Social Media

Felsen sind auch nur Menschen

  • 11.05.2017, 09:00
Wenn Ashley Williams über ihre Arbeit spricht, tut sie das leise. Fast so, als wäre es ihr unangenehm, hinter dem Rücken der Kunstwerke über diese zu urteilen.

Wenn Ashley Williams über ihre Arbeit spricht, tut sie das leise. Fast so, als wäre es ihr unangenehm, hinter dem Rücken der Kunstwerke über diese zu urteilen. „Ich liebe Felsen. Vielleicht sind sie für andere Menschen langweilig, aber nicht für mich“, sagt die 31jährige Künstlerin in ihrem Studio in Berlin. Auf der Wand hinter ihr: mehrere kleine Porträts von Felsen und Gesteinsvariationen. Vulkane, Monde, Murmeln und fantasievolle Galaxien mit korallfarbenen Krusten und Einbuchtungen.

Als die 1985 in Virginia geborene Künstlerin vor sechs Jahren nach Colorado zog, begann sie ihre Umgebung gründlich zu analysieren. Sie war es gewohnt, graue Felsen zu sehen – aber pinke? „Die Oberfläche der Felsen in Colorado hat der menschlichen Haut sehr geähnelt.“ Ashley beginnt ihre bislang umfassendste Reihe sentient („bewusst“). Stundenlang sitzt sie neben Felsen, macht Fotografien. 300 an der Zahl, bis sie die besten auswählt und in einen neuen Kontext setzt. „Manchmal hat der Fels eine neue Landschaft nötig, um darin zu leben.“ Sie porträtiert Felsen genauso ehrfürchtig wie die Maler der Renaissance einst Königsfamilien und bringt damit ihr stolzes Wesen zum Vorschein. Schwebend, kopfüber, aus der Vogelperspektive.

Im Januar zieht sie von den USA nach Deutschland, genauer nach Hohenstein in Bayern. Ashley kündigt ihren Lehrerinnen-Job, verkauft das Eigentum und beschließt, fortan in Künstlerresidenzen mit Gleichgesinnten zu leben. „Meine Bilder verkaufe ich von unterwegs, auch wenn ich mit kleineren Leinwänden auskommen muss“, sagt Ashley. Der Preis beginnt bei 900 Dollar, proportional zur Größe der Werke steigt er.

Gelernt hat sie an einer „liberalen“ Kunstschule, mit Zugang zu Fächern wie Psychologie. Draußen zu sein habe ihr für das kreative Fortkommen mehr gebracht als der Unterricht an der Universität. Malerin zu sein ist für Ashley der beste Job der Welt. „Ich habe eine Ausrede, um mich mit genau den Dingen zu beschäftigen, die mich interessieren. Ich habe eine Ausrede, um interessante Menschen zu treffen. Und obendrein kann ich auch noch tun, was ich liebe.“

Bianca Xenia Mayer hat Politikwissenschaft und Publizistik studiert und lebt als freie Autorin in Berlin.

Die zwitschern, die @Bullen

  • 09.06.2015, 09:03

Zu Einsatzstock, Pfefferspray und Glock gesellt sich eine neue Dienstwaffe der heimischen Polizei: das Smartphone. Via Twitter, Facebook und Co versucht sie die öffentliche Meinung zu lenken und ihr ramponiertes Image zu verbessern.

Zu Einsatzstock, Pfefferspray und Glock gesellt sich eine neue Dienstwaffe der heimischen Polizei: das Smartphone. Via Twitter, Facebook und Co versucht sie die öffentliche Meinung zu lenken und ihr ramponiertes Image zu verbessern.

„Bitte meldet Nazi-Gruppen nächsten Polizisten“; „Es gibt eine tolle Sambagruppe beim Rathaus“; „Demoteilnehmer – Lasst euch den Punsch schmecken“ . Als im November 2014 die Wiener Polizei während der Proteste gegen den WKR-Kommers zu twittern begann, lag die Vermutung nahe, die Kommunikationsguerilla stehe hinter dem Account. Mit Hashtags wie #antifa und #noburschis reihten sich die Tweets nahtlos in den Stream der Demo-Beobachter_innen ein. Die Authentizität des Accounts wurde bestätigt. Seither hat sich einiges getan. Die Wiener Polizei verfasste mittlerweile über 1.200 Tweets und hat über 4000 Follower_innen. In den meisten Tweets geht es um festgenommene Dieb_innen, ausgehobene Cannabisplantagen, sichergestelltes Falschgeld und Verkehrsunfälle.

