Roma-Frauen: „Wir wissen, was das Beste für sie ist“

  • 06.03.2014, 19:35

Roma sind die größte Minderheit innerhalb der Europäischen Union und werden aufgrund ihres Nomadendaseins als „gesamteuropäisches Problem“ angesehen. Frauen haben es aufgrund der paternalistischen Tradition und Diskriminierung besonders schwer, ein Leben nach ihren Wünschen zu führen.

Roma sind die größte Minderheit innerhalb der Europäischen Union und werden aufgrund ihres Nomadendaseins als „gesamteuropäisches Problem“ angesehen. Frauen haben es aufgrund der paternalistischen Tradition und Diskriminierung besonders schwer, ein Leben nach ihren Wünschen zu führen.

Etwa 12 Millionen Roma leben heute auf unserem Kontinent, die meisten davon in Südost-Europa. Da die Volksgruppe der Roma mit keiner Nationalität verbunden wird, werden nur jene Menschen als Roma bezeichnet, die sich selbst als solche definieren. Viele leben heute in Ländern mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das größte Problem ist die schlechte Bildungssituation der Roma. Es gibt eine überdurchschnittlich hohe Rate an Analphabetismus, was oft ein Grund für spätere Arbeitslosigkeit und gesellschaftliche Exklusion ist. Roma-Kinder werden, beispielsweise in Bulgarien, immer noch zu einem Großteil vom Staat in Schulen gesteckt, in denen das Niveau deutlich niedriger ist als der Durchschnitt, da die Drop-Out-Quote von Romakindern in regulären Schulen überdurchschnittlich hoch ist. Oft können die Kinder der Roma auch gar nicht zur Schule gehen, da der Weg zu weit oder das Geld für Schulmaterial nicht vorhanden ist. Meist sind auch die Eltern nicht zur Schule gegangen oder haben dort schlechte Erfahrungen gemacht. Denn Bildung wird auch bei den Roma vererbt.

Ebenso problematisch ist die Wohnungslage. Roma haben oft keine Urkunden oder Verträge über ihre Behausungen, deshalb können sie einfach in schlechtere Wohngebiete, umgesiedelt werden, wobei oft Menschenrechte und Gesetze verletzt werden. Vielerorts wird ihnen das Recht, sich niederzulassen, verweigert. In Cluj-Napoca in Rumänien wurde im vorigen Jahr eine Roma-Siedlung in der zentralen Coastei Straße zwangsgeräumt und die BewohnerInnen neben einer Müllhalde neu angesiedelt. Nach einem heftigen Protest, vor allem durch Amnesty International, wurde die Vertreibung der etwa 300 Roma vom Landesgericht Cluj-Napoca als rechtswidrig und diskriminierend eingestuft.[1]

Durch solche Praktiken kommt es zu einer Ghettoisierung, welche die Roma zusätzlich vom sozialen Leben ausschließt. Denn diese Siedlungen liegen weit entfernt von Schulen oder anderen Ausbildungsmöglichkeiten, und weisen gravierende Mängel auf. Die Roma-Siedlungen sind verkehrsmäßig schlecht erschlossen und verfügen kaum über Strom, Telefon, Wasseranschluss oder Kanalisation. Durch diese Situation werden jene Vorurteile, die Roma als „dreckig“ bezeichnen, noch  bestärkt.

