Wohnen

Eigentumswohnungen

  • 20.06.2017, 20:14
Während manche Studierende über 50 Prozent ihres Budgets für die Miete aufbringen, leben Studierende aus „gutem Hause“ in Eigentumswohnungen. Das wirkt sich nicht nur auf den Geldbeutel aus.

Während manche Studierende über 50 Prozent ihres Budgets für die Miete aufbringen, leben Studierende aus „gutem Hause“ in Eigentumswohnungen. Das wirkt sich nicht nur auf den Geldbeutel aus.

Räumen wir gleich einmal zu Beginn mit einem Mythos auf: Student*innen sind nicht arm! Sie tun so, die meisten inszenieren sich so, aber sie sind es nicht! Die größte Gruppe der Studierenden (52 Prozent) sind laut Studierendensozialerhebung 2015 Teil der gehobenen oder hohen Schicht! Ihre Eltern haben großteils Universitätsabschlüsse und höhere Einkommen als der Durchschnitt.

Der Mythos, dass Studierende am Hungertuch nagen und kaum über finanzielle Mittel verfügen, mag mit halblustigen Sprüchen wie „Warum ist am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig?“ zusammenhängen. Aber was Pulp in den 90er Jahren sangen, „if you called your dady he could stop it all, yeah“, trifft heute noch auf die meisten Student*innen zu. Ihre Armut ist eine eingebildete, oder zumindest eine vorübergehende. Kann die Miete nicht gezahlt werden, kommt es im Studifall wohl in den seltensten Fällen zur Delogierung, sondern in den meisten Fällen hilft ein Anruf bei den Eltern, dass das für die Miete überwiesene Geld für den neuen Herschel-Rucksack und Fusion-Tickets draufgegangen sei, und man nun ein bisschen „Vorschuss“ brauche. Gleichzeitig gefällt man sich in der Rolle des armen „Bettelstudenten“ und fraternisiert mit den tatsächlich ärmeren Student*innen, die das System trotz sozial gestaffeltem Bildungssystem und Zugangsbeschränkungen nicht davon abhalten konnte, zu studieren. Alle studieren, alle haben irgendwie die gleichen Probleme und man nimmt nur zu leicht an, dass auch alle irgendwie arm sind. Schließlich meint Benjamin-Alexander* auch, dass er kein Geld mehr habe diesen Monat. Und während die ärmsten zehn Prozent der Studierenden laut Studierendensozialerhebung nur 500 Euro im Monat für ihre Grundbedürfnisse haben, und nicht wissen, wie sie ihre Miete zahlen sollen, weiß Benni nicht, ob es diesen Monat noch reicht für den Segeltrip in der Ägäis. Benni hat auch nicht das Problem, 36 Prozent seines Gesamtbudgets für Miete auszugeben. Noch drastischer wird die Situation für Studierende, die unter 700 Euro im Monat zur Verfügung haben. Dort beträgt der Anteil der Miete am Gesamtbudget laut Studierendensozialerhebung über 50 Prozent.

Die Mieten steigen und der Anteil des Einkommens, der dafür draufgeht, wird immer größer. Jene, die es sich leisten können, neigen deshalb eher dazu, die monatliche Kreditrate zu bedienen und sich eine Wohnung zu kaufen. Dann ist man in ein paar Jahren Eigentümer*in und muss nur mehr für die Betriebskosten aufkommen.

In Österreich wohnen 39 Prozent im Eigenheim und 11 Prozent in Eigentumswohnungen, also über die Hälfte der Bevölkerung, wie aus dem Endbericht 2014 der Forschungsgesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen hervorgeht. In der Hauptstadt wohnen 13 Prozent in Eigentumswohnungen. Eigentumswohnungen sind kostspielig. In der kleinsten Kategorie (Wohnungen unter 59 m²) schwanken die Preise an den meisten österreichischen Hochschulstandorten zwischen 95.000 und 200.000 Euro. Man braucht also schon einiges an Eigenkapital, um sich auch nur eine kleine Wohnung leisten zu können. Oder man erbt sie. Denn in Österreich werden nicht nur Bildungsabschlüsse vererbt, die Immobilien bekommt man auch noch mit dazu.

Über eine Eigentumswohnung zu verfügen, wirkt sich nicht nur auf den Geldbeutel im Studium aus: Viele Studierende klagen über psychische Probleme und haben Existenzängste. Falls man in einer anderen Stadt studiert und sich nicht auf die monatlichen Geldzuwendungen aus dem Elternhaus verlassen kann, bleibt einem gegebenenfalls nichts anderes übrig, als das Studium abzubrechen, um die Miete zahlen zu können. Der elementare Stress, die Miete nicht zahlen zu können, beherrscht schließlich jeden Aspekt des Lebens. Das Studium leidet unter dem „Nebenjob“, der im Ernstfall zum Haupterwerb wird.

Der Sommer naht und auf Facebook und auf den Wohnungsportalen sprießen die Untermietanzeigen aus dem Boden. „WG-Zimmer für 3 Monate zur Untermiete“. Während kurzfristige Untervermietung für manche bittere Notwendigkeit ist, stellt es für Studierende mit Eigentum kein Problem dar, eine Wohnung für mehrere Monate leerstehen zu lassen. Oder besser: sie trotzdem zu vermieten und so von der Eigentümer*in zur Vermieter*in zu werden. Schließlich lässt sich der Segeltrip in der Ägäis viel leichter finanzieren, wenn man noch ein paar hundert Euro mehr zur Verfügung hat. Vermietet wird dann bisweilen weit über dem Richtwert, man soll ja sein Eigentum auch nicht zu billig zu Markte tragen. Miethöchstzins und reale Mieten liegen ja auch bei anderen Wohnungen weit auseinander, meint Benni. Und so wird man als Student*in schnell zur Marktkenner*in, die nur das Beste aus dem Möglichen macht.

*Bei Menschen mit einem Einkommen unter 1.000 Euro, die Benjamin-Alexander heißen, entschuldige ich mich hiermit für den Klassismus, ihren Namen mit der Oberschicht gleichzusetzen – ich bezweifle allerdings, dass es sie gibt.

Anne-Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

In einer Bank arbeiten statt sie zu putzen

  • 11.05.2015, 08:36

Im März eröffnete in Wien das erste muslimische Frauenhaus. Über die Notwendigkeit von Hilfen, öffentliche Missverständnisse und Zukunftsvisionen sprach progress mit Silke Kettmann-Gamea bei einem Lokalaugenschein.

