Verkürzte Kapitalismuskritik

Armut abschaffen, nicht anerkennen!

  • 22.06.2017, 16:25
Zur Schwierigkeit des Klassismus-Begriffs

Zur Schwierigkeit des Klassismus-Begriffs
Vermehrt liest man in linken Kontexten Aufforderungen, „klassistische Privilegien zu reflektieren“. Arm dürfen sich, so heißt es, nur jene nennen, die richtig arm sind; nicht jene, die bloß zu viel Geld ausgegeben haben. Nun soll nicht gesagt werden, dass es nicht immer noch ärmer lebende Menschen gibt: Das Nebeneinander der Facharbeiterin, die sich hin und wieder einen Saunabesuch leisten kann, und Menschen allerorts, die kaum genug Geld für Brot haben, ist ebenso banal wie übel. Aber: Anerkennung für diese Tatsache zu fordern, ist nicht bloß keine Kritik des Kapitalismus, sie fußt auf falschen Annahmen über Lohnabhängigkeit, Armut und Bedürfnisse.

HARTZ 4 VON LINKS. Die Hierarchisierung in Luxusbedürfnisse (nicht immer nur Nudeln mit Sauce, auch mal warme Schuhe und eine bequeme Hose) ergibt sich überhaupt erst, weil Menschen allerorts zu wenig Geld haben, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, und jene streichen müssen, die nicht absolut lebensnotwendig sind. Wer diese Notsituation für die Wahrheit über Bedürfnisse und Privilegien hält, bejaht so manche verkehrte Ideologie der kapitalistischen Ökonomie; aus der neuen Handtasche an sich ergibt sich die Kategorie „Luxusbedürfnis“ nicht.

Was „wirkliche Armut“ und Privilegien ausmacht, ist einer linken Veranstaltungseinladung zu entnehmen, die jüngst verlautbarte: „Klassismus = keine Reflektion zu eigenen Privilegien haben; davon reden, ‚arm‘ zu sein, weil das Konto wegen zu vieler Ausgaben alle ist“. Hier äußert sich ein interessantes Differenzierungsvermögen zwischen arm und arm. Schließlich besteht die ökonomische Lage von allen, die jeden Monat zurück auf Los und das bestenfalls mit spärlichen Reserven müssen, auch nur darin, dass sie sich ein Leben lang um die Beschaffung von Geld kümmern müssen – also von der Hand in den Mund leben. In den Augen der Klassismus-Kritiker_innen ist diese Lage allerdings ein Privileg. Anstatt das Elend anzukreiden, als Mensch eine konstante Variable des Kapitals zu sein und mit dem Ertrag davon sein Leben bestreiten zu müssen, bejahen sie die Lebenslüge, dass es sich bei Lohn um ein geeignetes Mittel zum Bestreiten des eigenen Lebens handelt, und richten sich nicht gegen den Kapitalismus, sondern die Privilegien anderer Lohnabhängiger.

Wer davon ausgeht, dass Geld-Ausgeben das Gegenteil von Armut bedeutet, macht aus Armut eine Art Wettkampf: Wer ist noch ärmer? Ist die Frisörin nicht doch privilegiert? So findet sich immer jemand, der noch ärmer ist – die Absicht dieser Kritik ist schließlich der Vergleich. In dieser Art wird über klassistische Privilegien gesprochen: Man dürfe sie zwar haben, bloß raushängen lassen oder sich fälschlicherweise als arm bezeichnen, das passe nicht! Dieser ehrenwerte Status gebührt bloß jenen, die es „verdienen“. Ein absurder Wettkampf, der die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Massen von Leuten arm dran sind, affirmiert.

MANÖVRIERMASSE. Der Fehler, besser bezahlte Arbeiter_innen als privilegiert zu fassen, wird an der gemeinsamen Lage der mehr oder minder verarmten Lohnabhängigen nochmals deutlich: Es ist das üble Los aller Lohnabhängigen, immer wieder Bedingungen (über Ausbildung und andere Selbstoptimierung) an sich herzustellen – i n der Hoffnung, dass diese Zurichtung aufgeht und man sich zu den Glücklichen, die ihre Arbeitskraft verkaufen dürfen, zählen kann. Es ist eine Lage, in der man nicht mehr als die Manövriermasse des Kapitals ist: Student_in, Maler_in wie Arbeitslose sind davon abhängig, angestellt zu werden; ein abgeschlossenes Studium bewahrt nicht davor, seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Rechnen sie sich in der Kalkulation ihrer Arbeit„geber“_innen nicht, war es das mit ihrem Lohn, den sie zum Leben brauchen. Seine Höhe ist wiederum davon abhängig, wie viele andere ähnlich prekäre Gestalten dasselbe können wie man selbst, und ob diese Fertigkeit sich verwerten lässt.

