Kino

Venceremos! Kubanische Wochenschauen – frisch restauriert

  • 19.11.2016, 21:27
Die Viennale zeigte im Rahmen eines mehrteiligen Spezialprogramms kubanische Wochenschauen von 1960-1970.

Die Viennale zeigte im Rahmen eines mehrteiligen Spezialprogramms kubanische Wochenschauen von 1960-1970.

Die von Maria Giovanna Vagenas kuratierte Spezialprogramm „Das rebellische Bild“ machte eine Auswahl kubanischer „Noticieros“, die in den Jahren nach der Revolution in kubanischen Kinos vor dem Hauptfilm zu sehen waren, erstmals einem internationalen Publikum zugänglich. Es handelt sich dabei um filmische Dokumente von großer zeithistorischer Relevanz, die erst kürzlich aufwendig restauriert und damit dem Verschwinden aus dem audiovisuellen Gedächtnis entrissen wurden.

Nach der Flucht des von CIA und US-amerikanischen Mafiosi unterstützten Diktators Fulgencio Batista 1959 war die Gründung des Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematográficos (ICAIC) eines der ersten großen kulturpolitischen Projekte der neuen sozialistischen Regierung. Ab 1960 wurden dann die „Noticieros“ produziert, die sich aus jeweils mehreren Beiträgen unterschiedlicher Länge zusammensetzen und mit dem Zeitgeschehen in Kuba und darüber hinaus befassen.

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Kontinuierlich thematisiert werden etwa der Vietnamkrieg, Rassismus in den USA und die Bürgerrechtsbewegung. Auch die Entstehung des Che Guevara Mythos wird anhand der Wochenschauen nachverfolgbar. Freilich sind die Noticieros nicht gerade arm an repräsentativen Skurrilitäten: Fidel Castro bei der Entenjagd mit Nikita Chruschtschow oder bei der Zuckerrohrernte gemeinsam mit den vietnamesischen GenossInnen. Der zum Gegenbesuch gesandte kubanische Repräsentant sitzt wiederum inm Socken auf dem Boden in Ho Chi Mhins Haus, während letzterer gemütlich in einem Couchsessel weilt und wohlwollend auf den kubanischen Genossen herabblickt.

Die Noticieros sind sowohl in zeitgeschichtlicher Hinsicht als auch was ihre Formsprache und den Einsatz von Musik betrifft sehenswert. Für damalige Verhältnisse schnell geschnitten und mit Grafiken, Animationen und ungewöhnlichen Kameraperspektiven arbeitend, sind sie mit heutigen Sehgewohnheiten überraschend kompatibel. Für das kubanische Publikum der 1960er Jahre waren die Noticieros eine der wenigen Gelegenheiten, englischsprachige Popmusik zu hören, mit der insbesondere Beiträge über progressive politische Bewegungen in den USA untermalt wurden. Im kubanischen Radio wurde damals keine englischsprachige Musik gespielt, was dazu führte, dass der Soundtrack zum westlichen 1968 den KubanerInnen nicht durch Radio und Fernsehen sondern über den Umweg der Kinowochenschauen zugänglich gemacht wurde.

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Erst 1990 endete die Produktion „Noticieros“ angesichts der Krise der realsozialistischen Staaten – nicht zuletzt der Sowjetunion –, die das seit Jahrzehnten mit scharfen US-Sanktionen konfrontierte Kuba ökonomisch besonders hart traf. Fast 20 Jahre später wurden die Noticieros als Nationalerbe Kubas in die Liste des UNESCO Weltdokumentenerbe eingetragen. Diese 2009 getroffene Entscheidung trug sicher dazu bei, dass sich das französische Institut National de l'audiovisuel des sich bereits in sehr schlechtem Zustand befindlichen Archivmaterials annahm und die Bestände in Kooperation mit dem Kubanischen Filminstitut digital zu restaurieren begann. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen – zumindest die Jahrgänge 1960 bis 1970 konnten aber auf der diesjährigen Viennale dank der hochwertigen Restaurierung in High Definition gezeigt werden.

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien.

Publikumsgespräche bei Filmfestivals – Ein Leitfaden

  • 20.10.2016, 17:26
Bei Publikumsgesprächen nach Filmscreenings trifft oftmals ein irritierendes Konglomerat an Persönlichkeiten aufeinander. progress hat sich die Facetten der Verhaltensauffälligkeiten näher angesehen – damit ihr wisst, was euch erwartet.

Bei Publikumsgesprächen nach Filmscreenings trifft oftmals ein irritierendes Konglomerat an Persönlichkeiten aufeinander. progress hat sich die Facetten der Verhaltensauffälligkeiten näher angesehen – damit ihr wisst, was euch erwartet.

Die Filmemacher_innen

Ahnungslose. Der Film war gut oder sogar sehr gut – das Publikumsgespräch ist es nicht. Angesichts der Aussagen des_der Filmemacher_in drängt sich die Frage auf, wie diese holzschnittartige Person ein derart vielschichtiges Kunstwerk erschaffen konnte. Es sind die Momente, wo die gesellschaftstheoretisch bewanderte Betrachter_in daran erinnert wird, dass Kunst eben doch mehr ist, als die Person des_der Künstler_in. Letztere agiert als Katalysator gesellschaftlicher Verhältnisse, kann dumm wie Stroh sein und dennoch einen sehr guten Film abliefern. Andere erinnern derartige Auftritte wiederum daran, dass Filme im Normalfall auf die Urheber_innenschaft von mehr als einer Einzelperson zurückgehen und die Wichtigkeit des_der Regisseur_in in Europa oftmals überschätzt wird. Auch das ist eine plausible Erklärung.

Betrunkene. Der Film ist solide, der_die Regisseur_in im Publikumsgespräch allerdings knapp vor der Alkoholvergiftung. Ein oder mehrere Publikumsgespräche pro Tag mit obendrein nicht allzu angenehmen Fragensteller_innen (siehe unten) zu führen, ist kein Leichtes. Wenn man ohnehin schon ein Problem damit hat, bis – sagen wir – 15:30 Uhr nüchtern zu bleiben, fällt einem das unter den verschärften Verwertungsbedingungen eines Filmfestivals keinesfalls leichter. So hat der_die betrunkene und mitunter aggressive Regiesseur_in doch etwas sympathisches – weil wir durch ihr Verhalten etwas über die Unaushaltbarkeit einer Gesellschaft lernen, in der wir alle zum Funktionieren und die bessergestellten auch noch zu funktionierendem Selbstmarketing gezwungen sind.

The Natural Born Österreicher_in. Sie sind der Meinung, ihr Österreicher_innentum alleine mache ihre Filme hochwertig und förderungswürdig. Ob sie sich nun auf einem Filmfestival wie der Diagonale, das sich österreichischen Filmen verschrieben hat, oder einem internationalen Filmfestival wie der Viennale befinden, scheint dabei zweitrangig zu sein. „Österreich zuerst“ ist die Devise. Allerdings nicht, wenn es um die Programmierung dieser Austroschinken geht, die dann doch ausnahmslos in den Hauptabend und keinesfalls in das Nachmittagsprogramm fallen darf. (The Natural Born Österreicher_in schlechthin ist Ulrich Seidl, der unerklärlicherweise nicht beim Reality-TV, sondern im Programmkino gelandet ist. Wahrscheinlich, weil ATV einfach zu schlecht zahlt.)