Im März eröffnete in Wien das erste muslimische Frauenhaus. Über die Notwendigkeit von Hilfen, öffentliche Missverständnisse und Zukunftsvisionen sprach progress mit Silke Kettmann-Gamea bei einem Lokalaugenschein.  „Angefangen hat alles in der Frauengruppe im muslimischen Zentrum vor ein paar Jahren“, erzählt Silke Kettmann-Gamea. Ein neu eingerichtetes Büro zwischen Donaukanal und Hannovermarkt, im Herzen von Brigittenau: In den Ecken stapeln sich Decken, Kleidung und Kuscheltiere – Spenden, die für das neu gegründete Projekt „Hatice“ abgegeben wurden. „Damals stieß eine konvertierte Frau zu uns, die nicht wusste wohin. Ich bot ihr meine Hilfe an.“ Das sei ein häufiges Problem, fährt die Mittvierzigerin fort. Viele Familien reagieren mit Ablehnung darauf, wenn ihre Kinder den Islam für sich entdecken. „Das ist ganz normal, dass das anfangs ein Schock ist. Man muss bloß den Fernseher einschalten und schauen, wie über den Islam berichtet wird.“ Doch nicht nur Konvertitinnen brauchen Hilfe. Die Frauengruppe war oft die erste Anlaufstelle für Probleme jeder Art.

WAS HAST DU FÜR EIN PROBLEM? Kettmann-Gamea arbeitete damals als Begleitlehrerin in der islamischen Volksschule des Vereins Jetzt – Zukunft Für Alle. Immer wieder baten dort Frauen um ihre Unterstützung. Da war es für sie der konsequente nächste Schritt, mehr anzubieten als spontane Privatunterkunft oder hier und da ein behördliches Schreiben in Alltagsdeutsch zu übersetzen. Anfang des Jahres wurden durch den Verein günstige Wohnungen angemietet und hergerichtet. Vor Kurzem sind die ersten Frauen eingezogen, sie leben in Wohngemeinschaften verschiedener Größe, je nachdem, wer sich miteinander versteht oder wer wie viel Platz braucht. „Das war uns wichtig, dass die Frauen quer durch die Stadt verteilt wohnen. Nicht nur aus Sicherheitsgründen. Wir hoffen, dass durch die WGs gegenseitige Unterstützung entsteht, aber auch, dass der Kontakt zu den NachbarInnen leichter fällt.“ Je nach Einkommen zahlen die Frauen Miete. Finanziert wird das Projekt aus Spenden und privaten Mitteln. „So lange wir uns das leisten können, soll es so bleiben.“

In der Anlaufstelle stehen eine Sozialarbeiterin und Integrations- und Frauencoaches zur Verfügung. „Viele Frauen kommen und wissen gar nicht genau, was sie wollen oder welche Möglichkeiten sie haben. Anfangs muss man grundlegend klären: Was hast du überhaupt für ein Problem?“ Wie in jedem Hilfeprozess wird sortiert, Prioritäten werden gesetzt und Zuständigkeiten ermittelt. Es wird auch geklärt, was „Hatice“ anbieten kann, wofür die verschiedenen öffentlichen Einrichtungen da sind, und was andere Vereine aus dem bestehenden Netzwerk übernehmen können.

NICHT NUR PUTZFRAUEN. Kettmann-Gamea schildert, dass es für viele Musliminnen schwierig sei Hilfe anzunehmen. Sie fürchten, nicht akzeptiert und unterstützt zu werden, auf Vorurteile zu stoßen oder aufgefordert zu werden, das Kopftuch abzulegen. Viele der Frauen sind nach islamischem Recht verheiratet. Bei Trennungen, Konflikten und auch wenn Kinder im Spiel sind, besteht häufig der Wunsch, Lösungen im Sinne der Scharia zu finden. Hier wird gemeinsam mit einer Rechtsberaterin und einem Juristen nach einem gangbaren Mittelweg gesucht.

Der Diskriminierung am Arbeitsmarkt möchte man durch Kooperationen mit Ausbildungsstellen entgegensteuern. Derzeit werden Frauen vorwiegend im Care-Bereich, in Kinderbetreuung und Altenpflege, vermittelt. Kettmann-Gamea möchte Frauen, die Kopftuch tragen, ermutigen, beruflich Fuß zu fassen und in der Öffentlichkeit präsent zu sein. „Vor ein paar Jahren gab es Berufe, die waren regelrechte Männerdomänen, das bricht langsam auf. Und warum sollte es nicht auch irgendwann möglich sein, dass eine Frau mit Kopftuch in der Bank hinter dem Schalter arbeitet, statt sie zu putzen?“

KRITISCHE STIMMEN. Der Trägerverein Jetzt – Zukunft Für Alle stand nach der Schließung der privaten Volksschule Anfang des Jahres in der Kritik. Auch das Projekt „Hatice“ wurde medial angegriffen. „Zunächst einmal sind wir nicht die Schule, sondern ein eigenes Projekt“, stellt Kettmann-Gamea klar. „Und zweitens: Die polizeilichen Ermittlungen dazu sind abgeschlossen, die Schule wurde von allen Anklagepunkten freigesprochen. Darüber berichtet niemand. Vom Stadtschulrat kam noch keine Reaktion.“ Weder Rechtsabteilung noch PressesprecherInnen des Stadtschulrats wollten progress diesbezüglich Auskunft geben.

Auch der Verein Wiener Frauenhäuser reagierte verschnupft auf das neue Projekt, nachdem es hieß, in seinen Einrichtungen dürften Muslimas ihre Religion nicht frei ausüben. „Das war ein Missverständnis“, räumt Kettmann-Gamea ein. „Ich glaube nicht, dass sie sagen: Du darfst nicht beten. Ich finde es wichtig, dass es solche Einrichtungen gibt, aber ich finde es genauso wichtig, dass es uns gibt. Man sieht ja, es wird gebraucht. Sonst würde es keinen Menschen interessieren.“ Kontakt gab es zwischen den beiden Vereinen bislang nicht, so Irma Lechner, Leiterin des dritten Wiener Frauenhauses: „Eigentlich ist das üblich in Wien, dass neue Projekte sich ankündigen und vernetzen. Aber mit Sicherheit ergeben sich irgendwann Schnittstellen.“ Eigenständig wolle man jedoch nicht auf das neue Projekt zugehen.

ZUKUNFTSMUSIK. Dass „Hatice“ sich als „Frauenhaus“ bezeichnet, folgt einem anderen Gedanken als jenem, der hinter Frauenhäusern steht, die Gewaltschutzeinrichtungen mit hohen Sicherheitsstandards sind: Es soll ein Ort für Frauen sein, für alle Frauen. Auch trans* Frauen. Egal welches Problem und welche Religion sie haben. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, dann, dass alle Menschen eine Gemeinschaft sind. „Jeder für jeden, jede mit jedem, egal welcher Herkunft, egal ob Christ, Jude oder Moslem. Vielleicht erleb’ ich das ja noch.“

Zum Abschied überreicht Kettmann-Gamea einen Folder der noch jungen Dokumentationsstelle zur Durchsetzung von Gleichbehandlung für Muslime der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Eigene Folder hat „Hatice“ noch nicht, auch die Homepage ist noch im Aufbau. So wie vieles derzeit: Aktuell verhandelt der Trägerverein mit der Wiener RosaLilaVilla über die Bereitstellung leistbaren Wohnraums für LGBTI-Flüchtlinge: „Eigentlich hat alles ja gerade erst angefangen.“

 

Eva Grigori hat Germanistik in Göttingen und Wien studiert und beendet derzeit den Master Soziale Arbeit in St. Pölten.