Vergangenes Wochenende boten sich gleich mehrere gute Gelegenheiten, um der Twitter-Polizei genauer auf die Finger zu schauen. Am Samstag zogen etwa 300 rechtsextreme Identitäre durch Wien, wie immer begleitet von  antifaschistischen Gegendemonstrationen und einem massiven Polizeiaufgebot. Unter dem Hashtag #blockit twitterten Polizei, Antifas und Identitäre. Am Sonntag demonstrierten Globalisierungkritiker_innen im bayrischen Garmisch-Partenkirchen gegen den G7-Gipfel. Sowohl die Tiroler als auch die Bayrische Polizei twitterten unter dem Hashtag #G7.

International zählen die heimischen Gesetzeshüter_innen keinesfalls zur Avantgarde der (virtuellen) Staatsgewalt. In New York, London, Berlin, München und vielen anderen Städten ist der polizeiliche Einsatz von Social Media längst Routine. Eine ordentliche Portion Internet-Fame erntete etwa der Instagram-Account der isländischen Polizei: Uniformierte, die mit einer überdimensionierten Packung Cheese Balls posieren, einen Kickflip mit dem Skateboard stehen oder einfach ein süßes Kätzchen in die Kamera halten, sollen das menschliche Antlitz der Polizist_innen unterstreichen. Auch die Wiener Polizei versucht mit Cat- und Dog-Content zu punkten. Polizeihund „Dax“ sammelte bei „einem kurzen Päuschen“ während seines Einsatzes am Eurovision Songcontest 400 Likes. Die Nutzung der Sozialen Medien beschränkt sich nicht nur auf Facebook, Twitter und Instagram: Während des G7-Gipfels übertrug die bayrische Polizei ihre Pressekonferenz auch auf der Livestreaming-App Periscope. User_innen können dabei durch das Antippen des Bildschirms Herzchen verschicken und somit ihre Zustimmung ausdrücken.

ATEMLOS DURCH DIE NACHT. Als genialer PR-Coup entpuppte sich im Sommer 2014 ein Handyvideo zweier Wiener Streifenpolizisten: Gefühlsbetont singen sie während ihrer Streife Helene Fischers Schlager-Song „Atemlos durch die Nacht“ mit. Binnen kurzer Zeit hatte der Youtube-Clip an die drei Millionen Klicks. Wurde medial anfänglich über mögliche negative Konsequenzen für die beiden spekuliert, wurde schnell klar, dass die ‘etwas andere' PR von der Polizeispitze gerne gesehen ist. Von Polizeipräsident Pürstl und Innenministerin Mikl-Leitner folgte prompt eine persönliche Einladung zum Vorsingen: „Das Video zeigt, dass meine Polizisten nicht nur hart arbeiten und kompetent sind, sondern auch Menschen sind, die Spaß haben.“

Das alles ist Teil einer breit angelegten Social Media-Strategie der Polizei, die laufend evaluiert und angepasst wird. Das durch EU-Mittel finanzierte Forschungsprojekt COMPOSITE beschäftigt sich seit Jahren mit dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderungsprozesse auf die Polizei. Die daraus hervorgegangene Studie Best Practice in Police Social Media Adaption streicht die Relevanz sozialer Medien für die Polizeiarbeit hervor. So kann etwa die Fan-Community bei Ermittlungen oder Fahndungen helfen. Insbesondere wird auch auf die Möglichkeit von virtuellen, verdeckten Ermittlungen hingewiesen. Die wichtigste Funktion ist jedoch, die menschliche Seite der Polizeiarbeit zu zeigen. Kurz: Das Freund_innen und Helfer_innen-Image zu polieren.