The Exceptional Competent Person. Sie ist leider die absolute Ausnahmeerscheinung auf Filmfestivals. Ein_e Regisseur_in, die nicht nur einen guten Film fabriziert hat, sondern auch in der Lage ist, mit dem Publikum kompetent und nachvollziehbar über das eigene Werk zu sprechen. Zumindest letzteres sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber – siehe oben – leider überhaupt nicht.

Das Publikum

The Material Guy_Girl. Nach einem interessanten oder kontroversen Film, der viel Stoff für ein spannendes Publikumsgespräch böte, ist die Zeit oft allzu kurz. Die Moderation lässt nur wenige Fragen zu und alles nähert sich schneller als gewollt seinem Ende. Die vorletzte oder letzte verfügbare Frage schnappt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Material Guy (oder weitaus seltener: Das Material Girl). Er_sie stellt fragen wie: „Warum habt ihr das mit Video gedreht?“ / „Ist der Super-8 retrotrend nicht schon lange over?“ / „Ist die Digitalisierung ein Problem?“ Der Rest des Saales langweilt sich zu Tode, während Material Guy_Girl sich im siebten Himmel des Expert_innentums wähnt.

Die Lobenden. Du sitzt in einem Film und denkst dir, dass die Zeit anderweitig möglicherweise besser verbracht hätte werden können. Genau genommen bist du fassungslos, dass ein qualitativ und inhaltlich derart fragwürdiges Werk, 1.) staatlich gefördert wurde und 2.) nach seinem offensichtlichen Scheitern öffentlich – auf einem abermals staatlich geförderten Filmfestival – vorgeführt wird. Das Publikumsgespräch beginnt mit peinlichem Schweigen, bis sich dann doch jemand zu Wort meldet. Die Person lobt den Film in höchsten Tönen, dankt dem_der Regisseur_in sowie „dem ausgezeichneten Ensemble“. Erschreckenderweise ist sie nur in 50 Prozent der Fälle mit einer der beteiligten Personen verwandt, bekannt oder verschwägert.

Professionelle Kritiker_innen. Sie melden sich im Publikumsgespräch so gut wie nie zu Wort, weil sie den Film mitunter nicht ganz gesehen haben und wegen ständig nahender Deadlines keine Zeit haben, länger als unbedingt nötig anwesend zu sein. In Zeiten verschärfter kapitalistischer Zurichtung belassen es Journalist_innen gerne dabei, sich die ausführlichen Pressematerialien abzuholen und daraus Textmontagen zu fertigen, die mit dem Begriff „Kritik“ eigentlich überhaupt nichts mehr zu tun haben. Aber zumindest stellen sie keine blöden Fragen (wenn sie nicht gerade ein Publikumsgespräch moderieren).

Filmwissenschaftler_innen. Schauen sich gerne Spielfilme an, die keine Handlung haben und glauben, selbige seien deshalb irgendwie besser oder kulturell höherstehend. Hat ein Film eine Handlung und man wagt es, den_die kompetente Kolleg_in um seine_ihre Einschätzung zu bitten, ist die Antwort meist die selbe: „Ach, wieder so ein narrativer Film.“ Sie schalten sich bei Publikumsgesprächen gerne in die Diskussion ein, moderieren sie zudem sehr häufig und lieben Name-, Film- und Genre-Dropping. Da niemand all diese Personen, Filme oder Genres tatsächlich kennen kann, werden ihre Einschätzungen kaum hinterfragt. Man will sich (und die Kolleg_innen) schließlich nicht blamieren.

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien.

Die Viennale beginnt am 20. Oktober und endet am 2. November 2016.

Who you gonna call?

  • 03.08.2016, 21:30
Als Regisseur Paul Feig ankündigte, einen Reboot des beliebten 80er Jahre Kultklassikers Ghostbusters mit vier weiblichen Geisterjägerinnen filmen zu wollen, war die Empörung bei allen Männerbabies im Internet groß.

Als Regisseur Paul Feig ankündigte, einen Reboot des beliebten 80er Jahre Kultklassikers Ghostbusters mit vier weiblichen Geisterjägerinnen filmen zu wollen, war die Empörung bei allen Männerbabies im Internet groß: „bitches can’t catch no ghosts“ war einer von vielen aufgebrachten Kommentaren.

Wir wollen aber nicht allzu viel Zeit darauf verwenden, von der 1984er-Version zu reden. Nur so viel: Trotz 32 vergangener Jahre wurde beim CGI nicht zu sehr übertrieben. Geister suchen die Stadt New York heim, doch stattGrusel steht der Spaß im Vordergrund. Dementsprechend ist die Handlung auch zu vernachlässigen: Wie und warum sich die Geister auf einmal formieren, wie der (etwas blasse) Bösewicht zu seiner Macht kommt und was das Ziel der Geisterinvasion ist, bleibt großteils ungeklärt.

Im Zentrum des Geschehens stehen Abby und Erin – beide sind Wissenschaftlerinnen, die das Paranormale untersuchen. Nach anfänglichen beruflichen (!) Differenzen schließen sie sich mit Abbys Kollegin Holtzmann und der U-Bahn-Aufseherin Patty zusammen und bekämpfen, nun ja, Geister eben. Dass der einzigen Woman of Color im Team – Patty – nur der Part der street-smarten Powerfrau zugeteilt wird, ist mehr als ärgerlich, und die Punchline aus dem Trailer (sie setzt zum Stage Diving an und wird nicht vom Publikum aufgefangen) „I don’t know if this is a race thing or a women thing but I’m mad as hell“ macht das Ganze nicht unbedingt besser. Leslie Jones ist am Startwochenende des Films in den USA sofort Opfer von sexistischer und rassistischer Social Media Hetze auf Twitter geworden – einfach weil sie eine schwarze Frau ist, die im Remake des Lieblingsfilms vieler Männer mitspielt. Das ist Gleichberechtigung im Jahre 2016.

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Die Selbstironie der Charaktere ist jedoch zentraler Ausgangspunkt des Humors in Ghostbusters: Ihre Arbeit nehmen alle Vier sehr ernst, sich selbst aber nicht unbedingt. Und nicht selten werden Klischees über Frauen dadurch aufs Korn genommen, aber eben nicht so platt oder übertrieben wie sonst in billigen Komödien über die witzige Absurdität der Geschlechterrollen, wo Frauen Bier trinken und Männer Sekt, höhö. Die vier Frauen können über sich selbst lachen, über andere, stehen für sich und ihre Arbeit ein und retten halt am Ende New York. Ein erfrischendes Detail ist, dass die Zuseher*innen nichts über ihr Privatleben erfahren, sondern ihnen lediglich im öffentlichen Raum begegnen: in Erins Büro an der Universität, in Abbys Labor, ihrem gemeinsamen Ghostbustershauptquartier und im Kampf auf offener Straße. Es gibt keine Liebes- oder Familiengeschichte drumherum.

Ein verstörender Aspekt von Nebendarsteller Chris Hemsworth als Rezeptionist Kevin ist der Running Gag, dass er enorm inkompetent ist, aber unheimlich gut aussieht. Als „Eye Candy“ bedient er das Telefon der Ghostbusters und zeigt damit erstens die sexistischen Stereotypen von Sekretärinnenrollen auf, und wird letztlich am Ende sogar zur „Damsel in Distress“ – also zur schwachen Figur, die gerettet werden muss – also die selbe Rolle, die Janine Melnitz (Annie Potts) im Original übernahm. Für einen ordentlich feministischen Film ist das Reproduzieren dieser Rollen nicht ausreichend, aber faszinierenderweise kommt Ghostbusters ohne sämtliche Holzhammermoral bezüglich Gleichberechtigung aus. Es wird überhaupt nur sehr wenig darauf Bezug genommen, dass hier Frauen am Werk sind. Vermutlich auch deswegen wurde jegliche inhaltliche Verbindung mit dem „Original“ von 1984 weggelassen. Alle `84-Ghostbuster (außer dem verstorbenen Harold Ramis) und Sigourney Weaver durften aber durch Cameo-Auftritte auf der Leinwand erscheinen.