 

Alle unter einem Dach

  • 17.04.2014, 18:02

 

PensionistInnen, Studierende und Kleinkinder – alle zusammen in einer WG. Klingt ungewöhnlich, könnte aber die Zukunft des Wohnens sein, denn immer mehr Menschen lassen sich auf dieses Experiment ein.

Willi steht in der Küche und packt Flaschen aus ihrem Einkaufstrolley. „Patrick hat mich gebeten, Bier mitzunehmen“, erklärt sie. Daneben steht Mohsen und blickt kritisch auf die beachtliche Sammlung leerer Flaschen neben der Abwasch. „Wir sollten das mit dem Müll anders organisieren. Vielleicht sollte jede Woche jemand fix für den Müll zuständig sein“, schlägt er vor. „Ich versteh nicht, warum nicht einfach jeder seinen Dreck wegräumen kann“, entgegnet Willi. „Wenn jemand einkaufen geht, kann er ja wohl einfach ein paar Flaschen mitnehmen.“

Alkohol kaufen für die MitbewohnerInnen, Diskussionen um die Müllentsorgung: Es sind Szenen, wie sie jede Studi-WG kennt. Auch die Möbel sind wie in den meisten Wohngemeinschaften bunt zusammengewürfelt. Willi hat bei ihrem Einzug ihr Klavier mitgebracht, das jetzt im Wohnzimmer steht. Daneben stehen Sofas in unterschiedlichen Farben und Regale vollgestopft mit Büchern. Auch die Zimmerpreise entsprechen mit 300 bis 500 Euro jenen in Studierenden-WGs. Was auf den ersten Blick wie eine normale Wohngemeinschaft aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen aber als etwas Außergewöhnliches: In der Generationen-WG der ÖJAB (Österreichische Jungarbeiterbewegung) leben 24 Menschen aller Altersgruppen – darunter SeniorInnen, Studierende und junge Familien – aus acht verschiedenen Nationen zusammen. Willi ist mit ihren 75 Jahren die älteste Bewohnerin; die jüngste ist gerade einmal zwei Monate alt. Student Mohsen liegt mit seinen 29 Lebensjahren in der Mitte.

Ein Konzept Mit Zukunft. 2030 wird es in Österreich mehr über 65-Jährige als unter 19-Jährige geben und die Überalterung schafft neue Probleme. Eine Frage ist etwa die der Pflege und Versorgung im Alter. Zwar kommen viele SeniorInnen gut alleine zurecht, die Angst vor der Einsamkeit ist jedoch groß. Ab einem gewissen Alter brauchen die meisten dann doch Hilfe im Alltag, sei es beim Hausputz, der Gartenarbeit oder auch dem Stiegensteigen – ins Altersheim wollen aber dennoch nur die wenigsten. Generationenverbindendes Wohnen kann in solchen Fällen eine zufriedenstellende Lösung sein. Denn, wie Christine Leopold, Präsidentin von Kolping Österreich, betont: „Alte wollen nicht nur Alte sehen.“

Der Arbeiterverein Kolping Österreich hat bereits 2003 ein SeniorInnenheim im 10. Wiener Gemeindebezirk mit seiner Unterstützungseinrichtung für alleinerziehende Mütter zusammengelegt. Neben den 200 älteren BewohnerInnen, die rund um die Uhr auf der Pflegestation betreut werden, und 45 RentnerInnen, die ihren Alltag noch weitgehend selbstständig bestreiten, leben hier heute 18 Mütter mit etwa 30 Kindern, die von SozialarbeiterInnen unterstützt werden. Beim Faschingsumzug auf der Pflegestation, Oster- und Weihnachtsfeiern und bei jedem runden Geburtstag sind die Kinder mit dabei. Und die SeniorInnen haben für solche Gelegenheiten natürlich auch den einen oder anderen Schokoriegel für ihre jungen MitbewohnerInnen parat.

Im Gegensatz zum Kolpinghaus ist unter den SeniorInnen in der Generationen-WG (GWG) niemand pflegebedürftig. „Höchstens vergesslich!“, merkt Willi an und erzählt schmunzelnd, dass ein älterer Mitbewohner ab und zu die Koteletts in der Pfanne vergisst. Konflikte zwischen den Generationen sind aber an beiden Orten selten. In der GWG zankt man sich nur manchmal über die leeren Glasflaschen. Und auch im Kolpinghaus hat es nur einmal einen größeren Krach gegeben, als die Kinder die Fische im Aquarium der SeniorInnen mit Waschmittel waschen wollten: „Die sind dann mit dem Bauch nach oben an der Wasseroberfläche geschwommen“, erzählt Frau Leopold, „ein wenig Aufregung schadet aber grundsätzlich auch im Alter nicht.“

Auch Willi hat sich für einen abwechslungsreichen Alltag entschieden, als sie vor fünf Jahren in die Generationen-WG einzog. Ein Altersheim war damals keine Option und ist es auch heute nicht. Schließlich ist sie nicht pflegebedürftig und mit ihren 75 Jahren noch gut auf den Beinen. 41 Jahre lang hatte die Bibliothekarin ihre Wohnung im obersten Stock eines Wiener Zinshauses. „147 Stufen! Das schaffe ich auch heute noch!“ Aber sie muss es nicht mehr schaffen. Die Generationen-WG liegt im Erdgeschoss: praktisch für Rollstühle, Kinderwägen und Willis Einkaufstrolley.

