Die Serie zum Pferdestehlen

  • 02.09.2016, 19:17
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

[Dieser Text enthält im dritten Absatz unzählige Spoiler]
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

Ihr Held ist ein Pferd, BoJack Horseman, der in den 90ern eine erfolgreiche Sitcom hatte und nun, 20 Jahre später, immer noch verklärt nostalgisch auf diese Zeit zurückblickt. So begann BoJack Horseman 2014 –seit Ende Juni gibt es die mittlerweile dritte Staffel auf Netflix zu sehen und auch wenn es unwahrscheinlich klingt: Es ist die beste Serie der Welt.

Schon lange zeichnet sich ein Comeback der Zeichentrickserien für Erwachsene ab. Lange gab es nur die Simpsons, aber mit South Park, Bob’s Burgers und Family Guy wurden die Möglichkeiten dieses Unterhaltungssektors nach und nach ausgeforscht. Der Humor dieser Serien wurde im Laufe der Zeit aber bald platt und teilweise sogar ärgerlich, als hätten die Macher*innen versucht, so politically incorrect wie möglich zu sein. Auch BoJack Horseman enthält am Anfang nur wenig jugendfreie Szenen, denn BoJacks Leben in Hollywoo (so heißt Hollywood in der Serie) dreht sich vor allem ’Drogen, Alkohol und Sex. Er möchte seine Karriere wieder in Schwung bringen, scheitert aber regelmäßig daran, für sein eigenes Frühstück verantwortlich zu sein. Durch seine Biografie, geschrieben von Ghostwriterin Diane Nguyen, ist sein Name in Staffel 1 wieder etwas wert. Durch eine ernste Rolle in einem ernsten Film wird in Staffel 2 auch sein Gesicht wieder in die kollektive Erinnerung Hollywoos gerufen. Nun geht es in der dritten Staffel vorrangig um einen möglichen Oscar für ihn.

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Nebenbei passieren die wirklich wichtigen, tagesaktuellen, schmerzhaft ehrlichen und herzzerfetzenden Stories. BoJacks Mitbewohner Todd muss sich gegenüber seinem Highschool Crush Emily als asexuell outen, seine Agentin Princess Carolyn scheint endlich emotional in einer Beziehung angekommen zu sein, bevor sie erkennt, dass sie sich doch wieder in die Arbeit stürzen sollte und eine Karriere als Managerin angeht. Besagte Ghostwriterin Diane und ihr Mann Mister Peanutbutter (ein sehr friedfertiger und lebensfroher Labrador) begegnen in ihrer Ehe immer neuen Problemen und entscheiden sich mitten in der Staffel sogar für eine Abtreibung. Alle Nebencharaktere durchleben ihre kleinen und großen Krisen in einer enormen Geschwindigkeit, denn jede Episode dauert weniger als eine halbe Stunde. Jede Szene ist gespickt mit Hintergrund- und Vordergrundwitz, intertextuellen Zitaten, bildlichen und metaphorischen Vorahnungen oder Rückblenden. Die Serie ist eine einzige vielschichtige Medienkritik, die dennoch an Humor und Emotionen absolut nichts vermissen lässt.

Kritiker*innen bemerken immer wieder, dass BoJack Horseman als Serie und Charakter eine sehr akkurate Darstellung von Depression auszeichnet. Direkt thematisiert wird dies aber nie. BoJack trinkt sehr viel und ist oft erzürnt über alles Mögliche, aber am ehesten ist er doch antriebslos, unmotiviert und desillusioniert. Warum man sich so sehr mit einem Pferd verbunden fühlt, das in den 90ern eine erfolgreiche Fernsehserie hatte und bis heute davon zehren könnte, aber von Grund auf unzufrieden mit sich ist? Vielleicht weil wir alle manchmal denken, dass der Höhepunkt unseres Lebens und Schaffens schon hinter uns liegt und wir deswegen ein bisschen sauer sind? Weil man beim Anschauen der Nachrichten eigentlich merkt, wie unwichtig das eigene Leben ist und dass sich alles im Kreis dreht?

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BoJack muss am Ende einsehen, dass ein potentieller Oscar ihn auch nicht glücklich machen würde. Er hangelt sich von Strohhalm zu Strohhalm und wird immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Seine Suche nach einer einfachen Lösung für einfach Alles verpufft durch ein simples „Then what?“ – er weiß es nicht. Man weiß beim Zusehen auch nicht, ob man Bojack lieber umarmen oder ohrfeigen möchte. Aber das weiß man bei sich selbst ja meistens auch nicht.

Die dritte Staffel streamt seit 22. Juli 2016 auf Netflix. Die erste und zweite Staffel ebenso.

 

Katja Krüger-Schöller reitet gern und studiert Gender Studies.

AutorInnen: Katja Krüger