Jetzt stellt sich eventuell doch noch die Frage, ob so eine Neuauflage notwendig ist oder nicht. Andererseits stellt sich bei Blockbustern auch sonst nicht die Frage nach der Notwendigkeit, sondern eher nach Qualität und Unterhaltungsfaktor. Und so viel möchte ich verraten: so viel gelacht habe ich im Kino das letzte Mal bei „Guardians of the Galaxy“, also vor zwei ganzen Jahren.

Katja Krüger-Schöller ist Studentin der Gender Studies in Wien.

Die ultimative Sinnsuche

  • 25.03.2016, 16:35
Wir haben uns "Batman v Superman' angesehen und machen uns auf die beschwerliche Sinnsuche.

Der absurde Kampf zweier Comic-Franchises erreicht in den nächsten Jahren seinen Höhepunkt. Marvel und DC fetzen sich von einem Megablockbuster zum nächsten und nehmen schon lange keine Rücksicht auf die Story mehr.

Mit „Batman v Superman – Dawn of Justice“ wollte DC das Universum um Batman und die Justice League neu erzählen und musste dazu erst Superman (2013 mit Man of Steel) rebooten. Und tatsächlich ist die Erinnerung an Christopher Nolans „Dark Knight“-Trilogie beim ersten Anblick von Ben Affleck als Bruce Wayne / Batman vollkommen vergessen. Die Vision von Regisseur Zack Snyder war es, ein düsteres und apokalyptisches Metropolis im Stile von Gotham zu zeigen. Blöderweise hat genau das vor nicht einmal einem Jahrzehnt Nolan schon getan. Snyder ließ dann auch noch jeglichen Humor weg und Dawn of Justice war geboren. Unter welcher Prämisse man Batman gegen Superman kämpfen lässt, ist erstens egal und zweitens selbst mit größter Mühe aus dem Plot nicht ganz zu erfahren. Der Ursprung der Rivalität findet sich beim besorgten Bürger Bruce Wayne, der die Übermacht eines Superman gefährlich findet und deswegen Kryptonitwaffen baut. Dieselbe Idee hat Lex Luthor auch. Am Schluss rettet Wonder Woman den Tag.

Wenn der Film eine Sache gekonnt zeigt, dann die Ignoranz und Hilflosigkeit der Menschen angesichts eines Superman (sprich: Gott, Übermensch). Eine Ignoranz so grenzenlos, dass sie Superman im Endeffekt tötet. Eine Hilflosigkeit, die so egozentriert ist, dass nicht einmal Lex Luthors Bombenterror davon ablenken kann.


Wenn dieser Film eine Funktion haben sollte (und ich bemühe mich hier wirklich, einen kohärenten Faden in einem bombastischen Clusterfuck an Materialschlachtenfilm mit großen Plotholes zu finden), dann ist es die traurige Wahrheit aufzuzeigen, dass die Welt Superman nicht gebrauchen kann. Die Welt (= die USA) möchte Superman vor ein Gericht stellen und ihn anklagen, weil er Person XY aus einem brennenden Haus und nicht Person YZ aus einem anderen brennenden Haus gerettet hat. Das Gericht ist die weltliche Justice. Nebenher knallt Batman mit seinem Maschinengewehr alle nieder, die ihm im Weg stehen. Ihn klagt niemand an. Er ist ein Mensch. Lex Luthor sprengt den Gerichtssaal. Auch hier sehen wir keine Konsequenz, Menschen wie er und Bruce Wayne werden im Gegensatz zu einem Superman übersehen.

Am Ende kommt Wonder Woman zu den zwei bis drei Streithanseln dazu und wird tatsächlich mit den Worten „Is she with you?“ – „No, I thought she was with you.“ eingeführt. Das ist sehr ärgerlich. Insgesamt spricht sie nicht mehr als 100 Worte im ganzen Film und noch dazu in einem nicht näher einordendbarem Akzent, der „Exotik“ schreit. Dennoch begrüße ich ihre Ankunft: Sie zerlegt das Monster am Ende ordentlich, steht Bat- und Superman also in Kraft und Ausdauer in nichts nach und ist die einzige der drei Superheld*innen, die nicht auf der Nudelsuppe daher geschwommen ist, sondern schon seit mindestens den Weltkriegen aktiv die Erde bewohnt und beschützt, wie uns Archivmaterial zeigt.

Nebenher stellt Lois Lane eine inhaltliche Belastung für den Film dar. Sie macht nichts richtig, ist gefühlt alle fünf Minuten die Damsel in Distress und rettet nur einmal den Tag, in dem sie erwähnt, dass sowohl Bruce Waynes als auch Clark Kents Mutter Martha heißt.

Diese Szene ist so unverständlich geschrieben wie auch der Rest der Auseinandersetzung zwischen Superman und Batman (und eventuell diese Rezension). Dem Film gelingt jedoch durch seine verworrene Story und die unnachvollziehbaren Allianzen bzw. Rivalitäten eine moderne Metapher auf die Weltpolitik: staatliche Ohnmacht gegenüber einzelnen Terrorist*innen und großen Konzernen mit rücksichtslosen Manager*innen an der Spitze. Das ist die (unabsichtliche?) Stärke dieses Filmes.

Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Uni Wien.

Die Suffragetten im Kino

  • 10.03.2016, 18:18
Protest, Hungerstreik, Bomben. Die Aktionen der sogenannten „Suffragetten“ sind fast in Vergessenheit geraten. 100 Jahre später kommt der Kampf ums Wahlrecht und um die Gleichstellung von Mann und Frau ins Kino. Der Film „Suffragette – Taten statt Worte“ zeichnet die historischen Ereignisse nach.

Protest, Hungerstreik, Bomben. Die Aktionen der sogenannten „Suffragetten“ sind fast in Vergessenheit geraten. 100 Jahre später kommt der Kampf ums Wahlrecht und um die Gleichstellung von Mann und Frau ins Kino. Der Film „Suffragette – Taten statt Worte“ zeichnet die historischen Ereignisse nach.

Im Abspann wird es spannend. Es sind Zahlen und Länder, die vor Augen führen, wann das Frauenwahlrecht umgesetzt wurde: 1918 in Österreich, 1920 in den USA, 1944 in Frankreich, 1971 in der Schweiz und 1974 in Jordanien. In Saudi-Arabien haben Frauen seit 2015 das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen.

Keine Vielfalt. Es ist erstaunlich, dass es mehr als 100 Jahre gedauert hat, bis der Kampf der „Suffragetten“ (von englisch/französisch „suffrage“ – Wahlrecht) filmisch verarbeitet worden ist. Oder vielleicht auch nicht: Denn Frauen spielen in der Filmindustrie, sowohl auf der Leinwand wie auch hinter den Kulissen, eine Minderheitenrolle. Die Geschichte von Frauen wird selten erzählt – und wenn, dann als kitschige „Sissi“-Variante. Nur 17 Prozent der Mitglieder jener Jury, die Jahr für Jahr die Oscars vergibt, sind Frauen. Die tragenden Figuren in den 100 erfolgreichsten Hollywood-Produktionen sind der Studie „It’s a Man’s (Celluloid) World“ von Martha M. Lauzen zufolge vorwiegend männlich.