Die BewohnerInnen der Generationen-WG haben die gleichen Freunden und Sorgen wie eine „normale“ Studi-WG. Foto: Eva Engelbert

Eine Frage der Planung. „Planung und Architektur sind beim generationenverbindenden Wohnen sehr wichtig, sowohl für Alt als auch für Jung muss es Begegnungs- und Rückzugszonen geben“, erklärt Leopold. Im Haus des Kolping-Vereins soll der Eingangsbereich mit Rezeption und Spielecke für Begegnungen zwischen Alt und Jung sorgen. Die BewohnerInnen der GenerationenWG treffen sich in der Küche und im Wohnzimmer. „Wir sitzen hier am Abend zusammen und reden. Das ist besser als in meinem letzten Studentenheim“, lacht die 21-jährige Studentin Maryam. Alle möglichen Feste aus den Herkunftsländern der BewohnerInnen wurden in der Küche schon gefeiert. Damit sich auch alle verstehen, gilt die Regel, dass im Gemeinschaftsbereich Deutsch oder Englisch gesprochen wird. Willi schüttelt amüsiert den Kopf: „Das ist dann ein arges Gemisch aus Englisch in allen Abstufungen.“

Trotz der guten Gemeinschaft sind die eigenen Zimmer wichtige Rückzugsorte – gerade für die älteren BewohnerInnen, wenn die jüngeren einmal länger in der Küche feiern. „Es stört mich nicht, wenn’s laut ist. Wenn ich nimmer will, dann geh’ ich halt“, beantwortet Willi die Frage nach abendlichen Parties. Auch im Kolpinghaus wird darauf geachtet, dass sich die BewohnerInnen jederzeit zurückziehen können, wenn es ihnen zu viel wird. „Gerade viele ältere Menschen, die zu uns kommen, haben vorher sehr lange alleine gelebt und müssen sich erst daran gewöhnen, wieder ständig unter Leuten zu sein“, erzählt Leopold.

Nicht nur Vereine wie Kolping oder die ÖJAB versuchen sich an solch neuen Wohnformen. In Salzburg sind im Dezember die ersten BewohnerInnen in ein privates Generationen-Projekt eingezogen. Dort gibt es ebenfalls Gemeinschaftsräume, aber jeder hat seine eigene Mietwohnung. Ob die Gemeinschaftsflächen so stark genutzt werden wie in der Generationen-WG, wird sich noch herausstellen. „Zurzeit gibt's noch ein bisschen Umzugschaos“, sagt Koordinator Erwin Oberbramberger. Irgendwann soll das Projekt die älteren BewohnerInnen vor der Alterseinsamkeit bewahren und die SeniorInnen könnten den gestressten Eltern mit Vorlesestunden für die Kinder unter die Arme greifen. In der Einzugsphase in der Vorweihnachtszeit gab es bereits gemeinsame Aktivitäten: Während die Eltern Umzugskisten schleppten, backten ihre Sprösslinge im Gemeinschaftsraum Kekse mit einer Betreuerin.

Betreuung muss sein. Ganz ohne Betreuung funktionieren auch die am besten geplanten Projekte nicht – darüber sind sich die InitiatorInnen aller drei Generationen-Projekte einig. „Von ganz alleine passiert gar nichts“, weiß Leopold aus Erfahrung. Für das Kolpinghaus steht deshalb die Abteilung „Lebensqualität“ des Vereins als Ansprechpartnerin zur Verfügung und ist für die Organisation von Festen zuständig. Auch im Salzburger Projekt wird eine ständige Betreuerin dafür sorgen, dass die BewohnerInnen die Gemeinschaftsräume nutzen. „Jemand muss gemeinsame Aktivitäten initiieren, Ideen einbringen, sozusagen das Handwerkszeug liefern. Sonst wird es schwierig“, meint Oberbramberger. Für die Generationen-WG de ÖJAB ist Veronika Stegbauer zuständig. Sie kümmert sich um alles Organisatorische – angefangen von HandwerkerInnen, über die Behebung von Internetproblemen, bis hin zum Müllentsorgungsplan. Zusätzlich kommt zwei Mal in der Woche eine Putzfrau. JedeR, der/die einmal in einem Studentenheim gewohnt hat, kann erahnen wie eine Küche aussehen kann, die von 24 BewohnerInnen benutzt wird. Des Weiteren leitet Stegbauer einmal im Monat eine BewohnerInnenversammlung, bei der Probleme besprochen und Aufgaben verteilt werden: Eine BewohnerIn holt in der Früh die Post und verteilt sie, ein anderer ist für Computer und Technik zuständig.

Die Gemeinschaft muss passen. Eine weitere Voraussetzung dafür, dass Generationen-Wohnprojekte funktionieren, ist, wie in jeder WG, dass die MitbewohnerInnen zusammenpassen müssen. Oberbramberger hat zunächst mit allen InteressentInnen für die Wohnungen in Salzburg telefoniert, um herauszufinden, ob eine generationenverbindende Wohnform überhaupt das Richtige für sie ist. „Wenn alte Leute sagen ‚Ich möchte meine Ruhe haben‘ oder junge Eltern 'Wir haben zwar keine Großeltern mehr, aber das wollen wir auch gar nicht', dann macht Generationen-Wohnen nicht viel Sinn.“ Wegen eines schwierigen Mitbewohners hat auch Stegbauer von der ÖJAB die letzten Wochen damit verbracht jemand neuen für die GenerationenWG zu suchen. „Der vorige Bewohner hat die Gemeinschaft doch ziemlich strapaziert.“ Nun zieht eine russische Studentin mit ihrer achtjährigen Tochter in die WG ein und stellt das Generationen-Projekt vor neue Herausforderungen. „Wir werden sehen, wie das mit der Tochter wird“, sagt Stegbauer. „Vielleicht organisieren wir Kinderbetreuungsdienste.“

Trotz – oder gerade wegen – der kleinen Herausforderungen im Alltag wird Generationen-Wohnen immer beliebter. Seit Kurzem gibt es neben dem Kolpinghaus in Favoriten auch eines im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Die ÖJAB will neben der Generationen-WG bald ein ganzes Generationen-Haus eröffnen. Und auch in Salzburg sind schon zwei weitere Projekte in Planung. Denn viele SeniorInnen brauchen keine Pflege, sondern einen Ausweg aus ihrer Einsamkeit. Für sie könnte generationenverbindendes Wohnen in Zukunft eine Alternative zum Altersheim sein.

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik, Julia Prummer Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

„Das Essen hier ist gut.“

  • 07.11.2013, 15:34

Während die einen nach durchzechten Partynächten in den frühen Morgenstunden in ihre WG-Zimmer torkeln, schleichen die anderen leise zurück in ihre alten Kinderzimmer. Wie ist es eigentlich, wenn man als StudentIn noch bei den Eltern wohnt?

Während die einen nach durchzechten Partynächten in den frühen Morgenstunden in ihre WG-Zimmer torkeln, schleichen die anderen leise zurück in ihre alten Kinderzimmer. Wie ist es eigentlich, wenn man als StudentIn noch bei den Eltern wohnt?

