Internetphänomen

Katzen, Weltraum, Kommunismus

  • 22.06.2017, 16:50
Das Internet ist nicht nur eine Fundgrube für Schminktutorials und Pornos, sondern auch für Memes. Im Jahr 2017 ist Kommunismus ein immer beliebter werdendes Thema.

Das Internet ist nicht nur eine Fundgrube für Schminktutorials und Pornos, sondern auch für Memes. Im Jahr 2017 ist Kommunismus ein immer beliebter werdendes Thema.
Angefangen bei Nyan Cat über Doge, „Charlie bit my finger“ oder Gangnam Style, das schwarzblaue oder goldweiße Kleid bis hin zum US-Neonazi Richard Spencer, der eins auf die Fresse kriegt, untermalt von „Wrecking Ball“-Memes. Sie sind allen bekannt, die das Internet für mehr als E-Mails nutzen. Spätestens wenn man zum ersten Mal „gerickrollt“ wurde, versteht man die Faszination und Anziehungskraft solcher Videos oder Bilder – es sind elaborierte Insidergags des kollektiven Internetgedächtnisses. Mal mehr oder weniger tagespolitisch, mit mehr oder weniger Gespür für Humor, nach den ersten fünf Minuten meistens extrem nervig, aber immer präsent: Das sind Memes und sie werden nicht verschwinden.

LENIN CAT. Nicht immer ist nachvollziehbar, woher ein Meme kommt und wohin es geht, wer es gemacht hat oder was das überhaupt soll. Es wird so oft wiederholt, angepasst, geremixt und aus dem Kontext gerissen, dass die Spezialist*innen von „Know Your Meme“ – eine Seite, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Memes zu katalogisieren, zu erklären und zu sammeln – es auch nicht immer schaffen, den Hintergrund oder die Urheber*innen ausfindig zu machen. Wenn man auf besagter Website nach „communism“ sucht, bekommt man nicht nur ein Ergebnis, sondern: Lenin Cat, Faux Cyrillic, Fully Automated Luxury Gay Space Communism und viele hunderte Subkategorien mehr.

Die Legende besagt, dass Kommunismusmemes durch die Präsidentschaftskandidatur von Bernie Sanders 2015 eine breite Öffentlichkeit bekommen haben und seitdem nicht mehr aufzuhalten sind. Dass es davor schon etliche marx- und leninthematische Memes gab, ist klar. Wie das bei Memes aber nun einmal ist, hat sich 2017 durch die General Election in Großbritannien der Name und das Gesicht von Jeremy Corbyn gegenüber den Klassikern des Kommunismus (und Bernie Sanders) durchgesetzt und war somit überall präsent. Eines seiner Highlights ist der YouTube-Hit „Join Labour“, das Bild und Ton von „Join the Navy“ hernimmt, in dem aber auf die Köpfe der Village People neben Corbyn und den oben genannten Marx und Lenin auch Stalin und Mao gephotoshoppt wurden.

ŽIŽEK UND FRUCHTSAFT. Der YouTube-Kanal, auf dem dieses Video geteilt wird, heißt /leftypol/, was für Kenner*innen unschwer in der 4chan- Ecke des Internets verortet werden kann. Über 4chan sollen hier nicht viele Worte fallen, nur so viel: Richard Spencer mag 4chan. Umso irritierender, dass /leftypol/ – steht für leftist politically incorrect – dort operiert und guten Content produziert. Eine Sache muss man sich bewusst machen: Die Memes werden von Linken und Rechten gleichermaßen erstellt, doch man erkennt den Unterschied nur schwer, meist überhaupt nicht. Bei einer kleinen Umfrage unter Freund*innen fanden alle das Labourvideo lustig und niemand hätte vermutet, dass dahinter die Alt-Right steht. Das beweist hauptsächlich eines: Linke haben eben Humor.

Linke und Rechte machen sich über den marxistischen Philosophen Slavoj Žižek lustig, und obwohl die Gründe unterschiedlich sein mögen, sitzen beide Seiten vor dem Bildschirm und lachen über Interviewschnipsel, in denen er zusammenhanglos und mit vielen Schimpfworten über Pornographie oder Fruchtsaft redet – oder wie er aus einem Gartenschlauch trinkt. Der Kern aller Gags bei den Kommunismusmemes ist aber deutlich politischer. Es geht um die großen Probleme der Welt, Kapitalismus, Armut, working poor und Klimawandel. Und die Lösung all dieser Probleme ist extrem einfach und naheliegend, nur niemand will es wahrhaben: KOMMUNISMUS! Rechte können darüber lachen, weil sie es absurd falsch finden. Linke lachen darüber, weil sie es für absurd richtig halten.

WELTRAUMKOMMUNISMUS. Am deutlichsten wird dieser verworrene Konnex zwischen politischem Interesse, Humor und Absurdität bei der Phrase „Fully Automated Luxury Gay Space Communism“. Nicht nur wollen wir™ nicht mehr arbeiten müssen (= fully automated) im gemeinschaftlichen Wohlstand (= luxury), sondern soll das Ganze auch mit Auflösung der Geschlechter (= gay) im Weltraum (= space) passieren. Dies ist eine schöne Weiterentwicklung des Antifaspruchs „Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei!“. Denn wenn wir ehrlich sind, ist die Forderung nach Kommunismus schon schwer genug zu erfüllen, ohne ihn gleich in den Weltraum zu verlagern.

