„Das Unbekannte mit offenen Armen willkommen heißen“

  • 24.03.2015, 08:41

„Möchten Sie mit einem Asylbewerber Verstecken spielen?“ Dieser Tage kommt es vor, dass man auf dem Weg von der U-Bahn zum mobilen Stadtlabor der Technischen Universität angesprochen wird, um im Resselpark an einem besonderen Versteckspiel teilzunehmen. Hintergrund ist eine Performance im Rahmen des imagetanz 2015.

„Möchten Sie mit einem Asylbewerber Verstecken spielen?“ Dieser Tage kommt es vor, dass man auf dem Weg von der U-Bahn zum mobilen Stadtlabor der Technischen Universität angesprochen wird, um im Resselpark an einem besonderen Versteckspiel teilzunehmen. Hintergrund ist eine Performance im Rahmen des imagetanz 2015.

Unter dem Titel „Organized Disintegration“ gestaltet Núria Güell ein Versteckspiel im Resselpark. Die Künstlerin aus Barcelona widmet sich dabei Asylsuchenden in Österreich und ihrer Position am Arbeitsmarkt. Es geht um Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit dieser Personen, eben: hide & seek, wie das Versteckenspiel im Englischen heißt.

ARBEITSMARKT. Die rechtliche Lage von arbeitssuchenden Asylsuchenden ist verstrickt und kompliziert. Peter Marhold von helping hands hat versucht, einen Leitfaden für genau diese Problematik anzufertigen und musste einsehen, dass selbst erfahrene Jurist*innen ihm dabei nicht helfen konnten. Zu ungenau seien die diesbezüglichen Gesetze. Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass am Arbeitsmarkt kein Platz für Asylsuchende ist.

Anstellungsverhältnisse sind illegal. Es gibt mit einer speziellen Erlaubnis die Möglichkeit nach drei Monaten Aufenthalt im Land Saisonarbeit im Tourismusbereich oder in der Landwirtschaft zu verrichten. Der einzige sonstige Ausweg ist die Selbstständigkeit, wodurch prekäre Verhältnisse vorprogrammiert sind. Nur über Werkverträge dürfen Asylsuchende längerfristig Geld verdienen.

Foto: Eva Ludwig-Glück Brut Wien

UNGLEICHE MACHTVERTEILUNG. Núria Güell musste sich für ihr Projekt auch hauptsächlich mit rechtlichen Gegebenheiten auseinandersetzen. Das Festival für Choreografie, Performance und unheimliche Körper zeigt mit diesem Spiel die eindeutige Machtverteilung. Asylwerber*innen verstecken sich, Passant*innen und Festivalbesucher*innen können dann nach ihnen suchen.

Asylsuchende sind es gewohnt, sich innerhalb der Gesellschaft unsichtbar machen zu müssen. Die Praxis am Arbeitsmarkt ist nur eins von vielen Beispielen, die diese Fähigkeit erfordern. Das Resultat daraus ist Abschottung, Kriminalisierung und Langeweile. Amine, der auch schon beim Refugee Protest Camp mitgewirkt hat, beschreibt die fehlende Tagesstruktur und das lange Warten als extrem zermürbend. Er ist überzeugt, dass die Gesetzgebung Asylsuchende dazu bringt, den Prozess des Asylantrags frühzeitig abzubrechen und aufzugeben.

ÖFFNUNG DES ARBEITSMARKTES. Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, sieht in dieser Causa dringenden Handlungsbedarf. Der Arbeitsmarkt müsse unbedingt geöffnet werden, zumindest aber nach drei Monaten Aufenthalt. Das fordert er auch für Ausbildungen. Das emotional aufgeladene Thema wird immer wieder von Politiker*innen instrumentalisiert. Nicht zuletzt, da sehr viele Österreicher*innen ebenfalls einen Job suchen. Die Meinung, dass eine Öffnung des Arbeitsmarktes einen zahlenmäßigen Anstieg der Asylsuchenden in Österreich bedeuten würde, hält sich hartnäckig. Gleichzeitig wären Abschiebungen schwieriger.

Foto: Eva Ludwig-Glück Brut Wien

Den Asylwerber*innen geht es nicht nur um das Geld, das sie potentiell verdienen würden. Sie haben ein Gefühl der Sinn- und Zwecklosigkeit. Berichte aus Traiskirchen bezeugen immer wieder, dass Langeweile und Ziellosigkeit psychisch erdrückend sind. Umso mehr freuen sich die Asylsuchenden, die an „Organized Disintegration“ teilnehmen, über die Möglichkeit Kontakt zu Mitmenschen zu finden und über ihr Anliegen zu informieren.

ZWISCHENWELT. Das mobile Stadtlabor vor der TU ist wie gemacht dafür, Ausgangs- und Treffpunkt des Spiels zu sein. Das Gebilde aus Seecontainern ist eine öffentliche Intervention zwischen U-Bahn-Station und Universitätsgebäude. Es ist temporär und mobil. Die einzelnen Stücke hatten in ihrem früheren Dasein ganz andere Aufgaben: Sie transportierten die verschiedensten Konsumgüter von A nach B, bevor sie schließlich im Resselpark landeten. Man könnte sagen, sie sind gestrandet. Genauso fühlen sich auch viele Asylsuchende in Wien. Sie befinden sich in einer Zwischenwelt, leben oft gezwungenermaßen parallel zur Mehrheitsgesellschaft. Sie müssen sich die Zeit bis zum Asylbescheid vertreiben und versuchen neben der Jobsuche ihre Chancen zu erhöhen, indem sie zum Beispiel Deutsch lernen oder sich andere Fähigkeiten aneignen.

RASSISMUS. Das Hauptproblem neben der unübersichtlichen rechtlichen Situation in Österreich ist der hier institutionalisierte Rassismus. Außerdem werden die wenigen Jobs, die tatsächlich an Asylsuchende herangetragen werden, an diejenigen vergeben, die sie für den niedrigsten Lohn machen. Bei Werkverträgen gibt es keinen Mindestlohn – es zählt nicht die Zeit, die für die Tätigkeit aufgebracht werden muss, sondern lediglich das „Werk“.

Ob Núria Güell einen Weg gefunden hat, diese Gesetze zu unterwandern? Ihre klare Antwort lautet: nein. Genau deswegen hat sie das Projekt „Organized Disintegration“ umgesetzt. Die unfairen Gesetze kann man nicht durch einen einfachen Trick umgehen. Man solle politisch aktiv werden und mit Asylwerber*innen arbeiten. Jede*r kann sie auf Werkvertragsbasis beschäftigen, solange die Gesetze der „Neuen Selbstständigkeit“ eingehalten werden, doch das reicht nicht. Es fehlt ein Bewusstsein dafür, dass Arbeit ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Selbstwertgefühls ist. Güells Aufgabe ist erfüllt, wenn sie einige wenige Leute auf die Lebensrealitäten von Asylsuchenden aufmerksam macht.

 

Katja Krüger ist Unternehmerin und studiert Gender Studies an der Universität Wien.

AutorInnen: Katja Krüger