Für viele Studierende ist es selbstverständlich mit dem Ende der Schulzeit und dem Studienbeginn das Elternhaus zu verlassen. Man zieht nicht nur aus, um sich nicht enden wollenden Partynächten ungestört hingeben zu können und den nervigen Kommentaren der Eltern zu entgehen, sondern auch, weil man sich von ihnen abnabeln und die ersten Schritte in die eigene Existenz machen will. Wenn gleichaltrige Studierende noch bei den Eltern wohnen oder zu ihnen zurückzuziehen, kommt das denjenigen, für die das „ganz normal“ ist in einer WG oder einer eigenen Wohnung zu wohnen, eher seltsam vor. Denn schließlich kennt man das nur aus den wirtschaftlich durchrüttelten südeuropäischen Ländern wie Spanien, Italien oder Portugal, aber nicht aus Österreich! Denkt man vielleicht, stimmt aber nicht. Laut einer Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung, die 2011 durchgeführt wurde, wohnen 61% der 20-bis 24-Jährigen und 30% der 25- bis 29-Jährigen noch zuhause bei den Eltern. Knapp ein Drittel der 20-bis 24-Jährigen, die bei den Eltern wohnen, befinden sich noch in Ausbildung. Für die meisten spielen finanzielle Belastungen, wie beispielsweise die in die Höhe schnellenden Mietpreise  eine wichtige Rolle bei der Entscheidung nicht von zuhause auszuziehen oder wieder ins Elternhaus zurückzuziehen. So etwa auch bei Georg* (21), der noch bei seinen Eltern wohnt, und Isabel* (25), die sechs Jahre nach ihrem Auszug für ein paar Monate wieder bei ihren Eltern wohnte. Die beiden berichten, wie sie das Zusammenleben mit den Eltern erleb(t)en.

GEORG. Mit seiner überlegten Art zu Erzählen und seinem festen Händedruck wirkt der 21-Jährige reif für sein Alter. Man würde wahrscheinlich nicht annehmen, dass er noch zuhause bei seinen Eltern wohnt. Georg ist eines von acht Kindern und wohnt mit seinen drei kleinen Brüdern und seinen Eltern in einer Wohnung in Wien. Er studiert im dritten Semester Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur. Dass er nicht wie die meisten seiner StudienkollegInnen die Studienzeit in einer eigenen Wohnung oder Wohngemeinschaft verbringt, hat er zu Beginn des Studiums entschieden: „Ich habe so mehr Zeit für die Uni. Wenn man drei Wochen im Labor arbeitet, bleibt oft keine Zeit mehr zum Arbeiten übrig“, erzählt er. Um sich aber das Studium leisten zu können, hätte er das machen müssen, denn Studienbeihilfe bekommt Georg nicht. Die ist sich, wie bei vielen seiner StudienkollegInnen „knapp“ nicht ausgegangen. Zu hoch war das Einkommen des Vaters, das über den Erhalt der Studienbeihilfe letztendlich entscheidend war. Mit seiner Entscheidung zuhause zu bleiben hat Georg zwar viel Zeit für sein Studium gewonnen, dafür muss er aber mit wenig Geld auskommen. Die Familienbeihilfe geht direkt an seine Eltern, die dafür für alle anfälligen Kosten aufkommen. Georg und seine Geschwister bekommen von ihnen ein wenig Taschengeld: „Alles was ich brauche bekomme ich von meinen Eltern. Das ist schon super.“ Auch um das Essen kümmern sie sich. Im, wie Georg betont, „sehr traditionellen“ Haushalt der Familie, kocht die Mutter für die ganze Familie. „Die hat immer Angst, dass wir den Herd versauen“, erzählt er schmunzelnd. „Deswegen darf ich nur kochen wenn die Eltern am Wochenende wegfahren, das finde ich manchmal schon ein bisschen schade.“ Sonst verläuft das Zusammenleben aber sehr harmonisch und vor allem organisiert. „Natürlich muss man sich den Platz mit so vielen Leuten in einer Wohnung gut aufteilen. „Zu sechst kann es manchmal schon eng werden“, meint Georg. Mit seinem 17-jährigen Bruder teilt sich Georg ein Schlaf- und Arbeitszimmer. Aber gerade in den ersten Semestern, die meist von nicht enden wollenden Partynächten begleitet werden, kann es passieren, dass man erst frühmorgens und sturzbetrunken nach Hause kommt und sich dabei in die Quere kommt. Aber auch hier weiß sich Georg zu helfen: „Wenn man um sieben in der Früh nach Hause kommt und nach Suff stinkt, während die kleinen Geschwister gerade in die Schule gehen, ist das natürlich nicht sehr angenehm. Aber dann kommt man halt eine Stunde später heim, um das zu umgehen.“

 

ISABEL. Für die 25-jährige Isabel verlief das gemeinsame Wohnen mit den Eltern hingegen weniger unproblematisch. Die bodenständige Grazerin war während ihres Studiums ins Ausland gegangen, um dort zu arbeiten. Als sie ihr Englisch-Studium in Österreich beenden wollte, kam sie wieder zurück und quartierte sich im Elternhaus ein, um sich  Geld und die anstrengende Wohnungssuche zu ersparen. “Wenn du eine Zeit lang selbstständig gelebt und auch schon dein eigenes Geld verdient hast, dann tust du dir auf einmal schwer wieder zuhause zu wohnen“, erzählt Isabel. “Das war ein bisschen wie wieder in der Pubertät zu sein. Zurück in der Zeit, in der man sich gegenseitig nicht wirklich versteht und manchmal auch ordentlich hasst, weil man nicht mehr aneinander gewöhnt ist und sich jeder auf seine Art und Weise weiterentwickelt hat.“ Man verliere jegliche Privatsphäre und auch das, gerade für die Studienzeit so wichtige, Freiheitsgefühl, meint Isabel, die sich in ihrer Freizeit oft mit ihren FreundInnen trifft und sich außerdem politisch engagiert.  „Sehr viel wird plötzlich kommentiert. Was man in seiner Freizeit macht, der Kleidungsstil oder auch die Essgewohnheiten. Etwa wenn im Kühlschrank 'zu teure' Produkte stehen. Oder wenn du dich mit wem triffst. Vor allem, wenn du vier Mal die Woche mit Freunden auf einen Wein gehst”, erzählt die 25-Jährige über den schwierigen Alltag mit ihren Eltern.
 

Diese Kommentare kennt auch Georg – immerhin haben seine Eltern das selbe Fach wie er auf der Boku studiert: „Da bekommt man manchmal schon etwas zu hören Aber es sind ja seit ihrem Studium fast 30 Jahre vergangen, da hat sich viel auf der Uni verändert. Natürlich nerven diese Ratschläge manchmal, aber sie sind eigentlich nur gut gemeint.“ Ausziehen möchte Georg deswegen nicht, denn mit seiner Situation ist er eigentlich „ziemlich zufrieden.“ Zwar meint Georg, dass es interessant wäre in einer Wohngemeinschaft zu wohnen, doch das das Gefühl etwas zu verpassen hat er nicht, und für WGs ist ja auch nach dem Studium noch Zeit: „Ich bleibe sicher noch bis zum Ende vom Bachelorstudium, wahrscheinlich sogar bis zum Masterabschluss zuhause wohnen. Dann kann ich noch länger das gute Essen hier genießen“.

