Fluchthilfe

Weder Hustenzuckerl noch Taschentücher annehmen

  • 05.12.2015, 19:40

Schlepperei als soziales Phänomen und juristischer Straftatbestand wurden in den letzten Jahren zu einem öffentlich breiter diskutierten Thema. Wen Strafverfolgung in der Praxis trifft, ist aber selten Teil der Debatte.

Schlepperei als soziales Phänomen und juristischer Straftatbestand wurden in den letzten Jahren zu einem öffentlich breiter diskutierten Thema. Wen Strafverfolgung in der Praxis trifft, ist aber selten Teil der Debatte.

Die erste Facebook-Einladung zu einem Fluchthilfe- Konvoi bekam ich im September. Angst davor, auf „Teilnehmen“ zu klicken, hatte ich keine. Dabei ist Fluchthilfe in Österreich strafbar. Warum ich keine Angst hatte? Weil ich mutig bin? Wohl kaum. Weil ich naiv bin? Nein, das drohende Strafausmaß war mir bewusst. Warum also dann?

Die Fluchthilfe-Konvois erregten in den letzten Monaten Aufsehen damit, von Österreich aus nach Ungarn zu fahren, um Flüchtende am Rückweg über die Grenze mitzunehmen. Diese Konvois verstanden ihr Handeln nicht nur als Hilfeleistung, sondern auch als politisch-symbolischen Akt, der der Kriminalisierung von Fluchthilfe etwas entgegensetzt.

Eine Frau, die öffentlich dazu steht, Fluchthilfe zu leisten, ist Anahita Tasharofi, Gründerin und Obfrau des Vereins „Flucht nach vorn“. Mit Slogans wie „Ich bin Fluchthelferin und stolz darauf“ versucht ihr Verein die Kriminalisierung von Fluchthilfe öffentlich zu thematisieren, um kriminalisierten Menschen Mut zu machen, sich Unterstützung zu holen. „Wir wollen den Betroffenen zeigen, dass sie nicht alleine sind, dass Zivilcourage kein Verbrechen ist“, sagt Tasharofi im Interview. Eine Anzeige wegen Schlepperei handelte sich Tasharofi ein, als sie mit einem Mitarbeiter des Innenministeriums in Konflikt geriet. Dass gegen sie ermittelt wurde, sieht Tasharofi als Einschüchterungsversuch.

DIE POLITISCHE FUNKTION DES SCHLEPPEREI-VORWURFES. Im §114 Fremdenpolizeigesetz (FPG) wird Schlepperei – die Förderung der Einreise oder Durchreise von „Fremden“ – als Straftat definiert, wenn eine Gegenleistung (Entgeltlichkeit) im Spiel ist. Aber auch ohne Gegenleistung ist Fluchthilfe nach §120 FPG strafbar, wenn auch nur als Verwaltungsübertretung.

Dass der Schlepperei-Vorwurf gerne verwendet wird, um politischen Aktivismus zu diskreditieren, zeigte sich 2014 im sogenannten Schlepperei-Prozess gegen Aktivisten des Refugee Protest Camps. Die Verhaftungen der Angeklagten im Sommer 2013 gingen mit einem großen Medienspektakel einher. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sprach davon, dass es sich um eine brutale Schlepperbande handle, die schwangere Frauen am Weg zurücklasse. Von 30 Millionen Euro „Schlepperumsatz“ war die Rede. Dass all diese Vorwürfe der Diffamierung einer lästig gewordenen Protestbewegung dienten, lag für manche von Anfang an auf der Hand und wurde spätestens im Laufe des Prozesses bestätigt. Denn all diese Vorwürfe waren nicht Verhandlungsgegenstand: Es ging immer nur um Kleinstbeträge zwischen 20 und 30 Euro. Fast alle Angeklagten bekannten sich dazu, andere Geflüchtete bei der Durchreise durch Österreich unterstützt zu haben. Verdient hätten sie daran nichts, oft sogar aus der eigenen Tasche draufgezahlt, etwa wenn sie sich um Zugtickets kümmern mussten. Als Prozessbeobachterin für „Nachrichten auf ORANGE 94.0“ konnte ich miterleben, wie weit die Entgeltlichkeit gefasst werden kann. Jede Erwähnung von Kleinstbeträgen in den abgehörten Telefonaten wurde zu einem Indiz für die angebliche Schleppertätigkeit. Auch wurde die Annahme von Essen als „Schlepperlohn“ ausgelegt.

