Wehrpflicht

Wehr dich!

  • 13.11.2012, 06:29

Staatliche Zwangsarbeit oder ein Nazi-Heer? Unsere Autorinnen streiten um die Wehrpflicht.

Staatliche Zwangsarbeit oder ein Nazi-Heer? Unsere Autorinnen streiten um die Wehrpflicht.

PRO: Berufsheer? Nur über meine Leiche

Das Bundesheer hat sich über die Nachkriegsjahrzehnte hinweg wahrlich keinen guten Ruf gemacht: Schikanen, Autoritarismus und Zwangsarbeit sind meist die ersten Assoziationen ehemaliger Präsenzdiener – manchmal gar gespickt von Episoden gruseliger Geschichten über Fahrtendienste auf den Kärntner Ulrichsberg, auf den das Bundesheer mehr als fünf Jahrzehnte gebrechliche Anhänger der NS-Zeit zu einem geschichtsrevisionistischen Herbsttreffen führen musste. Wer den Dienst beispielsweise an der burgenländischen Grenze zugeteilt bekam, hatte persönlichen Erlebnisberichten zu Folge vergleichsweise noch Glück: Gegen die unsägliche Langeweile der Steppenlandschaft konnten zumindest ein Computerspiel und täglich zig verschlungene Wurstsemmeln helfen. Weniger autoritär und zeitvergeuderisch, aber doch auch problematisch, verhält es sich mit dem Zivildienst: Er führt dazu, dass das gesamte österreichische Sozialsystem auf unterbezahlter Zwangsarbeit fußt, die wiederum Lohndumping im Sozialarbeitssektor zur Folge hat.

Die nun bei der kommenden Volksabstimmung gestellte Frage zur Abschaffung der Wehrpflicht oder des verpflichtenden Zivildienstes für junge Männer im kommenden Jänner aber lautet: ,,Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres oder sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?‘‘

Ein Berufsheer? Nur über meine Leiche. Denn: Wen würde ein solches Heer denn ansprechen? Gerade in Österreich steht zu befürchten, dass das Heer schnell von rechten WaffenliebhaberInnen eingenommen würde. Führen Nationalratswahlen dann auch noch zu einer Regierungsbeteiligung der FPÖ und die Koalitionsverhandlungen zu einem blauen Verteidigungsministerium, hat es das Nachkriegsösterreich wieder geschafft, eine eindeutige historische Kontinuität zu früheren Zeiten zu schaffen.

Die derzeitige Regelung des verpflichtenden Präsenzdienstes oder Zivildienstes ist demgegenüber eben abseits einer abzuschaffenden Schikane für junge Männer ein System der Checks and Balances: Durch seinen für alle jungen Männer verpflichtenden und damit offenen Zugang verhindert es, dass das Bundesheer zum Staat im Staat, beziehungsweise zu einer militärischen Macht in den Händen von VertreterInnen einer einzelnen politischen Position gerät.

Die Antwort auf dieses Dilemma kann aber freilich keine Positionierung für weitere Zwangsarbeit und österreichischen Massenmilitarismus auf niedrigstem Niveau sein. Sie könnte nur lauten, das Bundesheer gänzlich abzuschaffen. Denn ein – in der Realität nicht ,,neutrales‘‘, sondern viel mehr postnationalsozialistisches – Österreich professionell zu bewaffnen, ist viel zu gefährlich. Katastrophenschutz kann man anders organisieren und für humanitäre Auslandseinsätze sollte es ein Berufsheer eines direktdemokratischen EU-Parlaments geben. Die beim Volksbegehren gestellte Frage zielt also auf eine fragwürdige Entscheidungsmöglichkeit und wird in keinem Fall eine Verbesserung bringen – kann aber im schlimmsten Fall eine professionelle Bewaffnung extrem rechter Positionen bedeuten. Daher sollte ihre Beantwortung entweder zugunsten der Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht oder – vielleicht treffender – eine ungültig abgegebene Stimme und damit ein Protest gegen die Fragestellung selbst sein. (Flora Eder)

Contra: verlorene Zeit für die ,,Heimat‘‘  

Eine Radarstation im Burgenland bewachen, Leberkäs‘-Semmerl im Soldheim verkaufen oder die Aufsicht über die Wäschekammer in der Kaserne. Wie sinnvoll ist das Bundesheer in seiner jetzigen Form?