Kein Wunder also, dass sich bisher nur wenige Filme und Serien dem Thema gewidmet haben. 1964 singt Winifred Banks in Walt Disneys „Mary Poppins“ den Song „Sister Suffragette“ – eine frühe Hommage an die Frauenrechts- Bewegung und deren prominente Vorkämpferin, Emmeline Pankhurst (1858-1928). Die Erfolgs-Serie „Downton Abbey“ lässt in einer Episode Lady Sybil zur Suffragette werden. In der Serie „Upstairs, Downstairs“ wird Elizabeth während einer Demonstration verhaftet und gerät mit anderen Suffragetten sowie Serienfigur Rose in Gefangenschaft. Hinter Gittern wird Rose Zeugin von Zwangsernährung und Misshandlung. 2013 strahlte die BBC die Sitcom „Up the Women“ aus. Der Kampf um Frauenrechte wird darin geographisch von London nach Banbury verlagert. Margaret (gespielt von Jessica Hynes) versucht, ihre Handarbeitsgruppe in eine Suffragetten- Gruppe zu verwandeln, erhält jedoch Gegenwind von Gruppenmitglied Helen (Zitat: „Das aktuelle System funktioniert perfekt. Ich sage meinem Mann, was er wählen soll.“). In „Up the Women“ steht interessanterweise nicht der Kampf „Frauen gegen Männer“ im Vordergrund: Hier stehen sich Frauen gegenseitig im Weg. Nach zwei Staffeln mit neun Episoden lief die durch Ironie und Wortwitz glänzende Sitcom 2015 aus.

Zum ersten Mal aber steht mit bei „Suffragette – Taten statt Worte“ eine ganze Kinoproduktion – und nicht nur einzelne Episoden oder eine Fernsehserie – im Zeichen des Kampfs um das Wahlrecht für Frauen.

Eine von vielen. Die Entscheidung der Regisseurin einen einzelnen Menschen zu porträtieren – und nicht etwa die Galionsfigur der Suffragetten, Emmeline Pankhurst – erweist sich als richtig. Carey Mulligan brilliert in der Rolle der fiktiven Wäschereimitarbeiterin Maud Watts. Seit ihrer Kindheit schuftet sie in einer Wäscherei im Londoner East End, wird vom Fabrikanten missbraucht und ohne schulische Ausbildung zu einem tristen Dasein verurteilt. Machtlos, weil rechtelos – was ihr Kind, ihre Arbeit und die Politik betrifft. Zufällig, über ihre Kollegin Violet, gerät sie in Kontakt mit der Suffragetten-Bewegung und beschließt sich zu engagieren. Emmeline Pankhurst dagegen, die historisch bedeutsame Frauenrechtlerin, hat, gespielt von Meryl Streep, nur einen Fünf-Minuten-Auftritt. Ihre Rede an die Frauen geht nicht nur Maud Watts ins Ohr, sondern auch den ZuschauerInnen 2016 im Kinosaal.

Es geht dabei – und das ist ein wesentlicher Verdienst von Regisseurin Sarah Gavron – nicht nur um das Frauenwahlrecht. „Ein anderes Leben ist möglich“, lässt die Regisseurin Maud sagen, und drückt damit aus, worum es den Suffragetten auch ging: Den besseren Zugang zu Arbeit und Bildung.

„Deeds, not words“. Nach diesem Motto kämpften um die Jahrhundertwende tausende Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft in Großbritannien und den USA für ihre Rechte. Nachdem jahrzehntelang friedliche Mittel nicht zum Erfolg geführt hatten, änderten die Suffragetten gegen 1910 ihre Taktik. Sie setzten Landsitze in Brand, sprengten Briefkästen, warfen Steine in Schaufenster und wehrten sich mit Hungerstreiks gegen miserable Haftbedingungen. Die Behörden reagierten mit Zwangsernährung, Inhaftierung und Überwachung auf die militanten Aktionen.

Die spektakulären Aktionen der Suffragetten stellt die Regisseurin im Film nicht in Frage. Gewalt als radikales Mittel zum Zweck erscheint legitim. Eines war den Suffragetten durch ihre Aktionen jedenfalls sicher: die Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit. Am 4. Juni 1913 warf sich Emily Wilding Davison beim English Derby in Epsom vor ein königliches Pferd und verstarb einige Tage später. Ob Unfall, Leichtsinn oder Selbstmord – sicher war den Suffragetten das Licht der Wochenschau-Kameras beim Begräbnis von Davison, der zum gewaltigen Protestzug der wurde. Die Original-Wochenschauaufnahmen geben dem Film von Gavron Glaubwürdigkeit – und beeindrucken auch heute noch.

Susanne Weber hat Politikwissenschaft in Wien und Brüssel studiert und arbeitet als Pressereferentin.

Ein Schwarzer Stormtrooper

  • 05.12.2015, 12:11

Der neue Star Wars Film sorgt schon vor seinem Erscheinen für Furore. Eine Frau und ein Schwarzer Stormtrooper spielen zentrale Rollen.

Seit gut einem Jahr gibt es immer wieder Enthüllungen über den neuen Star-Wars-Film, der – wie seine Vorgänger – wieder Teil einer Trilogie werden soll. Vor dem Filmstart wusste man erstaunlich wenig über Storyline und Charaktere. Die ersten Informationsquellen waren die Trailer, die seit einem Jahr erscheinen. Die paar Minuten Material reichten jedoch völlig, um Fans in Rage zu versetzen und das allein aus einem Grund: Ein Stormtrooper ist Schwarz*!

Stormtrooper sind Klone von Jango Fett, der weiß war. Nun fragt mancher Fan: Wenn alle Stormtrooper identische Klone sind, wie kann dann bitte ein Schwarzer Schauspieler in der Stormtrooper- Uniform stecken? Abgesehen davon, dass er die Uniform auch einfach nur angezogen haben könnte, um sich zu verstecken, wie es Luke und Han in „A New Hope“ getan haben, zeigt die Entrüstung darüber, dass ein Stormtrooper Schwarz ist, den unverhohlenen Rassismus unter solchen Fans auf.

Auch wenn manche „Star-Wars“-Fans da anderer Meinung sind, ist Star Wars kein abgeschlossenes Universum mit festgeschriebener Geschichte. Es verändert sich mit jedem Film, mit jedem Comic, mit jedem neuen Buch. Es wächst, und wie jede andere trägt auch diese Welt Widersprüche in sich. Kein Widerspruch ist, dass ein Stormtrooper Schwarz ist: Im expanded universe (also den Büchern, Comics, Serien etc.) wird erklärt, dass Stormtrooper keine Klone mehr sind, sondern menschliche und nicht-menschliche Freiwillige. In „A New Hope“ sind die Stormtrooper alle unterschiedlich groß und haben verschiedene Stimmen. Den erzürnten Fans geht es also nicht um eine strikte Auslegung des „wahren Inhalts“ von „Star Wars“. Es geht nicht darum, dass ein Stormtrooper Schwarz ist, sondern darum, dass einer der Hauptdarsteller Schwarz ist.