Als im Dezember 2014 ein Großteil der Angeklagten wegen §114 FPG verurteilt wurde, war die Empörung groß. Übersehen wurde dabei aber, dass das Urteil sehr „milde“ war, wenn es mit anderen Verfahren nach §114 mit ähnlicher Sachlage verglichen wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Strafausmaß ohne die mediale Beobachtung weit höher gewesen wäre.

BETROFFENE PREKARISIERTE OHNE RÜCKHALT IN DER ÖFFENTLICHKEIT. Ein ähnliches Phänomen ist im Fall Tasharofi zu beobachten. Die Ermittlungen gegen die Gründerin des Vereins „Flucht nach vorn“ wurden nach kurzer Zeit eingestellt. Tasharofi führt das nicht nur auf mangelnde Beweise, sondern auch auf öffentliche Aufmerksamkeit zurück: „Der Unterschied zwischen mir und den anderen Menschen, die als Schlepperin oder als Schlepper angezeigt wurden, ist, dass ich durch meinen Verein mehr in der Öffentlichkeit stehe.“ Tasharofi ist breit vernetzt, steht laut für ihre Rechte ein und hat einen guten Anwalt. Im Interview erzählt sie, dass sich nach der Anzeige gegen sie viele Menschen bei ihr gemeldet und ihr erzählt hätten, dass sie selbst, Verwandte oder Freund_innen auch davon betroffen seien. „Sie haben keine Anwält_innen, können sich die Kosten nicht leisten, es gab keine öffentliche Aufmerksamkeit und sie trauten sich auch nicht, das öffentlich anzusprechen“, erklärt Tasharofi.

Gefährdet ist also weniger die Fluchthilfe-Konvoi- Bewegung, die gut informiert und vernetzt ist und weiß, dass sie von einer mitfahrenden Person weder Hustenzuckerl noch Taschentücher annehmen darf, um sich nicht der entgeltlichen Schlepperei schuldig zu machen. Gefährdet sind auch nicht jene, die Menschen unter lebensbedrohlichen Bedingungen in Lastwägen pferchen. Gefährdet sind Menschen, die ihre Verwandten und Bekannten über die Grenze bringen und sich dabei das Benzingeld aufteilen. Gefährdet sind auch Taxifahrer_innen, die den normalen Fahrpreis für die Fahrt über die Grenze kassieren. Menschen in prekären Lebensverhältnissen, die auf Pflichtverteidiger_innen angewiesen sind und keinen Rückhalt in der Öffentlichkeit haben, sind es, die letztlich wegen Schlepperei zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt werden, weil sie Menschen beim Grenzübertritt geholfen haben.

Nach dem „Schlepperei-Prozess“ 2014 wurden Forderungen nach einer Reform des §114 FPG laut. Mit der aktuellen Situation ist die Aussicht auf eine Reform aber in weite Ferne gerückt. Die europäische Asylpolitik macht Schlepperei erst notwendig, indem sie keine legalen Fluchtwege zulässt. Ihre Vertreter_ innen hüten sich davor, Fluchthilfe zu entkriminalisieren, denn das würde auch die Flucht nach Europa erleichtern.

Katharina Gruber hat Politikwissenschaft in Wien studiert und ist in der politischen Bildungsarbeit, im Journalismus und in der Sozialarbeit tätig.

Allein im Mittelmeer

  • 23.05.2015, 14:42

Die kleine Mittelmeerinsel Lampedusa - ein acht Kilometer langer Felsen - ist erste Anlaufstelle für tausende afrikanische Menschen, die flüchten mussten. Und gleichzeitig ist sie nur eine Durchlaufstation; für die, die es geschafft haben, und für wenige von all denen, die es nicht geschafft haben. Das Schicksal sowohl der Überlebenden als auch der Toten wird unsichtbar gemacht, denn auch auf Lampedusa darf das Drama im Mittelmeer nicht zu sehr stören.

