Frauenrechte

„Vögeln musst du, aber Geld hast du keines“

  • 30.04.2014, 14:10

Ein Interview mit Brigitte Hornyik, Verfassungsrechtlerin, Vorstandsmitglied im Österreichischen Frauenring und Mitbegründerin der Facebook-Gruppe Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafrecht, über den Schwangerschaftsabbruch und die immer noch vorhandenen Hürden.

Ein Interview mit Brigitte Hornyik, Verfassungsrechtlerin, Vorstandsmitglied im Österreichischen Frauenring und Mitbegründerin der Facebook-Gruppe Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafrecht, über den Schwangerschaftsabbruch und die immer noch vorhandenen Hürden.

Über vierzig Jahre ist es nun her, dass Frauengruppen mit Slogans wie „Mein Bauch gehört mir“ das Recht auf Schwangerschaftsabbruch verstärkt zum Thema gemacht haben und gegen Abtreibungsverbote auf die Straße gegangen sind. Damals waren Abtreibungen gemäß Paragraph 144 des Strafgesetzbuchs mit schwerem Kerker zu bestrafen (übrigens ein Relikt aus der Zeit Maria Theresias). Erst 1974 hat sich die Fristenlösung trotz heftigen Widerstands der ÖVP, der FPÖ, der Katholischen Kirche sowie der „Aktion Leben“, durchgesetzt. Die „Aktion Leben“ initiierte mit Unterstützung konservativer und katholischer Kreise sogar ein Volksbegehren zum „Schutz des menschlichen Lebens“, welches mit fast 900.000 Stimmen das vierterfolgreichste Volksbegehren der Republik Österreich war.

Seit dem 1. Jänner 1975 ist eine Abtreibung innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate straffrei, sofern diese von einem Arzt bzw. einer Ärztin durchgeführt wird und vorher eine ärztliche Beratung stattgefunden hat. Ab dem vierten Monat ist ein Schwangerschaftsabbruch nur bei medizinischer Indikation erlaubt. Diese Kompromissregelung aus den 1970er Jahren besteht auch heute unverändert weiter. Der Schwangerschaftsabbruch ist also nach wie vor strafgesetzlich verboten, unter bestimmten Bedingungen wird jedoch von einer Strafe abgesehen.

progress online: Seit 100 Jahren ist der Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bereits Teil der Frauenbewegungen. Wofür müssen wir heute noch kämpfen? Welche Forderungen müssen an die Politik gestellt werden?

Ich finde es problematisch, dass der Abbruch an sich verboten ist, aber der Vater Staat gnädig ein Äuglein zudrückt, wenn die Frau sich vorher beraten lässt und ihn  innerhalb der ersten drei Monate von einem Arzt vornehmen lässt. Eine ungewollte Schwangerschaft ist nicht lustig, da ist frau bereits in einer Konfliktsituation und muss sich dann auch noch sagen lassen: „Das ist eigentlich verboten und rechtswidrig und du wirst nur gnadenhalber nicht eingesperrt, wenn du dich für einen Abbruch entscheidest“. Was uns auch noch wichtig ist: Man könnte es den Frauen ganz pragmatisch leichter machen, man könnte Schwangerschaftsabbrüche vermehrt in öffentlichen Spitälern durchführen, man könnte Preisregelungen einführen, man könnte das entweder über die Krankenkasse finanzieren oder einen Fonds einrichten. Auch Empfängnisverhütungsmittel sind teuer, auch das gehört finanziell unterstützt. Wenn wir alle diese pragmatischen Forderungen stellen, dann kommt die Gegenseite mit dem Argument: „Der Staat kann nicht etwas finanzieren oder unterstützen, das doch eigentlich strafrechtlich verboten ist“. Da beißt sich die Katze leider wieder in den Schwanz. Auch deshalb gibt es unsere Forderung „Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafrecht!“.

Wir wollen die Verankerung eines Selbstbestimmungsrechts der Frauen in der Verfassung und wir wollen auch einen Satz drinnen haben, dass Familienplanung bzw. Empfängnisverhütung, aber auch andere Maßnahmen, nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Frauen staatlich unterstützt werden sollten.

Brigitte Hornyik Foto: Dieter Diskovic

Welchen Stellenwert hat dieses Thema für die Politik?

Wir hatten von der Plattform 20000 Frauen aus im vergangenen Frühling einen Termin beim Gesundheitsminister Stöger und haben mit ihm über das Thema Schwangerschaftsabbruch geredet. Es war ein sehr freundliches Gespräch in sehr angenehmer Atmosphäre und der Herr Minister hat uns in allem Recht gegeben. Aber im Endeffekt hat er uns nur erklärt, warum das alles nicht geht: „Mit dem Koalitionspartner…“ und „Österreich ist ein katholisches Land“ und „Das geht einfach nicht“. Da denke ich mir: Wir haben seit vierzig Jahren die Fristenlösung, vor vierzig Jahren war es der einzig mögliche politische Kompromiss, aber vielleicht könnte man im Jahr 2014 auch politisch darüber hinaus denken.

Man könnte um einiges mutiger sein und ehrlich gesagt finde ich die Haltung der SPÖ sehr enttäuschend. Wien ist Jahrzehnte lang von der SPÖ allein regiert worden. Da wäre eine Wiener Lösung möglich gewesen, den Abbruch entweder ganz billig anzubieten oder über einen Fonds Zuschüsse zu zahlen. Vielleicht wäre das ein bisschen eine Vorreiterrolle für andere Bundesländer gewesen.

Aber das ist ein politisches Spiel. Die einen preschen vor, wie kürzlich wieder Ewald Stadler und Rudolf Gehring, und sagen „Die Fristenlösung gehört rückgängig gemacht und verboten“. Wir wollen nicht mit dem Herrn Stadler diskutieren, aber wir gehen mit unseren eigenen Forderungen hinaus. Wir fordern „Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafrecht!“ nicht unmittelbar deswegen, weil wir glauben, dass es nächstes Monat oder im nächsten Jahr tatsächlich beschlossen werden wird, aber wir wollen das Thema wieder in die öffentliche Diskussion einbringen, wir wollen thematisieren, dass Frauen im Grunde nach wie vor kriminalisiert werden.

Warum eigentlich muss dieser Schwangerschaftsabbruch, der so eine intime Entscheidung von Menschen ist, überhaupt rechtlich geregelt und gar mit Strafe bedroht werden? Vertrauen wir doch den Frauen, vertrauen wir der Gewissensentscheidung der Frauen, denn keine Frau geht leichtfertig abtreiben. Ich halte Frauen für verantwortungsbewusste Menschen, die in der Lage sind, ihre eigenen Gewissensentscheidungen zu treffen.

Wie ist der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Österreich?
Das ist in Österreich leider bundesländerweit ziemlich verschieden. In Wien ist für Frauen tatsächlich ein relativ guter Zugang zum Schwangerschaftsabbruch gewährleistet. Es gibt in Wien einige Ambulatorien, die Abbrüche durchführen, das bekannteste und älteste ist der Fleischmarkt. Außerdem gibt es die Möglichkeit, einen Abbruch auch in einem öffentlichen Spital vornehmen zu lassen, das ist für die Frauen vielleicht vom Zugang her angenehmer, weil leider vor den bekannteren Ambulatorien wie Gynmed oder Fleischmarkt die selbsternannten „Lebensschützer“ stehen. Das kann manchmal ein Spießrutenlauf sein, zwischen den Rosenkranzmurmelnden oder denen, die grausliche gefakte Bilder verteilen, von zerstückelten Babyleichen, die sie irgendwo in einem Kriegsgebiet aufgenommen haben und die mit dem in der elften, zwölften Woche durchgeführten Schwangerschaftsabbruch absolut gar nichts zu tun haben. Das ist in den großen Wiener Spitälern natürlich nicht der Fall, dort stehen sie nicht.

Aber im Großen und Ganzen kann man sagen, dass es uns in Wien noch relativ gut geht. Was schon da ist, ist die finanzielle Hürde, in den Ambulatorien zahlt man jetzt schon fast 500 Euro. Eine Abtreibung ist nicht billig und finanzielle Unterstützung gibt es nicht. Für die künstliche Befruchtung gibt es eine finanzielle Unterstützung, da gibt es diesen In-Vitro-Fertilisations-Fonds. Für den Schwangerschaftsabbruch gibt es das nicht. Allenfalls über das Sozialamt. Aber da musst du nachweisen, dass du wirklich nichts hast. Und wenn du Pech hast, hast du irgendeine nette Beamtin oder einen netten Beamten, der dich von oben herab behandelt und dir das Gefühl gibt: „Vögeln musst du, aber Geld hast du keines“. Das ist keine angenehme Erfahrung.

Im Westen Österreichs ist die Situation eher dramatisch, in Tirol oder Vorarlberg gibt es weder ein Ambulatorium noch ein öffentliches Spital, das bereit ist, Abbrüche durchzuführen. Da bist du auf die Privatordinationen und die dementsprechende Preisgestaltung angewiesen. Im Süden von Österreich schaut es auch nicht wahnsinnig gut aus. Dieses Schlagwort, das mir eigentlich nicht so wahnsinnig gut gefällt, aber von dem alle wissen, was man darunter zu verstehen hat, also dieser „Abtreibungstourismus“ ist nach wie vor aufrecht. Aus den westlichen Bundesländern eher in die Schweiz und aus den übrigen Bundesländern herrscht ein gewisser Zug nach Wien. 

Glauben Sie, dass die österreichische Bevölkerung eine Krankenkassenfinanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen befürworten würde?

In der Schweiz ist über die Frage der Krankenkassenfinanzierung kürzlich abgestimmt worden und es haben fast 70% zugestimmt, dass die Krankenkassenfinanzierung von Abbrüchen beibehalten wird. Ich glaube, für die österreichische Bevölkerung wäre das kein großes Problem, aber die Sozialversicherungsträger, die Krankenkassen, die schreien angeblich furchtbar, wenn man mit diesen Ideen kommt, Verhütungsmittel auf Krankenschein oder Abtreibung auf Krankenschein. Das hat uns auch Alois Stöger gesagt: „Nein, das können wir uns nicht leisten, wir wollen keine zusätzlichen Kosten übernehmen“. Wie gesagt, in der Bevölkerung wären die Widerstände wahrscheinlich nicht besonders groß.

Die Fristenlösung als solche ist in Österreich breitest akzeptiert. Es werden immer wieder Umfragen gemacht: sowohl in der Bevölkerung als auch unter Politikerinnen und Politikern ist die Fristenlösung unumstritten. Für mich stellt sich dann eher die Frage: Nehme ich das so hin? Lassen wir die Dinge wie sie sind oder gehen wir vielleicht einmal einen Schritt weiter?

Wie sieht es in Österreich mit Schutzzonen aus?

Die Schutzzonen, so wie wir uns das gedacht hätten, nämlich dass man einen bestimmten Bereich im Umkreis des Ambulatoriums schützt, sind nicht umgesetzt worden. Im Innenausschuss im Parlament haben sie gemeint: „Naja, das können doch die Länder regeln“. Die Länder haben wiederum gesagt „Das soll doch der Bund regeln“. Und dann haben wir die beliebte österreichische Pattsituation, einer redet sich auf den anderen aus und es geschieht gar nichts. Das war's mit den Schutzzonen. Aber die Forderung ist an sich da. Wir stellen diese Forderung immer wieder und sie wird auch von Betreibern der Ambulatorien immer wieder gestellt. Das ist schon eine Frage des politischen Willens und deswegen haben wir immer in all unseren Pressemeldungen dazugesagt, dass es Dinge gibt, die nicht eine Frage des rechtlichen Könnens, sondern des politischen Wollens sind.

 

Manu Banu und Dieter Diskovic studieren Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.

Einen Artikel über die Aktivistinnen von Marea Granate und deren Kampf gegen das spanische Abtreibungsgesetz könnt ihr hier lesen: Marea Granate: Raus aus meinen Eierstöcken!

Marea Granate: Raus aus meinen Eierstöcken!

  • 30.04.2014, 13:40

Über Marea Granate, eine Protestbewegung spanischer Migrantinnen und Migranten, und ihren Widerstand gegen die geplante Verschärfung des spanischen Abtreibungsgesetzes.

Über Marea Granate, eine Protestbewegung spanischer Migrantinnen und Migranten, und ihren Widerstand gegen die geplante Verschärfung des spanischen Abtreibungsgesetzes.

Es ist der 8. März, der Internationale Frauentag. Über den Lerchenfelder Gürtel hallt ein Megaphon: „Kathia, 38 Jahre, Ukraine. Verheiratet, vier Kinder. Sie lebt auf dem Land und kann kein weiteres Kind unterhalten. Sie treibt im Haus einer Frau ab, die Abtreibungen in dem Dorf vornimmt. Kathia stirbt an einer Entzündung nach der Abtreibung.“ Eine junge Frau fällt zu Boden.

Foto: Dieter Diskovic
Diese und viele weitere kurze Erzählungen rund um das Thema Abtreibung werden auf Deutsch, Spanisch und Englisch vorgetragen – schließlich soll die Botschaft so viele Menschen wie möglich erreichen. Die im Halbkreis um das Schauspiel stehenden Personen tragen Transparente und Plakate: „Selbstbestimmungsrecht“, „Mein Körper, mein Leben, meine Entscheidung“ oder „Gebären ist ein Recht, keine Auferlegung“.