Mädchen sind eine unrentable Investition

In der Diskussion um Roma muss besonders die Situation der Frauen berücksichtigt werden. Denn der Tradition nach sind Roma-Frauen den Roma-Männern untergeordnet. Ihre Rolle ist jene der Hausfrau und Mutter in einer paternalistischen Gesellschaft. Sie kümmern sich um die Kinder, kochen und helfen manchmal auch bei der Arbeit. Von den Eltern wird es oft als nicht sinnvoll erachtet, Mädchen in die Schule zu schicken, da sie sowieso jung verheiratet werden. Bereits mit etwa 16 Jahren werden in traditionellen Romagemeinschaften die Mädchen aus der Schule genommen und ihrem Mann übergeben. Manche heiraten sogar bereits mit elf oder zwölf. Ein Viertel der 16-Jährigen lebt in einer eheähnlichen Beziehung. Deshalb sind viele Roma-Frauen schlecht ausgebildet und stark armutsgefährdet. Eine Studie der „European Union Agency for Fundamental Rights“ (FRA) zeigt jedoch, dass das Bildungsniveau der Roma-Frauen innerhalb der EU- Mitgliedsstaaten insgesamt zunimmt. Während die durchschnittliche Alphabetisierungsrate bei Roma-Frauen mit 77 Prozent niedriger liegt als bei deren Männern (85 Prozent), weisen junge Roma (der Alterskategorie 16 bis 24 Jahre) eine geschlechtsunabhängige Alphabetisierungsrate von 89 Prozent auf.

Luiza Puiu studiert Soziologie an der Universität Wien. Sie stammt selbst aus Timisoara (Rumänien) und besucht seit vielen Jahren immer wieder eine traditionelle Roma-Wandergemeinschaft, die sich einmal jährlich in der Nähe ihrer Heimatstadt niederlässt.  Sie erzählt von der ökonomischen Dimension der Ehe in traditionellen Roma-Gemeinschaften, welche ein Abkommen von Zusammenleben und Zusammenarbeiten darstellt: „Für die Mädchen ist Liebe entweder fremd oder von der Ehe getrennt. Woher soll ich wissen wer zu mir passt?, sagte mir eine junge Frau, die ich fragte, ob es sie nicht stört, wenn ihre Eltern den Ehemann aussuchen.“ Und Luiza Puiu erzählt weiter, dass die Eltern der jungen Roma-Frau dazu meinten: „Wir wissen, was das Beste für sie ist. Nur hoffentlich läuft sie nicht mit einem Anderen davon.“

Foto: Luiza Puiu

In der traditionell paternalistischen Gesellschaft der Roma ist es eine schlechte Nachricht für die Familie, wenn ein Mädchen geboren wird. „Mädchen sind eine sogenannte „Investition“, die später inklusive Mitgift weitergegeben wird. Ein Junge hingegen bringt seine Braut mit ihrer Arbeitskraft und Mitgift in seine Großfamilie.“, erklärt Luiza. Aufgrund der paternalistischen Tradition ist das Recht von Roma-Frauen und –Mädchen auf freie Entscheidungen oder Bewegungsfreiheit nicht gegeben.  Viele leiden auch unter häuslicher Gewalt.

Der Zugang zu Gesundheitsversorgung ist für Roma aufgrund von Diskriminierung durch die Mehrheitsbevölkerung oft beschränkt, was ein weiterer Grund für den überdurchschnittlich schlechten Gesundheitszustand unter Romas ist, die Kindersterblichkeit liegt in den meisten Ländern weit über dem Durchschnitt. Die Lebenserwartung der Roma im östlichen Europa beträgt im Schnitt zehn Jahre weniger als die der Mehrheitsbevölkerung. Die medizinische Versorgung der Frauen ist besonders prekär. Roma-Frauen ab 50 bezeichnen ihren Gesundheitszustand doppelt so oft wie Nicht-Roma-Frauen als „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Schwangere Frauen sind dabei am schlechtesten gestellt: Sie gelten in der rituellen Tradition als „unrein“ und gehen während der Schwangerschaft auch nicht zum Frauenarzt. Den Geburtstermin erfahren sie erst, wenn die Wehen einsetzen. Auch sind sie unverhältnismäßig stark von den schlechten Wohnbedingungen betroffen, da sie traditionellerweise die meiste Zeit zuhause verbringen.