Dass das Wohnen im Elternhaus mit einem gewissen Komfort verbunden ist, weiß auch Isabel zu berichten: „Wenn dein Gewand nicht mehr schön genug für die Eltern aussieht, dann spendieren sie dir auch mal ein paar neue Sachen, damit sie sich nicht schämen müssen“, erzählt sie. „Dass die Wäsche gewaschen wird, ist wahrscheinlich der größte Komfort überhaupt.“ Trotzdem hat sie nach drei Monaten die Flucht ergriffen und wohnt mittlerweile wieder im Ausland. Auf die Frage, ob sie es eigentlich komisch findet, wenn man in ihrem Alter noch zuhause wohnt, schüttelt sie den Kopf. „Das ist doch ganz normal“,  sagt sie. Viele ihrer FreundInnen würden zuhause wohnen. „Es ist mir aber ein Rätsel, wie diese es dort aushalten.“, fügt Isabel lachend zu hinzu. 

 

Text: Simone Grössing, Interviews: Margot Landl, Simone Grössing

*Namen von der Redaktion geändert

 

 

 

 

 

Wohnst du noch oder studierst du schon?

  • 29.12.2019, 15:56
Autotür zu, winken und weg. Tschau Mama und Papa – endlich allein. Rein ins eigene Leben, in die eigenen vier Wände, weg von Zuhause. Doch kann ich mir das überhaupt leisten? Haben alle die Chance, studieren zu können, was sie wollen - unabhängig vom Studienort? Warum ist Wohnen überhaupt so teuer?

Das Thema Wohnen ist in aller Munde. Spätestens seit sich in Berlin tausende Menschen auf den Straßen versammelten, um gegen den drakonischen Wohnungsmarkt zu protestieren, kann nicht länger weggesehen werden: Soll das sogenannte Betongold wirklich Wertanlage oder Spekulationsmittel sein? In Österreich liegt die Situation noch nicht derart im Argen wie in Deutschland. Staatlicher sozialer Wohnbau, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte (und nicht veräußert wurde), bedeutet für tausende von Menschen ein Leben in leistbaren, sauberen und hellen Wohnungen. Der staatliche Wohnbau wird noch ergänzt durch ein Angebot an geförderten Genossenschaftswohnungen. Allerdings ist zweifelhaft, ob diese Maßnahmen ausreichen werden, die individuelle finanzielle Belastung durch Wohnkosten bei stagnierenden oder gar sinkenden Einkommen auszugleichen.

Etliche Faktoren treiben Wohnkosten spätestens seit den 2000ern rasant in die Höhe: Das Mietrechtsgesetz (MRG) etwa - in seinem Verständnis ein Mieter_innenschutzgesetz - verliert nach und nach an Wirkungsmacht, immer weniger Wohnungen fallen als “Altbauten” in die Vollanwendung des Gesetzes, inklusive des so wesentlichen Mietzinsrichtwerts. Gleichzeitig werden nach und nach Ausnahmen geschaffen, welche weitere Umgehungen (z.B. bei Dachausbauten) erlauben. Befristete Mietverträge - und mit ihnen immer kürzere Zyklen bis zur nächsten Mietzinserhöhung bei der erneuten Vertragsschließung - sind immer mehr an der Tagesordnung. Etliche Wohnungen stehen als Wertanlagen ungenutzt frei oder werden zum Zweck der touristischen Kurzzeitvermietung vom langfristigen Wohnungsmarkt genommen. In fast allen Bereichen der Wohnpolitik zehren wir von Errungenschaften vergangener Jahrzehnte. Häufig sind Mieter_innen dem Diktat der Vermieter_innen ausgeliefert. Wer will schon das Dach über dem Kopf aufs Spiel setzen? Die dargelegte Situation macht deutlich, dass es neue Konzepte und Ideen braucht.

Wohnen und Studierende

Rund 60% der unter 21-jährigen Student_innen können sich ein Leben außerhalb des Elternhaushaltes leisten - was natürlich dementsprechend hohe Lebenshaltungskosten nach sich zieht. Vor allem in den ersten Jahren nach der Schule liegt der Prozentsatz des monatlichen Budgets, den Studierende für die eigenen vier Wände ausgeben, bei knapp 60% - dabei sollten nicht mehr als 30% des Einkommens für Wohnkosten ausgegeben werden müssen, um prekäre finanzielle Situationen zu vermeiden.

Für Studierende bedeutet dies mitunter, dass die Wahl des Studiums - oder überhaupt die Entscheidung zwischen Universität und unmittelbarem Eintritt in die Arbeitswelt - davon abhängig gemacht werden muss, ob ein eigener Haushalt, sei es in einer WG, in einem Heim oder in einer eigenen Mietwohnung verwirklichbar ist. Gerade im Bereich der Studierendenwohnheime, die dem wichtigen Grundgedanken folgen, niederschwellige wie auch leistbare Wohnangebote in einer fremden Stadt zu ermöglichen, zeichnet sich seit Wegfall der staatlichen Förderungen seit 2011 ein düsteres Bild ab. Notwendige, nun nicht mehr zu finanzierende Sanierungen und das Eindringen gewinnorientierter Privater in diesen Sektor studentischen Wohnens hat jedenfalls nicht zu einer Verbesserung der Situation geführt, im Gegenteil: Unter dem Mantel von Exklusivität wurden mehrheitlich Immobilien im Sinne von Investor_inneninteressen geschaffen, das Prinzip der Gemeinnützigkeit von Heimbetreiber_innen, welches lange Zeit bestimmend für diesen Sektor war, verschwindet. Die unleistbaren Heimpreise bleiben.

Wohnkosten stellen einen bedenklichen Faktor sozialer Selektion dar. Der ÖVP-Lösungvorschlag “Eigentumswohnung” wirkt wie Hohn. Wohnen ist ein Grundrecht - nicht Luxus. Es muss allen Menschen möglich sein, selbstbestimmt leben und wohnen zu können. Welche Maßnahmen könnten getroffen werden? Wie hat sich studentisches Wohnen im Lauf der Zeit entwickelt? Können wir daraus Ideen für heute und morgen mitnehmen? Begib dich in der nächsten Ausgabe gemeinsam mit uns auf die Suche nach möglichen Lösungsansätzen! Änderung: Begib dich in der nächsten Ausgabe des Progress im März 2020 gemeinsam mit uns auf die Suche nach möglichen Lösungsansätzen

Housing for All

Die europäische Bürger_innen-Initiative „Housing for All“ setzt sich EU-weit für bessere Rahmenbedingungen im sozialen Wohnbau ein. Aufgrund ausbleibender öffentlicher Finanzierung wird Wohnen immer mehr zur finanziellen Belastung, für einige zu unleistbarem Luxus. Das muss sich ändern! Wir unterstützen die EU-Bürger_innen-Initiative, schließ auch du dich an! http://www.housingforall.eu

Soz-Ref Veranstaltungsreihe

Das Sozialreferat der ÖH-Bundesvertretung will in diesem Studienjahr unter anderem einen Schwerpunkt auf das Thema Wohnen legen. Neben der Artikelserie im Progress veranstalten wir an unterschiedlichen Hochschulstandorten eine Vortragsreihe, den Auftakt macht am 10.12. in Innsbruck eine Diskussion zu Miethöhe und Mietzinsbeihilfe. Schau auch auf Facebook oder Instagram vorbei, um weitere Informationen zu bekommen. Du stehst kurz vor dem Einzug in deine eigenen vier Wände? - Hol dir wertvolle Tipps in unserer Broschüre “Studieren und Wohnen”

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Wohnst du schon?