Die weinrote Flut
Der Hintergrund dieses Schauspiels: Das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch ist in Spanien massiv bedroht. Der mit absoluter Mehrheit regierende rechtskonservative Ministerpräsident Mariano Rajoy und seine Partido Popular („Volkspartei“) möchten das Abtreibungsgesetz derart verschärfen, dass nur nach Vergewaltigungen oder bei Gefährdung der Mutter abgetrieben werden darf. Raquel López, Aktivistin bei Marea Granate Viena: „97% der Abtreibungen des letzten Jahres wären mit diesem neuen Gesetz illegal. Mit unserer Performance am Internationalen Frauentag möchten wir auf diese Entwicklung aufmerksam machen.“

Marea Granate („Weinrote Flut“) ist eine transnationale Bewegung von Migrantinnen und Migranten aus Spanien, die ihr Herkunftsland meist wegen der wirtschaftlichen und sozialen Krise verlassen mussten: „Unsere Flut ist weinrot wie die Farbe unserer Pässe, als Symbol für erzwungene Migration“. Das Kollektiv entstand rund um andere soziale Bewegungen aus Spanien, zu deren bekanntesten wohl die Indignados („Empörten“) zählen, die noch vor Occupy zentrale Plätze besetzten und Protestcamps errichteten. Die „weinrote Flut“ ist mittlerweile weltweit vernetzt: Nicht nur in Wien, auch in New York, Paris und London, in Montevideo, München oder Montreal kämpfen Aktivist_innen gegen Austeritätspolitik, Korruption und Repressionen und die daraus entstehenden sozialen Ungerechtigkeiten. Da diese Problematiken nicht auf Spanien beschränkt sind, versucht Marea Granate, Brücken zu lokalen Gruppen aufzubauen.

„Freie Frau – kein Schritt zurück!“ Foto: Dieter Diskovic

„Raus aus meinen Eierstöcken!“
Mit ihrem Straßentheaterstück möchte Marea Granate Viena Frauen, die abgetrieben haben, eine Stimme und ein Gesicht geben. Die Gründe, sich für eine Abtreibung zu entscheiden, sind vielfältig: finanzielle Probleme, Krankheit, eine ungesicherte Zukunft, der Wunsch, seine Ausbildung zu beenden oder das Alter. Für Marea Granate sind die Gründe schlussendlich unerheblich – für sie gehört der legale Schwangerschaftsabbruch zum Selbstbestimmungsrecht der Frau. Eine hohe Akzeptanz scheint Ministerpräsident Rajoy mit seiner geplanten Gesetzesverschärfung in der spanischen Bevölkerung nicht zu haben. Laut Umfragen lehnen zwischen 70% und 80% der Spanier_innen den Gesetzesentwurf ab – selbst unter der Wähler_innenschaft der Partido Popular sind es weit über 50%. In Madrid gingen über hunderttausend Menschen auf die Straße und protestierten mit Slogans wie „Abgeordnete und Rosenkränze raus aus meinen Eierstöcken“ gegen die geplante Gesetzesänderung.

Bei einer weiteren Aktion versuchten hunderte Frauen, ihre Körper in das Handelsregister, in dem normalerweise Autos registriert werden, einzutragen – als Zeichen, dass nur sie selbst Eigentümerinnen ihrer Körper sind. Auf der neu gegründeten Plattform Wombastic werden Pro-Choice-Zeichnungen veröffentlicht. Doch was sind die Gründe für diese rückwärtsgewandte Politik? Die Aktivistin Raquel López hält einerseits den großen Einfluss der katholischen Kirche für einen wesentlichen Faktor, andererseits sieht sie auch einen Zusammenhang mit der Krise: „Sie wollen die Arbeiterinnen kontrollieren. Die Frauen, die es sich leisten können, werden es sowieso machen und die Armen, die kein Geld für Abtreibungen haben, werden entweder ihr Leben riskieren oder ein ungewolltes Kind bekommen. Das sind dann die Arbeiter und Arbeiterinnen der Zukunft.“ Eine Kriminalisierung von Abtreibungen kann einerseits zu „Abtreibungstourismus“, andererseits zur gesundheitlichen Gefährdung der betroffenen Frauen durch unprofessionell vorgenommene Abbrüche führen.

Mein Körper, mein Leben, meine Entscheidung!“ Foto: Dieter Diskovic

Europas Abtreibungsgegner_innen machen mobil
Wie sieht es im restlichen Europa aus? Abtreibungsgegner_innen haben eine große Lobby in der Politik. Die EU-Bürgerinitiative One of Us sammelte über eine Million Unterschriften für „den Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde von der Empfängnis an“ und erreichte damit, dass die EU-Kommission den Antrag diskutieren muss. Die Initiative will einen Finanzierungsstopp von Aktivitäten bewirken, welche „zur Tötung menschlicher Embryonen führen“. Dahinter stecken Anti-Abtreibungsgruppen, welche u.a. von Vertreter_innen aus Kirche und Politik unterstützt werden. Über 30.000 Stimmen kamen aus Österreich. Brigitte Hornyik, Juristin und Vorstandsmitglied im österreichischen Frauenring, sieht die Ursache für die massive Unterstützung der Initiative vor allem in katholischer Anti-Abtreibungspropaganda. Selbst in Kirchen, so Hornyik, lagen Unterschriftslisten auf (siehe Interview: „Vögeln musst du, aber Geld hast du keines").

Immer noch gibt es Länder wie Polen, Irland oder Liechtenstein, die sehr restriktive Abtreibungsgesetze haben. In Malta, Andorra und San Marino gibt es sogar ein Totalverbot. In Spanien wurde die Fristenlösung erst 2010 von der damaligen sozialdemokratischen Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero eingeführt. Nur vier Jahre später soll sie nun wieder abgeschafft werden. Ob sich die geplante Gesetzesverschärfung abwenden lässt, ist fraglich. Die konservative und männlich dominierte Volkspartei verfügt im Parlament über eine absolute Mehrheit. Ein Abstimmungstermin steht noch nicht fest.

Manu Banu und Dieter Diskovic studieren Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und engagieren sich bei der Screaming Birds Aktionsgruppe.
 

Who Needs Feminism?

  • 07.03.2014, 19:39

Um verschiedene, individuelle Aspekte von Feminismus zu zeigen, hat die BAGRU Gender Studies diese Fotoaktion in die Wege geleitet. In dieser werden ein paar Gründe, warum wir jeden Tag Feminismus brauchen sichtbar.

Um verschiedene, individuelle Aspekte von Feminismus zu zeigen, hat die BAGRU Gender Studies diese Fotoaktion in die Wege geleitet. In dieser werden ein paar Gründe, warum wir jeden Tag Feminismus brauchen, sichtbar.

Feminismus brauchen wir nicht nur am Internationalen Frauen*tag, dem 8. März, sondern 365 Tage im Jahr. Und 366 Tage in einem Schaltjahr. Weil es strukturelle, ökonomische, sexualisierte, physische und psychische Gewalten gegen Frauen* gibt, die nicht nur einmal jährlich thematisiert werden dürfen.

Wir brauchen keine Gleichheit der Geschlechter, die sich an männlichen Standards orientiert. Denn die Pluralität von Lebensweisen muss möglich sein.

Wir wollen keine Pflegearbeit und Kinderbetreuung verrichten, nur weil das traditionell in den Aufgabenbereich von Frauen* fällt. Wir wollen gerechte Entlohnung, Aufteilung und Wertschätzung dieser Arbeit. Solche wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben dürfen nicht unter- oder unbezahlt auf Frauen abgewälzt werden.

Wir wollen, dass die Talente und Berufsziele von Frauen* und Mädchen* gefördert werden. Egal, ob wir uns nun für Naturwissenschaft, Technik, Pädagogik, Musik, oder fürs Briefmarkensammeln interessieren.

Wir wollen nachts alleine nach Hause gehen oder alleine ins Taxi steigen können, ohne blöd angemacht zu werden. Die Straße und das öffentliche Leben gehören uns allen, jederzeit.

Wir wollen lieben, wen wir wollen, tragen, was uns gefällt und uns benehmen, wie wir wollen. Ohne uns dafür rechtfertigen zu müssen.

Zauberwort: Selbstbestimmung!

Wir lassen uns nicht zu Konkurrentinnen machen. Wir sind Frauen, Mädchen, Lesben, Inter- und Trans*personen und wir sind solidarisch zu allen Gruppen, die durch patriarchalische Strukturen an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden.

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

Foto: Bagru Gender Studies

 

„Plötzlich verprügelte man Frauen“

  • 07.03.2014, 12:34

Sogol Ayrom (*1970) ist eine iranisch-österreichische Aktivistin, die für Frauen- und Menschenrechte im Iran kämpft. Im Interview mit progress-online erklärt sie, wieso das iranische Regime frauenfeindlich ist, unter welchen Restriktionen die IranerInnen leiden müssen und warum sie trotz allem Hoffnung hat.

Sogol Ayrom (*1970) ist eine iranisch-österreichische Aktivistin, die für Frauen- und Menschenrechte im Iran kämpft. Im Interview mit progress-online erklärt sie, wieso das iranische Regime frauenfeindlich ist, unter welchen Restriktionen die IranerInnen leiden müssen und warum sie trotz allem Hoffnung hat.

progress online: Wann und warum hast du begonnen gegen das iranische Regime zu kämpfen?

SOGOL AYROM: Ich habe im Alter von 14 Jahren entschieden, dass ich nicht mehr im Iran leben möchte. Der Grund dafür war, dass ich in diesem Alter wegen meiner unzureichenden Kopfbedeckung verhaftet und eingesperrt wurde. Später wurde ich vor einem Gericht zu 60 Peitschenhieben verurteilt, die durch einen Mann vollzogen wurden. Ob mich das eingeschüchtert hat? Nein, ganz im Gegenteil. Ich weigerte mich, mich zu unterwerfen und begann kritisch über den Islam im Allgemeinen und über die Frauenunterdrückung im Iran nachzudenken. Und ich habe mich in kleineren Gesellschaften, in der Familie und in der Schule ausgetauscht.

In diesem Alter habe ich begonnen, mich aktiv gegen dieses Regime zu positionieren. Allerdings gab es schon damals eine enorme Repression gegen Andersdenkende. Deshalb sagte ich zu mir selbst: ‚Ich will hier nicht weiterleben. Ich kann hier nicht leben. Ich möchte nicht, dass meine Töchter in diesem System aufwachsen müssen.’ Glücklicherweise hatte ich Bekannte in Frankreich, zu denen ich mittels eines Studentenvisums flüchten konnte. Mein Vater musste eine hohe Kaution für mich hinterlegen und bekam selbst ein Ausreiseverbot, um mich zu einer Rückkehr zu verpflichten. Diese Bürgschaft führte dazu, dass er niemals den Iran verlassen konnte und daher auch dort verstarb.

1979 wurde im Iran im Zuge der „Islamischen Revolution“ der Schleierzwang eingeführt. Wie war die damalige Situation?

Man sollte sich die Bilder von iranischen Universitäten vor 1979 ansehen. Wir waren genauso wie im Westen gekleidet. Wir hatten sehr viele zivile Freiheiten und niemand hatte vor der Polizei Angst. Frauen waren in allen möglichen Ämtern, sei es in Ministerien oder als Richterinnen. Wir hatten Frauen in Top-Positionen und der Schah hat das damals auch unterstützt. Frauen genossen bereits ab 1963 ihr Wahlrecht – viel früher etwa als in der Schweiz. Das kam im Zuge der weißen Revolution (Anm.: Reformprogramm, das von Schah Mohammad Reza Pahlavi durchgesetzt wurde), wo viele Freiheiten und Rechte sogar Frauen zugesprochen wurden. Frauen waren bis 1979 weitestgehend gleichgestellt, bis es hieß, dass eine islamische Regierung das ehemalige Regime übernehmen wird. Viele Aktivisten – auch linke Frauen und Männer – haben das unterstützt, oft ohne wirklich zu wissen wie das Leben in einem islamischen Staat ist. Sie haben blind mitgemacht. Natürlich ließ man zuerst verlautbaren, dass niemand dazu gezwungen werde einen Hijab zu tragen. Kaum waren sie jedoch gewählt, gab es Spezialeinheiten, die die Einhaltung der Scharia gewährleisten sollten - etwa die „Sittenwächter“ oder die „Pasdaran“.

Plötzlich verprügelte man Frauen, oder man bewarf sie mit Säure, wenn sie kein Kopftuch trugen. Das hatte natürlich zur Folge, dass viele aus Angst das Kopftuch getragen haben. Mir Hossein Mussawi, 1981 und 2009 iranischer Premierminister, ein angeblicher „Reformer“, hat damals ein Gesetz beschlossen, das die Kopftuchbekleidung nur noch in grauer, dunkelblauer, schwarzer oder brauner Farbe erlaubte. Ich kann immer noch nicht verstehen, wieso man sich von ihm Besserung erhoffte.

Sogol Ayrom berichtet David Kirsch über ihr Leben im Iran. Foto: Christopher Glanzl

Du hast erwähnt, dass die Menschen nach 1979 sehr viel Angst gehabt hätten. Gab es damals bereits Proteste gegen den Schleierzwang?

