Kino

Kohle fürs Kino

  • 05.02.2015, 08:00

106 Jahre Kinogeschichte haben die Breitenseer Lichtspiele. 46 davon kann Anna Nitsch-Fitz erzählen. So lange betreibt die 77-Jährige nämlich das Kino in Penzing. Obwohl es sich schon lange nicht mehr rechnet, macht sie weiter.

106 Jahre Kinogeschichte haben die Breitenseer Lichtspiele. 46 davon kann Anna Nitsch-Fitz erzählen. So lange betreibt die 77-Jährige nämlich das Kino in Penzing. Obwohl es sich schon lange nicht mehr rechnet, macht sie weiter.

progress: Sie betreiben das Kino Breitenseer Lichtspiele seit über vier Jahrzehnten. Woher kommt diese große Leidenschaft für das Kino?
Anna Nitsch-Fitz: Meine Großmutter hatte das Nußdorfer Kino in der Heiligenstädterstraße 161 in Wien und ich war schon in meiner Kindheit begeistert vom Kino. Später durfte ich dann auch mithelfen und die Karten abreißen oder die Kassa machen, wenn die Kassiererin krank war. Meine Großmutter ist 1967 verstorben und hat das Kino meinem Vater vererbt. Ich habe es aber geführt und mich um die Filme gekümmert. Zwei Jahre später hat er das Kino zugesperrt, weil er das Gefühl hatte, dass es sich nicht mehr rentieren würde. Nach einigen kinolosen Monaten habe ich mich dann auf die Suche nach einem neuen Kino gemacht und die Breitenseer Lichtspiele entdeckt.

Haben Sie das Kino dann gleich gemietet?
Nein, es war mir anfangs zu klein. Das Kino meiner Großmutter hatte 483 Plätze und die Breitenseer Lichtspiele nur 206. Mittlerweile sind wir auf 168 Plätze zurückgegangen. Es sind immer noch dieselben Kinosessel wie damals.

Welche Filme spielen Sie? Haben Sie besondere Kriterien bei der Auswahl?
Ich habe immer 16 bis 20 Filme im Programm, die sieben Wochen laufen. Das Kino ist täglich geöffnet. Derzeit sind Familienfilme, österreichische Filme und Arthouse-Filme dabei. Es ist mir wichtig, dass immer wieder alte Filme laufen. Die BesucherInnen sind ja auch im ältesten Kino der Stadt. Aber ich möchte einen Mix aus allem machen. Ich zeige auch gerne die Arbeiten von JungfilmerInnen. Bei der Auswahl gibt es keine besonderen Kriterien. Ich schaue mir die Filme vorher an und entscheide dann, ob wir sie ins Programm nehmen.

Haben Sie einen Lieblingsfilm?
Ja, „La Strada“ von Frederico Fellini ist mein absoluter Lieblingsfilm. Den habe ich hier schon sehr oft gespielt.

Sie sagen, die Breitenseer Lichtspiele seien das älteste Kino in Wien. Seit wann existieren sie denn?
1905 hat die Familie Guggenberger begonnen Filme zu zeigen. Damals noch in einem Zeltkino, das von Bauplatz zu Bauplatz gezogen ist.Das Haus, in dem wir jetzt sind, ist 1909 gebaut worden und die Familie Guggenheimer ist hier mit dem Kino eingezogen. Ich selbst habe es dann 1969 übernommen.Seither sind 46 Jahre vergangen.

Was hat sich verändert?
Die Digitalisierung der Filme hat begonnen und es gibt keine 35mm-Filme mehr. Das ist sehr schade, weil ich Filme aus der Retrospektive von Sophia Lauren und Michael Haneke nicht mehr spielen kann. Diese Abende habe ich besonders gern veranstaltet und es war auch immer ein bestimmtes Publikum da, das jetzt nicht mehr kommt.

