Alle unter einem Dach

  • 17.04.2014, 18:02

 

PensionistInnen, Studierende und Kleinkinder – alle zusammen in einer WG. Klingt ungewöhnlich, könnte aber die Zukunft des Wohnens sein, denn immer mehr Menschen lassen sich auf dieses Experiment ein.

Willi steht in der Küche und packt Flaschen aus ihrem Einkaufstrolley. „Patrick hat mich gebeten, Bier mitzunehmen“, erklärt sie. Daneben steht Mohsen und blickt kritisch auf die beachtliche Sammlung leerer Flaschen neben der Abwasch. „Wir sollten das mit dem Müll anders organisieren. Vielleicht sollte jede Woche jemand fix für den Müll zuständig sein“, schlägt er vor. „Ich versteh nicht, warum nicht einfach jeder seinen Dreck wegräumen kann“, entgegnet Willi. „Wenn jemand einkaufen geht, kann er ja wohl einfach ein paar Flaschen mitnehmen.“

Alkohol kaufen für die MitbewohnerInnen, Diskussionen um die Müllentsorgung: Es sind Szenen, wie sie jede Studi-WG kennt. Auch die Möbel sind wie in den meisten Wohngemeinschaften bunt zusammengewürfelt. Willi hat bei ihrem Einzug ihr Klavier mitgebracht, das jetzt im Wohnzimmer steht. Daneben stehen Sofas in unterschiedlichen Farben und Regale vollgestopft mit Büchern. Auch die Zimmerpreise entsprechen mit 300 bis 500 Euro jenen in Studierenden-WGs. Was auf den ersten Blick wie eine normale Wohngemeinschaft aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen aber als etwas Außergewöhnliches: In der Generationen-WG der ÖJAB (Österreichische Jungarbeiterbewegung) leben 24 Menschen aller Altersgruppen – darunter SeniorInnen, Studierende und junge Familien – aus acht verschiedenen Nationen zusammen. Willi ist mit ihren 75 Jahren die älteste Bewohnerin; die jüngste ist gerade einmal zwei Monate alt. Student Mohsen liegt mit seinen 29 Lebensjahren in der Mitte.

Ein Konzept Mit Zukunft. 2030 wird es in Österreich mehr über 65-Jährige als unter 19-Jährige geben und die Überalterung schafft neue Probleme. Eine Frage ist etwa die der Pflege und Versorgung im Alter. Zwar kommen viele SeniorInnen gut alleine zurecht, die Angst vor der Einsamkeit ist jedoch groß. Ab einem gewissen Alter brauchen die meisten dann doch Hilfe im Alltag, sei es beim Hausputz, der Gartenarbeit oder auch dem Stiegensteigen – ins Altersheim wollen aber dennoch nur die wenigsten. Generationenverbindendes Wohnen kann in solchen Fällen eine zufriedenstellende Lösung sein. Denn, wie Christine Leopold, Präsidentin von Kolping Österreich, betont: „Alte wollen nicht nur Alte sehen.“

Der Arbeiterverein Kolping Österreich hat bereits 2003 ein SeniorInnenheim im 10. Wiener Gemeindebezirk mit seiner Unterstützungseinrichtung für alleinerziehende Mütter zusammengelegt. Neben den 200 älteren BewohnerInnen, die rund um die Uhr auf der Pflegestation betreut werden, und 45 RentnerInnen, die ihren Alltag noch weitgehend selbstständig bestreiten, leben hier heute 18 Mütter mit etwa 30 Kindern, die von SozialarbeiterInnen unterstützt werden. Beim Faschingsumzug auf der Pflegestation, Oster- und Weihnachtsfeiern und bei jedem runden Geburtstag sind die Kinder mit dabei. Und die SeniorInnen haben für solche Gelegenheiten natürlich auch den einen oder anderen Schokoriegel für ihre jungen MitbewohnerInnen parat.