Am Anfang schon. Ich kann mich noch gut erinnern, dass sogar viele Frauen, die bereits vor 1979 das Kopftuch freiwillig trugen – da hatte man ja noch eine Wahl – gegen diesen Zwang mitprotestiert haben. Das hat allerdings nur Verhaftungen und noch mehr Unterdrückung hervorgebracht, weil  unsere Männer damals geschwiegen und nicht mitgemacht haben.

Du meinst, dass man die Frauen damals alleine gelassen hat?

Ja, sie wurden alleine gelassen. Jedoch gibt es seit jeher unter den iranischen Frauen einen starken Zusammenhalt. Das Regime hat es niemals geschafft sie völlig zu kontrollieren, weil die Frauen sich immer wieder auf verschiedenste Art und Weise gewehrt haben. Sie haben immer einen Weg gesucht – trotz des Hijabs – sich schick und modern zu kleiden. Die größte aktive Oppositionsgruppe im Iran waren immer schon die Frauen. Man hat ihnen schließlich die Möglichkeit genommen über ihr Leben zu entscheiden. So ist es auch Shirin Ebadi (Anm.: bekannte Menschenrechtsaktivistin und Nobelpreisträgerin) geschehen. Sie war vor 1979 Richterin, später hat man sie zur Anwältin herabgestuft.

Natürlich haben viele Frauen für ihre Arbeitsplätze und ihre Posten gekämpft, um weiterhin aktiv in der Gesellschaft mitzuwirken. Der Grund, wieso das Regime es nicht geschafft hat, den Iran in ein Land wie Saudi-Arabien umzuwandeln, war der Widerstand der Frauen.

Der Widerstand der Frauen ist also heute noch sichtbar, da diese immer wieder Wege finden, um sich dem Sittenkodex zu entziehen.

Das sind oft total ausgefallene Ideen. Die iranischen Frauen sind kreativ. Obwohl sie immer wieder erniedrigt, geschlagen und verhaftet werden, wenn sie erwischt werden. Sie nehmen all das trotzdem immer wieder in Kauf, weil sie sich einfach nicht den Mullahs beugen wollen. Bereits während der Grünen Bewegung (Anm.: Protestwelle im Iran 2009), als das 30-jährige Schweigen durchbrochen wurde, waren die Frauen in dieser Bewegung an vorderster Front.

Wie du schon erwähnt hast, schien es 2009 so, als wäre eine Art Umsturz im Iran möglich. Was lief damals schief?
Die Bewegung wurde von den westlichen Staaten alleine gelassen. Einerseits wurde der nicht weiter definierte Wunsch nach Veränderung - den diese Bewegung dargestellt hat -, so interpretiert als hätte man bloß gewollt, dass Moussawi die Wahl gewinnen sollte. In den Reihen der Protestierenden waren jedoch nicht nur Reformisten, sondern auch viele, die einen regime change forderten. Die breite Masse war bereit dieses Regime zu stürzen. Wenn ich mit vielen Leuten rede, die vor 5 Jahren mitdemonstriert haben, höre ich oft, dass diese es Moussawi nicht verzeihen, dass er ihnen befohlen hat, nach Hause zu gehen und Ruhe zu bewahren. Am 25. Bahman (Anm.: persische Bezeichnung für den Monat vom 21. Januar bis 19. Februar) hätten wir dieses Regime stürzen können. Die Bewegung dachte, Moussawi würde deren Rücken stärken, aber die Enttäuschung war sehr groß als er offiziell gesagt hat:  „Islamische Regierung kein Wort mehr oder weniger“.

Der Protest hat sich aber wieder gelegt, da das Regime diese Niederlage nutzte, um Zeit zu gewinnen und sich zu mobilisieren. Aber die Bewegung ist immer noch da. Bloß wollen diese Leute davon ausgehen können, dass die westlichen Staaten sie unterstützen und sie möchten wissen, wogegen sie auf die Straße gehen. Sie wissen aber, dass sie dieses Regime nicht weiter haben wollen. Es soll nicht wie damals 1979 sein, wo es nur darum ging, dass der Schah gehen solle und es egal war, was danach kommt. Das haben wir aus der Geschichte gelernt.

"Es soll nicht wie damals 1979 sein, wo es nur darum ging, dass der Schah gehen solle und es egal war, was danach kommt. Das haben wir aus der Geschichte gelernt". Foto Christopher Glanzl

Wie ist die gesetzliche Lage für Frauen heute und mit welchen Restriktionen haben sie zu kämpfen?

Im Iran sind die Gesetze grundsätzlich sehr frauenfeindlich. Als Frau ist man eine Bürgerin zweiter Klasse. Denn du kannst als Frau nicht einfach einen Pass bekommen, ohne dass dein Mann oder dein Vater dir dafür die Genehmigung erteilt. Auch im Scheidungsrecht werden Frauen stark benachteiligt. Beruflich ist es für Frauen sehr schwierig hohe Ämter zu bekleiden. Die Frauen geben aber nicht auf und im Iran gibt es einen sehr hohen Anteil an Studentinnen. Natürlich würden die Kleriker die Studentinnen am Liebsten nach Hause schicken, aber das können sie nicht einfach so machen.

Grundsätzlich verhält sich die iranische Jugend ja versteckt widerständig. Verbotene Dinge, die man tun möchte, muss man im Untergrund machen. Homosexuelle Jugendliche etwa, sind gezwungen ihre Homosexualität im Untergrund auszuleben. Es soll beispielsweise eine Art moderne Parallelgesellschaft in Teheran geben.

In iranischen Großstädten sind Frauen und Männer viel offener zueinander als in manchen Dörfern, in denen ja weniger Studierende leben. Umso höher der Bildungsgrad ist, desto geringer sind die Restriktionen, denen die Frauen unterworfen sind. Die iranischen Untergrundpartys, die du angesprochen hast, gab es bereits zu meiner Zeit. Wir mussten uns zu Hause treffen und wir wurden natürlich oft verhaftet. Aber das konnte uns nicht abhalten. Sobald wir aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, planten wir die nächste Party. Das Regime dachte bisher immer, dass die Kinder der Revolution die Wächter der Revolution bleiben würden. Man hat aber vergessen, dass durch das Internet die ganze Wahrheit ans Licht kommen kann, denn die iranische Jugend informiert sich. Ein Blick in das Fotoalbum der Familie reicht schon und es springen ihnen Fotos von ihren Eltern entgegen, die ein sicheres, freies und glückliches Leben hatten. Natürlich gab es auch früher nicht so viel politische Freiheit. Aber wenn man bedenkt, dass damals Leute im Gefängnis saßen, die als politische Gefangene galten und die heute in der Regierung sitzen - Khamenei, Rafsanjani – all die sollten meiner Meinung nach wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht gestellt werden. Für die meisten im Iran ist das, was sie jetzt erleben, einfach unerträglich und viele fragen deshalb auch vorwurfsvoll ihre Eltern: „Warum habt ihr eine Revolution gemacht?“ Die iranische Jugend sieht sich selbst als eine  „verbrannte Generation“.

Zurück zu deiner Frage: Ich kann mich noch daran erinnern, dass meine Nachbarn zwei homosexuelle Männer waren, die zusammen in einem Haus lebten. Man akzeptierte das. Die Akzeptanz der Homosexualität fand während der 1970er Jahre auch im Iran statt. Nach der Revolution war das jedoch gegen die islamischen Gesetze und wurde somit zu einem Hinrichtungsgrund. Deshalb flüchten Homosexuelle in den Untergrund. Momentan ist die Homosexualität immer noch ein Tabu im Iran. Das hindert jene Menschen aber nicht, sich dazu zu bekennen – nur müssen sie in der Öffentlichkeit dazu schweigen. In deren Familien und in den eigenen vier Wänden wird diese aber oft akzeptiert. 

Du meinst also, dass das Private der einzige selbstbestimmte und freigestaltete Raum im Iran ist?

Genau so ist es. Früher hat man sich in Cafes und Bars getroffen. Da man sich heute nicht mehr draußen treffen kann, passiert das alles in den eigenen vier Wänden.

Gehen wir in das Jahr 2013. Anlässlich der Wahl von Hassan Rohani zum Präsidenten des Iran hoffte man lange, dass dieser nun einige Veränderungen umsetzen würde. Was kann sich die iranische Frauenbewegung und die Jugend von ihm erwarten?
Warum Hassan Rohani an die Macht gekommen ist, hat einen einfachen Grund. Das islamische Regime hat gemerkt, dass seine Säulen wackelig sind. Ich bezeichne Rohani oft als einen schlauen Fuchs, der sich nach außen gut zu verkaufen weiß. Das Regime hat sich lediglich in der Darstellung geändert, nicht aber  im Inhalt. Die Zahl der Hinrichtungen, die in den ersten sechs Monaten der Präsidentschaft von Rohani durchgeführt worden sind, ist doppelt so hoch, wie jene während der letzten sechs Monate von Ahmadinejads Amtszeit. All die Wahlversprechen von Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit sind natürlich nicht eingehalten worden. Vor kurzem wurde eine iranische Zeitung geschlossen, weil ein Artikel in ihr Kritik an der Steinigung von Frauen geübt hatte und die Kleriker behaupteten, dass der Artikel gegen die islamischen Sitten verstoßen würde. Ich bin hinsichtlich Rohani sehr skeptisch. Meiner Ansicht nach hat das Regime nur einen Weg gefunden um seine wackeligen Säulen, die 2009 bereits beinahe am Stürzen waren, zu festigen. Mit dem kürzlich geschlossenen Atom-Abkommen mit dem Westen hat der Iran nun eine wohlwollende Presse bekommen. Meine Sorge sind aber die Frauen- und Menschenrechte, die im Iran so völlig außer Acht gelassen werden, dass man es nicht mehr nur als Menschenrechtsverletzungen abkanzeln kann, sondern als Verbrechen an der Menschlichkeit. Doch gerade auf diese wird vergessen.

Ein Freund von mir hat vor kurzem eine passende Anekdote für die momentane Situation geliefert: Das iranische Regime ist wie ein Zelt. In der Mitte gibt es eine Säule: das ist Ayatollah Khamenei. Es gibt viele verschiedene Säulen rundherum, die zur Instandhaltung der mittleren Säule dienen. Das können dann die Frauenrechte und der Kopftuchzwang, die Exekutionen, die Presse- oder Meinungsfreiheit sein. Was wir in den letzten 35 Jahren versucht haben, war die mittlere Säule zu attackieren. Nun versucht man die anderen Säulen, die das ganze Zelt halten, zum Einsturz zu bringen. Ich glaube, dass es zu einigen Änderungen kommen wird. Denn die Machthaber können nicht mehr ausschließlich die Hardliner-Linie nachverfolgen, schon alleine aus strategischen Gründen nicht. Die Menschen werden von einer Säule zur nächsten Säule wandern und am Ende wird von diesem Mullah-Regime nichts mehr übrig bleiben, weil die Menschen Säkularismus wollen. Das wird das Ende des Gottesstaates im Iran sein - und zwar für immer.

Wieso hat man im Westen einen dermaßen verzerrten Blick auf die islamische Welt? Trotz all der grassierenden Frauenfeindlichkeit in den muslimischen Ländern wird am Weltfrauentag der Iran kaum erwähnt.

Der Iran war vor 1979 ein säkularer Staat. Frauen hatten einen Platz in der Gesellschaft. Sie waren in dieser sogar sehr aktiv. Es gibt bereits seit langer Zeit eine Frauenbewegung im Iran. In anderen muslimischen Ländern, die von Anfang an muslimische Staaten waren, etwa Qatar, Saudi Arabien, Sudan, wurden die Frauenbewegungen von der Geburtsstunde der Nation an unterdrückt. In Ländern wie der Türkei, die eigentlich säkulare Staaten sind, in denen jedoch immer wieder die Islamisten die Oberhand gewinnen und dabei immer repressiver werden, wird auch die Frauenbewegung wieder stärker werden. Die Frauen werden aktiver und wehren sich gegen diese fundamentalistischen Gesetze wie etwa in Ägypten oder im Libanon. Nicht, dass die Frauen in anderen muslimischen Ländern nicht unglücklich wären und es gerne anders hätten. Sie haben allerdings kaum eine Möglichkeit ihre Stimme zu erheben. Der Westen sollte untersuchen, warum in diesen anderen Ländern keine Frauenbewegung entstanden ist. Es ist klar, der Islam, so wie er in diesen Ländern geführt wird, ist nun einmal eine frauenfeindliche Religion.

Sogol Ayrom ist immer ihren eigenen Weg gegangen. Selbst die iranischen Revolutionswächter konnten sie nicht einschüchtern. Foto: Christopher Glanzl

Du setzt dich ja bereits seit langer Zeit für Frauenrechte ein. Was kann ein politisch aktiver Mensch unternehmen, um die Frauenrechte im Iran zu stärken?

Ich setze mich allgemein für Menschenrechte ein. Aber dadurch, dass ich eine Frau bin, kann ich natürlich auch die Stimme meiner iranischen Mitbürgerinnen im Ausland sein. Was ich mir wünsche ist, dass dieser Kopftuchzwang verschwindet. Die Frau soll entscheiden, ob sie eines tragen möchte oder nicht. Dafür setzen wir uns ein. Vor kurzem habe ich ein Video gesehen, in dem eine junge Frau ohne Kopftuch auf der Straße gegangen ist. Das hat für Jubel gesorgt. Doch das traut sich noch kaum jemand. Aber wenn diese Tabus verschwinden, werden wir das häufiger sehen.