Macondo – eine Fantasie, ein Dorf, ein Film

  • 28.10.2014, 01:45

Eine Filmrezension.

Eine Filmrezension.

In der Literatur ist Macondo ein fiktiver Ort, in Wien ist Macondo Realität. Im Bezirk Simmering liegt das Flüchtlingsdorf, in dem seit Mitte der 50er Jahre über 3.000 Flüchtlinge aus über 20 Ländern zusammenleben. Seinen poetischen Zweitnamen hat die Kaserne Zinnersdorf von chilenischen Flüchtlingen erhalten, Vorbild war ein fiktives Dorf in Gabriel García Márquez’ Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“. „Macondo“ heißt auch der Spielfilm von Sudabeh Mortezai, der bei der diesjährigen Viennale seine Österreich-Premiere feiert. Macondo ist ein Fußballplatz hinter einer Wellblechwand, ein Sofa im Wald und eine Busstation im Nirgendwo. Macondo ist Brachland und eine Wohnanlage mitten im Industriegebiet. Macondo ist ein Kinderspielplatz, ein Einkaufszentrum und ein Baggerpark. Vor allem aber ist Macondo das Zuhause des elfjährigen Tschetschenen Ramasan (Ramasan Minkailov), der mit seiner Mutter (Kheda Gazieva) und seinen beiden Schwestern in der Flüchtlingssiedlung lebt. Seit dem Tod des Vaters spielt Ramasan den „Mann im Haus“. Als eines Tages Isa (Aslan Elbiev) – ein Kriegskamerad des Vaters – auftaucht, gerät Ramasans Welt aus den Fugen und das idealisierte Bild des Vaters zerbricht.

Fast protokollierend erzählt die Regisseurin vom Leben des Elfjährigen. Keine Sekunde weicht der Film von seiner Seite, was die große Stärke dieser Geschichte ist. Die Behördengänge, die Gespräche mit dem Sozialarbeiter, der Deutschkurs der Mutter: Bei allem steht Ramasans Erleben im Mittelpunkt.

„Macondo“ wurde ausschließlich mit Laien gedreht; Profi-Schauspieler_innen hätten es auch nicht besser machen können. Der Film lebt vom eindrücklichen Spiel Minkailovs und der beobachtenden Kameraführung Klemens Hufnagls. Sudabeh Mortezai, die bisher Dokus gedreht hat und mit „Bazar der Geschlechter“ bekannt wurde, ist ein einfühlsames und beeindru ckendes Spielfilmdebüt gelungen. Jetzt ist „Macondo“ also nicht nur ein fiktiver Ort und ein reales Flüchtlingsdorf in Wien, sondern auch ein toller Film.

 

Sara Schausberger hat Germanistik studiert und arbeitet als Kulturjournalistin in Wien.

Gewalt an der Grenze

  • 27.10.2014, 14:03

An der Straße von Gibraltar kommt es seit Monaten zu rassistischen Übergriffen. Jan Marot sprach mit der spanischen Flüchtlingshelferin Helena Maleno über die Hintergründe.

An der Straße von Gibraltar kommt es seit Monaten zu rassistischen Übergriffen. Jan Marot sprach mit der spanischen Flüchtlingshelferin Helena Maleno über die Hintergründe.

progress: Wie ist die aktuelle Situation der MigrantInnen in Boukhalef bei Tanger?

