bitte rufen Sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder an“. Wir rufen nicht zurück, obwohl wir eigentlich die meisten Nummern sehen, weil die übertragen werden. Aber wir sind anonym und eine Helpline, darum rufen wir aus Prinzip nicht zurück.
Oft kann es ja so sein, dass das Handy oder Telefon von der Familie benutzt wird und dann geht vielleicht der Mann dran oder wer anderer, was natürlich auch problematisch oder sogar gefährlich für die Anruferin sein kann.

progress: Wer ruft denn alles an?

Eisterer: Es ist ein Teil direkt betroffener Frauen, ein anderer Teil sind Frauen oder auch Männer aus dem sozialen Umfeld. Manchmal sind das Leute, die sagen, sie kennen wen. Das sind dann sowohl Frauen als auch Männer, die einfach für eine bestimmte Frau eine Unterstützung wollen. Es gibt auch einen sehr geringen Teil an Männern oder Tätern, die tatsächlich Hilfe für sich wollen und auch Männer, die Opfer sind.

progress: Gibt es auch feindlich gesinnte Anrufe?

Eisterer: Ja, auch. Es gibt einen gewissen Teil derjenigen, die meiner Meinung nach in ein Täterprofil hineinpassen. Das sind eben sozusagen klassische Täter, die uns beschimpfen wollen, oder sich irgendwie rechtfertigen wollen. Das geht hin bis zu laufenden Belästigungen.

progress: Sind auch Vaterrechtler dabei?

Eisterer: Die gibt es auch, die anrufen, ja. Ich weiß natürlich immer nur das, was am Telefon thematisiert wird, aber natürlich. Wenn sie davon anfangen, merkt man da natürlich schon die Richtung. Ich merke persönlich, dass ich meinen Beratungsstil etwas geändert habe, seitdem sie gesellschaftspolitisch einen starken Aufwind bekommen haben.

progress: Inwiefern?

Eisterer: Bei vielen unserer Gesprächen mit Frauen geht es auch um das Thema Obsorgeregelungen, also auch um juristische Beratung. Oft, bevor eine Frau in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, muss Rechtliches geklärt werden. Bei Scheidung und Trennung spielt oft  die Sorge um das Kind bzw. um die Kinder eine große Rolle. Frauen haben oft Angst ihre Kinder zu verlieren,  was durch Väter, die stark um ihre Rechte kämpfen, auch passieren kann. Vor der Obsorgedebatte hab ich diesen Frauen noch sagen können, sie hätten da wenig zu befürchten, aber nun und auch zukünftig kann ich ihnen das nicht mehr so bestimmt vermitteln, weil nicht mehr sie, sondern RichterInnen entscheiden können und entscheiden werden. Das bringt Frauen in eine sehr große Unsicherheit  – oder in die Ausweglosigkeit beim Gewalttäter bleiben zu müssen, weil sie denken, dann können sie wenigstens noch mit dem Kind zusammen sein. Ich merke da schon, dass sich da der politische Wind gegen Frauen ordentlich gedreht hat.  Diese Situation ist für Frauen sehr belastend, aber auch für uns.

progress: Wie geht es denn nach einem Anruf weiter?

Eisterer: Wir sind ja für ganz Österreich zuständig und haben hier eine dicke Mappe am Tisch liegen, wo sämtliche Beratungsstellen österreichweit drinnen stehen, nach Thema geordnet, damit wir sie natürlich schnell finden.
Grundsätzlich gilt es erst einmal, das Anliegen zu klären. Am Telefon find ich das noch schwieriger als in der persönlichen face-to-face Beratung, weil Menschen in der Krise natürlich nicht geordnet erzählen. Da muss man natürlich zuerst herausfinden, was ist jetzt der Problemfall. Was ist jetzt und was ist in der Vergangenheit passiert. Dann geht es in erster Linie natürlich immer um die Sicherheit. Das heißt, es geht darum zu klären, liegt eine akute Gefährdung vor und was kann dagegen getan werden. Da kommen de facto eigentlich immer nur zwei Sachen ins Spiel. Das eine ist die Polizei zu rufen und die andere Möglichkeit ist, selber wegzugehen wie etwa in ein Frauenhaus. Wenn es sich um keine akute Situation handelt, dann kann die Beraterin mit der Anruferin einen Sicherheitsplan besprechen für den Fall, dass es wieder gefährlich werden wird, wie kann sie sich und ihre Kinder schon im Vorfeld davor schützen, wen kann sie miteinbeziehen, einweihen.
Manchmal rufen auch Frauen aus ländlichen Gegenden an, wo es rundherum oder in der Nähe keine Hilfseinrichtung gibt, die sie aufsuchen könnte. Für diese Frauen ist die Frauenhelpline besonders wichtig, damit sie sich Hilfe holen können.

progress: Warum bist du Telefonberaterin geworden?