Zudem sind die Gesetze im Iran sehr frauenfeindlich und Frauen besitzen nur halb so viel Vermögenswerte wie ihre Männer. Im Falle einer Erbschaft bekommt die Tochter der Familie die Hälfte von dem, was der Bruder erbt. Frauen haben überhaupt keine Scheidungsrechte. Das bewirkt, dass viele Frauen in gewalttätigen Familien bleiben und keine Möglichkeit zur Flucht haben. Immer mehr Frauen bleibt nur die Prostitution als Ausweg, wenn die Eltern oder der Gatte verstorben sind. Denn es gibt keine Frauenhäuser im Iran und Frauen werden sehr leicht zu Drogenopfern. Das sind die Dinge, für die ich mich einsetzen möchte. Was wir aber alle können, ist sich gegen Unterdrückung einzusetzen, „nein“ zu sagen und unermüdlich für das, woran wir glauben, zu kämpfen!

 

David Kirsch studiert in Wien und schreibt auf exsuperabilis.blogspot.com

 

 

Roma-Frauen: „Wir wissen, was das Beste für sie ist“

  • 06.03.2014, 19:35

Roma sind die größte Minderheit innerhalb der Europäischen Union und werden aufgrund ihres Nomadendaseins als „gesamteuropäisches Problem“ angesehen. Frauen haben es aufgrund der paternalistischen Tradition und Diskriminierung besonders schwer, ein Leben nach ihren Wünschen zu führen.

Roma sind die größte Minderheit innerhalb der Europäischen Union und werden aufgrund ihres Nomadendaseins als „gesamteuropäisches Problem“ angesehen. Frauen haben es aufgrund der paternalistischen Tradition und Diskriminierung besonders schwer, ein Leben nach ihren Wünschen zu führen.

Etwa 12 Millionen Roma leben heute auf unserem Kontinent, die meisten davon in Südost-Europa. Da die Volksgruppe der Roma mit keiner Nationalität verbunden wird, werden nur jene Menschen als Roma bezeichnet, die sich selbst als solche definieren. Viele leben heute in Ländern mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das größte Problem ist die schlechte Bildungssituation der Roma. Es gibt eine überdurchschnittlich hohe Rate an Analphabetismus, was oft ein Grund für spätere Arbeitslosigkeit und gesellschaftliche Exklusion ist. Roma-Kinder werden, beispielsweise in Bulgarien, immer noch zu einem Großteil vom Staat in Schulen gesteckt, in denen das Niveau deutlich niedriger ist als der Durchschnitt, da die Drop-Out-Quote von Romakindern in regulären Schulen überdurchschnittlich hoch ist. Oft können die Kinder der Roma auch gar nicht zur Schule gehen, da der Weg zu weit oder das Geld für Schulmaterial nicht vorhanden ist. Meist sind auch die Eltern nicht zur Schule gegangen oder haben dort schlechte Erfahrungen gemacht. Denn Bildung wird auch bei den Roma vererbt.

Ebenso problematisch ist die Wohnungslage. Roma haben oft keine Urkunden oder Verträge über ihre Behausungen, deshalb können sie einfach in schlechtere Wohngebiete, umgesiedelt werden, wobei oft Menschenrechte und Gesetze verletzt werden. Vielerorts wird ihnen das Recht, sich niederzulassen, verweigert. In Cluj-Napoca in Rumänien wurde im vorigen Jahr eine Roma-Siedlung in der zentralen Coastei Straße zwangsgeräumt und die BewohnerInnen neben einer Müllhalde neu angesiedelt. Nach einem heftigen Protest, vor allem durch Amnesty International, wurde die Vertreibung der etwa 300 Roma vom Landesgericht Cluj-Napoca als rechtswidrig und diskriminierend eingestuft.[1]

Durch solche Praktiken kommt es zu einer Ghettoisierung, welche die Roma zusätzlich vom sozialen Leben ausschließt. Denn diese Siedlungen liegen weit entfernt von Schulen oder anderen Ausbildungsmöglichkeiten, und weisen gravierende Mängel auf. Die Roma-Siedlungen sind verkehrsmäßig schlecht erschlossen und verfügen kaum über Strom, Telefon, Wasseranschluss oder Kanalisation. Durch diese Situation werden jene Vorurteile, die Roma als „dreckig“ bezeichnen, noch  bestärkt.

Mädchen sind eine unrentable Investition

In der Diskussion um Roma muss besonders die Situation der Frauen berücksichtigt werden. Denn der Tradition nach sind Roma-Frauen den Roma-Männern untergeordnet. Ihre Rolle ist jene der Hausfrau und Mutter in einer paternalistischen Gesellschaft. Sie kümmern sich um die Kinder, kochen und helfen manchmal auch bei der Arbeit. Von den Eltern wird es oft als nicht sinnvoll erachtet, Mädchen in die Schule zu schicken, da sie sowieso jung verheiratet werden. Bereits mit etwa 16 Jahren werden in traditionellen Romagemeinschaften die Mädchen aus der Schule genommen und ihrem Mann übergeben. Manche heiraten sogar bereits mit elf oder zwölf. Ein Viertel der 16-Jährigen lebt in einer eheähnlichen Beziehung. Deshalb sind viele Roma-Frauen schlecht ausgebildet und stark armutsgefährdet. Eine Studie der „European Union Agency for Fundamental Rights“ (FRA) zeigt jedoch, dass das Bildungsniveau der Roma-Frauen innerhalb der EU- Mitgliedsstaaten insgesamt zunimmt. Während die durchschnittliche Alphabetisierungsrate bei Roma-Frauen mit 77 Prozent niedriger liegt als bei deren Männern (85 Prozent), weisen junge Roma (der Alterskategorie 16 bis 24 Jahre) eine geschlechtsunabhängige Alphabetisierungsrate von 89 Prozent auf.

Luiza Puiu studiert Soziologie an der Universität Wien. Sie stammt selbst aus Timisoara (Rumänien) und besucht seit vielen Jahren immer wieder eine traditionelle Roma-Wandergemeinschaft, die sich einmal jährlich in der Nähe ihrer Heimatstadt niederlässt.  Sie erzählt von der ökonomischen Dimension der Ehe in traditionellen Roma-Gemeinschaften, welche ein Abkommen von Zusammenleben und Zusammenarbeiten darstellt: „Für die Mädchen ist Liebe entweder fremd oder von der Ehe getrennt. Woher soll ich wissen wer zu mir passt?, sagte mir eine junge Frau, die ich fragte, ob es sie nicht stört, wenn ihre Eltern den Ehemann aussuchen.“ Und Luiza Puiu erzählt weiter, dass die Eltern der jungen Roma-Frau dazu meinten: „Wir wissen, was das Beste für sie ist. Nur hoffentlich läuft sie nicht mit einem Anderen davon.“

Foto: Luiza Puiu

In der traditionell paternalistischen Gesellschaft der Roma ist es eine schlechte Nachricht für die Familie, wenn ein Mädchen geboren wird. „Mädchen sind eine sogenannte „Investition“, die später inklusive Mitgift weitergegeben wird. Ein Junge hingegen bringt seine Braut mit ihrer Arbeitskraft und Mitgift in seine Großfamilie.“, erklärt Luiza. Aufgrund der paternalistischen Tradition ist das Recht von Roma-Frauen und –Mädchen auf freie Entscheidungen oder Bewegungsfreiheit nicht gegeben.  Viele leiden auch unter häuslicher Gewalt.

Der Zugang zu Gesundheitsversorgung ist für Roma aufgrund von Diskriminierung durch die Mehrheitsbevölkerung oft beschränkt, was ein weiterer Grund für den überdurchschnittlich schlechten Gesundheitszustand unter Romas ist, die Kindersterblichkeit liegt in den meisten Ländern weit über dem Durchschnitt. Die Lebenserwartung der Roma im östlichen Europa beträgt im Schnitt zehn Jahre weniger als die der Mehrheitsbevölkerung. Die medizinische Versorgung der Frauen ist besonders prekär. Roma-Frauen ab 50 bezeichnen ihren Gesundheitszustand doppelt so oft wie Nicht-Roma-Frauen als „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Schwangere Frauen sind dabei am schlechtesten gestellt: Sie gelten in der rituellen Tradition als „unrein“ und gehen während der Schwangerschaft auch nicht zum Frauenarzt. Den Geburtstermin erfahren sie erst, wenn die Wehen einsetzen. Auch sind sie unverhältnismäßig stark von den schlechten Wohnbedingungen betroffen, da sie traditionellerweise die meiste Zeit zuhause verbringen.

Diskriminierung und gesellschaftliche Exklusion
Die Roma werden seit Jahrhunderten mit Diskriminierung und Vorurteilen konfrontiert: Man sagt ihnen nach, dass sie faul, kriminell, verlogen wären. Zudem würden sie jede Verantwortung und Arbeit verweigern. Auch die Gewalt gegen Roma wird in vielen Ländern gesellschaftlich akzeptiert. In Rumänien betreiben politische Parteien von rechts bis links Stimmenfang auf Kosten der Roma. Teilweise werden Ressourcen wie Bildung und Arbeit von den Roma bewusst aus traditionellen und kulturellen Motiven nicht in Anspruch genommen, weshalb diese als „undeserving poor“ gelten: Menschen, die arbeiten könnten, dies aber nicht tun und deshalb von der staatlichen Wohlfahrt weniger berücksichtigt werden. Die traditionellen Berufe der Roma werden dabei als nicht produktiv für die Gesellschaft angesehen.[2]

Es muss ebenso bedacht werden, dass viele Roma durch Diskriminierung einen erschwerten Zugang zu Bildung und Arbeit haben und dies Kettenreaktionen auslöst. Diskriminierung erschwert eine gute Schulbildung und gesellschaftliche Integration. Eine schlechte Schulbildung und der Ausschluss von der Gesellschaft erschweren die Arbeitssuche. Und Arbeitslosigkeit wiederum erschwert gesellschaftliche Integration.

In der Sowjetunion wurde noch versucht, die Roma zu assimilieren. Danach wurde immer mehr das andere Extrem beobachtbar: eine systematische Exklusion der Roma von der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft. Im Jahr 1999 wurde in Usti-Nestemice (Tschechische Republik) eine Mauer zwischen der Roma-Siedlung und den Häusern der anderen BewohnerInnen der Straße gebaut, um die „Lärmbelästigung“ durch die Roma einzudämmen. Zwar musste die Mauer nach sechs Wochen wieder abgebaut werden, dennoch zeigt sich hier deutlich die „Wir wollen nichts mit euch zu tun haben“-Attitüde der Bevölkerung gegenüber der Roma. Das wohl erschreckendste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die erzwungene Sterilisation von Roma-Frauen in der Tschechischen Republik in den 1970er Jahren, welche teilweise bis in die 1990er Jahre andauerte, um die Geburtenrate der Roma zu senken. Erst in den 2000er Jahren gab das „United Nation’s Committee against Torture“ (UNCAT) den Anstoß für die Aufarbeitung solcher Fälle.[3]

Foto: Luiza Puiu

„Die Roma“ gibt es nicht

Es wäre falsch, von „den Roma“ als homogene Gemeinschaft zu sprechen und ihnen gewisse Eigenschaften zuzuschreiben. Die Ethnie besteht aus vielen verschiedenen Gruppen und Personen, welche oft höchst unterschiedlich gebildet oder integriert sind. Die Integration ist dabei oft von verschiedenen Faktoren abhängig.  Es kommt darauf an, wie lange sich eine bestimmte Gruppe schon in ihrem Umfeld aufhält  Am wenigsten integriert sind jene, die in separaten Siedlungen wohnen. In diesen leben die Roma mit der höchsten Arbeitslosenquote. Viel wichtiger als die Solidarität innerhalb der Ethnie ist die Solidarität innerhalb von Sippen und Familien. Romagemeinschaften unterscheiden sich meist durch deren Berufe. Die Hauptgruppen sind hier Handwerker wie Kesselschmiede oder Löffelschnitzer, Händlerberufe wie beispielsweise Pferdehändler, oder Unterhaltungsberufe  wie Musiker oder Schauspieler.

Die Jahrzehnte sozialistischer Assimilationspolitik ermöglichten die Herausbildung einer Roma-Elite aus RechtsanwältInnen und anderen AkademikerInnen. Die 33-jährige Jane Simon, heute Bildungsreferentin sowie Mediatorin für Roma-Frauen in Deutschland, kommt selbst aus einer bildungsfernen Familie. Ihre Eltern haben nie die Schule besucht, doch sie selbst beschloss mit Anfang 20, auf der Abendschule ihr Abitur und danach Karriere zu machen. Jetzt kämpft sie aus ihrer etablierten Position für mehr Bildung für Roma, wobei sie auch schon vor dem deutschen Bundesrat Vorträge hielt.[4]

Dennoch sind solche Karrieren, gemessen an der Gesamtzahl aller Roma, deutlich seltener als in der Mehrheitsbevölkerung. Etwa 80 Prozent der Roma leben immer noch in Armut.