Wahrscheinlich ist das der Grund für das Erstellen dieser Memes. Die politische Lage sieht für Kommunist*innen nicht rosig aus. Das Internet begleitet uns durch den (Arbeits)Tag und wenn man schon am PC hocken muss und lohnarbeitet, kann ein Bild mit einem süßen Hund, der auf seinem Halstuch Hammer und Sichel trägt, den Tag schöner machen. Ob Hundebilder dabei helfen werden, den Kommunismus herbeizubeschwören? Wohl kaum. Ist das Ganze nur ein Abwehrmechanismus der Psyche, um darüber hinwegzukommen, dass wir™ alle wohl nie in den Genuss kommen werden, im Kommunismus leben zu dürfen? Vielleicht.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien.

Die Serie zum Pferdestehlen

  • 02.09.2016, 19:17
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

[Dieser Text enthält im dritten Absatz unzählige Spoiler]
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

Ihr Held ist ein Pferd, BoJack Horseman, der in den 90ern eine erfolgreiche Sitcom hatte und nun, 20 Jahre später, immer noch verklärt nostalgisch auf diese Zeit zurückblickt. So begann BoJack Horseman 2014 –seit Ende Juni gibt es die mittlerweile dritte Staffel auf Netflix zu sehen und auch wenn es unwahrscheinlich klingt: Es ist die beste Serie der Welt.

Schon lange zeichnet sich ein Comeback der Zeichentrickserien für Erwachsene ab. Lange gab es nur die Simpsons, aber mit South Park, Bob’s Burgers und Family Guy wurden die Möglichkeiten dieses Unterhaltungssektors nach und nach ausgeforscht. Der Humor dieser Serien wurde im Laufe der Zeit aber bald platt und teilweise sogar ärgerlich, als hätten die Macher*innen versucht, so politically incorrect wie möglich zu sein. Auch BoJack Horseman enthält am Anfang nur wenig jugendfreie Szenen, denn BoJacks Leben in Hollywoo (so heißt Hollywood in der Serie) dreht sich vor allem ’Drogen, Alkohol und Sex. Er möchte seine Karriere wieder in Schwung bringen, scheitert aber regelmäßig daran, für sein eigenes Frühstück verantwortlich zu sein. Durch seine Biografie, geschrieben von Ghostwriterin Diane Nguyen, ist sein Name in Staffel 1 wieder etwas wert. Durch eine ernste Rolle in einem ernsten Film wird in Staffel 2 auch sein Gesicht wieder in die kollektive Erinnerung Hollywoos gerufen. Nun geht es in der dritten Staffel vorrangig um einen möglichen Oscar für ihn.

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Nebenbei passieren die wirklich wichtigen, tagesaktuellen, schmerzhaft ehrlichen und herzzerfetzenden Stories. BoJacks Mitbewohner Todd muss sich gegenüber seinem Highschool Crush Emily als asexuell outen, seine Agentin Princess Carolyn scheint endlich emotional in einer Beziehung angekommen zu sein, bevor sie erkennt, dass sie sich doch wieder in die Arbeit stürzen sollte und eine Karriere als Managerin angeht. Besagte Ghostwriterin Diane und ihr Mann Mister Peanutbutter (ein sehr friedfertiger und lebensfroher Labrador) begegnen in ihrer Ehe immer neuen Problemen und entscheiden sich mitten in der Staffel sogar für eine Abtreibung. Alle Nebencharaktere durchleben ihre kleinen und großen Krisen in einer enormen Geschwindigkeit, denn jede Episode dauert weniger als eine halbe Stunde. Jede Szene ist gespickt mit Hintergrund- und Vordergrundwitz, intertextuellen Zitaten, bildlichen und metaphorischen Vorahnungen oder Rückblenden. Die Serie ist eine einzige vielschichtige Medienkritik, die dennoch an Humor und Emotionen absolut nichts vermissen lässt.

Kritiker*innen bemerken immer wieder, dass BoJack Horseman als Serie und Charakter eine sehr akkurate Darstellung von Depression auszeichnet. Direkt thematisiert wird dies aber nie. BoJack trinkt sehr viel und ist oft erzürnt über alles Mögliche, aber am ehesten ist er doch antriebslos, unmotiviert und desillusioniert. Warum man sich so sehr mit einem Pferd verbunden fühlt, das in den 90ern eine erfolgreiche Fernsehserie hatte und bis heute davon zehren könnte, aber von Grund auf unzufrieden mit sich ist? Vielleicht weil wir alle manchmal denken, dass der Höhepunkt unseres Lebens und Schaffens schon hinter uns liegt und wir deswegen ein bisschen sauer sind? Weil man beim Anschauen der Nachrichten eigentlich merkt, wie unwichtig das eigene Leben ist und dass sich alles im Kreis dreht?

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BoJack muss am Ende einsehen, dass ein potentieller Oscar ihn auch nicht glücklich machen würde. Er hangelt sich von Strohhalm zu Strohhalm und wird immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Seine Suche nach einer einfachen Lösung für einfach Alles verpufft durch ein simples „Then what?“ – er weiß es nicht. Man weiß beim Zusehen auch nicht, ob man Bojack lieber umarmen oder ohrfeigen möchte. Aber das weiß man bei sich selbst ja meistens auch nicht.

Die dritte Staffel streamt seit 22. Juli 2016 auf Netflix. Die erste und zweite Staffel ebenso.

 

Katja Krüger-Schöller reitet gern und studiert Gender Studies.