Welches Publikum kommt hierher?
Es kommt immer darauf an, welcher Film gespielt wird. Eigentlich kommen alle Altersklassen. Die jüngsten KinobesucherInnen sind vier Jahre alt, die kommen dann meistens mit ihren Großeltern. Es kommen Leute aus dem Grätzel, aber auch aus den anderen Bezirken Wiens. Wir haben sogar einen Kinobesucher aus Oberösterreich, der hierher ins Kino kommt, wenn er in Wien ist.

Wie viele BesucherInnen haben Sie pro Woche?
Das ist schwer zu sagen. Es kommt auf die Filme an. Bei einem guten Film können schon an die 15 BesucherInnen pro Woche kommen. Aber meine Ausgaben kann ich damit nicht abdecken. Ich zahle 1.500 Euro monatlich von meiner privaten Pension in das Kino, um alle Kosten zu begleichen.

Bekommen Sie finanzielle Unterstützung?
Ja, ich bekomme jährlich 10.000 Euro vom Filmfonds Wien. Die Auflage dafür ist, dass ich 250 Spieltage im Jahr vorweisen muss. Normalerweise ist das kein Problem, aber letzten Sommer hätte ich fast zusperren müssen. Das Magistrat hat mir gesagt, dass ich alle Kabel erneuern müsse und das hat 25.000 Euro gekostet. Die ArbeiterInnen haben das in zwei Wochen erledigt, denn wenn ich länger zugesperrt hätte, dann hätte ich die 250 Spieltage nicht mehr zusammen bekommen und die Auflage für die Förderungdes Filmfonds nicht mehr erfüllt. Ich musste mein Konto um 10.000 Euro überziehen, um alles finanzieren zu können.

Sie stecken also sehr viel von ihrem eigenen Kapital in die Breitenseer Lichtspiele. Lohnt es sich totzdem?
Ja, weil es mir so viel Spaß macht das Kino zu betreiben (lacht).

Was sagen Sie zur geplanten Steuererhöhung für Kinotickets?
Das finde ich furchtbar. Wenn das wirklich kommen sollte, dann wäre das ein Wahnsinn. Mich selbst betrifft es nicht, weil die Breitenseer Lichtspiele vom Finanzamt als Liebhaberei eingestuft werden. Das bedeutet, dass ich keine Mehrwertsteuer zahlen muss und auch keine Vorsteuer abschreiben kann. Aber für die KinobetreiberInnen wäre das natürlich eine Katastrophe, wenn sich die Mehrwertsteuer von zehn auf zwanzig Prozent erhöht.

Warum nehmen Sie nicht an der Viennale teil?
Ich habe mich schon mindestens fünf Mal beworben, aber ich wurde bis jetzt immer abgelehnt. Ich weiß auch nicht warum.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich würde mir wünschen bei der Viennale mitmachen zu dürfen. Dann wären meine Kosten für das ganze Jahr in den paar Wochen gedeckt und ich wäre aus dem Schneider. Außerdem versuche ich schon länger das Kino unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Ich habe öfter mit BeamtInnen des Magistrats gesprochen, aber es scheint, als hätten sie kein besonderes Interesse daran. Das ist wirklich schade, denn immerhin sind die Breitenseer Lichtspiele das älteste Kino in Wien.

 

Julia Beirer studiert Journalismus und Neue Medien an der FH Wien.

Not your Manic Pixie Dream Girl

  • 20.08.2014, 09:46

Was auf den ersten Blick nach einer starken Frauenfigur aussieht, entpuppt sich schnell als sexistische Fantasie männlicher Filmemacher. Seit Jahren füllen Manic Pixie Dream Girls ganze Kinosäle.

Was auf den ersten Blick nach einer starken Frauenfigur aussieht, entpuppt sich schnell als sexistische Fantasie männlicher Filmemacher. Seit Jahren füllen Manic Pixie Dream Girls ganze Kinosäle.

Kaum ein Indie-Film mit männlichem Protagonisten und romantischen Plot-Lines kommt ohne diese Trope aus. Sei es Natalie Portman in „Garden State“ oder Zooey Deschanel in so gut wie jeder ihrer Rollen: Dem Manic Pixie Dream Girl zu entkommen, wird zur Herausforderung.