Selbst sprechen lassen

Den Roma ist es bisher nur in geringem Maß gelungen, sich politisch zu organisieren, da sie sich eher aus der Politik heraushalten. Die Wahlbeteiligung wird auf unter 15 Prozent geschätzt, da sie sich nicht von der Politik angesprochen fühlen. Zudem wurde durch die fehlende Ausbildung über Generationen hinweg  die Entwicklung eines politischen Bewusstseins unterbunden. Einem großen Anteil der Roma ist die Existenz ihrer Organisationen gar nicht bewusst.

Mit Blick auf die paternalistische Struktur der meisten Roma-Familien wurde von der EU ein Projekt entwickelt, welches ausgewählte Roma-Frauen für den Einstieg in Politik, Verwaltung oder NGOs schulen sollte. Sie benötigen dabei Unterstützung von außen, da in ihrer Tradition Berufstätigkeit bedeutet ledig zu bleiben und ihnen auch  - aufgrund meist ungenügender Ausbildung - Kenntnisse in bestimmten Themenbereichen fehlen. Gegenüber 40 Prozent der Roma-Männer gehen nur 24 Prozent der Roma-Frauen einer bezahlten Arbeit nach. Allerdings sind von den arbeitenden Frauen 61 Prozent in Vollzeit beschäftigt, während der entsprechende Anteil bei Männern lediglich 38 Prozent beträgt. Da die Frauen tendenziell überdurchschnittlich viel Hausarbeit verrichten und die Kinderbetreuungsmöglichkeiten schlecht sind, entscheiden sich die meisten Frauen nur dann für einen Job, wenn sich dieser wirklich für sie rentiert.

Insgesamt hat sich die Situation der Roma jedoch in den letzten Jahren stetig verbessert. Dies zeigt sich vor allem an der steigenden Bildungsrate. Dennoch sind noch viele Hilfestellungen von außen nötig, um besonders Roma-Frauen die gleichen Chancen und Auswahlmöglichkeiten zu bieten, die die Frauen der Mehrheitsgesellschaft haben. Wichtig ist auch der Umgang mit der Minderheit. Denn: Es geht weder um Exklusion noch Assimilation, sondern darum, gleiche Chancen  für Roma und Nicht-Roma wie für Männer und Frauen zu schaffen.

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

Links:

http://fra.europa.eu/de/news/2013/die-situation-von-roma-frauen-fra-datenanalyse

http://romaniprojekt.uni-graz.at//

Referenzen:

1 http://www.amnesty.at/service_links/presse/pressemitteilungen/zwangsraeumung_von_roma_in_cluj_napoca_war_illegal/

2 Konzept des Soziologen Stephan Lessenich: “neosozialer Staat"

3 vgl. CROWE, David M.: The Roma in Post-Communist Eastern Europe: Questions of Ethnic Conflict and Ethnic Peace. Nationalities Papers, Vol. 36, No. 3, July 2008, Routledge, London

4 http://www.bild.de/news/inland/integration/ich-bin-roma-bild-report-teil-2-29370174.bild.html

 

Free Angela and all political prisoners

  • 05.03.2014, 16:15

Free Angela and all political prisoners von Shola Lynch erzählt, wie Angela Davis, politische Aktivistin, Kommunistin, Feministin, Wissenschaftlerin und Ikone der Schwarzen Widerstandsbewegung, im Jahr 1970 eine der zehn meist gesuchten Personen der USA werden konnte. Manu Banu rezensierte den Film für progress online im Rahmen des This Human World-Festivals.

Free Angela and all political prisoners von Shola Lynch erzählt, wie Angela Davis, politische Aktivistin, Kommunistin, Feministin, Wissenschaftlerin und Ikone der Schwarzen Widerstandsbewegung, im Jahr 1970 eine der zehn meist gesuchten Personen der USA werden konnte. Manu Banu rezensierte den Film für progress online im Rahmen des This Human World-Festivals.

Am 7. August 1970 versuchte der 17-jährige Jonathan Jackson durch eine Geiselnahme im Gerichtsgebäude von Marin County, die Freilassung seines inhaftierten Bruders George Jackson zu erpressen. Bei der Flucht kam es zu einer Schießerei mit der Polizei, bei der ein Richter, Jonathan Jackson und zwei weitere Personen getötet wurden. Die Waffen, die bei Jackson gefunden wurden, waren auf den Namen von Angela Davis registriert. Nur wenige Tage später wurde die Fahndung nach Davis ausgeschrieben, woraufhin sie die Flucht ergriff. Angela Davis kam als dritte Frau in der amerikanischen Geschichte auf die Top 10-Liste der FBI der meist gesuchten Verbrecher_innen.

Mit den Originalaufnahmen vom 7. August 1970 beginnt die Regisseurin Shola Lynch ihren Dokumentarfilm Free Angela and all political prisoners. Der Film gibt nicht nur Einblick in das Leben einer sehr mutigen und intelligenten Frau und ihren Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit, sondern auch in aufwühlende Zeiten der amerikanischen Geschichte. Es ist eine Zeitreise in die späten 1960er und frühen 1970er Jahre, in Zeiten des Vietnamkrieges, der Bürgerrechts- und Friedensbewegungen und des Schwarzen Widerstands gegen die amerikanische Regierung und den herrschenden Rassismus.

Acht Jahre hat Shola Lynch am Dokumentarfilm Free Angela gearbeitet, vier bis fünf Jahre wären es geworden, wenn sie keine Finanzierungsschwierigkeiten gehabt hätte. Lynch wollte so detailliert wie möglich die Wahrheit ans Licht bringen, weshalb sie besonders viele Fakten gesammelt und im Film integriert hat – unter anderem in Form von Archivfilmmaterial, Fotos und Zeitungsausschnitten. Free Angela ist nicht ihr erster Film über eine politische Person, genauer gesagt über eine politisch aktive schwarze Frau. 2004 wurde ihr preisgekrönter Film Chisholm '72: Unbought & Unbossed über die erste schwarze Kongressabgeordnete Shirley Chisholm im Rahmen des Sundance Film Festivals gezeigt. Lynch ist es wichtig, mit ihren Filmen die hegemoniale Geschichtsschreibung zu durchbrechen und die Geschichten von schwarzen Frauen, die in den USA unsichtbar gemacht werden, zu erzählen. Mit Free Angela and all political prisoners ist ihr ein Dokumentarfilm gelungen, der durchaus dieselbe Spannung wie ein Politkrimi aufbringt. Gerade das Archivfilmmaterial, das Lynch im Film verwendet, gibt diesem eine gewisse Lebendigkeit und Authenzität. Wir erleben eine kämpferische junge Frau, die mit einem Lächeln und erhobener Faust den Gerichtssaal betritt. Die Regisseurin lässt Angela Davis, aber auch andere Personen, die in den Prozess involviert waren, selber zu Wort kommen und die Geschichte erzählen. Zwischendurch kommen ein paar wenige Nachstellungen vor, die die Einsamkeit der Haft besonders betonen. Musikalisch untermalt Jazz, insbesondere die Musik von Max Roach, den Geist der Zeit.

Die Politisierung von Angela Davis. Angela Davis ist in Birmingham, Alabama in einer Mittelschichtsfamilie aufgewachsen, in einem Viertel, das in den 1960er Jahren auf Grund der zahlreichen rassistischen Sprengstoffanschläge auch als „Dynamite Hill“ bekannt war. Bereits in ihrer Jugend kam sie in Kontakt mit kommunistischen Gruppen. Auf Grund ihrer guten Leistungen erhielt sie ein Stipendium für die Brandeis University in Massachusetts, wo sie ihren ersten Mentor Herbert Marcuse kennen lernte. Sie studierte in Paris an der Sorbonne und in Frankfurt an der Goethe-Universität bei Adorno und Horkheimer. Während ihres Aufenthalts in Deutschland wurden die Bürgerrechts- und Freiheitsbewegungen in den USA immer bedeutender, was Davis letztendlich 1967 zu einer Rückkehr bewegte. Sie hatte intensiven Kontakt zur Black Panther Bewegung, trat 1968 der KP der USA bei und wurde Mitglied des Che-Lumumba Clubs, der von schwarzen Kommunist_innen gegründet wurde, um stärker auf rassistischen Strukturen hinzuweisen. Angela Davis entwickelte sich zu einer wichtigen Kapitalismus- und Rassismuskritikerin und wurde insbesondere für ihren Einsatz für politische Gefangene bekannt.

1969 bekam Angela Davis eine Stelle als Philosophiedozentin an der University of California – Los Angeles (UCLA), ihr Vertrag wurde jedoch kurz nach ihrer Einstellung auf Drängen von Ronald Reagan, damals noch Gouverneur von Kalifornien, gekündigt. Der Grund war ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei der USA. Die Entlassung löste eine riesige Protestwelle aus. Vom Dekan der Philosophie erhielt Angela Davis die Möglichkeit, eine außerplanmäßige Vorlesungsreihe zu halten – in der ersten Vorlesung kamen statt der 167 angemeldeten Student_innen über 2000.

Von Top 10 Most Wanted zur Ikone. Angela Davis wurde am 13. Oktober 1970 in New York festgenommen und kam für eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft. Man warf ihr als angebliche Komplizin von Jonathan Jackson Mord, Menschenraub und Verschwörung vor. Sie sah sich jedoch als politische Gefangene – genauso wie ihre zahlreichen Unterstützer_innen. Sie wurde angeklagt, weil sie als Kommunistin, Aktivistin, Schwarze und Frau den imaginären Feind verkörperte. Begleitet wurde der Prozess von einer massiven internationalen Protestbewegung. Menschen aus der ganzen Welt solidarisierten sich mit Angela Davis und forderten ihre Freilassung. Tausende Menschen aus der DDR schickten ihr unter dem Motto „Eine Million Rosen für Angela Davis“ Postkarten mit Rosen ins Gefängnis. Am 4. Juni 1972 wurde sie mangels Beweise von allen Anklagepunkten freigesprochen.

Im Film erfahren wir jedoch wenig von Angela Davis Leben nach dem Prozess.

Die emeritierte Professorin der University of California, Santa Cruz, setzt sich vehement für die Abschaffung von Gefängnissen und gegen den „gefängnisindustriellen Komplex“ ein. Gefängnisse sind für Angela Davis nicht nur eine unangemessene Antwort auf soziale Probleme, sondern auch ein nicht unbeachtlicher Wirtschaftsfaktor. "Für Privatunternehmen ist Gefängnisarbeit wie ein Hauptgewinn. Keine Streiks. Keine Gewerkschaften. Keine Arbeitslosenversicherung (…) Alles zu einem Preis, der einen Bruchteil dessen beträgt, was Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt kostet", so ein Zitat von Davis. Weiters ist Angela Davis insbesondere für die Race-Class-Gender-Debatte von großer Bedeutung – eine Thematik die auch heute noch sehr aktuell ist (siehe #SolidarityIsForWhiteWomen).

Angela Davis ist eine bemerkenswerte und inspirierende Person, die ihr Leben der Revolution gewidmet hat und obgleich sie sich selber nicht gerne so sieht, ist sie zu einer Ikone des Widerstands geworden, die mit ihrem Konterfei viele T-Shirts und Poster schmückt. Aber solange sie dadurch anderen Mut machen kann, kann sie damit leben. Trailer zum Film auf Seite 2:

Manu Banu (geb. 1979) studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und engagiert sich bei der Screaming Birds Aktionsgruppe und der NGO EXIT.

35 Jahre Frauenhäuser, 25 Jahre AÖF, 15 Jahre Frauenhelpline. Ein Rückblick und ein Ausblick

  • 22.11.2013, 13:49

Am kommenden Sonntag, den 24. November 2013, feiern die Wiener Frauenhäuser mit einer Benefiz-Matinee im Wiener Volkstheater ihr 35-jähriges Bestehen. progress online hat mit Silvia Samhaber vom Verein Autonome Frauenhäuser über deren Geschichte gesprochen.

 

Die Gründung der Wiener Frauenhäuser geht zurück auf das Engagement von Sozialarbeits-Studentinnen. Am Sonntag den 24. November feiern die Wiener Frauenhäuser mit einer Matinee im Wiener Volkstheater ihr 35-jähriges Bestehen. progress online hat mit Silvia Samhaber vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) gesprochen.

 

progress: Vor 35 Jahren wurde das erste Frauenhaus in Wien gegründet. Wie kam es dazu?

Silvia Samhaber: Zurück geht die Gründung des ersten Frauenhauses auf ein Projekt der damaligen Sozialakademie. Sozialarbeits-Studentinnnen haben unter der Veranstaltungsleitung von Frau Irmtraut Karlsson dieses Projekt konzipiert. Sie waren fasziniert von der Idee einen Raum zu schaffen, in dem sich Frauen und ihre Kinder vor Gewalt schützen und so der Gewalt entfliehen können. Die Studentinnen haben dann andere Städte besucht, wo schon Frauenhäuser etabliert waren, wie beispielsweise in London, und haben sich angeschaut, wie dort gearbeitet wird. Sie haben es tatsächlich geschafft ein Frauenhaus in Wien zu eröffnen. Was gerade zur damaligen Zeit, wie man sich vorstellen kann, eine ganz, ganz große Leistung war.

 

Waren es ausschließlich Studentinnen, die das erste Frauenhaus gegründet haben?

Sie hatten zwar großen Rückhalt von Irmtraut Karlsson, die auch SPÖ-Politikerin war und Verbindungen zur Politik mitgebracht hat, aber letzten Endes geht die Eröffnung des ersten Frauenhauses auf das Engagement der Studentinnen zurück.