Im Gegensatz zum Kolpinghaus ist unter den SeniorInnen in der Generationen-WG (GWG) niemand pflegebedürftig. „Höchstens vergesslich!“, merkt Willi an und erzählt schmunzelnd, dass ein älterer Mitbewohner ab und zu die Koteletts in der Pfanne vergisst. Konflikte zwischen den Generationen sind aber an beiden Orten selten. In der GWG zankt man sich nur manchmal über die leeren Glasflaschen. Und auch im Kolpinghaus hat es nur einmal einen größeren Krach gegeben, als die Kinder die Fische im Aquarium der SeniorInnen mit Waschmittel waschen wollten: „Die sind dann mit dem Bauch nach oben an der Wasseroberfläche geschwommen“, erzählt Frau Leopold, „ein wenig Aufregung schadet aber grundsätzlich auch im Alter nicht.“

Auch Willi hat sich für einen abwechslungsreichen Alltag entschieden, als sie vor fünf Jahren in die Generationen-WG einzog. Ein Altersheim war damals keine Option und ist es auch heute nicht. Schließlich ist sie nicht pflegebedürftig und mit ihren 75 Jahren noch gut auf den Beinen. 41 Jahre lang hatte die Bibliothekarin ihre Wohnung im obersten Stock eines Wiener Zinshauses. „147 Stufen! Das schaffe ich auch heute noch!“ Aber sie muss es nicht mehr schaffen. Die Generationen-WG liegt im Erdgeschoss: praktisch für Rollstühle, Kinderwägen und Willis Einkaufstrolley.

Die BewohnerInnen der Generationen-WG haben die gleichen Freunden und Sorgen wie eine „normale“ Studi-WG. Foto: Eva Engelbert

Eine Frage der Planung. „Planung und Architektur sind beim generationenverbindenden Wohnen sehr wichtig, sowohl für Alt als auch für Jung muss es Begegnungs- und Rückzugszonen geben“, erklärt Leopold. Im Haus des Kolping-Vereins soll der Eingangsbereich mit Rezeption und Spielecke für Begegnungen zwischen Alt und Jung sorgen. Die BewohnerInnen der GenerationenWG treffen sich in der Küche und im Wohnzimmer. „Wir sitzen hier am Abend zusammen und reden. Das ist besser als in meinem letzten Studentenheim“, lacht die 21-jährige Studentin Maryam. Alle möglichen Feste aus den Herkunftsländern der BewohnerInnen wurden in der Küche schon gefeiert. Damit sich auch alle verstehen, gilt die Regel, dass im Gemeinschaftsbereich Deutsch oder Englisch gesprochen wird. Willi schüttelt amüsiert den Kopf: „Das ist dann ein arges Gemisch aus Englisch in allen Abstufungen.“

Trotz der guten Gemeinschaft sind die eigenen Zimmer wichtige Rückzugsorte – gerade für die älteren BewohnerInnen, wenn die jüngeren einmal länger in der Küche feiern. „Es stört mich nicht, wenn’s laut ist. Wenn ich nimmer will, dann geh’ ich halt“, beantwortet Willi die Frage nach abendlichen Parties. Auch im Kolpinghaus wird darauf geachtet, dass sich die BewohnerInnen jederzeit zurückziehen können, wenn es ihnen zu viel wird. „Gerade viele ältere Menschen, die zu uns kommen, haben vorher sehr lange alleine gelebt und müssen sich erst daran gewöhnen, wieder ständig unter Leuten zu sein“, erzählt Leopold.

Nicht nur Vereine wie Kolping oder die ÖJAB versuchen sich an solch neuen Wohnformen. In Salzburg sind im Dezember die ersten BewohnerInnen in ein privates Generationen-Projekt eingezogen. Dort gibt es ebenfalls Gemeinschaftsräume, aber jeder hat seine eigene Mietwohnung. Ob die Gemeinschaftsflächen so stark genutzt werden wie in der Generationen-WG, wird sich noch herausstellen. „Zurzeit gibt's noch ein bisschen Umzugschaos“, sagt Koordinator Erwin Oberbramberger. Irgendwann soll das Projekt die älteren BewohnerInnen vor der Alterseinsamkeit bewahren und die SeniorInnen könnten den gestressten Eltern mit Vorlesestunden für die Kinder unter die Arme greifen. In der Einzugsphase in der Vorweihnachtszeit gab es bereits gemeinsame Aktivitäten: Während die Eltern Umzugskisten schleppten, backten ihre Sprösslinge im Gemeinschaftsraum Kekse mit einer Betreuerin.