Diskriminierung und gesellschaftliche Exklusion
Die Roma werden seit Jahrhunderten mit Diskriminierung und Vorurteilen konfrontiert: Man sagt ihnen nach, dass sie faul, kriminell, verlogen wären. Zudem würden sie jede Verantwortung und Arbeit verweigern. Auch die Gewalt gegen Roma wird in vielen Ländern gesellschaftlich akzeptiert. In Rumänien betreiben politische Parteien von rechts bis links Stimmenfang auf Kosten der Roma. Teilweise werden Ressourcen wie Bildung und Arbeit von den Roma bewusst aus traditionellen und kulturellen Motiven nicht in Anspruch genommen, weshalb diese als „undeserving poor“ gelten: Menschen, die arbeiten könnten, dies aber nicht tun und deshalb von der staatlichen Wohlfahrt weniger berücksichtigt werden. Die traditionellen Berufe der Roma werden dabei als nicht produktiv für die Gesellschaft angesehen.[2]

Es muss ebenso bedacht werden, dass viele Roma durch Diskriminierung einen erschwerten Zugang zu Bildung und Arbeit haben und dies Kettenreaktionen auslöst. Diskriminierung erschwert eine gute Schulbildung und gesellschaftliche Integration. Eine schlechte Schulbildung und der Ausschluss von der Gesellschaft erschweren die Arbeitssuche. Und Arbeitslosigkeit wiederum erschwert gesellschaftliche Integration.

In der Sowjetunion wurde noch versucht, die Roma zu assimilieren. Danach wurde immer mehr das andere Extrem beobachtbar: eine systematische Exklusion der Roma von der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft. Im Jahr 1999 wurde in Usti-Nestemice (Tschechische Republik) eine Mauer zwischen der Roma-Siedlung und den Häusern der anderen BewohnerInnen der Straße gebaut, um die „Lärmbelästigung“ durch die Roma einzudämmen. Zwar musste die Mauer nach sechs Wochen wieder abgebaut werden, dennoch zeigt sich hier deutlich die „Wir wollen nichts mit euch zu tun haben“-Attitüde der Bevölkerung gegenüber der Roma. Das wohl erschreckendste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die erzwungene Sterilisation von Roma-Frauen in der Tschechischen Republik in den 1970er Jahren, welche teilweise bis in die 1990er Jahre andauerte, um die Geburtenrate der Roma zu senken. Erst in den 2000er Jahren gab das „United Nation’s Committee against Torture“ (UNCAT) den Anstoß für die Aufarbeitung solcher Fälle.[3]

Foto: Luiza Puiu

„Die Roma“ gibt es nicht

Es wäre falsch, von „den Roma“ als homogene Gemeinschaft zu sprechen und ihnen gewisse Eigenschaften zuzuschreiben. Die Ethnie besteht aus vielen verschiedenen Gruppen und Personen, welche oft höchst unterschiedlich gebildet oder integriert sind. Die Integration ist dabei oft von verschiedenen Faktoren abhängig.  Es kommt darauf an, wie lange sich eine bestimmte Gruppe schon in ihrem Umfeld aufhält  Am wenigsten integriert sind jene, die in separaten Siedlungen wohnen. In diesen leben die Roma mit der höchsten Arbeitslosenquote. Viel wichtiger als die Solidarität innerhalb der Ethnie ist die Solidarität innerhalb von Sippen und Familien. Romagemeinschaften unterscheiden sich meist durch deren Berufe. Die Hauptgruppen sind hier Handwerker wie Kesselschmiede oder Löffelschnitzer, Händlerberufe wie beispielsweise Pferdehändler, oder Unterhaltungsberufe  wie Musiker oder Schauspieler.