Ganz in diesem Sinne postet die Wiener Polizei auf ihrer Facebook-Seite jede Woche ein Portrait eines_einer ihrer Mitarbeiter_innen. Der „Kollege Franz“ wirkt auch tatsächlich sympathischer als ein Polizist in Robocop-Montur, der einem mit gezogenem Schlagstock auf der Demo gegenüber steht. Dadurch soll bei den Bürger_innen Vertrauen und bei Demonstrationsteilnehmer_innen Kooperationsbereitschaft aufgebaut werden. Bezeichnend ist etwa ein Foto, das von einem polizeinahen Facebook-Account während der #G7-Proteste verbreitet wurde. Im Vordergrund stehen Polizist_innen Spalier – im Hintergrund küsst sich ein demonstrierendes Pärchen innig: „Inmitten des Trubels und der Forderung nach Revolution, Umdenken in Politik und Gesellschaft und gegen den Kapitalismus, bleibt Zeit für die weitaus wichtigeren Dinge im Leben: Auf beiden Seiten Menschen, die mehr eint, als sie vielleicht trennen mag...“ ist darunter zu lesen.

DIE RAUFEN NUR. Beispiele wie dieses verdeutlichen die mannigfaltigen Möglichkeiten, die soziale Medien der Polizei bieten, um ihr menschliches Antlitz zu zeigen, in die öffentliche Meinungsbildung einzugreifen und ihre Funktion in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zu kaschieren. Seitens der Polizei wird es nämlich keine Kommunikation geben, die derder repressiven Realität gerecht wird und das Handeln der Polizei entsprechend darstellt: Denn dann würden auch Bilder von Delogierungen, rassistischen Personenkontrollen, Abschiebungen, prügelnde Bullen und drangsalierte Bettler_innen den Twitter- und Facebookstream füllen. Für viele Menschen ist die Polizei alles andere als Freund_in und Helfer_in. Weiters sind viele der Aussagen, die im Netz verbreitet werden, ob ihrer Parteilichkeit kritisch zu hinterfragen: Letzten Samstag ging am Wiener Praterstern ein mit Stangen bewaffneter Mob Identitärer auf eine kleine Gruppe Antifaschist_innen undJournalist_innen los. Die anwesende (und nicht eingreifende!) Polizei twitterte indessen von einem „Raufhandel zwischen rechten und linken Gruppen“. Solche verfälschten Aussagen nicht unkommentiert zu lassen, ist und bleibt die Aufgabe einer kritischen Gegenöffentlichkeit.

Wie das geht, haben haben Menschen aus New York vorgezeigt: Während die Polizei darum bat, unter dem Hashtag #myNYPD Fotos von schönen Erfahrungen mit den lokalen Officers zu twittern, ging die Kampagne ziemlich nach hinten los. Fotos von dokumentierter Polizeigewalt, die massenhaft unter dem Hashtag geteilt wurden, brachten statt der gewünschten Imagepolitur eine intensive Diskussion über prügelnde Polizist_innen. Auch hierzulande lässt sich beobachten, dass Tweets und Statusmeldungen der Polizei nicht unwidersprochen bleiben. So gibt es auf der Facebookseite der Wiener Polizei zahlreiche Ratings mit nur einem Stern: Mit ironischem Unterton beschweren sich einige über den „schlechten Service“ auf Demonstrationen.

 

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

Die Vernetzungsmaschinerie

  • 13.07.2012, 18:18

Das Internet hat die Struktur von Studierendenprotesten nachhaltig verändert. Die entscheidende Frage wird in der Zukunft sein, wie es am besten gelingen kann, Online- und Offline-Aktivitäten zu verbinden. Eine Analyse.

Das Internet hat die Struktur von Studierendenprotesten nachhaltig verändert. Die entscheidende Frage wird in der Zukunft sein, wie es am besten gelingen kann, Online- und Offline-Aktivitäten zu verbinden. Eine Analyse.