Helena Maleno: Man ist vom zivilen Terror eines mit Macheten bewaffneten radikalen Mobs zu institutioneller Gewalt übergegangen. Anstatt Täter zu verfolgen, kam es zu Festnahmen von Flüchtlingen. Konkret waren es 26 Personen, die es wagten, für mehr Schutz zu demonstrieren, was in Marokko unangemeldet verboten ist. Sie wurden verurteilt und mit regulären Linienflügen von Casablanca aus in ihre Herkunftsländer deportiert. Andere wurden direkt abgeschoben, oftmals ohne Gerichtsverfahren, ohne Feststellung ihrer Identität, ihrer Herkunft oder ihres Alters, ohne gesetzliche Garantien. Daher leben Flüchtlinge hier in permanenter Angst und Panik vor Attacken und Festnahmen. Wir fordern von Marokko ein, dass es die Konvention für migrantische ArbeiterInnen, die es unterzeichnet hat, auch umsetzt und über die bilateralen Verträge mit Spanien stellt. Letztere und der Druck seitens der EU sind für die Gewalt und Rechtlosigkeit verantwortlich. Das Einzige, was Brüssel und Madrid mit der Forcierung des Grenzschutzes erreichen, sind schreckliche Menschenrechtsverletzungen an der migrantischen Bevölkerung. Wir in Europa tragen Verantwortung für die Grausamkeiten, die MigrantInnen erfahren.

Hat die NGO Walking Borders ihre Sicherheitsmaßnahmen verschärft?

Natürlich. Dabei werden wir von der FrauenrechtsNGO OAKfoundation unterstützt. Sie helfen uns dabei, Migrantinnen zu schulen, was den Schutz vor sexuellen Übergriffen angeht. Das geht zwar mit einem Verlust der persönlichen Freiheit einher, ist aber absolut notwendig. Zudem sind wir nach all den rassistischen und oftmals sexuellen Gewaltakten der vergangenen Monate auch im Bereich der Traumabewältigung aktiv.

Welche Gruppen stehen hinter den Angriffen?

Es gibt drei Akteure. Die Hintermänner, die Aktionen planen, Macheten kaufen und Gruppen finanzieren. Sie richten sich an Kleinkriminelle, die Gewaltakte koordinieren und anführen. Hinzu kommen radikal-islamistische Elemente, die mit Parolen gegen MigrantInnen – zum Beispiel „Sie trinken Alkohol!“ und „Sie respektieren den Islam nicht!“ – Hass schüren und die Massen zusätzlich aufstacheln. Das spricht viele Jugendliche aus der Mittel- und Unterschicht an.

Gab es seitens der spanischen oder marokkanischen Institutionen Unterstützung für die Flüchtlinge?

Nein. Wir haben uns nicht viel erwartet. Die spanische Rechtsregierung und das Außenministerium haben nie von der marokkanischen Regierung Erklärungen zu den Übergriffen auf eine spanische Staatsbürgerin und Menschenrechtsaktivistin eingefordert. Politische und vor allem ökonomische Interessen stehen im Vordergrund. Das ist traurig, aber die Realität. Die spanische Regierung ignoriert ihrerseits das wiederholte, direkte Abschieben von Flüchtlingen an den Grenzen von Ceuta und Melilla. Hier wurde vom Gericht in Cadíz Anklage gegen den Guardia-Civil-Chef von Melilla erhoben. Ein weiteres Verfahren läuft, weil im Februar während eines Polizeieinsatzes in Ceuta 15 MigrantInnen ertrunken sind. Madrid ignoriert die Grundrechte von Flüchtlingen.

Wie steht es um die MigrantInnen an den Grenzen zu den spanischen Enklaven, die auf ihre Chance warten, den Wall zu überwinden?

Ceutas Lager sind seit 2006 weitgehend abgerissen. Hier gibt es, anders als am Monte Gurugu bei Melilla, wo große permanente Zeltlager existieren, nur temporäre Schlafplätze für jene, die den Sprung nach Spanien wagen. Es ist schwer, dort Hilfe zu leisten. Zuletzt haben wir daher unsere Kräfte gegen die Gewalt an der Grenze forciert. Am Grenzwall ist vor allem das Recht auf Leben gefährdet, weil das Gewaltpotenzial der Grenzwache enorm ist. Zudem halten wir die Augen offen, um auf Flüchtlingsschiffe, die in der Zone der Straße von Gibraltar in Seenot geraten sind, hinweisen zu können. Außerdem informieren wir die MigrantInnen über ihre Rechte, wie zum Beispiel das Recht auf Gesundheitsversorgung, und leisten Aufklärungsarbeit gegen sexuelle Gewalt, für den Schutz vor Schwangerschaften und vor sexuell übertragbaren Krankheiten.