Linke Aufklärung über den Kapitalismus hätte nicht nach vermeintlichen Privilegien innerhalb dieser ohnmächtigen Lage zu suchen, sondern die Gemeinsamkeit der Abhängigkeit zu betonen und zur Grundlage von Praxis zu machen. Ein Fortschritt wäre es allemal, wenn sich der Kassier und die Facharbeiterin nicht gegenseitig verachten, sondern ihre gemeinsame Lage – die der Lohnabhängigkeit – erkennen würden.

DAS PROBLEM KAPITALISMUS. Damit soll nicht bestritten werden, dass es ein sehr bitteres Los ist, etwa von Mindestsicherung leben zu müssen. Der Klassismus-Diskurs aber ist eine falsche Kritik an den Verhältnissen, die dieses Elend erzeugen. Sie reduziert Kapitalismus auf eine Ideologie zur Abwertung von Armut und abstrahiert davon, dass Armut im Kapitalismus nützlich ist. So lassen sich mit dem Hinweis auf viele Arbeitslose als potentieller Ersatz Löhne hervorragend drücken: Irgendwer wird es notgedrungen schon billiger machen! Am Existenzminimum ist man nicht wegen des Dünkels oder der Arroganz boboisierter Parteigänger_innen kapitalistischer Leistungsideale. Ebenso wenig ist der Lohn aufgrund der vermeintlichen Privilegien der noch nicht vollends Verarmten so gering: Arm ist man aufgrund seiner ökonomischen Lage. Diese ist aber nicht damit erklärt, dass die tatsächlich existierende Differenz von Normalzustand (kann sich Heizen leisten) und Ausnahme (kann sich nichtmal das leisten) gegen die Erklärung derselben Differenz gerichtet wird. Die einen sind lohnabhängig und verdienen Lohn, die anderen sind lohnabhängig, verdienen hingegen keinen oder einen sehr geringen Lohn. Die Brutalität, sonst kein Lebensmittel zu haben, sondern vollständig von der Kalkulation des Kapitals abhängig zu sein, zeichnet beide aus. Wenn linke Kritik sich einen Begriff über Armut machen will, hat sie eben diese Lage zu ergründen und zu kritisieren.

Dragana Komunizam hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert.

Antisemitische Kapitalismuskritik am Linzer "Burschenbundball"

  • 07.02.2014, 13:49

Am 8. Februar diesen Jahres propagieren deutschnationale Burschenschaften am Linzer Burschenbundball den Kampf gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ und „Entwurzelung“. Sämtliche Motive ihres reaktionären Antikapitalismus sind durchzogen von antisemitischen Stereotypen. Ressentimenthaltige Kapitalismuskritik ist jedoch keine Eigenheit des österreichischen „nationalen“ Lagers.

Am 8. Februar diesen Jahres propagieren deutschnationale Burschenschaften am Linzer Burschenbundball den Kampf gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ und „Entwurzelung“. Sämtliche Motive ihres reaktionären Antikapitalismus sind durchzogen von antisemitischen Stereotypen. Ressentimenthaltige Kapitalismuskritik ist jedoch keine Eigenheit des österreichischen „nationalen“ Lagers.

Jedes Jahr feiern deutschnationale Burschenschaften im „Palais des Kaufmännischen Vereins“ den sogenannten „Burschenbundball“. Er stellt damit neben dem Akademikerball (vormals WKR-Ball) für Antisemiten, Frauenfeinde und Rassisten sämtlicher Couleur eine der wichtigsten Festlichkeiten im Jahr dar. Maßgeblich verantwortlich für die Durchführung und Organisation der Feierlichkeiten zwischen Männerbündelei und Deutschtümelei ist die Burschenschaft Arminia Czernowitz, auf deren Homepage man gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ ankämpft und sich in einer „staatenübergreifenden, deutschen (...) Volksgemeinschaft“ verwurzelt sieht.