Indie-Chicks wie aus dem Bilderbuch. Der Begriff „Manic Pixie Dream Girl“ (MPDG) stammt vom US-amerikanischen Journalisten Nathan Rabin und kam zum ersten Mal 2007 in seiner Rezension von Cameron Crowes Indie-Klassiker „Elizabethtown“ vor. Das MPDG hat im Film die Funktion, dem verbitterten, desillusionierten Protagonisten die schönen Seiten des Lebens zu zeigen. Sie weckt in ihm den Hunger auf Abenteuer, Sorglosigkeit und gleichzeitig hilft sie ihm bei der Suche nach einem Lebenssinn. Stets tritt sie als attraktive, frappante, künstlerisch angehauchte Twenty-Something mit einem Hang zur Impulsivität und Verträumtheit auf. Ihre Garderobe ist Vintage, ihre Haare trägt sie in unkonventionellen Farben oder mit schickem Pony, ihr Musikgeschmack ist etwas off-beat – so außergewöhnlich, wie The Shins oder The Smiths eben sein können. Im Prinzip verkörpert sie das Gegenteil von Spießigkeit, gerne spielt sie mitten im mit Familien gefüllten Park das „Penis-Spiel“ oder „Mutter-Vater-Kind“ bei Ikea. Selbst labelt sie sich häufig als Feministin.

Sie kann sehr vieles sein, was sie aber definitiv nicht ist, ist ein mehrdimensionaler, durchdachter Charakter, dessen Funktion über den Bruch der Alltagsmonotonie des Protagonisten hinausgeht. Außerdem wird die Figur in der Regel von weißen Schauspielerinnen gespielt, was die stereotype Verknüpfung von Hipness mit Weißsein reproduziert. Während tätowierte, flamboyante Weiße als edgy und alternativ gelesen werden, werden People of Colour in selbiger Montur als „ghetto“ beschimpft.

Wrong on so many levels. Dabei wirkt das MPDG zunächst einmal autonom, selbstbestimmt und stark – sie verkörpert damit all jene Eigenschaften, die Frauen in Hollywoodstreifen oft abgesprochen werden. Doch das Einzige, was sie tatsächlich tut, ist Männern die Augen zu öffnen. Von ihren eigenen Erfolgen, Zielen oder ihrem Hintergrund erfahren wir wenig bis nichts. Stattdessen wird sie zum „Missing Piece“ idealisiert, ihre Makel und Macken werden romantisiert und eventuelle Hinweise auf Mental Health Issues werden banalisiert. Die unkritische Rezeption macht es schwer, die Problematik offenzulegen.

In Michel Gondrys „Eternal Sunshine Of The Spotless Mind“ geht es hoch auf die Meta-Ebene. Auch hier gibt es ein MPDG. Clementine, die von Kate Winslet gespielt wird, passt in die typische Schablone der Trope, klärt den Protagonisten aber auch darüber auf, dass sie keine Lust hat, Typen aus ihrer Trübsal zu retten. Sie sagt im Film: „Too many guys think I'm a concept, or I complete them, or I'm gonna make them alive. But I'm just a fucked-up girl who's lookin' for my own peace of mind; don't assign me yours.“

Dass die Figur des MPDG eine Illusion ist, wird selten verstanden. So überträgt sich die Sehnsucht nach einer solchen Person von der Leinwand ins Leben. Die einen versuchen, in das Muster der MPDGs zu passen und sie zu imitieren, die anderen suchen nach ihrem MPDG – oder vielmehr ihrer Manic Pixie Dream Person.