Anfang der 1980er. Die englische Punkband The Clash stellt sich die alles entscheidende Frage: Should I stay or should I go? Der Studierendenprotest ist zwar keine Liebesgeschichte, jedoch geht es wie in der Liebe um die gemeinsame Zukunft. „Hingehen oder heimgehen?“, denkt sich der Publizistikstudent Luca Hammer am Nachmittag des 22. Oktobers. Soeben hat ihm ein Tweet mitgeteilt, dass das Audimax besetzt ist.
24 Stunden später sitzt er dort. Den Arm mit dem Handy in der Hand in die Höhe gereckt, filmt er das Geschehen mit und überträgt es live ins Internet. Hammer mutiert zur digitalen Schnittstelle. Zwischen denen, die hingehen, und jenen, die daheim bleiben. Tags darauf nimmt der Student seine Kamera und den Laptop mit; abends bespricht er mit ein paar Leuten die Webseite; in der Nacht von Samstag auf Sonntag geht unsereuni.at online. Fortan bündelt die Webseite sämtliche Aktivitäten der Studierenden. Links zum Live-Stream, Facebook und Wiki vergrößern den Kreis der AnhängerInnen. Mit der Übersichtlichkeit der Webseite haben die Studierenden einen entscheidenden Trumpf in der Hand.
Dem bekannten Blogger Gerald Bäck zufolge stieg die theoretische Reichweite der Tweets bereits nach vier Wochen auf 21,5 Millionen. Hunderttausende fieberten bei Plenarsitzungen, Diskussionen und Vorträgen, die live aus dem Audimax gesendet wurden, mit. Bis heute hat die Facebook-Gruppe „Audimax Besetzung an der Uni Wien – Die Uni brennt!“ mehr als 30.000 Mitglieder. Die Solidarität ist groß. Auch nach der Räumung des Audimax am 21. Dezember. 

Medien springen auf. Der Schritt, soziale Netzwerke zur Aufmerksamkeitssteigerung und Vernetzung zu nutzen, stellt eine Emanzipation von herkömmlichen Medien dar. Nicht mehr Fernsehen, Radio oder Print entscheiden, was die Öffentlichkeit erfährt, sondern die Studierenden selbst. Die professionelle Vernetzung via Internet motiviert die Protestierenden, hält sie am Laufenden und die Proteste für lange Zeit am Leben. Nach kürzester Zeit springen die traditionellen Medien auf. Nicht nur, weil das Audimax voll ist, sondern vor allem weil ihnen der Protest im Internet imponiert. Sie stilisieren die professionelle Vernetzung der Studierenden als Innovation hoch.
„Während das Web 1.0 rein zur Informationsbeschaffung diente, steht das Web 2.0 für Koordination. Die Studierendenbewegung ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Protestbewegungen im Internet organisieren und in reale Bewegungen umgesetzt werden“, sagt Alexander Banfield-Mumb, der an der Universität Salzburg die Rolle von digitalen Medien in Protestbewegungen erforscht.
Studentische Milieus gelten traditionell als beweglich.  Die Organisation entsteht spontan, ist oft basisdemokratisch und wird von einer hohen Fluktuation geprägt.  Wenn jemand ausfällt, bricht nicht das ganze System zusammen, sondern die Lücke wird gefüllt. Zu viel Bewegungsfreiheit kann jedoch Chaos schaffen. Das Internet gibt dem Protest eine Struktur. In ihm wird koordiniert und kaum jemand hat sich daran gestoßen, dass alle Tätigkeiten in einem Presseraum der Uni Wien zusammenliefen. Zentralismus wird in diesem Aspekt akzeptiert. Die Arbeitsgruppe Presse, ein Team aus ständig wechselnden Menschen, ist das Herz der Bewegung. Weil sie Übersicht schafft. 

Couch Aktivismus. Das geschmeidige Zusammenspiel von Online-Vorbereitungen und Offline-Aktivitäten ist kein Novum. Wie gut so etwas funktioniert, hat man sowohl bei den WahlkampfhelferInnen von Obama als auch bei den Protesten im Iran gesehen. Zu einem Großteil scheitern jedoch Protestaktionen, die im Internet geschmiedet wurden. Couch-Aktivismus nennt sich das Phänomen, wenn trotz großer AnhängerInnenschaft im Internet kein Protest auf der Straße zustande kommt.
Soziale Netzwerke scheinen das Benzin für die Maschine der österreichischen Studierendenproteste gewesen zu sein. Was wäre passiert, wenn das Benzin weniger professionell aufbereitet gewesen wäre? Wäre die Maschine kollabiert? Eine Antwort darauf wäre reine Spekulation. Der Blick über die Grenzen Österreichs zeigt jedoch, dass es auch anders gehen kann. „In Deutschland wurde das Web 2.0 viel weniger in die Proteste eingebunden“, stellt Christoph Bieber, Politologe an der Justus-Liebig Universität in Gießen, fest. Als Begründung nennt er drei Schlagworte: StudiVZ, Dezentralisierung, Twitter.
Das Image von Twitter sei in Deutschland angeknackst und deshalb weniger beliebt bei den Studierenden, vermutet Bieber. Außerdem habe man sich schwergetan, die verschiedenen Proteste zu koordinieren. Das mag einerseits an der hohen Anzahl der streikenden Unis gelegen sein, andererseits habe man sich schlichtweg für das „falsche“ Netzwerk entschieden: „Die deutschen Studierenden setzten auf StudiVZ. Ein Fehler, da sich StudiVZ nur beschränkt für externe Vernetzungen eignet.“ 