Kam es in der ngeren Vergangenheit am Grenzwall zu Todesfällen?

Ja, doch ich kann nur einen bestätigen. Ein Malinese starb bei einem Polizeieinsatz. Ein zweiter ist laut seinen Freunden nach einem Schlag auf den Kopf durch die Grenzwache Stunden später im Zeltlager wahrscheinlich an einer Hirnblutung gestorben. Wie verhält sich die Zivilgesellschaft? In zwischenmenschlicher Hinsicht ist die Solidarität groß, besonders seitens der ärmsten marokkanischen Schichten. Auch in Spitälern behandeln ÄrztInnen und PflegerInnen MigrantInnen kostenlos und ohne die Polizei einzuschalten. Dennoch spielt die Geschichte des Rassismus gegenüber schwarzen Menschen, die in der arabischen Welt und in Nordafrika über Jahrhunderte in erster Linie SklavInnen waren, eine Rolle. Dazu kommt, dass es den Regierenden ausgesprochen genehm ist, wenn sich schwache, arme Bevölkerungsgruppen gegeneinander richten und nicht gegen die MachthaberInnen. Sie könnten sich sonst ja gar gemeinsam wehren. Aber mit Positivem kann man gegen den Hass und den Rassismus arbeiten. Hier dienen afrikanische Läden, Cybercafés und der Sport, zum Beispiel Fußball, als Bindeglied.

Wie steht es um Demokratisierungsund Protestbewegungen in Marokko?

Man hat diese Bewegungen auseinandergenommen und ihre führenden Köpfe inhaftiert. Hinzu kommt die Angst durch die Negativbeispiele des arabischen Frühlings: Ägypten, Libyen und Tunesien geht es jetzt keineswegs besser als unter den früheren Autokraten. So denken viele: „Besser wir bleiben so, wie wir sind, als wir haben Krieg.“ So sind es vor allem junge MarokkanerInnen, die oft im Ausland studiert haben, die sich organisieren, um die Demokratisierung voranzutreiben. Die europäische Entwicklungshilfe blockiert diese Bestrebungen jedoch. Sie dient in erster Linie dazu, Europas Interessen zu festigen und soziale Bewegungen zu schwächen, statt Reformkeime zu unterstützen.

 

Das Interview führte Jan Marot.

 

Zur Person: Die spanische Flüchtlingshelferin und Migrationsoziologin Helena Maleno (44) arbeitet bei der NGO Walking Borders/Caminando Fronteras im nordmarokkanischen Tanger für MigrantInnen aus Subsahara-Afrika an Europas Südgrenze.

Helena Maleno auf Twitter: @HelenaMaleno

„Walking Borders/Caminando Fronteras“ auf Facebook.

OAK Foundation: oakfnd.org

 

Politischer Prozess

  • 20.03.2014, 12:56

Nikolai Schreiter für progress online über den de facto unmöglichen Zugang zum Asylverfahren auf legalem Weg und warum nicht nur der aktuelle Prozess wegen „Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung“ in Wiener Neustadt als Politikum verstanden werden muss. Ein Kommentar.

Nikolai Schreiter für progress online über den de facto unmöglichen Zugang zum Asylverfahren auf legalem Weg und warum nicht nur der aktuelle Prozess wegen „Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung“ in Wiener Neustadt als Politikum verstanden werden muss. Ein Kommentar.

Acht Männer aus Pakistan werden festgenommen und mit dem Vorwurf der „Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung“ in Untersuchungshaft gesteckt. In Kombination stehen darauf bis zu zehn Jahre Haft. Dort sitzen sie monatelang ohne Anklage. Diese liegt beim Gericht, wird angefochten, für rechtskräftig erklärt, dann dauert es noch ein bisschen – und siebeneinhalb Monate nach den Festnahmen, am 17.03.2014, findet der erste Prozesstermin statt. Was ist daran politisch?