  • 13.05.2013, 15:57

Während die Mietpreise in Wien und anderen Unistädten explodieren, kämpfen die BetreiberInnen von Studierendenwohnheimen mit Platznot und fehlenden Förderungen. Bis zu 90 Prozent der BewerberInnen müssen abgelehnt werden. Eine Entspannung der Lage ist derzeit kaum in Sicht. Wer leistbar wohnen will,braucht vor allem Glück.

Während die Mietpreise in Wien und anderen Unistädten explodieren, kämpfen die BetreiberInnen von Studierendenwohnheimen mit Platznot und fehlenden Förderungen. Bis zu 90 Prozent der BewerberInnen müssen abgelehnt werden. Eine Entspannung der Lage ist derzeit kaum in Sicht. Wer leistbar wohnen will,braucht vor allem Glück.

Drei Jahre lang hat Irina auf den Brief gewartet: Schon 2009, noch mitten in ihrem Archäologie-Studium, hat sie sich für eine Gemeindewohnung in Wien vormerken lassen. Mit dem Kuvert kam vor allem große Erleichterung: 49 Quadratmeter im zweiten Wiener Gemeindebezirk um 367 Euro. Viel nachzudenken gab es da nicht, Irina sagte zu. „Ich hatte Glück“, meint die 26-Jährige aus Steyr. „Da habe ich schon von ganz anderen Wartezeiten gehört.“ Denn der Wohnungsmarkt in Wien ist angespannt. Alleine im vergangenen Jahr stiegen die Mieten um etwa zehn Prozent. Seit 2007 verzeichnen Immobilienportale und -firmen eine Verteuerung von über 30 Prozent. Durchschnittlich elf Euro Miete bezahlt man inzwischen pro Quadratmeter. Besonders teuer sind kleine Wohnungen unter 50 Quadratmetern Fläche und jene in innerstädtischer Lage: zwei Faktoren, die vor allem Studierende treffen. Denn die Hälfte der österreichischen Studierenden lebt laut Studierenden-Sozialerhebung 2011 wie Irina in einem eigenständigen Haushalt, entweder alleine oder mit dem/der PartnerIn zusammen.

Bevor sie in ihre neue Gemeindewohnung gezogen ist, hat Irina im Studierendenwohnheim im Gasometer gewohnt. Ihr Zimmer dort war acht Quadratmeter groß, das Bad teilte sie sich mit einem Mitbewohner, die Küche und die Toilette mit drei. In dem klobigen Betonbau gab es nur wenig Licht und noch weniger Privatsphäre. Denn die beiden Mitbewohner im Doppelzimmer hatten ständig Besuch. „Ab und zu waren bis zu zehn Leute in dem Zimmer“, erzählt Irina. Aber sie war bereit, diese Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Denn immerhin kostete das Zimmer nur rund 260 Euro, Strom, Gas sowie Internet bereits inbegriffen. Im Vergleich dazu geben Studierende, die in einem selbstständigen Haushalt leben, laut Sozialerhebung rund 400 Euro pro Monat für die Miete aus. Das Internet oder die Heizung sind da noch nicht inkludiert. Auch Lisa zog für das Studium von Ottensheim in Oberösterreich nach Wien und erst einmal in ein Wohnheim. „Nach der Matura haben das die meisten Leute bei uns so gemacht. Weil man weniger Verantwortung hat und auch neue Leute kennenlernt“, erzählt sie.

Zu viele Bewerberinnen, überfüllte Wohnheime. Jedes Jahr strömen tausende StudienanfängerInnen in die Universitätsstädte Österreichs. Vielen von ihnen geht es ähnlich wie Lisa. Sie wollen erst einmal sorgenfrei und billig wohnen und bewerben sich in einem Wohnheim. Alleine für Wien listet das Wissenschaftsministerium 94 verschiedene Heime unterschiedlicher Größe: Von acht Plätzen bis zu mehreren hundert Betten ist alles dabei. Trotzdem ist der Andrang weitaus größer als das Angebot. Die Statistiken mehrerer großer Heimträgerorganisationen zeigen: Fast 80 Prozent aller BewerberInnen müssen abgewiesen werden. „In Wien ist die Situation am schlimmsten. Hier mussten wir fast 90 Prozent der Bewerbungen ablehnen“, erklärt Sabine Straßer, Geschäftsführerin von home4students. Die gemeinnützige Heimträgerorganisation ist einer der größten Anbieter und betreibt 16 Wohnheime in Wien, Graz, Klagenfurt, Salzburg und Innsbruck. Nach Wien ist die Lage in Innsbruck und Salzburg am kritischsten, am entspanntesten sei die Situation in Klagenfurt. Dort kann etwa der Hälfte der Anmeldungen stattgegeben werden. Das bestätigen auch die Zahlen der ÖJAB (Österreichischen Jugendarbeiterbewegung), ebenfalls einer der größten gemeinnützigen Heimbetreiber Österreichs: Von 8889 Anmeldungen für das Studienjahr 2012/13 mussten rund 7500 Bewerbungen abgelehnt werden, weil am gewünschten Studienort zur gewünschten Zeit keine Plätze mehr frei waren. Alleine 5012 Bewerbungen für 2400 verfügbare Plätze gab es in Wien, 1811 Bewerbungen für 421 Plätze waren es in Graz. Da viele Studierende länger als ein Jahr in einem Heim bleiben, sind viele der Betten aber schon im Vorhinein besetzt. Der Wettbewerb um die Heimplätze spiegelt auch den Wohnungsmarkt wider: In Wien, Innsbruck und Salzburg, wo die Mieten besonders teuer und der Platz knapp ist, gibt es die meisten Bewerbungen.