Auf der Homepage des deutschnationalen Balls findet sich - neben einer Werbeanzeige der „Akademischen Burschenschaft Oberösterreicher Germanen“ - ein weiteres sehr typisches Motiv reaktionärer, antikapitalistischer Rhetorik: (siehe Bild) FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache wettert in einem Inserat gegen „Entwurzelung und Beliebigkeit“. Was aber meint diese Parole?

Antisemitische Kapitalismuskritik

Der Kampf gegen „Entwurzelung“ ist ein oft bemühtes Motiv antisemitischer Globalisierungskritik, das eine Rückkehr zum Natürlichen anstrebt und den Globalisierungsprozess aufgrund seiner internationalisierenden Tendenzen ablehnt. Nach dem Politmagazin „profil“ konnte man bereits 2003 in der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift der Freiheitlichen Partei Österreichs „Zur Zeit“ genauestens nachverfolgen, was sich dort der österreichische Ökonom Friedrich Romig, der das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als „kommunistische Tarnorganisation“ titulierte und dafür wegen übler Nachrede teilweise schuldig gesprochen wurde, unter dem Begriff „Globalisierung“ versteht: „als Weg, auf dem das Judentum (...) weltweite Dominanz erlangt.“

In vorkapitalistischen Gesellschaften beruhte Ausbeutung auf einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis: der leibeigene Bauer etwa war an den Grundherren gebunden. Seit der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse im 19. Jahrhundert sind keine direkten, personengebundenen Abhängigkeitsverhältnisse mehr gegeben (wie etwa im Feudalismus). Es dominieren „unpersönliche“ und undurchschaubare Zwänge zur individuellen Sicherung des eigenen Lebensabends. Angesichts der krisenhaften, für die einzelnen menschlichen Existenzen oft tragischen Entwicklungen des Kapitalismus, kommt es zu immer neuen Formen von Personalisierungen der kapitalistischen Verhältnisse. „Personalisierungen“ meint, dass gesellschaftliche Strukturen auf das bewusste Wirken von einzelnen Personen zurückgeführt werden.

Der Antisemitismus ist also eine besondere Form der Personalisierung des Kapitalismus – und wurde in den „Rassetheorien“ des 19. Jahrhunderts beschrieben . Es wird „dem Juden“ per se eine ökonomische Orientierung an Geld und Gewinn zugeschrieben, die in ihrer Wesensart und somit in ihrer „Rasse“ wurzeln soll. Ebenso soll in ihnen ein unbedingter Wille zum Erstreben der Weltherrschaft schlummern. Zugleich erscheinen diese auch als übermächtig: Über Banken und Börse beherrschen sie die großen Unternehmen der Welt. Gleichzeitig gelten die Juden jedoch als „heimatlos“ und „entwurzelt“, aber mit weltweiten Verbindungen zu ihresgleichen.

Diese beiden Stereotypen führen konsequenterweise zur paranoiden Wahnvorstellung der „jüdischen Weltverschwörung“, der Antisemiten wie Romig verfallen sind. Diese Stereotypen finden sich am deutlichsten im wohl bekanntesten antisemitischen Pamphlet – den Protokollen der Weisen von Zion – das als einflussreiche Programmschrift antisemitischer Verschwörungsideologie gilt und 1929 im Parteiverlag der NSDAP publiziert wurde.

Brothers in Arms

Solche antisemitischen Wahngebilde kann man auch bei der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ feststellen. Jürgen Gansel, der seit 2004 Abgeordneter im Sächsischen Landtag ist und seine Magisterabschlussarbeit nicht zufällig über „Antikapitalismus in der konservativen Revolution“ schrieb, definiert die Globalisierung als das „planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes.“ Dieses habe, so zitiert man Gansel im Buch „Neonazis in Nadelstreifen“ von Andreas Speit und Andrea Röpke, „obwohl seinem Wesen nach nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA.“

Diese Ausführungen enthalten freilich ein kaum verhülltes Bündel antisemitischer Stereotypen, wobei hier das Wort „nomadisch“ als Synonym für „heimatlos“ fungiert und die „Ostküste“ der USA ein Synonym für die jüdische Weltverschwörung ist. Das ehemalige SS-Mitglied Franz Schönhuber brachte 2002 in „Nation & Europa“ (Nr. 9/02) den Kern des antisemitischen Antikapitalismus auf den Punkt: „Die Fronten sind klar: Besorgte Menschen in der ganzen Welt von links bis rechts versuchen, sich im Kampf gegen die Globalisierung zu einigen. Sie wissen, was Globalisierung bedeutet, nämlich Amerikanisierung plus Judaisierung.”