Eisterer: Ja, also ich bin Psychologin und Sozialarbeiterin, wobei wir hier im Team ganz unterschiedliche Fachkompetenzen haben. Wir haben Psychologinnen,  Sozialarbeiterinnen und Frauen, die aus ganz unterschiedlichen beruflichen Kontexten kommen und langjährige Gewaltexpterinnen sind, weil sie bereits in adäquaten Hilfseinrichtungen gearbeitet haben. Wir haben auch Beraterinnen, die auf Arabisch, Englisch, Bosnisch-Kroatisch-Serbisch, Rumänisch und Türkisch beraten können.

Ich persönlich habe die letzten Jahre im Gewaltschutzzentum in Niederösterreich gearbeitet, wo ich viele gewaltbetroffene Frauen und Kinder beraten habe. Ich bin seit zwölf Jahren Sozialarbeiterin und ich kennen viele Formen von Gewalt, ich war beim Jugendamt und in der Flüchtlingsarbeit tätig. Ich kenn das Thema Gewalt von verschiedenen Seiten. Ich verfüge durch meine langjährige Tätigkeit über ein umfassendes Wissen, auch über das Netz an Einrichtungen, die Hilfe anbieten. Dieses Wissen aus der Praxis ist für die telefonische Beratung bei der Frauenhelpline sehr hilfreich und nützlich. Im Vergleich zur Arbeit im Gewaltschutzzentrum, wo ich Frauen zur Polizei, zum Gericht und zu sonstigen Stellen begleitet habe, was oft sehr zeitaufwendig und stressig war, ist die Arbeit bei der Frauenhelpline etwas weniger belastend, aber ebenfalls sehr sinnvoll und erfüllend für mich, weil ich den Frauen mein praktisches Wissen und die Erfahrungen gut und kompetent vermitteln kann.

progress: Wie sieht der der normale Tagesablauf aus?

Eisterer: Es gibt zwei Tagdienste von 8.00 bis 14.00 Uhr  und von 13.30 bis 19.30 Uhr. Die Nachtschicht geht von 19.00 bis 8.30 Uhr. Wie man sieht, gibt es da immer eine halbstündige Übergabezeit, wo man mit den Kolleginnen alle Anrufe bespricht und weitergibt. Ausführliche Besprechungen gibt es bei den wöchentlichen Teamsitzungen, bei denen es zu ausführlichen „Fallbesprechungen" kommt. Vor allem die sogenannten Mehrfachanruferinnen, also Frauen, die öfter anrufen müssen, weil sie sich in einer Krise befinden und laufend Hilfe brauchen. Einige Frauen begleiten wir schon seit mehreren Jahren. Das sind Frauen, die aufgrund von ihren Gewalterfahrungen psychisch oder psychiatrisch erkrankt sind und die die Frauenhelpline als wichtige Stütze sehen, um ihren Alltag  bewältigen zu können.

progress: Wie wird da die Anonymität gewahrt?

Eisterer: Wir dokumentieren jeden Anruf, wo wir bestimmte Daten festhalten, die für uns intern relevant sind bzw. die uns die AnruferIn mitteilt. Wie etwa das Geschlecht, das Alter und die Herkunft der AnruferIn und welche Anliegen am Telefon besprochen werden, welche Hilfe wir angeboten haben und wie oft sie schon angerufen hat. In den meisten Fällen haben wir keine Namen, was auch nicht notwendig ist. Frauen die öfters bei uns anrufen bekommen von uns Bezeichnungen wie „Frau aus Wels“, dann können wir uns untereinander darüber verständigen und orientieren, ob es sich um eine langjährige Anruferin handelt. Wir bieten auch eine E-Mail-Beratung an.

progress: Treffen Sie die Langzeitanruferinnen auch persönlich?

Eisterer: Nein, nie.

progress: Prinzipiell?

Eisterer: Ja, wir sind eine reine telefonische Beratungsstelle für ganz Österreich und unsere Adresse wird nicht öffentlich genannt, aus Sicherheitsgründen.  Wir bekommen genug belästigende Anrufe und wir wollen nicht, dass plötzlich jemand vor der Tür steht.

 

„Die Nummer 0800/222 555  soll in jedem Haushalt bekannt sein“, sagt Maria Rösslhumer, Leiterin der Frauenhelpline.

Die Webseite der Frauenhelpline.

AutorInnen: Lisa Zeller