Konservatismus

Alternativen für Deutschland und Österreich

  • 21.06.2017, 17:58
Ein neuer Sammelband von Stephan Grigat untersucht AfD und FPÖ auf Rechtspopulismus, völkischen Nationalismus, Geschlechterbilder und Antisemitismus.

Ein neuer Sammelband von Stephan Grigat untersucht AfD und FPÖ auf Rechtspopulismus, völkischen Nationalismus, Geschlechterbilder und Antisemitismus.

Blau und erfolgreich sind beide. Doch auch inhaltlich nähern sich die Alternative für Deutschland (AfD) und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) einander an, wie der Sammelband konstatiert, ohne die Unterschiede in Geschichte und Gegenwart der beiden Parteien und das „Potenzial für zukünftige Konflikte“ zu vernachlässigen. Die FPÖ könnte sich heute, wie Gerhard Scheit schreibt, auch „‚Alternative für Österreich‘“ nennen, weil sie den Deutschnationalismus der ehemaligen „PLO von Österreich“ (Jörg Haider) weitgehend aufgegeben hat. Wie die AfD zieht sie sich unter dem Primat der Innenpolitik immer mehr auf „die Frage der Souveränität des eigenen Landes“ zurück. Im rassistischen „Kampf gegen die Islamisierung Ottakrings“, und eben nicht gegen Islamisierung per se, betreiben deshalb die „lautstark als ‚Kritiker‘ des Islam Auftretenden dessen Verharmlosung am entschiedensten“. Derweil die Linke auf antiisraelischem Kurs bleibt, können sie innenpolitisch Erfolge einfahren, indem sie „Israelsolidarität simulieren“.

Ein weiterer Fokus des Buches ist Geschlecht: Während Juliane Lang zur „Familien- und Geschlechterpolitik der AfD“ leider kaum über den Befund hinauskommt, dass die sich „immer weiter in Richtung völkischer Entwürfe“ entwickelt, arbeitet Karin Stögner die Korrespondenz des mutterschaftsbetonten „Differenzfeminismus nationalistisch-völkischer Prägung“ der FPÖ mit dem Ethnopluralismus heraus und erhellt, wie die „Welterklärung“ Antisemitismus sich vertretungsweise auch in Nationalismus, Sexismus oder Homophobie äußert. Bei aller „Transformation des Antisemitismus“, die Heribert Schiedel analysiert, heißt das aber nicht, dass „das Feindbild ‚Jude‘ durch das Feindbild ‚Moslem‘ ersetzt“ worden wäre. Deshalb sind im Buch mehrfach gut begründete Absagen an den Kampfbegriff „Islamophobie“ zu finden.

Insgesamt löst der Band, mit wenigen Schwachstellen, vor allem politisch ein, was der Herausgeber verspricht: neue Impulse in einer dringend notwendigen Diskussion.

Stephan Grigat (Hg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder.
Nomos 2017, 205 Seiten, 28,80 Euro.

Nikolai Schreiter studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Konserven-Protest

  • 21.06.2017, 17:54
Aufgeklärter Sexualunterricht an Schulen, das Recht auf Abtreibung, Frauenhäuser als Schutzeinrichtungen oder auch einfach die Forderung nach gleichen Möglichkeiten für alle Geschlechter – klingt eigentlich nicht schlecht.

Aufgeklärter Sexualunterricht an Schulen, das Recht auf Abtreibung, Frauenhäuser als Schutzeinrichtungen oder auch einfach die Forderung nach gleichen Möglichkeiten für alle Geschlechter – klingt eigentlich nicht schlecht. Manche Leute bringt das trotzdem auf die Palme. Dies zeigt sich zunehmend in Protesten gegen diese und andere Errungenschaften von Gleichstellungspolitik. Ob es erregte Eltern sind, die gegen Aufklärungsunterricht demonstrieren, oder Papst Benedikt XVI, der vor einer „Genderdiktatur“ warnt. In ganz Europa werden Protestformen stark, die sich gegen die Idee einer gleichberechtigten Gesellschaft wenden.

Mit den unterschiedlichen Auswüchsen dieses Phänomens setzen sich Sabine Hark, Paula-Irene Villa und 16 weitere Autor_innen im Sammelband „Anti-Genderismus“ auseinander. Das Buch vereint verschiedene sozial- und kulturwissenschaftliche Analysen und tastet sich so an die vielfältigen Dimensionen und Funktionen der Abwehrhaltung gegenüber Gleichstellung heran. Warum wird der Genderbegriff derart kontrovers diskutiert? Welche politischen Agenden stehen dahinter und welche argumentativen Strategien werden im Anti-Gender-Diskurs angewendet? Diesen Fragen wird in 14 Beiträgen nachgegangen. Die Auseinandersetzung reicht von der Rolle der evangelischen und katholischen Kirche über hatespeech im Internet hin zur argumentativen Instrumentalisierung des „Kindeswohls“. Gut hat mir gefallen, dass der Sammelband Anti- Genderismus als konservative Protestform analysiert, als Reaktion auf die Prekarisierung, der die Menschen mit dem neoliberalen Umbau der Gesellschaft zunehmend ausgesetzt sind. Er spannt damit einen Bogen zu weiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen und stellt klar, dass das Geschlechterverhältnis einen wesentlichen Teilbereich kritischer Gesellschaftsanalyse darstellt. Auch wird deutlich, wie angreifbar und wackelig politische Errungenschaften bleiben, obwohl sie scheinbar zum common sense geworden sind.

Ein Sammelband, der dir das Gefühl gibt, im Recht zu sein, und den aktuellen Diskurs um Gender in Perspektive rückt.