Zwar musste ich selbst keinen „Dienst am Vaterland“ leisten, aber die Geschichten guter Freunde und Bekannter reichten aus, um mir ein Bild vom Bundesheer und der Wehrpflicht zu machen. Ob diese Erfahrungen im späteren Leben wirklich hilfreich sind, lässt sich bezweifeln. Neben der Sinnhaftigkeit vieler Aufgabenbereiche im Bundesheer sprechen aber auch noch andere Gründe für die Abschaffung der Wehrpflicht.

Zu den Aufgaben des Bundesheers zählen unter anderem internationale Solidaritätsleistungen im Fall von Katastrophen, Konfliktverhütung und Friedenssicherung. Beispiele hierfür sind die UN-Friedensmissionen auf den Golanhöhen und im Kosovo. Die zweimonatige Grundausbildung der Präsenzdiener reicht hierfür nicht aus, deshalb kommen in solchen Einsätzen auch jetzt schon primär Berufs- und MilizsoldatInnen zum Einsatz. Wenn sich das neutrale Österreich an Friedensmissionen im Ausland beteiligen will, dann mit gut ausgebildeten und kompetenten BerufssoldatInnen. In einem Berufsheer würden die angehenden SoldatInnen auf einem viel höheren Niveau ausgebildet und somit umfassend auf ihre späteren Aufgaben und Einsätze im In- und Ausland vorbereitet werden.

Eines der Hauptargumente für die Wehrpflicht ist, dass ein kleineres Berufsheer den (Natur-)Katastrophenschutz im Land nicht gewährleisten kann. Zwar stimmt es, dass Österreich im Falle einer Naturkatastrophe weniger Frauen und Männer zur Verfügung hätte, allerdings handelt es sich dann um SpezialistInnen. Diese können effizientere und somit bessere Hilfe leisten – Qualität vor Quantität also. Außerdem gibt es die Option, auf freiwilliger Basis einen Pool an KatastrophenhelferInnen aufzubauen, im Ernstfall zusätzlich mobilisiert.

Im Zuge der Wehrpflichtdebatte wird außerdem oft auf den Zivildienst als unverzichtbaren Bestandteil des österreichischen Sozialsystems verwiesen. Der Abschaffung der Wehrpflicht würde auch der Zivildienst zum Opfer fallen. Doch wie fortschrittlich ist ein Land, dessen Gesundheitsversorgung auf unterbezahlten und schlecht eingeschulten jungen Männern aufbaut? Das Argument, dass der Staat Österreich aus finanziellen Gründen auf die Zivildiener angewiesen sei, kann nicht geltend gemacht werden. Mit einem freiwilligen sozialen Jahr könnte ein Großteil der Zivildienst-Stellen nachbesetzt werden. Diese jungen Menschen würden erstens fair entlohnt und zweitens auch besser vorbereitet und ausgebildet werden.

Grundsätzlich sollte in der gesamten Diskussion nicht vergessen werden, dass es sich bei der Wehrpflicht – ob Mann nun Rekrut oder Zivildiener ist – um staatliche Zwangsarbeit handelt. Auch wenn es manchmal in Österreich nicht so scheint, schreiben wir das Jahr 2012. Folglich sollte diese Art von staatlicher Arbeitsverpflichtung, und möge sie noch so sehr dem Wohl der Gesellschaft und der ,,Nation‘‘ dienen, schon längst Geschichte sein.  (Katrin Walch)

Eine Mär von der Gleichberechtigung

  • 13.11.2012, 06:19

Plädoyer für ein antimilitaristisches Europa. Ein Kommentar von Elisabeth Mittendorfer.

Plädoyer für ein antimilitaristisches Europa. Ein Kommentar von Elisabeth Mittendorfer.