ALS HOLLYWOOD NOCH IN ORDNUNG WAR. Während Frauen, Homosexuelle und die BürgerInnenrechtsbewegung schon in den 1960ern gegen die rassistische, sexistische und homophobe Wirklichkeit kämpften, trugen Regisseure wie George Lucas in den 1970er Jahren viel zur Restauration eines weißen und patriarchalen Hollywood-Mainstreamkinos bei. Die Helden waren wieder kernige weiße Typen, die Frauen hübsches Beiwerk und wenn es schwarze Figuren gab, waren sie Sidekicks. In der originalen „Star Wars“-Trilogie „A New Hope“, „The Empire Strikes Back“ und „Return of the Jedi“) gibt es genau sechs Schwarze Figuren – im ersten Teil kommt keine davon vor. Nur eine Schwarze Person – Lando Calrissian – hat einen Namen und tritt in mehr als einer Szene auf. Auch in der Prequel-Trilogie – „A Phantom Menace“, „Attack of the Clones“ und „Revenge of the Sith“ – gibt es keine Schwarzen HauptdarstellerInnen, wenn auch mehr Schwarze Nebendarsteller – etwa den Jedi Meister Mace Windu. Dafür führte George Lucas die rassistisch gezeichnete Figur Jar Jar Binks neu ein. Dessen Akzent erinnert nicht nur an einen jamaikanischen – er wird zudem als leichtgläubig und dumm dargestellt, macht alles kaputt und muss ständig von jemandem zurechtgewiesen oder gerettet werden. In vielerlei Hinsicht entspricht er dem Stereotyp des unschuldig-naiven Schwarzen Sklaven, wie es etwa in Filmen der 1930er Jahre häufig anzutreffen war. Neben der rassistischen Karikatur Jar Jar Binks gibt es auch die antisemitische: Der Schrotthändler Watto spricht mit jiddischem Akzent, hat eine riesige Hakennase, trägt einen breitkrempigen Hut, lügt und betrügt sich durchs Leben und Jedi Mind Tricks funktionieren bei ihm nicht. Er sagt tatsächlich: „Mind tricks don't work on me … only money.“ Der Grund dafür, dass so viele (männliche) weiße „Star Wars“-Fans angesichts eines Schwarzen Stormtroopers ausrasten, ist, dass „Star Wars“ viele Menschen an ihre Kindheit – den Zeitpunkt als sie zum ersten Mal mit dem Franchise in Berührung kamen – erinnert. Diese Kindheit imaginieren sie als eine bessere Welt, in der die Aufgaben klar verteilt waren. Die männliche Hauptfigur war gut und stark und der präpupertäre Zuschauer identifizierte sich mit ihr. Er wollte mit Han Solo durch die Galaxie fliegen und fand Prinzessin Leia in ihrem SklavInnenkostüm heiß. Und plötzlich gibt es diese neuen Filme, die so partout nicht mehr in die alte Vorstellung vieler Star-Wars-Fans passen wollen. Nicht nur ist ein Stormtrooper schwarz, noch dazu spielt eine Frau eine Hauptrolle und ist sogar auf den Filmpostern am größten abgebildet – mit Waffe! Das passt in die Verschwörungstheorie, dass Hollywood den sinistren Plan verfolge, uns mit in Action verpackter feministischer Propaganda zu infizieren, männliche Ikonen zu demontieren, zu verweiblichen oder gleich durch weibliche Schauspielerinnen zu ersetzen.

Das Genre Science Fiction/Action wird in dieser Logik als männlicher Bereich der Filmwelt gelesen. Weiße Männer würden diese Filme hauptsächlich konsumieren, also wäre es nur folgerichtig, dass alle zentralen Rollen mit weißen Männern besetzt werden, so wie es in der Original-Trilogy der Fall war. Eine der größten Maskulinistenseiten im englischsprachigen Raum, „Return of Kings“, fragt sich über die „Star Wars“-Filme: „Did The New Star Wars Casting Have A Racial Agenda?“ und kommt zu dem Schluss: „With easily 95% of the Star Wars fan base being white male, it’s hard to believe it was done to market to it’s core demographic.“ Weibliche und nicht-weiße Fans werden wie so oft unsichtbar gemacht. Dabei waren und sind die verschiedensten Menschen SciFi-Nerds. Aber Bewegungen wie GamerGate wollen dieses Feld als weiß und männlich markieren, was ihnen auch oft gelingt. Unsere Vorstellung eines typischen Nerds ist weiß und männlich, alles andere passt nicht ins Bild.

Dabei gab es schon seit den Anfängen von SciFi- Actionfilmen Heldinnen, die auch zu feministischen Ikonen wurden: Ellen Ripley tötete das Alien im Alleingang, wenige Jahre später war es Sarah Connor, die erst gegen und dann mit dem Terminator um das Schicksal der Menschheit kämpfte. „Star Wars“ hat sich hier allerdings nicht besonders hervorgetan. In der Original Trilogie schafft keiner der drei Filme den Bechdel Test – ein Indikator für die Präsenz und Wichtigkeit von Frauen in Filmen; dessen drei Regeln sind: 1. Es müssen mindestens zwei Frauen mit Namen im Film mitspielen, 2., sie müssen miteinander reden, und zwar 3. über etwas anderes als Männer. Außer Leia kommt keine Frau in mehr als einem Film vor und es gibt im ganzen Star-Wars-Universum außer ihr nur noch eine Frau mit Namen: Lukes Adoptivmutter Tante Beru. Leia ist tough und wartet nicht darauf, von Männern gerettet zu werden. Sie schießt, gibt dem Macho Han Solo Kontra und ist hart im Nehmen. Trotzdem musste sie im letzten Film im Sklavinnenkostüm der Traum aller männlichen SciFi-Nerds werden und schließlich doch in den Armen Han Solos landen.

DIE JÜDISCHE VERSCHWÖRUNG. Dass es im neuen Film mit Rey eine weibliche Hauptfigur gibt, dass sie zentral auf dem Filmposter ist, dass sie eine Waffe in der Hand hat und ebendort nicht komplett sexualisiert oder als hübsches Beiwerk dargestellt wird, war gepaart mit einer Schwarzen Hauptfigur für einige Fans Grund genug, von einem „weißen Genozid“ zu sprechen. Gemischt mit einer Prise Antisemitismus kamen dann solche Tweets zustande: „A friend in LA said #StarWarsVII is basically ‚Deray in Space‘. Jewish activist JJ Abrams is an anti-white nut. #BoycottStarWarsVII.“ Wer JJ Abrahms Werk kennt, weiß, dass Feminismus und Diversität nicht gerade zu seinen Hauptanliegen zählen. Die neuen „Star Trek“-Filme, bei denen er als Regisseur und Produzent fungierte, waren von Sexismus durchzogen und fallen in ihrer Regressivität noch hinter die Serie aus den 1960ern zurück. Insofern wäre auch von den neuen „Star Wars“-Filmen nicht allzu viel Progressives zu erwarten gewesen. Was sie jedoch zeigen ist, dass sich 2015 andere Gesellschaftsgruppen als weiße Männer langsam ihren Platz erkämpfen. Hollywood erkennt, dass Diversität ein nicht zu vernachlässigender Aspekt ist. Denn wer mehr KonsumentInnengruppen anspricht, ist tendenziell erfolgreicher an den Kinokassen.