Lucky Streik. Vor rund 13 Jahren hatten die deutschen Studierenden den Aufstand im Internet unter dem Slogan „Lucky Streik“ schon erprobt. Die Zeitungsberichte von damals lesen sich ähnlich euphorisch wie heute. Netzbegeisterte StudentInnen erstellten Webseiten und Streik-E-Mail-Listen.  Audio- und Videodateien peppten das Angebot auf und sogar Chats soll es auf den Seiten gegeben haben. Der Betreuer einer Webseite erinnert sich an die „atemberaubende“ Zeit: „Am Abend vor der Bonner Demo kam durchschnittlich alle zwei Minuten eine E-Mail mit einer neuen streikenden Uni an.“
Die Webseiten haben den Streik 1997 überdauert. Das Erfahrungswissen ist den ProtestlerInnen geblieben. Auch bei der aktuellen Studierendenbewegung in Österreich wird die Infrastruktur und das Know-How die Protagonisten und Protagonistinnen überdauern. „Das Mobilisierungspotential des Web 2.0 ist längst nicht ausgenutzt“, sagt Banfield-Mumb, „und auch die nächste Stufe, das Web der Kooperation, blieb so gut wie unberührt.“
Verbesserungsvorschläge gibt es viele – etwa wie die Stimmen im Chat neben dem Live-Stream am besten in Diskussionen eingebunden oder wie im Wiki gemeinsam Themen bearbeitet werden können. Eine Chance, Online- und Offline-Protest weiter zu professionalisieren, bietet jedenfalls der Gegengipfel zur Jubiläumsfeier des Bologna-Prozesses im März. Die AktivistInnen könnten zeigen, dass der Protest einen längeren Atem hat als einigen PolitikerInnen lieb ist. Wenn nur genug Leute hingehen.  N

 

Volle Kontrolle der virtuellen Identität

  • 13.07.2012, 18:18

Debatten über die digitale Sicherheit von Facebook werden immer lauter. Vier New Yorker-Studenten haben ihre eigene Alternative zu diesem Problem gefunden: In wenigen Wochen wird ihre Antwort auf Facebook gelauncht: Das neue Social-Network Diaspora.

Debatten über die digitale Sicherheit von Facebook werden immer lauter. Vier New Yorker-Studenten haben ihre eigene Alternative zu diesem Problem gefunden: In wenigen Wochen wird ihre Antwort auf Facebook gelauncht: Das neue Social-Network Diaspora.