Im Jänner 2013 soll in Österreich bei einer Volksbefragung über die Zukunft der Wehrpflicht für Männer entschieden werden. Bereits im Vorfeld wurde dadurch auch die Diskussion um vermeintliche Geschlechtergerechtigkeit durch die Wehrpflicht losgetreten: Werden Männer durch die einseitige Wehrpflicht diskriminiert? Ist es legitim, im Sinne der Gleichberechtigung den Wehrdienst oder einen Ersatzdienst für Frauen zu fordern?

 Derzeit regelt der Artikel 9a im Bundes-Verfassungsgesetz die Wehrpflicht nur für Männer. Frauen können freiwillig Dienst im Bundesheer als Soldatinnen leisten und haben das Recht, diesen Dienst zu verrichten. Die Debatte um die Wehrpflicht für Frauen ist nicht neu: Bereits im Jahr 2010 wurde die Forderung nach einer Änderung dieses Gesetzestextes im Rahmen der Diskussion um die Abschaffung der Wehrpflicht zur Sprache gebracht. Der oberösterreichische Kameradschaftsbund, ein Verband von Alt-Soldaten, sammelte Unterschriften für ein Volksbegehren zur Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen. Die erforderlichen 8032 Unterstützungserklärungen konnten aber nicht aufgebracht werden.

Bundespräsident Heinz Fischer sagte damals in einem Interview, dass er sich eine Wehrpflicht für Frauen vorstellen könne, sobald alle Ungleichbehandlungen zwischen Männern und Frauen abgebaut seien. SPÖ- Frauenministerin Heinisch-Hosek will über eine Wehrpflicht für Frauen erst reden, wenn die Lohnschere geschlossen und unbezahlte Arbeit gerecht verteilt ist.

Mit dem Argument „Wenn Frauen gleichberechtigt sein wollen, dann sollen sie auch zum Heer gehen“ wird vor allem im Dunstkreis von Männerrechtlern immer wieder aufgewartet. So ist die Wehrpflicht für Frauen auch eine der politischen Forderungen der Männerpartei. Einen Vorstoß in diese Richtung wagte im September auch der oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbucher, indem er sich für eine Ausweitung der allgemeinen Dienst- und Wehrpflicht auf Frauen aussprach, um in diesem Bereich Gleichberechtigung herzustellen. Die Vorsitzende des SPÖ-Landtagsklubs in Oberösterreich, Gertraud Jahn, reagierte prompt mit einer Aussendung, in der sie klarstellte, dass eine „zusätzliche Dienstpflicht für Frauen keinesfalls in Frage kommt“. Ihre Begründung dafür lautete, dass Frauen nach wie vor die meiste ehrenamtliche Arbeit bei sozialen Diensten leisten würden.

Diejenigen, die für einen verpflichtenden Frauenwehrdienst eintreten und dabei das Argument vorbringen, dass Männer und Frauen gleiche Rechte und Pflichten haben sollten, vergessen nur allzu gerne, dass Österreich diesbezüglich noch immer erheblichen Nachholbedarf hat. Das zeigt auch der Gender Gap Report 2011, eine internationale Studie, in der die Gleichstellung der Geschlechter analysiert wird. Besonders schlecht abgeschnitten hat Österreich in Bezug auf die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen: In nur 19 Ländern der Welt ist sie noch größer. Neben dem niedrigeren Einkommen und der generellen Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt kommt hinzu, dass Frauen weniger Pension bekommen, sie Dienstjahre durch etwaige Karenzen verlieren und im 21. Jahrhundert noch immer den Großteil der – unbezahlten – Sozialaufgaben im privaten Bereich verrichten.