DIE ANGST VOR DEM MACHTVERLUST. Es bleibt die Frage, warum es so einen starken Backlash gibt gegen Filme, die sich einfach nur um mehr Diversität bemühen. Die Filme sind nicht, wie von Maskulinisten behauptet, sonderlich feministisch oder wollen irgendeine heimliche Indoktrination vornehmen. Allein der Gedanke daran zeigt, wie absurd und zugleich verschwörungsideologisch derlei Statements sind. Das Gesagte passt in altbekannte Verschwörungstheorien, wonach Hollywood von Juden regiert werde, die den Weißen systematisch ihren angestammten Platz an der Sonne nehmen wollen, sie verweiblichen und Frauen zum Feminismus bekehren wollen, damit die heile weiße christliche Familie kaputtgeht. Die wahren Männer dürfen demnach nur mehr schwarze Männer sein. Rassismus, Sexismus und Antisemitismus vermischen sich zu einem Weltbild, in dem weiße heterosexuelle Männer und ihre Privilegien ständiger Bedrohung ausgesetzt sind. Dieser „Bedrohung“ zum Trotz ist auch die Mehrheit des aktuellen „Star Wars“-Casts weiß und/oder männlich.

* Bei „Schwarz“ und „weiß“ geht es nicht um Farbe, sondern die Begriffe verweisen auf rassistische Konstruktionen und rassifizierte Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Bezeichnet werden also keine „biologischen“ Eigenschaften, sondern gesellschaftliche Positionen.

Anne Marie Faisst ist Buchhändlerin und studiert nebenbei Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Mozart, Schnitzel, Haider

  • 11.05.2015, 08:00

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche.

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche. 

progress: Sie sind gebürtige Belgierin und kamen um 2000 nach Österreich. Zu diesem Zeitpunkt konnten Sie den Wahlerfolg der FPÖ unter Jörg Haider und die anschließende ÖVP-FPÖ-Koalition miterleben. Welchen Eindruck hatten Sie von Österreich?
Nathalie Borgers: Bevor ich nach Österreich gekommen war, hatte ich fünf Jahre in Amerika gelebt. Der Wechsel vom liberalen San Francisco zum konservativen Wien war für mich wie ein Schlag auf den Kopf. Ich habe mich damals erkundigt und erfahren, dass Österreich seine politische Vergangenheit nie aufgearbeitet hat. Und dann kommt so ein charismatischer Politiker wie Jörg Haider daher. Da hat man schon ein bisschen Angst.

Wie kommt es, dass einem verstorbenen Landeshauptmann eines kleinen Bundeslandes weit über die Landesgrenzen hinaus eine derartige Popularität zuteil wird?
Jörg Haider war seit der Mozartkugel die einzige Neuigkeit aus Österreich. Österreich ist ein Land, das sich über seine Vergangenheit verkauft. Und natürlich ist er wegen seiner unfassbaren Aussagen über das Dritte Reich international bekannt geworden.

13 Jahre nach Ihrem Österreichaufenthalt kehrten Sie zurück, um eine Doku aus einer Außenperspektive zu machen. Sie erwähnen, dass Sie Haider nie persönlich begegnen wollten. Warum?
Ein Porträt von Jörg Haider wäre schon im Jahr 2000 möglich gewesen, weil er gerade an die Macht gekommen war. Ich weiß nicht, ob ich mich damals wirklich distanzieren hätte können. Jörg Haider war eine energiegeladene, verführerische Persönlichkeit, der ich mich nicht annähern hätte wollen.

Mit wenigen Ausnahmen sind es vor allem Familienmitglieder, WegbegleiterInnen und VerehrerInnen, die im Film zu Wort kommen. War es schwer, auch kritische Stimmen zu finden?
Das war eine bewusste Entscheidung. Kritische Menschen, mit denen ich reden hätte können, hätte ich genug gefunden. Es gab aber natürlich auch Menschen, die das nicht wollten. Das waren aber keine KritikerInnen, sondern Opfer. Also Menschen, die von Jörg Haider in Zeitungen verleumdet worden waren und deren Ruf ruiniert wurde. Diese Menschen haben sich geweigert, mit mir zu sprechen. 

Jörg Haiders Eltern waren überzeugte Nazis – der Vater Mitglied in der NSDAP, die Mutter Führerin im Bund Deutscher Mädl. Welchen Einfluss hatte die Gesinnung seiner Eltern auf seine Persönlichkeit und seinen politischen Werdegang?
Seine Eltern fühlten sich nach dem Krieg ungerecht behandelt, weil sie das Entnazifizierungsprogramm durchmachen mussten. Und ich glaube, dass sie ihm dieses Gefühl von Ungerechtigkeit mitgegeben haben. Diesbezüglich hat er seine Eltern immer verteidigt und sich für die Bekämpfung der vermeintlichen Ungerechtigkeit eingesetzt.

Politisches erfährt man von den ProtagonistInnen wenig, Persönliches viel. Ich weiß jetzt, dass Haider seinen Apfelstrudel ohne Rosinen bevorzugte. Was konnten Sie über den Politiker Jörg Haider in Erfahrung bringen?
Sein Plan war: weniger Staat, mehr Platz für ihn selbst. Natürlich bräuchte der Staat dringend Reformen, aber Gewerkschaften und Kammern abzuschaffen, wie Haiders FPÖ das wollte, ist nicht der richtige Weg. Denn wer Stück für Stück den Staat abschaffen möchte, schafft auch die Demokratie ab. 

Ihre Recherchearbeit führte Sie auch in die Festzelte der Freiheitlichen. Auf einem Ulrichsberg-Treffen haben Sie sich ein wenig gefürchtet. Warum?
Ich habe sehr schnell bemerkt, dass auf solchen Treffen keine Menschen willkommen sind, die nicht dieselben Gedanken teilen. Das sind Menschen, die an etwas glauben, das ich für gefährlich halte. Dort herrschte eine feindliche Stimmung, die mich in Furcht versetzte.

Stefan Petzner nennen Sie den „Pressesprecher, der mit mir nicht spricht“. Aus welchen Gründen wollte er an einem Film über seinen selbst ernannten „Lebensmenschen“ nicht mitwirken?
Stefan Petzner ist nicht sehr medienscheu, darum war ich sehr überrascht, dass er mit mir nicht sprechen wollte. Ich glaube, er konnte mich und mein Filmprojekt einfach nicht richtig einordnen.

Sie haben auch das mittlerweile geschlossene Asylheim auf der Kärntner Saualm besucht – eine von jeglicher Infrastruktur abgeschottete „Sonderanstalt“ für AsylwerberInnen, die als „zu gefährlich für die Gesellschaft“ eingestuft wurden. Wie war es vor Ort?
Der Ort selbst ist wunderschön. Aber was nutzt einem eine schöne Landschaft, wenn man komplett abgekapselt ist? Die Hausbetreiberin hat mich durch das Heim geführt. Bei vielen ihrer Aussagen hatte ich Gänsehaut. Zum Beispiel meinte sie, dass man problematische Menschen entfernen müsse. Als Betreiberin dieses Hauses hat sie für die Unterbringung der AsylantInnen Geld bekommen und agierte möglichst kostensparend, indem sie nur verdorbenes Essen und kalte Duschen anbot.

In Ihrem Film haben Sie sich darauf konzentriert, das Leben von Jörg Haider nachzuzeichnen. Es heißt, zum Leben gehört auch immer der Tod. Die genauen Umstände seines Todes haben Sie aber nicht thematisiert. War das eine bewusste Entscheidung?
Wenn Sie mit dieser Frage auf die Verschwörungstheorien anspielen, muss ich sagen, dass das für mich nicht so interessant ist. Es betrifft nur einen kleinen Teil der Menschen, die wirklich an diese Verschwörungstheorien glauben. Ich glaube, er war einfach alkoholisiert und deswegen ist er mit seinem Auto ausgerutscht.