Sabine Hark/Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen.
Transkript 2015, 264 Seiten, 26,99 Euro.

Carina Brestian studiert Soziologie an der Universität Wien.

Rechtsdrall in EUropa?

  • 13.07.2012, 18:18

Konservative dominieren Parlament und Kommission der Europäischen Union. Welche Aussichten hat eine progressive EU-Politik?

Konservative dominieren Parlament und Kommission der Europäischen Union. Welche Aussichten hat eine progressive EU-Politik?

„Wenn man die Globalisierung regulieren will, da kann man mir erzählen, was man will, wenn man da nicht Europa als Hebel hat, dann hat man gar keinen“, sagte vor kurzem Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Europäischen Grünen, der bekannt ist für seine pro-europäischen Positionen. Hat er Recht?
Im Juni haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein neues Parlament gewählt. Dieses wird von konservativen und rechten Parteien dominiert – deutlicher als jemals zuvor. Die einst starken SozialdemokratInnen wurden auf ein Viertel der Sitze reduziert, aus dem linken Lager legten nur die Grünen zu. 

Auf nationaler Ebene, die bei der Ernennung der EU-KomissarInnen wichtig ist, sieht es für die Linke nicht besser aus: Nur sieben von 27 RegierungschefIinnen in der EU werden von ihr gestellt. (in Spanien, Portugal, Griechenland, Österreich, Ungarn, Slowakei, Großbritannien).
Bis Mitte der neunziger Jahre stellte die Fraktion der SozialistenInnen und SozialdemokratInnen die Mehrheit im EU-Parlament – doch diese Zeiten einer linken Hegemonie sind vorbei, die Rechten haben nun das Sagen in Europa. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem der EU-Vertrag von Lissabon kurz vor der Ratifizierung steht, was die EU sehr viel mächtiger machen wird.
Mit der positiven Abstimmung in Irland scheint der Lissabon-Vertrag – also de facto die EU-Verfassung – greifbar. Die Union wird mit dem Vertrag eine Rechtspersönlichkeit, die die Kompetenzen der Nationalstaaten noch enger beschneiden wird. Eine Persönlichkeit, deren Wesen vom Wunsch nach „freiem und unverfälschtem Wettbewerb“ bestimmt sein wird. Wie mit einem solchen Charakterzug die „Globalisierung reguliert“ werden soll, ist sehr fraglich.
Auf andere Charakterzüge wurde dafür verzichtet, als die Lissabonner „Rechtspersönlichkeit“ erschaffen wurde, sagen KritikerInnen des Vertrags. „Grundsätzliche Dinge wie ein europaweiter Mindestlohn und ein Streikrecht fehlen in der europäischen Gesetzgebung“, kritisiert der Innsbrucker Politologe Arno Tausch. EU-Staaten könnten sich weiterhin gegenseitig Konkurrenz um die niedrigsten Löhne und Sozialstandards machen, um Unternehmen eine Niederlassung schmackhaft zu machen. „Die Ungleichheit zwischen Armen und Reichen wird so immer größer, das ist ein Tanz ums goldene Kalb“, sagt Tausch.
Befürworter des neuen Grundvertrages beharren trotz solcher Kritik, dass der Vertrag von Lissabon Europa demokratischer und sozialer machen wird. Die Rechte des Parlaments gegenüber der EU-Kommission und dem Rat der EU würden gestärkt werden. Das vom Volk direkt gewählte Parlament hätte nun erstmals die Möglichkeit, in vielen entscheidenden Politikbereichen seine Meinung durchzusetzen. Soziale Mindeststandards könnten durch den Vertrag erstmals in der ganzen EU durchgesetzt werden.
Gegner des Vertrags wollen das nicht glauben. Sie orten bei der dem EU-Parlament angedachten Rolle demokratische Defizite. Auch in naher Zukunft wird es nicht das Recht haben, eigene Gesetze vorzuschlagen. Die Initiative liegt weiter bei der Kommission, die von den einzelnen Regierungen bestellt wird. Auch das „Europäische Volksbegehren“, das im Vertragswerk vage angesprochen wird, blieb bislang undefiniert.

Besonders betroffen von einem auf Wettbewerb aufgebauten Europa sind die neuen Mitgliedsländer des ehemals kommunistischen Osteuropas. Der Politikwissenschaftler Ulrich Brand sieht die Öffnung neuer Märkte in den östlichen Beitrittsländern als wesentliches Motiv für die EU-Osterweiterung. Versprechungen vom Segen der Marktwirtschaft hätten zu einer wirtschaftlichen „Kolonialisierung durch den Westen“ im Osten Europas geführt. „Es gab zwar einen Wohlstandszuwachs im Osten, aber es öffnete sich auch die Schere zwischen Arm und Reich“, sagt Brand. In zehn Jahren werde die Wende anders diskutiert werden, ist der studierte Betriebswirt sicher. „Es wird gefragt werden: Welche Alternativen sind verpasst worden?“ Mit der Privatisierung von Staatsbetrieben sei jedenfalls „Volksvermögen“ verschleudert worden.
Daniel Cohn-Bendit kann das nicht gegen den Lissabon-Vertrag aufbringen, er setzt auf eine Veränderung von innen. Die Europäischen Grünen müssten es schaffen, „die notwendige Transformation des Kapitalismus zu verbinden mit einer europäischen Positionierung“, sagte er vor kurzem einer österreichischen Tageszeitung.
Wie er sich damit gegen die rechte Mehrheit behaupten will? „Es geht mir auf den Geist, dass es immer nur gegen Nicolas Sarkozy geht, ich bin für Europa“, sagte Cohn-Bendit.