Betreuung muss sein. Ganz ohne Betreuung funktionieren auch die am besten geplanten Projekte nicht – darüber sind sich die InitiatorInnen aller drei Generationen-Projekte einig. „Von ganz alleine passiert gar nichts“, weiß Leopold aus Erfahrung. Für das Kolpinghaus steht deshalb die Abteilung „Lebensqualität“ des Vereins als Ansprechpartnerin zur Verfügung und ist für die Organisation von Festen zuständig. Auch im Salzburger Projekt wird eine ständige Betreuerin dafür sorgen, dass die BewohnerInnen die Gemeinschaftsräume nutzen. „Jemand muss gemeinsame Aktivitäten initiieren, Ideen einbringen, sozusagen das Handwerkszeug liefern. Sonst wird es schwierig“, meint Oberbramberger. Für die Generationen-WG de ÖJAB ist Veronika Stegbauer zuständig. Sie kümmert sich um alles Organisatorische – angefangen von HandwerkerInnen, über die Behebung von Internetproblemen, bis hin zum Müllentsorgungsplan. Zusätzlich kommt zwei Mal in der Woche eine Putzfrau. JedeR, der/die einmal in einem Studentenheim gewohnt hat, kann erahnen wie eine Küche aussehen kann, die von 24 BewohnerInnen benutzt wird. Des Weiteren leitet Stegbauer einmal im Monat eine BewohnerInnenversammlung, bei der Probleme besprochen und Aufgaben verteilt werden: Eine BewohnerIn holt in der Früh die Post und verteilt sie, ein anderer ist für Computer und Technik zuständig.

Die Gemeinschaft muss passen. Eine weitere Voraussetzung dafür, dass Generationen-Wohnprojekte funktionieren, ist, wie in jeder WG, dass die MitbewohnerInnen zusammenpassen müssen. Oberbramberger hat zunächst mit allen InteressentInnen für die Wohnungen in Salzburg telefoniert, um herauszufinden, ob eine generationenverbindende Wohnform überhaupt das Richtige für sie ist. „Wenn alte Leute sagen ‚Ich möchte meine Ruhe haben‘ oder junge Eltern 'Wir haben zwar keine Großeltern mehr, aber das wollen wir auch gar nicht', dann macht Generationen-Wohnen nicht viel Sinn.“ Wegen eines schwierigen Mitbewohners hat auch Stegbauer von der ÖJAB die letzten Wochen damit verbracht jemand neuen für die GenerationenWG zu suchen. „Der vorige Bewohner hat die Gemeinschaft doch ziemlich strapaziert.“ Nun zieht eine russische Studentin mit ihrer achtjährigen Tochter in die WG ein und stellt das Generationen-Projekt vor neue Herausforderungen. „Wir werden sehen, wie das mit der Tochter wird“, sagt Stegbauer. „Vielleicht organisieren wir Kinderbetreuungsdienste.“

Trotz – oder gerade wegen – der kleinen Herausforderungen im Alltag wird Generationen-Wohnen immer beliebter. Seit Kurzem gibt es neben dem Kolpinghaus in Favoriten auch eines im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Die ÖJAB will neben der Generationen-WG bald ein ganzes Generationen-Haus eröffnen. Und auch in Salzburg sind schon zwei weitere Projekte in Planung. Denn viele SeniorInnen brauchen keine Pflege, sondern einen Ausweg aus ihrer Einsamkeit. Für sie könnte generationenverbindendes Wohnen in Zukunft eine Alternative zum Altersheim sein.

Magdalena Liedl studiert Zeitgeschichte und Anglistik, Julia Prummer Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

AutorInnen: Magdalena Liedl