Angeborene Friedfertigkeit? Darüber hinaus ging es bei der einseitigen Wehrpflicht für Männer – historisch gesehen – nicht darum, Frauen zu bevorzugen. Lange Zeit wurde das Thema Frauen im Militär tabuisiert. Man traute Frauen schlichtweg nicht zu, den Staat zu verteidigen und verwehrte ihnen den Dienst an der Waffe. Traditionell wird Frauen nachgesagt, von Natur aus friedfertiger und körperlich nicht für militärische Handlungen geeignet zu sein. Gegen diese Vorurteile kämpfte Alice Schwarzer in dem Aufsatz Frauen ins Militär?, der im Jahr 1978 in der EMMA erschien. Darin sprach sie sich für den Zugang von Frauen zum Militär aus, wofür sie – unter anderem von feministischer Seite – scharf kritisiert wurde. Schwarzer begründete ihre Forderung damit, dass die einseitige Wehrpflicht letzten Endes auch ein Instrument dafür sei, die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern zu definieren und zu verfestigen. Frauen den Zugang zum Militär zu verwehren, sei folglich gleichbedeutend damit, sie nicht in Machtpositionen zu lassen. Dabei machte Schwarzer aber auch klar, dass sie selbst von Wiederaufrüstung, Kasernendrill und Waffengeprotze schon immer schockiert gewesen sei. Zwei Jahre später äußerte sich Schwarzer in dem Aufsatz PRO Frauen ins Militär (ebenfalls in der EMMA erschienen) wieder zur Thematik. Neben den bereits bekannten Argumenten erklärte sie in diesem Aufsatz aber auch, dass der Zugang von Frauen zur Bundeswehr keine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herstellen würde, da in unserer Gesellschaft Frauen noch immer wesentlich mehr Pflichten hätten als Männer. Diese irrtümliche Annahme nannte sie eine Milchmädchenrechnung.

Trotz Schwarzers Einsatz sollte es in Deutschland noch elf Jahre dauern, bis auch Frauen freiwillig den Dienst an der Waffe antreten durften. Der Europäische Gerichtshof entschied im Jahr 2001, dass der Ausschluss vom Dienst an der Waffe gegen den gemeinschaftlichen Grundsatz der Gleichheit von Männern und Frauen verstoße. Im österreichischen Bundesheer sind Frauen seit 1998 zugelassen. Trotzdem gab es mit Stand September 2012 nur 369 Soldatinnen beim österreichischen Heer. Bei 15.812 BerufssoldatInnen macht das einen weiblichen Anteil von 2,3 Prozent.

Ein Auslaufmodell. Fakt ist: Die Wehrpflicht ist ein Auslaufmodell. Neben Österreich existiert sie nur noch in drei weiteren EU-Staaten – Finnland, Zypern und Griechenland. Die hauptsächlichen Tätigkeiten des Bundesheeres sind heute vor allem im Bereich der Katastrophenhilfe angesiedelt.

Auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext scheint die Vergrößerung des Bundesheeres, zu welcher die Frauenwehrpflicht unweigerlich führen würde, nicht gerade wünschenswert. Denn das Bundesheer ist letzten Endes Militär, das für Kriegseinsätze benötigt wird. Diese zu verhindern und Abrüstung zu forcieren, sollte unser aller Anliegen sein. Generell sollte aus einer antimilitaristischen Perspektive heraus niemand – weder Mann, noch Frau – dazu gezwungen werden, einen Wehrdienst ableisten zu müssen. Auch als Ersatz einen verpflichtenden Sozialdienst leisten zu müssen, ist kritisch zu hinterfragen, da der Zivildienst im Moment rechtlich nur durch einen Sonderstatus als Wehrersatzdienst legitimiert ist. Wird die Wehrpflicht nach der Volksbefragung tatsächlich abgeschafft, ist ein verpflichtender Sozialdienst als Zwangsarbeit im Sinne des Artikels 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu interpretieren und damit klar verfassungswidrig.

Die simple Frage „Frauenwehrpflicht – ja oder nein?“ greift in Anbetracht der oben angeführten Argumente zu kurz. Fazit ist: Die Einführung einer Wehrpflicht für Frauen wird nicht zur Gleichberechtigung führen. Im Gegenteil – sie würde den Prozess der Angleichung von Rechten und Pflichten zwischen Männern und Frauen verlangsamen und den Frauen eine zusätzliche Last aufbürden.

Letzten Endes kann Gleichberechtigung auf allen Ebenen nur in einem demokratischen und friedlichen Europa geschaffen werden. Auch die verpflichtende Wehrpflicht für Frauen wird diesen langsamen Prozess kaum beschleunigen können, sondern ihn eher noch bremsen.