 

Foto: Autonome Österreichische Frauenhäuser

 

Gab es große Widerstände gegen die Gründung eines solchen Hauses?

Man muss sich vorstellen, zur damaligen Zeit war Gewalt an Frauen ausgehend vom Partner oder vom Expartner, ein großes gesellschaftliches Tabu. Auch so etwas, wie das Gewaltschutzgesetz, das nach dem Prinzip „wer schlägt, der geht“ funktioniert, gab es damals noch nicht. Es musste also sehr viel Bewusstseinsbildung, sowohl auf politischer Ebene, damit überhaupt die Finanzierung gesichert ist, als auch auf gesellschaftlicher Ebene geschehen.

Nichts desto trotz, wurde das Frauenhaus von Anfang gut angenommen und sehr viele Frauen und Kinder haben Schutz und Unterkunft im ersten Wiener Frauenhaus gefunden. Es hat nicht lange gedauert, bis das zweite Frauenhaus in Wien eröffnet wurde. Mittlerweile gibt es insgesamt vier Frauenhäuser in Wien und 30 in Gesamtösterreich.

 

Gab es parteipolitisch große Widerstände?

Es war ein sehr steiniger Weg, dass es wirklich als Frauenhaus errichtet werden konnte, in dem dezidiert Frauen aufgenommen werden, die von Gewalt betroffen sind und aus der Familie flüchten. Auch die Prinzipien der Frauenhausarbeit, dass die betroffenen Frauen ausschließlich von Frauen betreut werden, haben zu großen Diskussionen geführt.

 

Können Sie kurz die Arbeit, die innerhalb der Häuser und rund um die Häuser passiert skizzieren?

Den Mitarbeiterinnen ist es wichtig, dass die Frauen und ihre Kinder im Frauenhaus erstmals wirklich ankommen können. In weiterer Folge richtet sich die Arbeit danach, was eine Frau gerade braucht. Generell bieten die Mitarbeiterinnen Hilfe und Unterstützung in sehr vielen Punkten an. Zum einen die psychosoziale und psychologische Unterstützung, zum anderen juristische Beratung, wenn zum Beispiel eine Scheidung ansteht, ein Obsorge-Verfahren oder wenn Anzeige erhoben wird. In weiterer Folge, wenn es zu einem Prozess kommt, bieten wir auch die Prozessbegleitung an. Es gibt außerdem in jedem Frauenhaus eigene Mitarbeiterinnen, die sich nur mit den Kindern beschäftigen, damit auch die Kinder die Möglichkeit haben, das Erfahrene und Erlebte zu verarbeiten.

 

Kommen die Frauen durchschnittlich öfter mit Kindern?

Wenn man die Zahlen anschaut, kann schon davon ausgegangen werden, dass der Großteil der Frauen mit ihren Kindern flüchten. Im Vorjahr sind insgesamt 3502 Frauen und Kinder ins Frauenhaus geflüchtet, davon waren 1735 Frauen und 1767 Kinder.

 

Wie lange bleiben die Frauen durchschnittlich im Frauenhaus?

Auch das ist unterschiedlich. Manche Frauen bleiben nur für einen kurzen Krisenaufenthalt, der in unserer Statistik mit 1-3 Tagen erhoben wird, andere bleiben bis zu einem halben Jahr, der große Prozentsatz bleibt zwischen einem halben Jahr und einem ganzen Jahr.

 

Vor 25 Jahren ist der Verein AÖF ( Verein Autonome Frauenhäuser Österreich) gegründet worden. Was für Erneuerungen hat das mit sich gebracht?

Der Verein AÖF geht darauf zurück, dass die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser sich zusammenschließen wollten. Zum einen um sich untereinander vernetzen und in ihrer Arbeit besser austauschen zu können, zum anderen aber auch, um gemeinsam an die Öffentlichkeit zu gehen. Mittlerweile ist der Verein ziemlich gewachsen. 1991 ist die Interventionsstelle gegen Gewalt hinzugekommen. Wir veranstalten zwei Mal jährlich die Frauenhaus-Tagungen, bieten Workshops für Schulen an und stellen Infobroschüren her, zum Beispiel über das Gewaltschutzgesetz, oder darüber, welche Gewaltformen es überhaupt gibt und wo man Hilfe bekommen kann. 1994 ist das Europäische Netzwerk gegen Gewalt an Frauen Wave (Women against Violence Europe) dazugekommen, wo auch der AÖF der Träger ist, und 1998 dann die Frauenhelpline.

 

Auch die Frauenhelpline feiert heuer ein Jubiläum. Erzählen Sie ein bisschen was zu ihrer Entstehung.   

Die Frauenhelpline gegen Gewalt gibt es nun seit 15 Jahren und ist eine bundesweite Hotline, die 1998 unter der damaligen Frauenministerin Barbara Prammer als die erste große, österreichweite Frauenhelpline begründet wurde. Eine Hotline ist ein sehr niederschwelliges Angebot. Die Mitarbeiterinnen versuchen herauszufinden, welche Problemfelder es überhaupt gibt, um dann in weiterer Folge zu schauen, wie man die Frauen am besten in ihrem Weg raus aus der Gewalt unterstützen kann. Die Mitarbeiterinnnen sind an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr erreichbar. Sie beraten auch mehrsprachig auf türkisch, arabisch, bosnisch, kroatisch, serbisch, englisch und rumänisch. Die Zielgruppe sind in erster Linie Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind, aber es rufen auch Angehörige von Gewalt-betroffenen Frauen an, die sich erkundigen, wie sie helfen und unterstützen können.

 

Hat sich das Bewusstsein für die Hotline im Laufe der letzten fünfzehn Jahren verbessert?

Wir hoffen natürlich sehr, dass die Hotline nach fünfzehn Jahren eine Stelle ist, die sich etabliert hat. Viele Beratungseinrichtungen, vor allem Frauenberatungseinrichtungen, haben die Nummer auf ihrer Website.

 

Stichwort Männerberatung: Gibt es da eine Art von Zusammenarbeit?

Ja, es ist uns wichtig, dass da ein reger Austausch existiert. Es gibt auch ein Netzwerk, das sich zur Täterarbeit austauscht, in dem natürlich auch die Männerberatungen vertreten sind und auch bei der Plattform gegen Gewalt in der Familie ist die Männerberatungsstelle vertreten. Es ist uns ein großes Anliegen, dass die Männerberatungen finanziell besser unterstützt werden und Anti-Gewalt-Trainings österreichweit finanziert werden.

 

Stichwort Väterechtsbewegung: Haben sich in den letzten Jahren im Hinblick auf die Väterrechtsbewegung Probleme aufgetan, die es davor nicht gegeben hat?

Man hat zu Wahlkampfzeiten recht stark bemerkt, dass gerade die Väterrechtsbewegung versucht hat, sich zu positionieren und ihre Anliegen noch mehr nach außen zu tragen. Beispielsweise, wenn es um den Rechtsbereich und ums Obsorgerecht geht, gibt es Strömungen, die versuchen ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen zu Wahlkampfzeiten noch stärker einzubringen.

 

Wie ist die derzeitige Situation der Frauenhäuser? Politisch und finanziell?

Die Finanzierung der Frauenhäuser ist Ländersache, dementsprechend ist auch die Finanzierung der Frauenhäuser von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. In manchen Bundesländern ist die Finanzierung halbwegs gesichert, in anderen Bundesländern schaut es prekärer aus. Wir hören immer wieder, dass zum Beispiel Übersetzungskosten nicht so gedeckt werden, wie sie sollten, oder, dass es mehr Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern brauchen würde. Die Situation ist demnach also sehr abhängig vom jeweiligen Bundesland. Wir sind natürlich auch gespannt, was die neue Regierung mit sich bringen wird und hoffen auf große Unterstützung der Gewaltschutzarbeit.

 

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Wir würden uns wünschen, dass eine Bundesländer-übergreifende Aufnahme in die Frauenhäuser möglich wird. Auf Grund der unterschiedlichen Finanzierung ist das bis jetzt nicht möglich. Es gibt aber Fälle, wo es aus Sicherheitsgründen für die Frauen und Kinder notwendig wäre. Es ist wünschenswert, dass es, wenn die Gefährdung im eigenen Bundesland zu groß ist, in naher Zukunft machbar wird zu überstellen.

 

Welche aktuellen Projekte sind angedacht?

Am 25. November starten die Tage gegen Gewalt. Das ist eine internationale Kampagne gegen Gewalt an Frauen und Mädchen, bei der  wir jedes Jahr sehr aktiv dabei sind. Im Zuge dessen veranstalten wir eine Filmnacht und bieten eine Ringvorlesung mit dem heurigen Themen-Schwerpunkt „Gewalt an älteren Menschen“ an. In der Vorlesung werden sowohl rechtliche Aspekte beleuchtet, als auch medizinische, soziologische, philosophische und ethische. Am 28. November veranstalten wir einen Poetry Slam und auf der Website „Der Wunschzettel der Frauenhäuser“ können Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser und Frauen und Kinder, die in einem der Frauenhäuser leben, ihre Wünsche aufschreiben. Man kann die Website besuchen und vielleicht ja den einen oder anderen Wunsch erfüllen.

 

Foto: Autonome Österreichische Frauenhäuser

 

Am 24. November ist die große Benefiz-Matinee „gestern für heute für morgen“. Wie werden die Jubiläen 35 Jahre Wiener Frauenhäuser, 25 Jahre AÖF und 15 Jahre Frauenhelpline gefeiert?

Am Vormittag findet im Volkstheater die Matinee statt, wo unter anderem die Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, die insofern mit den Frauenhäusern recht eng verbunden ist als dass sie die Frauenhelpline initiiert hat und bei der Gründung vom Linzer Frauenhaus eine wichtige Rolle gespielt hat, die Laudatio halten. Zwei der Gründerinnen, Rosa Logar und Irmtraut Karlsson werden in einer Art Doppel-Conference miteinander sprechen und erzählerisch zurückblicken. Sybille Hamann wird eine Podiumsdiskussion moderieren, an der unter anderem Irmtraut Karlsson, Adele Neuhauser, Christoph Feuerstein und der Polizei Vizepräsident Karl Mahrer, der schon seit vielen Jahren ein wichtiger Unterstützer der Frauenhaus-Arbeit ist und für die Etablierung des Gewaltschutzgesetzes wichtig war, teilnehmen. Die Autorin Julya Rabinowich wird einen Text lesen und die Rounder Girls werden gesangliche Stücke darbieten.

Am Nachmittag gibt es auch noch in der Roten Bar und im Weißen Salon Veranstaltungen. Mika Vember spielt gemeinsam mit einer Akkordeonistin, zeitgleich sind im Weißen Salon die Leiterinnen der vier Wiener Frauenhäusern vertreten, die vom Jetztstand berichten. Später wird die Schauspielerin Pia Hierzegger ein szenisches Interview mit dem Leiter der Männerberatungsstelle Romeo Bisutti und Berivan Aslan von den Grünen führen. Außerdem gibt einen Büchertisch und einen Infotisch, wo die Leute mit den Mitarbeiterinnen ins Gespräch kommen können.

 

Benefiz-Matinee: 35 Jahre Frauenhäuser, 25 Jahre Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, 15 Jahre Frauenhelpline gegen Gewalt

Autonome Österreichische Frauenhäuser

"Das nennen wir konkrete Politik"

  • 03.07.2014, 14:16

Zulema Quispe und Julieta Ojeda sind Aktivistinnen des feministischen und anarchistischen Kollektivs Mujeres Creando in La Paz, Bolivien. Im Interview sprechen sie über ihre Arbeit und den Kampf um das Recht auf Abtreibung.

Zulema Quispe und Julieta Ojeda sind Aktivistinnen des feministischen und anarchistischen Kollektivs Mujeres Creando in La Paz, Bolivien. Im Interview sprechen sie über ihre Arbeit und den Kampf um das Recht auf Abtreibung.

Seit 2005 wird Bolivien unter Präsident Evo Morales sozialistisch regiert. Neben Agrarreformen und der Verbesserung der Situation von Kokabauern und -bäuerinnen stehen vor allem die Rechte der indigenen Bevölkerung im Mittelpunkt der politischen Debatte. Trotz einzelner Gesetzesänderungen zur Stärkung der Rechte von Frauen sehen die Feministinnen von Mujeres Creando darin ein Problem, dass Abtreibung in Bolivien nach wie vor ein strafrechtliches Delikt ist.

progress: Wie hat das Projekt Mujeres Creando begonnen?

Julieta: Mujeres Creando wurde vor ungefähr 21 Jahren von María, Julieta und Mónica gegründet - unter anderem auf Grund der Erfahrungen, die sie in traditionellen linken Gruppen gemacht hatten, wo Frauen in der politischen Agenda einen zweitrangigen Platz einnehmen, weil das politische und revolutionäre Subjekt das Proletariat ist. Das politische Subjekt „Frau“, Indigenas oder Jugendliche haben dort keine eigene Stimme.