Das deutlichste Beispiel für antisemitischen Antikapitalismus als Konnex linker und rechter Agitation ist Jürgen Elsässers „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“.  Das ehemalige Mitglied des Kommunistischen Bundes Jürgen Elsässer rief 2009 zur Gründung dieser auf, da sie ein „bewusster Angriff des anglo-amerikanischen Finanzkapitals“ sein sollte, den es abzuwehren gelte. Hauptaufgabe der Initiative sei „die entschädigungslose Nationalisierung des Finanzsektors“. Kurz nach der Gründung der Initiative ließ der damalige NPD-Vorsitzende Holger Apfel über den Pressesprecher der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag verlautbaren, die Volksinitiative solidarisch zu begleiten. 2010 brachte Elsässer, nach Ausschluss aus der linken Zeitung „Neues Deutschland“, in der er bisher publizieren durfte, ein eigenes Magazin namens „Compact“ auf den Markt. Seit August 2011 erscheint das Blatt in der Compact-Magazin GmbH, die dafür von Elsässer zusammen mit seinen Genossen Kai Homilius und Andreas Abu Bakr Rieger gegründet wurde.

Andreas Abu Bakr Rieger ist deutscher Konvertit, der 1990 zum „Jihad gegen die Marktwirtschaft“ aufrief,  und 1993 betörte, dass die Nationalsozialisten für eine „gute Sache“ gekämpft hätten, bei ihrem Hauptfeind allerdings „nicht ganz gründlich“ gewesen seien. Abu Bakr ist Herausgeber der „Islamischen Zeitung“ und hat – welch Überraschung – 2011 sein Buch „Weg mit dem Zins!“ im Kai Homilius Verlag herausgebracht. Neben Hans Modrow, dem Ehrenvorsitzenden der deutschen Linkspartei, ist auch der österreichische Historiker Hannes Hofbauer zu erwähnen, der für seine Tätigkeit als Chef des linken Promedia-Verlages bekannt ist und ebenfalls für „junge welt“, „analyse und kritik“ und das „Neue Deutschland“ schreiben darf.

Dass auch namhafte Linke in Elsässers Querfront-Blättchen schreiben, ist kein Zufall, hat sich doch beispielsweise auch die österreichische Sozialdemokratie dieses Gedankengut zu eigen gemacht. Alfred Gusenbauer, anno dazumal Vorsitzender der SPÖ, erklärte gegenüber dem „profil“ (Nr. 15/02) den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital für „überholt“: „Der wahre Widerspruch liegt heute zwischen dem Realkapital und dem Finanzkapital, also dem Zusammenwirken von Unternehmern und Arbeitnehmern einerseits und den Mechanismen der Finanzmärkte andererseits.“ Diesen personalisierenden Antikapitalismus kann man bereits bei den anti-marxistischen, anarchistischen Theoretikern wie Michail Bakunin sowie bei manchen Sozialdemokraten wie Ferdinand Lassalle erkennen, deren Theorie ebenfalls auf der Ebene der Zirkulation verharrt.

Die Vertreter des antisemitischen Antikapitalismus, ob sie sich nun rechts oder links sehen, haben also eines gemeinsam: Man unterscheidet zwischen dem produktiven, heimatverbundenen Industriekapitalisten und gierigen Finanzhaifischen mit kosmopolitischer Orientierung. Es ist die Unterscheidung zwischen „schaffendes“ und „raffendes Kapital“ in neuer Terminologie, wodurch man alte antisemitische Ressentiments im Stil des nationalsozialistischen Gottfried Feders bedient, der einst die „jüdische Zinsknechtschaft“ brechen wollte. Wie Stephan Grigat bereits 2009 in der „Wiener Zeitung“ vom 19.03.2012 feststellte, hinkt die FPÖ allerdings zumindest terminologisch noch etwas hinterher: Vor einigen Jahren noch bezeichnete man dort die grüne und linke Opposition in klassischer Nazidiktion als „Handlanger der Amerikaner“.

Wenn Heinz-Christian Strache also in diesen Tagen in einem Inserat gegen „Entwurzelung“ wettert, so darf jedenfalls kein Zweifel daran bestehen, wer damit gemeint ist: Der Jude als Personalisierung der kapitalistischen Ökonomie.

 

David Kirsch studiert in Wien und schreibt auf exsuperabilis.blogspot.com