Anspruch und Realität. Die britische Journalistin Laurie Penny schreibt in ihrer Kolumne „I was a Manic Pixie Dream Girl“ für New Statesman darüber, auf eine sexuelle Fantasie reduziert und wie eine seltene Pokémon-Karte gejagt zu werden. In der Vergangenheit passte sie selbst in das Klischee des MPDG. Es war keine Ausnahme, dass sie im Supermarkt oder auf Partys von wildfremden Typen angesprochen wurde. Spannenderweise verloren diese das Interesse, sobald sich herausstellte, dass sie eine erfolgreiche Autorin mit Ambitionen ist und kein planloses Mädchen, das gerne Joy Division-Lieder auf der Gitarre covert. Es ist nichts Schlimmes daran, eine solche Person zu sein. Aber Laurie Pennys Erfahrungen machen sexistische Ansprüche sichtbar: Solange der Typ erfolgreicher als sein MPDG ist, läuft alles nach seinen Vorstellungen. Sie bleibt ein hübsches Anhängsel, ein Prestige-Objekt zur Vervollständigung seines artsy Lifestyles. Könnte sie mit ihrer Karriere die seinige überschatten, ist sie allerdings instantly dismissed.

Diese Verhaltensmuster zeigten sich jahrelang in den Romanzen der Autorin, sodass sie es in Erwägung zog, ihren Intellekt und ihren Erfolg vor Typen nicht vollständig zu enthüllen, aus Angst, ihr würden ihre Weiblichkeit und ihre Attraktivität abgesprochen. Die Technik, „sich dumm zu stellen“, ist nichts Neues. Genau jene, die ein MPDG suchen, verachten sie gerne. Emanzipation schreiben sie sich dick auf die Fahnen, in der Praxis taucht sie nicht auf. Von Selbstreflexion keine Spur.

Durch die Reproduktion dieses Klischees verfestigt sich das Bild, Frauen seien stets zweitrangig und niemals mehr als eine Vervollständigung von Männern. Wie die Autorin Chimamanda Ngozi Adichies das in jenem Zitat formuliert, das auch Beyoncé aufgegriffen hat: „We say to girls: ‚You can have ambition, but not too much. You should aim to be successful, but not too successful. Otherwise, you will threaten the man.“

Kekse für den Typen, Knäckebrot für das Girl. Außerdem ist die Fantasie vom MPDG sehr heterosexuell geprägt. Obwohl einige MPDGs in der Vergangenheit auch lesbische Beziehungen geführt haben – sei es die College-Flamme Charlie von Zooey Deschanel in „(500) Days of Summer“ oder Ramona Flowers Exfreundin Roxie, die eine der sieben bösen Exe in „Scott Pilgrim vs. The World“ ist – werden diese nur als Phasen abgestempelt, der Begriff der Bisexualität fällt nie. Vielmehr sind diese „Eskapaden“ Ausdruck der Abenteuerlichkeit des MPDG und regen die männliche Fantasie weiter an.

Ein MPDG erscheint oft in Begleitung eines Nice Guys, eines leicht nerdigen Typen, der ein Frauenversteher™ ist und im Gegensatz zu Bad Boys stets in der Dauerschleife von Friendzones hängt – einfach, weil er zu „nett“ ist. „(500) Days of Summer“ ist ein Paradebeispiel dafür. Summer ist an keiner festen Beziehung interessiert und lässt trotzdem ein sexuelles Verhältnis zu. Für den Protagonisten ist das unlogisch, scheinbar kennt er nur die Dichotomie zwischen platonischer und romantischer_sexueller Beziehung. Als Summer letztlich einen anderen Mann heiratet, wird sie automatisch als kaltherzige „Bitch“ abgestempelt. Das typische Nice Guy-Denkmuster, in dem alle, die nicht an ihm interessiert sind, „Schlampen“ sind. Ihm wird von vielen Seiten applaudiert, das MPDG geht hingegen, dank tief verankerter Misogynie, leer aus. Offensichtlich muss noch viel getan werden, bis alle verstehen, dass Frauen nicht dafür da sind, die Schlüppis irgendwelcher Nerds nasswerden zu lassen.

Hengameh Yaghoobifarah studiert Medienkulturwissenschaft an der Universität Freiburg.

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