Gekürzte Förderungen, kaum Sanierungen. Es besteht also durchaus noch Bedarf an neuen Studierendenwohnheimen. „Wir wollen wachsen“, sagt auch Straßer. Woran es scheitert? „Vor allem an dem Mangel an leistbaren Immobilienobjekten. Das ist natürlich auch wieder eine Frage der finanziellen Mittel“, erklärt die home4students-Geschäftsführerin. Die finanziellen Mittel sind derzeit bei allen Heimträgerorganisationen knapp. Denn 2010 beschloss die Regierung im Zuge der Budgeterstellung, die Förderungen für Studierendenwohnheime zu streichen. Früher übernahm der Bund ein Drittel von Neubauoder Sanierungskosten, jetzt gar nichts mehr. Die Summe der Förderungen bewegte sich dabei jährlich etwa bei zehn bis elf Millionen Euro. „Das Tragische ist, dass diese Kürzung so ansatzlos passiert ist. Fast alle Studentenheimträger sind gemeinnützig. Das bedeutet, man darf keinen Gewinn machen und kann auch keine großen Rücklagen schaffen“, schildert Straßer. Das Geld für Sanierungen und Neubauten muss daher jetzt von den Studierenden kommen. „Wir mussten unsere Preise mehr als um den normalen Verbraucherpreisindex erhöhen, haben aber versucht, sie so niedrig wie möglich zu halten“, so Straßer. Laut Studierenden Sozialerhebung 2011 haben Studierende in Wohnheimen durchschnittlich die geringsten Kosten: 260 Euro müssen sie monatlich veranschlagen. Das liegt deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt der Wohnkosten von 350 Euro.

Noch profitiere die Organisation von einer alten Veräußerung und internen Umstrukturierungen. Im Heim Sensengasse im neunten Wiener Gemeindebezirk, wo auch die Verwaltung von home4students untergebracht ist, wurde im Herbst das Büro verkleinert. So wurden elf zusätzliche Betten geschaffen. Aber auch diese Maßnahmen geschehen in der Hoffnung, dass die Förderung wieder eingeführt wird. „Denn Sinn und Zweck der Übung ist es ja, leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Und leistbar hat seine Grenzen“, meint die Geschäftsführerin. Vor allem bei Neubauten könne die Situation ohne eine Wiedereinführung der Förderung kritisch werden. „Die Zimmer in Neubauten müssten dann auf jeden Fall teurer sein“, sagt Straßer. Sie schätzt, dass die Preise sich mindestens bei 400 Euro bewegen würden. Nicht jeder kann einfach in eines der home4students-Heime einziehen. Soziale Bedürftigkeit ist die Grundvoraussetzung, schon bei der Anmeldung müssen die Einkommensverhältnisse der Eltern offengelegt werden. „Der Rest ist Geschwindigkeit und Glück“, meint Straßer. Wer sich zuerst meldet und alle Kriterien erfüllt, bekommt den Platz. Da es keine offizielle Anmeldefrist gibt, sondern das ganze Jahr Bewerbungen eintreffen, wird nicht gereiht.

Auch private Anbieter erkennen zunehmend den Markt Studierendenwohnheim. Im Herbst 2013 wird mit dem Milestones-Wohnheim, unweit des neuen Campus der Wirtschaftsuniversität Wien, das größte privatwirtschaftlich geführte Wohnheim Wiens eröffnen. Statt Zimmer gibt es dort Apartments, jedes mit einer Größe von 24 Quadratmetern. Fitness- Raum, Partydach und eine eigene Parkanlage sind selbstverständlich. Dieser Luxus hat allerdings auch seinen Preis: 550 Euro pro Monat wird ein Apartment kosten. „Wenn die Gemeinnützigen nicht mehr können oder die notwendig gewordenen hohen Preise mit ihrer Philosophie nicht mehr vereinbaren können, wird es der private Markt auffangen. Da geht es um Gewinnmaximierung“, sagt Straßer.

Steigende Mieten, befristete Verträge. Das Geld der gemeinnützigen Studierendenwohnheime wird in den nächsten Jahren noch knapper werden, aber schon jetzt hätten einige Heime Sanierungen dringend nötig. Im Herbst 2009 zog sie Lisa in ein Wohnheim in Wien Josefstadt. Dort wohnte sie um 224 Euro in einem „Mini-Doppelzimmer“. Internet musste sie extra bezahlen. „Das war für mich wirklich eine schlimme Zeit. Ich habe in einem ziemlich heruntergekommenen Zimmer gelebt, eingepfercht auf engstem Raum mit einer wildfremden Person. Die Gemeinschaft war zwar nicht schlecht dort, aber es war alles alt, dreckig und ziemlich trist“, schildert die heute 21-Jährige. Sobald wie möglich zog Lisa aus und suchte sich ein neues Heim. Dort gab es mehr Platz und nach kurzer Wartezeit auch ein Einzelzimmer. Auf Dauer war das für sie trotzdem nicht die ideale Wohnlösung. „Irgendwann konnte ich diese Einheitsbrei-Möbel nicht mehr sehen und irgendwann nervt es auch einfach nur noch, beim Kochen immer alles sofort wegräumen zu müssen“, erklärt die Journalismus-Studentin. Heute wohnt sie mit zwei anderen Studentinnen in einer Wohngemeinschaft in Wien Alsergrund. „Ich habe mich so gefreut, als ich das erste Bild an die Wand genagelt habe“, erinnert sie sich. Mit Strom und Gas kommt sie für ein 18 Quadratmeter großes Zimmer auf Mietkosten von rund 350 Euro. Etwa ein Viertel der österreichischen Studierenden teilt sich laut Sozialerhebung die Wohnungskosten mit anderen und lebt in einer WG.

Das käme auch für Manuel in Frage. Seit zwei Jahren sucht er in Wien eine Wohnung. Noch lebt der Biologiestudent bei seinen Eltern. „Sobald ich etwas Leistbares finde, bin ich weg“, meint der 20-Jährige. Bei der WG-Suche scheiterte es oft an der Lage oder an hohen Preisen für kleine Zimmer. Denn immer mehr Menschen leben in Österreichs Städten, oft in Einzelhaushalten. Dagegen werden viel zu wenige Neubauten errichtet, warnen etwa Wohnbaugesellschaften wie die BUWOG. Das schafft ein Platzproblem. Laut den Berechnungen der Plattform immobilien.net steigen die Preise am stärksten in den Ballungsräumen, neben Wien wird so etwa auch der oberösterreichische Zentralraum Linz-Wels-Steyr immer teurer. Absoluter Spitzenreiter in Sachen Mietpreise bleibt allerdings Innsbruck. Die größten Mietsteigerungen gibt es bei privaten VermieterInnen, wobei der Trend auch in Richtung befristeter Verträge geht. Diese Erfahrung hat auch Manuel gemacht. Als er zu Freunden in eine WG ziehen wollte, verlängerte der Vermieter den Vertrag nicht wie mündlich versprochen um weitere drei Jahre. Die zwei Studenten mussten ausziehen und Manuel seine Kartons wieder auspacken.