Am rechten Rand ausgerutscht, wie Sie in Ihrem Film kommentieren.
Genau.

Obwohl Jörg Haider das Bundesland Kärnten mit der Hypo Alpe Adria und den damit verbundenen Haftungen in zweistelliger Milliardenhöhe in den Ruin getrieben hat, wird er noch heute wie ein Heiliger verehrt. Der Unfallort in Lambichl ist Trauer- und Pilgerstätte.
Sehr vielen Menschen ist das alles einfach nicht bewusst. Die KärntnerInnen haben von ihm in einer Aktion einmal 100 Euro bekommen und nicht bemerkt, wie diese 100 Euro graduell wieder in Form von Steuern und Abgaben von ihrem Konto weggegangen sind. Sie müssten sich wirklich fragen, warum sie auf solche Sachen hereinfallen, aber das tun sie nicht.

Mit Jörg Haider stand Europa am Anfang eines Rechtspopulismus, der mittlerweile in vielen eu- ropäischen Ländern salonfähig geworden ist. Warum verfallen Menschen solchen PolitikerInnen?
Immer, wenn in der Gesellschaft große Unzufriedenheit mit dem aktuellen politischen System herrscht, kommt ein neuer Typ, der den Menschen erzählt, dass er alles retten wird. Und daran wollen die Menschen glauben. Ich denke, das ist ein sich wiederholender Zyklus.

Der Titel Ihres Filmes lautet „Fang den Haider“. Ist es Ihnen gelungen, Jörg Haider einzufangen?
Der Titel spielt darauf an, dass es gar nicht so einfach ist, ein Chamäleon wie Jörg Haider wirklich zu fangen. Ich denke, mir ist es gelungen, etwas vom System, aber nicht den Typ Jörg Haider einzufangen.

„Fang den Haider“
Regie: Nathalie Borgers
90 Minuten
ab 29. Mai im Kino

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz. 

 

Der Blockbuster mit Hulkbuster

  • 22.04.2015, 12:34

Rezension

Rezension

Age of Ultron beginnt ohne mit der Wimper zu zucken mit einer actiongeladenen Verfolgungs- und Kampfszene in einem schneebedeckten Wald. Eine Vorstellung brauchen die Superheld_innen nicht mehr, diente doch der komplette erste Teil der Reihe dazu, das Team um Captain America, Thor, Iron Man etc. zu formen. Nun stehen sie gemeinsam für die gute Sache ein und zertrümmern Köpfe. Wer eigentlich genau der aktuelle Feind ist: nicht so wichtig.

Viel wichtiger für die Story sind die Fragen, die die einzelnen Avengers selbst beschäftigten. Bei Hulk und Romanoff (Black Widow) ist es die Frage, ob sie eigentlich selbst Monster sind - sei es durch einen Verstrahlungsunfall oder durch eine jahrelange Ausbildung zur Killerin – und deswegen vor allem eins wollen: Monster jagen. Tony Stark quält die Frage, wie man die Erde zu einem sicheren Ort machen kann. Der verrückte Professor erschafft die künstliche Intelligenz Ultron, die von seiner Idee, die Welt zu retten, ganz verzaubert ist und beschließt, die Avengers zum Schutz der Menschheit zu zerstören. Aus kaputten Iron Man Suits bastelt sich Ultron einen Körper und ist nun die perfekte Mischung aus Terminator und HAL.

Mit der Figur von Loki kann Ultron nicht mithalten, jedoch kommen zwei weitere Charaktere sehr früh mit ins Spiel, die sich als potentiell größere Gefahr erweisen. Die Zwillinge Quicksilver und Scarlet Witch sind voller Rachegelüste an Tony Stark und Superkräfte („He’s fast, she’s weird.“). Ihre schlecht gespielten slawischen Dialekte nerven bei jedem Satz. Durch ihre visionenverursachenden Fähigkeiten knockt Scarlet Witch beinahe alle Avengers sofort aus. Da die beiden aber rasch zur guten Seite überlaufen, gibt es doch, abgesehen vom Dialekt, keine größeren Probleme.

Der Film hatte die große Aufgabe, im Schatten des ersten Teiles ein würdiges Sequel zu sein. Die Story wurde mit einem leichten Fokus auf Romanoff und Hawkeye geschrieben, da sie sonst kein eigenes Franchise haben. Das tut Age of Ultron sehr gut. Alle Fäden der verschiedenen vorhergehenden Filme und parallel laufenden Serien werden verwoben, ohne dass es angestrengt wirkt. Oder wie Ultron es sagt: „Ihr seid wie Marionetten, gefangen in Fäden, Ketten… die Zeit der Ketten ist vorbei.“

„Avengers: Age of Ultron“ 
Regie und Drehbuch: Joss Whedon
150 Minuten
ab 23. April im Kino

 

Katja Krüger ist Unternehmerin und studiert Gender Studies an der Universität Wien.

Uncut – ein Bruch mit dem Schweigen

  • 10.04.2015, 16:50

Am 20.03.2015 hatte Paul Poets neuester Film "My Talk with Florence" Premiere bei der Diagonale in Graz. Zu sehen ist ein zweistündiges, ungeschnittenes "Interview" mit Florence Bournier-Bauer, die von Misshandlungen in ihrer Jugend und ihrem Leben in Otto Mühls Kommune berichtet, wo auch ihre Kinder missbraucht wurden.

Am 20.03.2015 hatte Paul Poets neuester Film "My Talk with Florence" Premiere bei der Diagonale in Graz. Zu sehen ist ein zweistündiges, ungeschnittenes "Interview" mit Florence Bournier-Bauer, die von Misshandlungen in ihrer Jugend und ihrem Leben in Otto Mühls Kommune berichtet, wo auch ihre Kinder missbraucht wurden.

progress: Wie bist du zu der Idee gekommen, ein Gespräch über Missbrauch in einen Film zu verpacken?

Paul Poet: Der Film war als solcher nicht geplant. Er war im Rahmen des Theaterstücks „Satan Mozart Moratorium“, das ich 2008 fürs Donaufestival in Krems gemacht habe, entstanden. Im Vorfeld habe ich durch Zufall Florence kennengelernt. Sie hat 20 Jahre dafür gekämpft, dass ihre Geschichte gehört wird. Sie war maßgeblich mitverantwortlich, dass Otto Mühl wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Sie war 10 Jahre in der Kommune Friedrichshof und hat nachher versucht, ihre Geschichte an die Öffentlichkeit zu bringen. Es wollte ihr aber keiner zuhören.

Ich wollte im Theaterstück den latenten Missbrauch in der Gesellschaft als Karikatur aufarbeiten. Für die Geschichte von Florence hatten wir ein Talkshow-Setting, in dem ich selber so ein klassisches Jauch-Arschloch gespielt habe. Ich hatte damals den Film als Back-up für das Theaterstück gedreht. Wir hatten drei Aufführungen geplant, aber ich wusste nicht, ob Florence wirklich immer auftaucht und wollte zur Sicherheit etwas filmen, um es notfalls projizieren zu können. Das Stück mit ihr hat aber  großartig geklappt, sie war jedes Mal voll da, wollte gehört werden und hat immer etwas anderes erzählt. Da der Film selbst aber so gut geworden ist, bringe ich ihn nun doch extra raus, um ihrem Leben wirklich Gehör zu verschaffen.