"Den Datenschutz berücksichtigendes Open Source Social Network mit voller NutzerInnenkontrolle“, ist das ausformulierte Ziel der Diaspora-Gründer. Anstatt die Kommunikation wie bei bestehenden AnbieterInnen über einen zentralen, gewinnorientierten Server laufen zu lassen, sollen die zukünftigen Diaspora-NutzerInnen durch ihre Anmeldung ihren eigenen Diaspora-Seed erhalten. Dieser Samen in Form eines Webservers aggregiert dann die persönlichen Daten und Informationen und kann mit anderen UserInnen verbunden werden. Durch die verschlüsselte Kommunikation haben die NutzerInnen somit selbst die volle Kontrolle, wem sie den Zugriff auf persönliche Informationen gewähren. Dass die vier Studierenden aus New York ihr Projekt als freie Software planen, ist ein gravierender Unterschied zu den bisherigen Social-Network-AnbieterInnen. Jedoch ist die Freigabe der Lizenz, so dass jeder Mensch sie beliebig kopieren, verbreiten und nutzen darf, auch noch kein Garant zum Erfolg. Der Open-Source-Anbieter von Twitter Status.net ist beispielsweise immer noch eher unbekannt.
Das Interesse an einen für NutzerInnen freundlichen Social-Network ist in jedem Fall sehr groß. Die Diaspora-Gründer wandten sich im Bezug auf Finanzierung ihres Projektes an die Crewfunding-Plattform Kickstarter. Ihre Innovation fand Anklang, und so hatten die vier Erfinder das benötigte Budget von 10.000 Dollar in zwölf Tagen zusammen und hörten bei diesem Betrag nicht auf, Geld für ihr Projekt zu sammeln.
Die vier IT-Studierenden haben sich offenbar auch genau den richtigen Zeitpunkt ausgewählt, um mit ihrer frisch geborenen Idee an die Öffentlichkeit zu gehen. Im Mai, nach der Facebook-Entwicklerkonferenz F8 rief die Facebook Inc. aufgrund ihrer Erneuerung im Umgang mit persönlichen Daten nicht nur überzeugte DatenschützerInnen auf den Plan.
Sie präsentierten dem Publikum neben den neuesten Plänen im Bezug auf die Social-Plugins, welche die Interaktion mit anderen Websites fördern sollen, auch die überarbeiteten Datenschutz-Richtlinien. Die privaten Daten, wie persönliche Informationen, Fotos, etc. sollten zu kommerziellen Zwecken an Dritte weitergegeben werden.
Mit dem geplanten offenen Umgang und dem offiziellen Weiterkauf persönlicher Informationen ging die Facebook Inc. um Mark Zuckerberg aber womöglich einen Schritt zu weit.

Facebook übernimmt das Netz. Facebook hat laut eigenen Angaben rund 500 Millionen aktive NutzerInnen weltweit und ist damit die größte Social-Community. Die Nutzung von Facebook ist für die UserInnen kostenlos, aber im Endeffekt sind es doch die NutzerInnen, die bezahlen. Im Gegensatz zum Open Source Modell Diaspora ist Facebook eine kommerzielle Social Software.
Die Facebook Inc. hat allerdings noch kein kostendeckendes Geschäftsmodell entwickeln können – durch die rasant steigende NutzerInnenzahl und die damit verbundenen Kosten reicht der geschätzte Jahresumsatz von 700 bis 800 Millionen Dollar nicht, um die nötigen Ausgaben durch die konkreten Einnahmen zu finanzieren. Aber nicht nur Mark Zuckerberg und die weiteren Facebook-Stakeholder versuchen, von dem Sozialen Netzwerk finanziell zu profitieren. Viele Firmen nutzen die kommerziellen Angebote auf der Internetseite wie etwa das Targeting und Empfehlungsmarketing.
Das Targeting ist der englische Begriff für personalisierte Werbung. Firmen haben also Zugriff auf Basisinformationen wie Alter, Geschlecht und Herkunft, aber auch individuelle Eingaben wie spezifische Interessen oder favorisierte Lektüre können für Firmen sichtbar gemacht werden. Diesen wird dadurch ermöglicht noch besser auf die vermeintlichen Bedürfnisse ihrer potentiellen KundInnen einzugehen.

Facebook vs. Diaspora. Der Facebook Inc. reicht es aber nicht mehr, die beinahe konkurrenzlose Nummer Eins unter den Social-Networks zu sein: Mark Zuckerberg und seine MitstreiterInnen haben es deutlich gemacht: Sie wollen auf jede Homepage.
Das Werkzeug dazu ist das Open Graph Protocol dass die Kommunikation zwischen Facebook und anderen Websites fördert. Mit ganz einfachen Mitteln können so Website- BetreiberInnen so genannte Share- und Like-Buttons auf ihre Home- page hinzufügen, die sofort mit Facebook interagieren und die jeweilige Nachricht automatisch auf das Profil der BenutzerInnen posten.
Ob die Quasi-Monopolstellung von Facebook überhaupt noch gebrochen werden kann, haben sich die vier Studierenden auch gefragt. Ein Zwischenschritt soll daher sein, bereits existierende Social-Networks wie eben Facebook oder auch twitter und flickr auf der neuen Diaspora-Seite zu integrieren.
Wir dürfen gespannt sein, im Herbst wird die revolutionäre Plattform gelauncht, die es den UserInnen erlaubt, selbst im Besitz ihrer Daten zu sein.