Deshalb beschlossen sie, eine eigene, heterogene Bewegung zu starten: eine feministisch-anarchistische und autonome Bewegung, unabhängig von politischen Parteien und NGOs und ohne sich der jeweiligen Regierung unterzuordnen. Wir wollten nicht Erfahrungen wiederholen, wie sie an anderen Orten oder auf internationaler Ebene gemacht wurden, wo viele Feministinnen elitäre Gruppen bilden, oder solche, denen nur eine bestimmte soziale Schicht,  eine indigene oder kulturelle Gruppe oder Frauen einer bestimmten Altersgruppe angehören. Das spiegelt sich im gesamten Prozess von Mujeres Creando wider: Hier beteiligen sich Frauen aus indigenen Sektoren, Frauen aus Verbänden und Gewerkschaften, Sexarbeiterinnen, lesbische Gruppen, Haushaltsarbeiterinnen und Frauen, die Schuldnerinnen von Mikrokrediten sind.

Zu welchen Themen arbeitet ihr?

Julieta: Es gibt sehr konkrete Thematiken, die zum Beispiel mit Abtreibung, feministischer Selbstverteidigung oder Gewalt zu tun haben. Ein Arbeitsbereich ist etwa die Beratung zum Thema Abtreibung. Wir sind der Meinung, dass Information Frauen Sicherheit gibt, weil sie erlaubt, Entscheidungen zu treffen, die sicherer sind für den eigenen Körper und die eigene physische Integrität. Wir organisieren auch Selbstverteidigungskurse . Ein eigenes Büro beschäftigt sich mit Anzeigen in Zusammenhang mit männlicher Gewalt. Betroffene Frauen werden rechtlich beraten und bekommen Unterstützung , zum Beispiel auch bei Scheidungen. Das nennen wir konkrete Politik.

In der Einleitung eurer Broschüre zum Thema Abtreibung heißt es, „Pachamama, du weißt, dass Abtreibung Jahrtausende alt ist”. Könnt ihr etwas über die Geschichte der Abtreibung in Bolivien erzählen?

Julieta: Eine Compañera, Carina Aranda, hat viel zu Abtreibung in der vorkolumbianischen Zeit gearbeitet. Sie schreibt in der Broschüre, dass Abtreibung eine Praxis ist, die es in verschiedenen Kulturen der Welt gibt. In Bolivien wurde sie sowohl vor der Kolonialisierung sowie danach angewandt. Sie wirft auch auf, dass in den indigenen Kulturen und in ländlichen Gesellschaften Abtreibung praktiziert wird. Das erscheint uns besonders  wichtig, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der der Diskurs vorherrscht, dass gewisse Praktiken, wie Homosexualität, Abtreibung oder sogar Prostitution und Sexismus, erst mit der Kolonialisierung zu uns gekommen seien. Es gibt eine ganze Reihe von Mythen und Vorstellungen, die keine, unter Anführungszeichen, wissenschaftliche Basis haben.

Carina Aranda führt außerdem das Thema Infantizid ein und behandelt es ohne Moralismen und Vorurteile. Feministinnen sollten sich mit Infantizid auseinandersetzen, weil dadurch aufgezeigt wird, dass Muttersein nichts Angeborenes oder Natürliches in uns Frauen ist. Es ist nicht so, dass wir, das neue Wesen, den Embryo, lieben, kaum haben wir ihn empfangen. Auf gewisse Weise wird dadurch das ganze Thema des Mutterinstinktes entmythisiert.

Unter welchen Bedingungen und mit welchen Methoden wird in Bolivien heute abgetrieben?

Zulema: Das ist von der finanziellen Situation abhängig. Der Großteil der Frauen, die keine finanziellen Mittel haben, führt unsichere Abtreibungen durch. Wenn du eine sichere Abtreibung haben willst, musst du um die 3.000 Bolivianos zahlen. Wenn du kein Geld hast, kannst du sogar um 160 Bolivianos mit Tabletten abtreiben, was aber wahrscheinlich nicht funktionieren wird. Im Falle eines chirurgischen Eingriffs in einem der Spitäler, die nicht die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, glaube ich, machen sie dir den Eingriff auch um 600 oder 400 Bolivianos. Sie bieten dort auch Tabletten an.

Julieta: Natürlich, ist das von deinen finanziellen Mitteln abhängig. Wir verlangen die Straffreistellung, weil sie einen demokratischen Zugang zu Gesundheit und bessere Bedingungen für alle Frauen bedeuten würde.

In Zusammenhang mit dem Kampf um die Straffreistellung von Abtreibung fordert ihr, dass der Staat einen kostenlosen Zugang ermöglicht?

Julieta: Es gibt mehrere Optionen. Abtreibung könnte legalisiert werden oder sie könnte straffrei gestellt werden. Wenn wir von Straffreistellung sprechen, sprechen wir auch davon, dass sie ein Thema des öffentlichen Gesundheitswesens sein muss. Der Staat soll sehr wohl Verantwortung übernehmen, aber nicht notwendigerweise durch eine Legalisierung der Abtreibung und indem er die Bedingungen festschreibt, unter denen Frauen abtreiben. Die Frauenbewegung selbst sollte das erarbeiten.

Ihr setzt euch also für die Straffreistellung und nicht für die Legalisierung ein, weil ihr nicht wollt, dass sich der Staat zu viel in die Angelegenheiten von Frauen einmischt?

Julieta: Ja. Für uns geht es nicht nur darum, Rechte zu erkämpfen. Das ist ein wichtiger Teil, aber von einer feministischen Perspektive aus wollen wir klarmachen, dass wir das Recht haben, als Frauen selbst über unsere Körper zu entscheiden, egal ob es um Mutterschaft oder Abtreibung geht. Es geht darum, sich dieses Recht, das uns in der Geschichte weggenommen wurde, wieder anzueignen.

Wie ist die rechtliche Situation im Moment? Gibt es Fälle, in denen abgetrieben werden darf?

Zulema: Das Strafgesetzbuch stellt Abtreibung unter Strafe, aber sie ist straffrei bei Vergewaltigung, wenn eine Fehlbildung des Fötus besteht, bei Inzest, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist und im Falle von Entführung mit Vergewaltigung, auf die keine Eheschließung folgt. In allen anderen Fällen stehen darauf zwei Jahre Gefängnis.

Was ist die Position der Regierung und Evo Morales gegenüber Abtreibung?

Zulema: Dieses Jahr gab es eine interessante Debatte zum Thema. Eine Abgeordnete thematisierte die Straffreistellung von Abtreibung, einige andere Abgeordnete schlossen sich ihr an. Aber der Präsident meinte sinngemäß, er könne keine Meinung zu dem Thema abgeben, weil er nicht Bescheid wisse, gleichzeitig denke er, abzutreiben bedeute, jemanden zu töten.

Julieta: Das Thema Abtreibung wird oft nur sehr oberflächlich behandelt. Häufig dient es dazu, andere Debatten unter den Teppich zu kehren. In diesem Fall erscheint es mir so, als hätten sie ausprobieren wollen, was passiert, wenn man Abtreibung thematisiert. Aber es ist nach hinten losgegangen, weil es eine sehr starke Reaktion seitens der katholischen Kirche und seitens konservativer Sektoren gab, inklusive einiger Sektoren, die der Regierung nahestehen. Es gab aber eine viel positivere Reaktion seitens der Gesellschaft; zumindest die Bevölkerung von La Paz hat meines Erachtens auf offenere Weise reagiert. So wurde auch Raum für Diskussion und Mobilisierung geschaffen.

Die Regierung nutzt den identitären indigenen Diskurs stark aus. Was haltet ihr von diesem Diskurs?

Zulema: In erster Linie ist die Regierung meiner Meinung nach einem Obskurantismus desUrsprünglichen“ verfallen:  Alles Ursprüngliche ist gut, vor der Kolonialisierung gab es keine Abtreibung und keinen Sexismus – vor der Kolonialisierung war das hier angeblich ein Paradies. Die Regierung versucht diesen Zustand wieder herzustellen. Es kommt mir nicht so vor, als würde sie diesen Diskurs ausnutzen. Vielmehr hat sie ihn selbst immer geführt. Jene Frauen, wie die Bartolina Sisas (Anm. d. Red.: Zusammenschluss bolivianischer Bäuerinnen, benannt nach der Freiheitskämpferin), die gegen Abtreibung sind, wissen sehr wohl, dass es sich dabei um eine Praxis handelt, die es immer schon gegeben hat. Trotzdem sind alle diesem Diskurs verfallen, dass früher nicht abgetrieben wurde.

Julieta: Das Thema der Verteidigung des Lebens, also die Vorstellung, dass alles Leben ist, dass alles von der Pachamama (Anm. d. Red.: zentrale Gottheit in der mittleren Andenregion) kommt, das ist eine sehr oberflächliche Betrachtungsweise dessen, was Leben und die Verteidigung der Natur oder der Umwelt ist. Ich glaube, das sind Fundamentalismen, die vor allem indigenistische Theoretiker_innen mit der Zeit begründet haben. Es gibt jedoch Untersuchungen, die aufzeigen, dass zum Beispiel die Aimara-Frauen, wenn sie abtreiben, keine Schuld fühlen, weil ihre Beziehung zur katholischen Kirche und zu Gott eine andere ist. Sie können viel offener und viel eher ohne Vorurteile über Abtreibung sprechen. Sie betrachten sie als Teil des Kreislaufs des Lebens. Das Thema Schuld wurde ihnen nicht so eingeimpft, wie anderen Frauen.

 

Mehr Informationen zur Arbeit und den Veröffentlichungen von Mujeres Creando sind auf http://www.mujerescreando.org/ zu finden.

 

Das Interview führten Carmen Aliaga und Isabel Rodríguez.

 

 

Zwischen Homosexualität und Migration

  • 19.11.2012, 13:52

Ewa Dziedzic ist Mitgründerin des Vereins zur Integration und Förderung von homosexuellen Migrant_innen (MiGaY). PROGRESS erzählt sie von der Arbeit des Vereins und über die Unsichtbarkeit migrantischer Homosexualität.
Die Fragen stellte Oona Kroisleitner.

Ewa Dziedzic ist Mitgründerin des Vereins zur Integration und Förderung von homosexuellen Migrant_innen (MiGaY). progress erzählt sie von der Arbeit des Vereins und über die Unsichtbarkeit migrantischer Homosexualität. Die Fragen stellte Oona Kroisleitner.

progress: MiGaY wurde 2009 gegründet. Was waren damals eure Motive?

Ewa Dziedzic: Ich habe bereits 2004 mit einem Freund aus Istanbul einen Verein für lesbische, schwule und Transgender-Migrant_innen mit dem Namen Vienna Mix gegründet. Bis dahin gab es zwar LGBT- und Migrant_innenvereine, aber keine Anlaufstelle für Menschen, die in diese Schnittstelle zwischen Sexualität und Migrationshintergrund fallen. Wir wollten sichtbar machen, dass Migrant_innen, wenn sie homosexuell oder Transgender sind, oft mit anderen Diskriminierungserfahrungen zu kämpfen haben.

progress: Mit welchen Problemen wurdet ihr konfrontiert?

Dziedzic: Bei einigen Migrant_innenvereinen wurde uns gesagt: „Das gibt es bei uns nicht, wir haben keine Homos“. Bei den LGBT-Vereinen fand man, dass der Migrationshintergrund egal sei, sie wären für alle Lesben, Schwule und Trans-Personen da. Insofern war die Situation schwierig. Und aus Vienna Mix wurde schnell eine Art Beratungsstelle. Aber eine Beratungsstelle auf ehrenamtlicher Basis ohne Subventionen zu führen war nicht einfach und wir haben Vienna Mix dann 2006 aufgelöst. Es haben sich aber weiterhin Menschen gemeldet, die Hilfe oder nur Austausch suchten. Wir wussten also, dass es in Österreich einen Verein zu dieser Thematik braucht. 2008 rief mich dann Yavuz an und präsentierte mir die Idee, eine Zeitschrift herauszubringen.

progress: Was sind die Probleme, mit denen Leute zu euch kommen?

Dziedzic: Allgemein ist die Unsichtbarkeit dieser Schnittstelle ein großes Problem. Wir betreuen auch immer wieder Asylfälle, denn Homosexualität gilt nicht explizit als Asylgrund. In vielen Ländern ist die Situation für homosexuelle Frauen und Männer sowie Transgender Personen unerträglich, aber sie haben oft keinerlei Basis, einen Asylantrag zu stellen. Dann kommt dazu, dass viele Angst davor haben, ihre Orientierung anzugeben, weil sie wissen, dass die Gefahr, dass es im „Heimatland“ jemand erfährt sehr groß ist. Aber auch innerhalb der Communities in Österreich ist die Situation oft nicht einfach.

prgress: Macht die Kategorie Geschlecht auch einen Unterschied aus?

Dziedzic: Fakt ist, dass wir auch in Europa nach wie vor patriarchale Strukturen haben, Lesben leben irgendwo am Rande. Sehr viele Frauen die zu Vienna Mix oder MiGaY kamen, sahen aufgrund ihrer ökonomischen Lage oder der Migrationsgeschichte kaum eine Möglichkeit als Frau alleine oder mit einer anderen Frau gemeinsam zu leben. Denn sie kommen schnell in eine Argumentationsnot gegenüber ihren Familien. Außerdem haben viele einen starken Bezug zu ihren Herkunfts-Communities hier in Österreich, wo sie das auch permanent argumentieren müssen. Nach dem Motto: eine Frau über 30, die nicht verheiratet ist und keine Kinder hat, ist keine richtige Frau.

progress: Und männliche Homosexualität ist sichtbarer?