Hast du im Zuge des Gesprächs Bedenken gehabt, dass es bei ihr zu einer Re-Traumatisierung kommen könnte?

Wir haben im Vorhinein viele Gespräche geführt. Ich bin kein professioneller Psychologe. Zu dem Zeitpunkt hatte ich selbst eine lange Therapie abgeschlossen, weil ich lange schwer depressiv war. Das rührte zum Teil auch aus einer eigenen Missbrauchsgeschichte in der Vergangenheit und insofern waren wir Leute, die sich auf Augenhöhe trafen. Eine Garantie gibt es in solchen Bereichen aber nie.

Aus dem Film geht klar hervor, dass es nicht das erste Gespräch ist, das wir führe. Es ist klar, dass wir uns abgesprochen haben, es ist klar, dass Florence sich selbst inszeniert, zum Beispiel mit der missbrauchten Kinderpuppe, die ich selber als Regisseur furchtbar gefunden habe. Mich interessiert aber der Mensch als ambivalentes Wesen, so wie es für mich als Linken nur die Herangehensweise geben kann, Menschen in ihrer Komplexität zu begreifen statt Propaganda zu zimmern. Florence bezeichnet sich auch selbst als Täterin. Nicht weil sie missbraucht hätte, sondern weil sie ihre Kinder im Stich gelassen und nicht geschützt hat.

Was hat Florence zum Film gesagt?

Sie hat den FIlm zuerst gehasst, dann wieder geliebt, dann wollte sie eine ganz reguläre, klassische Doku haben. Und dann fand sie es wieder ganz großartig, dass er so künstlerisch ist.

Erging es dem Publikum auch so?

Der Großteil ist im Saal sitzen geblieben, manche haben mokiert, dass der Film von der Umgangsweise her schon sehr hart sei, aber er vermeidet eben jede Form von  gegenwärtigem Dokukino, das ich so hasse: diese vorgekauten Messages, diese schwer manipulativen emotionalen Trigger.

Florence wollte über ihre Geschichte sprechen. Welche Aspekte standen für sie dabei im Vordergrund?

Es ist natürlich schon ein egoistischer Aspekt für sie, das aufzuarbeiten, aber natürlich will sie Opfer inspirieren, darüber zu sprechen. Ich bin ja selber nicht primär, aber sekundär betroffen von Missbrauch. Als Kind musste ich mitansehen, wie ein guter Freund von mir vergewaltigt wurde. Ich weiß daher sehr gut, wie viel Verletzung die Schweigespirale auslöst. Es ging mir darum, mit dem Film genau diese zu brechen, um Leute zu inspirieren, nichts hinzunehmen.

Hast du Befürchtungen, dass Florence dich bittet, den Film zurückzuziehen?

Ich weiß nicht, wie groß es wird, es ist ein kleines Arthouse-Ding. Er wird vielleicht als Film ein langes Leben haben, der international auch gut präsent ist, aber er wird kein Blockbuster (lacht), das ist abzusehen. Und so haben Florence und ich einfach eine Abmachung, dass alle Einnahmen 50/50 zwischen uns geteilt werden, weil ich den Film nicht alleine als mein eigenes künstlerisches Produkt sehe, sondern sehr wohl als ihr Leben. Florence hat nur eine kleine Witwenpension, also hoffe ich, dass sie zumindest ein bisschen was reinkriegt, damit ihr Leben gesichert ist.

“My Talk with Florence”
Regie: Paul Poet
129 Minuten
ab Oktober 2015 im Kino

 

Gabriel Binder studiert Geschichte an der Universität Wien.

Auszeit von der Außenwelt

  • 20.03.2015, 18:20

In seinem Dokumentarfilm „Wie die anderen“ gibt Constantin Wulff Einblick in das Innenleben einer psychiatrischen Abteilung und das Seelenleben von jungen Menschen. Schauplatz: Tullner Landesklinikum. Abteilung: Kinder- und Jugendpsychiatrie.

In seinem Dokumentarfilm „Wie die anderen“ gibt Constantin Wulff Einblick in das Innenleben einer psychiatrischen Abteilung und das Seelenleben von jungen Menschen. Schauplatz: Tullner Landesklinikum. Abteilung: Kinder- und Jugendpsychiatrie. 

„Ich heiße Leonie. Alle fragen, warum ich so seltsam bin. Keiner weiß eine vernünftige Erklärung. Dabei wäre ich gerne genauso wie die anderen.“ Junge PatientInnen mit unterschiedlichen Hintergründen, Krisensituationen und Schicksalen eint ein Wunsch: Sie wären gerne wie die anderen. „Die anderen“, das sind Gleichaltrige und FreundInnen in einer Welt, die sich außerhalb der Abteilung für Kinder und Jugendpsychiatrie des Landesklinikums Tulln weiterdreht. Leonie erzählt das im Rahmen einer Therapiesitzung, die sich nicht als solche inszeniert. Liegt die Diagnose einmal vor, wird schnell klar: Ein Patentrezept zur Behandlung gibt es nicht. Durch spielerische Gesprächssituationen, geschickte Kreativitätstechniken und musikalische Klangexperimente will das ärztliche Personal mehr über das Seelenleben junger PatientInnen in Erfahrung bringen. Diese sind von problematischen Vorgeschichten und traumatischen Erlebnissen gezeichnet. Angstzustände, Bulimie, Medikamentensucht, Schizophrenie und Suizidgedanken begleiten ihren Alltag.

PERSONALMANGEL ALS HERAUSFORDERUNG. Das ärztliche Personal selbst findet sich oft an den persönlichen Grenzen. Im Fokus steht ein Arbeitsalltag zwischen hingebungsvoller Aufopferung und zeitlichem Druck, der von ÄrztInnenmangel geprägt ist. „Es ist nicht mehr fünf vor, sondern zehn nach Zwölf“, ist das Resümee einer arbeitsinternen Besprechung, in die das Publikum als stille BeobachterIn mitgenommen wird. Neben mangelnden Ressourcen und bürokratischen Hürden werden auch dienstliche Grenzen debattiert. Etwa, wie es gelingen kann, bei Verdacht auf (sexuellen) Missbrauch einzuschreiten. Oft sind dem ärztlichen Personal nämlich beim Bemerken von Verletzungen bei ihren PatientInnen die Hände gebunden. Eine problematische Schlüsselszene, deren Ergebnis letztendlich über die Zukunft von jungen Menschen entscheiden kann.

INNENANSICHT MIT AUSSENBLICK. „Wie die anderen“ spielt sich ausschließlich im Inneren des Tullner Landesklinikums ab – ohne dabei den Blick nach Außen zu verlieren. Die taktisch kluge Kameraführung macht es möglich, Blicke und Gesten in den Fokus zu rücken und Worte überflüssig zu machen. Beispielsweise wenn es darum geht, die Freude von PatientInnen über einen Fortschritt oder den Frust des ärztlichen Personals über Handlungsunfähigkeit einzufangen. Der Film führt das Publikum gänzlich ohne Kommentar, Musik und Wertungen durch die kühlen Gänge und Zimmer der Klinik. Das Tabuthema „Psychiatrie“ löst sich in zwischenmenschlichen Dialogen auf, die von sozialer Wärme und einem einfühlsamen Miteinander geprägt sind. Die letzten Szenen werfen nochmals besorgniserregende Fragen auf, deren Beantwortung dem Publikum überlassen wird.

„Wie die anderen“ 
Regie: Constantin Wulff
95 Minuten
ab 11. September 2015

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.

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