Die Jahrzehnte sozialistischer Assimilationspolitik ermöglichten die Herausbildung einer Roma-Elite aus RechtsanwältInnen und anderen AkademikerInnen. Die 33-jährige Jane Simon, heute Bildungsreferentin sowie Mediatorin für Roma-Frauen in Deutschland, kommt selbst aus einer bildungsfernen Familie. Ihre Eltern haben nie die Schule besucht, doch sie selbst beschloss mit Anfang 20, auf der Abendschule ihr Abitur und danach Karriere zu machen. Jetzt kämpft sie aus ihrer etablierten Position für mehr Bildung für Roma, wobei sie auch schon vor dem deutschen Bundesrat Vorträge hielt.[4]

Dennoch sind solche Karrieren, gemessen an der Gesamtzahl aller Roma, deutlich seltener als in der Mehrheitsbevölkerung. Etwa 80 Prozent der Roma leben immer noch in Armut.

Selbst sprechen lassen

Den Roma ist es bisher nur in geringem Maß gelungen, sich politisch zu organisieren, da sie sich eher aus der Politik heraushalten. Die Wahlbeteiligung wird auf unter 15 Prozent geschätzt, da sie sich nicht von der Politik angesprochen fühlen. Zudem wurde durch die fehlende Ausbildung über Generationen hinweg  die Entwicklung eines politischen Bewusstseins unterbunden. Einem großen Anteil der Roma ist die Existenz ihrer Organisationen gar nicht bewusst.

Mit Blick auf die paternalistische Struktur der meisten Roma-Familien wurde von der EU ein Projekt entwickelt, welches ausgewählte Roma-Frauen für den Einstieg in Politik, Verwaltung oder NGOs schulen sollte. Sie benötigen dabei Unterstützung von außen, da in ihrer Tradition Berufstätigkeit bedeutet ledig zu bleiben und ihnen auch  - aufgrund meist ungenügender Ausbildung - Kenntnisse in bestimmten Themenbereichen fehlen. Gegenüber 40 Prozent der Roma-Männer gehen nur 24 Prozent der Roma-Frauen einer bezahlten Arbeit nach. Allerdings sind von den arbeitenden Frauen 61 Prozent in Vollzeit beschäftigt, während der entsprechende Anteil bei Männern lediglich 38 Prozent beträgt. Da die Frauen tendenziell überdurchschnittlich viel Hausarbeit verrichten und die Kinderbetreuungsmöglichkeiten schlecht sind, entscheiden sich die meisten Frauen nur dann für einen Job, wenn sich dieser wirklich für sie rentiert.

Insgesamt hat sich die Situation der Roma jedoch in den letzten Jahren stetig verbessert. Dies zeigt sich vor allem an der steigenden Bildungsrate. Dennoch sind noch viele Hilfestellungen von außen nötig, um besonders Roma-Frauen die gleichen Chancen und Auswahlmöglichkeiten zu bieten, die die Frauen der Mehrheitsgesellschaft haben. Wichtig ist auch der Umgang mit der Minderheit. Denn: Es geht weder um Exklusion noch Assimilation, sondern darum, gleiche Chancen  für Roma und Nicht-Roma wie für Männer und Frauen zu schaffen.

Die Autorin Margot Landl studiert Lehramt Deutsch und Geschichte sowie Politikwissenschaften an der Universität Wien.

Links:

http://fra.europa.eu/de/news/2013/die-situation-von-roma-frauen-fra-datenanalyse

http://romaniprojekt.uni-graz.at//

Referenzen:

1 http://www.amnesty.at/service_links/presse/pressemitteilungen/zwangsraeumung_von_roma_in_cluj_napoca_war_illegal/

2 Konzept des Soziologen Stephan Lessenich: “neosozialer Staat"

3 vgl. CROWE, David M.: The Roma in Post-Communist Eastern Europe: Questions of Ethnic Conflict and Ethnic Peace. Nationalities Papers, Vol. 36, No. 3, July 2008, Routledge, London

4 http://www.bild.de/news/inland/integration/ich-bin-roma-bild-report-teil-2-29370174.bild.html

 

AutorInnen: Margot Landl