Dziedzic: Ja, aber schwule Männer werden dafür oft als die größere „Bedrohung“ angesehen. Wenn man ein „aktiver“ schwuler Mann ist,  bleibt er vielleicht immer noch der Mann und behauptet seine Maskulinität. Wenn er hingegen „passiv“ ist, gilt er schnell als verweiblicht; allein daran sieht man, wie stark verankert die Vorstellung von Geschlechtergrenzen ist. Bei Transgender-Personen kommt durch die Geschlechtsüberschreitung eine Grenzüberschreitung dazu, die dann nochmal andere Probleme aufwirft. Allein das Aufbrechen einer angeblichen Dichotomie zwischen Mann und Frau, wird als Bedrohung wahrgenommen. Und Tatsache ist, dass Menschen nach wie vor aufgrund ihrer Geschlechteridentität eingesperrt werden.

progress: Hat sich seit ihr Vienna Mix gegründet habt die Wahrnehmung der Probleme geändert?

Dziedzic: In den „migrantischen“ Vereinen war es von Anfang an schwieriger. Wir haben hier z.B. die Erfahrung gemacht, dass wir unsere Zeitung bei ihnen vorbeigebracht haben und kaum haben wir uns umgedreht, wurde sie schon in den Mistkübel entsorgt. Die Verneinung von Sexualität ist immer aktuell und ich habe viele verheiratete Migrant_innen kennen gelernt, die meinten, dass sie sich nie trauen würden, zu einem etablierten „migrantischen“ Verein zu gehen und dort über ihre Sexualität zu reden. Und was die  LGBT-Vereine anbelangt:  so groß die Skepsis Vienna Mix und MiGaY gegenüber anfangs war, sind sie heute froh, dass es uns gibt. Also einen Verein, der genau diese Schnittstelle anspricht. Es gibt also viel Unterstützung, aber es existieren auch noch immer Lokale, die schwule Männer, die „migrantisch“ aussehen, nicht reinlassen. Junge Männer zwischen 17 und 30 stehen oft unter Generalverdacht, dass sie Stricher seien.

progress: Wie lässt sich die Situation homosexueller Migrant_innen in Stadt und Land vergleichen?

Dziedzic: Ich glaube, es ist schon als Migrant_in in Wien leichter, als in einem kleinen Kaff in Niederösterreich. Als meine Familie 1992 in so ein „Kaff“ gezogen ist – zuvor wohnten wir nach Umzug aus Polen zwei Jahre in Wien – waren wir die erste migrantische Familie dort. Als ich mich mit 16 geoutet habe, habe ich das vor meiner Familie und ein paar guten Freund_innen getan. Aber es war für mich damals noch unvorstellbar, sich öffentlich zu outen. Vielleicht war es die Angst zu hören: „Jetzt ist sie eh schon eine Ausländerin und dann auch noch eine Lesbe“.  Sehr viele Leute kommen nach Wien, weil sie hier mehr Freiräume wittern, weil es urbaner ist und eine Großstadt mehr Anonymität bietet. Und die Wahrscheinlichkeit bei zwei Millionen Menschen mehr Gleichgesinnte zu finden, ist größer als in einem Steiermärkischen Dorf.

progress: Ist es in migrantischen Communities und Familien schwerer, sich zu outen?                 

Dziedzic: Man muss aufpassen, dass man nicht alles auf den Migrationshintergrund schiebt. Es herrscht leider ein sehr homogenes Bild von Migrant_innen vor. Oft macht es einen Unterschied, ob es sich um die zweite oder dritte Generation der so genannten Gastarbeiter_innenfamilien, die aus sehr traditionellen Strukturen kommen, handelt, oder um Migrant_innen, die in Istanbul gelebt haben oder am Sankt Georg Kolleg waren. Und dann gibt es  noch das Phänomen, dass das durch die Migration hervorgerufene Gefühl der „Entwurzelung“ für einige ein Grund mehr ist, umso verstärkter auf bestimmte Traditionen und Werte des Herkunftslandes zu beharren.

                                                                                                                                                                                                                                                       

progress: Wie zeigt sich das?    

Dziedzic: Ein Beispiel: Als ich meiner Mutter gesagt habe, dass ich mich in eine Frau verliebt habe, war sie vor allem froh, dass ich nicht schwanger bin. Sie meinte dann, dass es nicht so schlimm ist, aber in Polen durfte das niemand erfahren. Jahre später war meine Mutter völlig überrascht, weil das Thema Homosexualität auch im polnischen Fernsehen besprochen wurde. Sie hat bis `89 nichts davon gehört. Die Frage „Ist es einfacher, sich in Kärnten zu outen oder doch in Wien leichter als in Krakau“ ist nicht pauschal zu beantworten. Das hängt manchmal davon ab, ob deine Familie seit Jahren den katholischen Familienverband unterstützt und du in Wien lebst oder du in Kärnten aus einer Familie kommst die sagt: „Naja, kann man nix machen“.

progress: Was muss sich in Zukunft ändern? Welche Forderungen habt ihr?

Dziedzic: In unterschiedlichen Bereichen so einiges. Zum Beispiel muss garantiert sein, dass es ein selbstständiges Aufenthaltsrecht für Migrantinnen gibt. Es kann nicht sein, dass Frauen wegen des Aufenthaltsrechts ihres Mannes an ihn gebunden sind.
Klar wirkt sich auch jede Verschärfung im Fremdenrecht auf Migrant_innen, egal welcher sexuellen Orientierung, aus. Auf der anderen Seite sind es die LGBT-Rechte. Seit 2010 gibt es die eingetragene Partner_innenschaft in Österreich, es existieren aber noch immer über 50 Ungleichbehandlungen gegenüber der Ehe. Angefangen davon, dass man den Nachnamen verliert, wenn man sich eintragen lässt, bis dahin, dass gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder adoptieren dürfen.
Grundsätzlich geht es darum, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben sollte, gleichberechtigt an der Gesellschaft partizipieren zu können, sichtbar zu sein, ohne mit physischer oder psychischer Gewalt konfrontiert zu werden.

 

„Spanien ist weder demokratisch noch zivilisiert“

  • 28.09.2012, 11:25

Ana María Pérez del Campo gründete 1973 in der Ära Francisco Francos den Verein Getrennter und Geschiedener Frauen. Warum sie mit 76 Jahren noch für das Recht auf Abtreibung kämpft, erzählte sie Jan Marot.

Ana María Pérez del Campo gründete 1973 in der Ära Francisco Francos den Verein Getrennter und Geschiedener Frauen. Warum sie mit 76 Jahren noch für das Recht auf Abtreibung kämpft, erzählte sie Jan Marot.

progress: Spaniens Justizminister Alberto Ruíz Gallardón will die Fristenlösung bei schwerer Missbildung des Fötus verbieten.

Ana María Pérez: Wenn man von Gallardón spricht, muss man ihn als das bezeichnen, was er ist: ein Fundamentalist. Das Thema Abtreibung wird in Spanien seit 40 Jahren debattiert. In einem offiziell nichtkonfessionellen Staat darf Gallardón nicht unter religiösen Vorsätzen Gesetze durchboxen. Das stimmt natürlich insofern nicht, dass bei uns in Spanien die Kirche so stark ist, wie der Islam in islamistischen Staaten. Die Burka der Spanierinnen ist, dass man ihnen nicht gewährt, selbst über ihre Mutterschaft zu entscheiden. Gallardón geht es darum, dass die Frauen das Rollenbild der 1960er- Jahre wieder aufgreifen: Zurück zur Familie und an den Herd. Es soll wieder Gottes Gesetz eingeführt werden. Unser einstiger Diktator Francisco Franco hat in seinem Testament niedergeschrieben, er habe „Spanien gut verschnürt hinterlassen, alles gut verschnürt“. Was heute passiert, knüpft daran an. Dabei gibt es in der EU nur zwei Staaten, die die Abtreibung nicht geregelt haben. Malta und Irland. Zwei der katholischsten, wenn man so will. Selbst das hochkatholische Polen gewährt Abtreibungen bei Missbildung des Fötus. Die Frage Leben ja, Leben nein, sie ist im Fötenstatus eine rein biologische, über einen eben erst begonnenen biologischen Prozess.

Wie entstand Ihre NGO der Getrennten und Geschiedenen Frauen Spaniens?

1973 gab es ja das Scheidungsrecht noch nicht. Unser erster Name war Verein der Getrennten Frauen. Wir mussten die Prüfung der Generalsicherheitsdirektion in Madrid bestehen. Wir schickten unsere Präsidentin, eine deklarierte Befürworterin des faschistischen Regimes, was die Sache erleichterte. 1975 trennten sich unsere Wege und wir begannen den Kampf für die Scheidung und die Abtreibung. Viele Frauen aus faschistischen Haushalten haben damals abgetrieben. Sie stiegen in ein Flugzeug und führten den Eingriff in London, Frankreich oder in Portugal durch. Aus Protest gegen das Abtreibungsverbot sperrten wir uns in Kirchen und Gerichte ein. Vor der UNO brachten wir Klagen zur Situation der Frauen im Franco-Spanien ein. Ich bin eine Feministin und wir müssen weiterkämpfen, denn das drohende Unrecht, das vom konservativen Fundamentalismus ausgeht, ist zu groß.

Wie haben Sie ihre eigene Trennung und spätere Scheidung von ihrem Ex-Ehemann erlebt?

Ich habe mich nach fünf Jahren der Ehe getrennt. Das war 1961. Das musste vor der Kirche und einem Tribunal geschehen. Die Urteile damals begannen mit der Phrase „Im Namen Gottes“. Mich erklärte man zu einer „unschuldigen“ Ehefrau. Das erfüllte mich mit Scham, denn was die Kirche unter „unschuldig“ versteht, kann vieles sein. Vom selben Gericht wurden Frauen mit der Begründung verurteilt, sie wären nicht ihren ehelichen Pflichten nachgekommen. Frauen wurden verurteilt, weil sie sich nicht von ihren Männern wieder und wieder vergewaltigen lassen wollten; unzählige, weil sie arbeiten wollten und ihr Mann dazu keine Erlaubnis gab. Frauen klagten, weil sie wie Sklavinnen einzig als Hauskraft geheiratet worden waren. Frauen wie ich. Wir waren vor dem Gesetz Objekte, die man ehelichte, um das Haus des Mannes zu schmücken. Erst 1981 – als das Recht gesetzlich verankert war – konnte ich mich scheiden lassen.

Aktuell sehen wir einen deutlichen Anstieg der Todesopfer häuslicher Gewalt. Wo liegen die Gründe?

Die jetzige Regierung lässt Frauenzentren, Frauenhäuser und Informationsstellen schließen. Das ist ein Grund für den Anstieg. Aber die Zahlen steigen vor allem, wenn die Aggressoren sich im Gefühl der Straffreiheit wägen. Bislang (Anm. zum 2. August 2012) sind in diesem Jahr 33 Frauen in Spanien ermordet worden, durch die Hände ihrer Ehemänner, Partner, oder ihres Ex.

Welche Rolle spielt dabei die PP-Regierung?

Sie schaltet auf Durchzug. Seit 1968 sind mehr als 8.900 Frauen in Spanien von ihren Partnern und Ex-Partnern ermordet worden. Warum beziehe ich mich auf 1968? Seither wurden die Opfer des ETA-Terrorismus gezählt. 857 Tote und Verletzte gehen auf das Konto der baskischen TerroristInnen. Doch diese ermordeten Frauen starben die qualvollsten Tode. Sie wurden erschlagen, verbrannt, erstochen, erschossen, mit Säure überschüttet. Das passiert im heutigen Spanien – ein Land, das man weder zivilisiert noch demokratisch nennen kann. Wären die 8.900 Toten Fußballer gewesen, oder aus einer sozialen Schicht, die Einfluss hat, das Problem wäre längst gelöst. Zwei Dinge wären ein Anfang: Lange Gefängnisstrafen für die Täter und eine wirksam überwachte Bannmeile nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Kinder.

Nicht selten werden auch Kinder ermordet.

So rächen sich Väter an ihren Frauen auf die bestialischste Art und Weise überhaupt. Wie beim jüngsten Fall (Anm.: in Las Palmas de Gran Canaria), wo ein Vater mit seinem Kind sein vollgetanktes Auto vor dem Haus seiner Ex-Frau gegen einen Pfeiler gefahren hat und beide verbrannt sind. Der Kinds- und Selbstmörder hatte kurz davor noch seine Ex-Frau über die Sprechanlage des Hauses aufgefordert, sie solle ans Fenster treten, um das zu sehen, was sie verdiene.

Justizminister Gallardón will die Entscheidung über eine geteilte Obsorge im Scheidungsfall dem Richter überantworten.

Es soll eine Regelung kommen, die absolut frauenfeindlich ist. Eine, die das Wohl des Kindes in die Hände eines Bürokraten legt. Ein Kind ist kein Gut, das man aufteilen kann. Kinder brauchen eine Erziehung, die nicht auf Widersprüchen der Eltern aufbaut, und keine Kindheit, wo sie wie ein Koffer weitergereicht werden. Sie brauchen Ruhe, Ernsthaftigkeit und Routine. Das ist wichtig für ihre
Entwicklung und ihr ganzes Leben. Wir fordern keine Bevorzugung der Mütter. Wichtig ist, dass der Fokus darauf gerichtet ist, wo das Kind sich am besten entwickeln und leben kann.