Der erste Anhaltspunkt ist die Repression gegen die Refugeeprotestbewegung durch Polizei und Innenministerium: Die Festnahmen fanden alle in den Tagen nach acht medial und von Protest außergewöhnlich breit begleiteten Abschiebungen nach Pakistan statt. Die Abgeschobenen kamen aus dem Umfeld der Refugee Camp Vienna, der Bewegung, die seit November 2012 gegen Rassismus und für die Rechte von Asylsuchenden und Migrant_innen kämpfte. Abschiebungen nach Pakistan sind ansonsten selten, diese acht haben dennoch stattgefunden. Die Verhaftungen wegen „Schlepperei“ direkt im Anschluss haben das mediale Bild von den geflüchteten Aktivisten verändert, weil einige der Eingesperrten auch zum Umfeld des Servitenklosters gehörten, in das der Protest zu diesem Zeitpunkt von staatlichen und kirchlichen Autoritäten bugsiert worden war. Waren sie während des Protests und gerade durch die Abschiebungen die armen Opfer, denen Unrecht geschieht und die sich dagegen unter starkem öffentlichen Ressentiment auflehnten, wurden sie mit den Festnahmen – medial immer im Kollektiv gehandelt – zu den „bösen Schlepperbossen“. Die Caritas, Hausherrin im Kloster, fühlte sich ausgenutzt und die in Österreich auch aufgrund ihrer relativen Selbstbestimmung ohnehin höchstens tolerierte Bewegung war vollends delegitimiert.

Dahinter Absicht zu vermuten, ist eine Unterstellung aufgrund von Erfahrung. Die strafrechtliche Verfolgung politisch Bewegter mittels Unterstellung organisierter Kriminalität hat in Österreich fast schon Tradition: Im Falle der AMS-4 aus dem Umfeld der unibrennt-Bewegung und der Tierschützer_innen zwar wenig justitiabel, wenn es aber gegen „Fremde“ geht, auch mit heftigen Urteilen: Im Rahmen der Prozesse um die „Operation Spring“ wurden insgesamt mehrere hundert Jahre Haft verhängt. In jedem Fall – auch bei Freisprüchen – trugen die Bewegungen, aus der die jeweils Verfolgten kamen, politischen und die Angeklagten großen persönlichen Schaden davon.

Ein weiterer Grund, warum dieser Schleppereiprozess – unabhängig davon, ob die Angeklagten tatsächlich Menschen über Grenzen geholfen haben – ein politischer, eigentlich politökonomischer, ist, bezieht sich auf die Gesellschaft, die den entsprechenden Paragraphen hervorbringt: Als „Schlepperei“ verfolgt, wird nach Fremdenpolizeigesetz §114 insbesondere die entgeltliche Unterstützung von Menschen beim Grenzübertritt, denen staatlich, also von der Instanz, die Grenzen schafft, der Grenzübertritt untersagt ist. Nationalstaaten und ihre Grenzen wiederum sind notwendig, um die aktuelle Funktionsweise der Gesellschaft – Kapitalismus – aufrecht zu erhalten. Der Staat garantiert als Souverän seinen Bürgern und Bürgerinnen Rechte. Darunter auch jene, sich im Staatsgebiet aufzuhalten, zu arbeiten und als freie und gleiche Warenbesitzer und WarenbesitzerInnen Geschäfte abzuschließen, also aus Geld mehr Geld zu machen. Allen anderen, also denen ohne den entsprechenden Pass, verwehrt der Staat diese Rechte. Um dies wirksam zu tun, muss er sie unter anderem gewaltsam davon abhalten, auf seinem Staatsgebiet Dinge zu tun, die er nicht möchte – in diesem Fall: sich darin aufhalten. Deshalb müssen im Kapitalismus Grenzen kontrolliert, Asylanträge abgelehnt und Menschen abgeschoben werden. „Der Schlepper“ - so er denn wirklich Entsprechendes tut und nicht nur dessen bezichtigt wird – nun unterläuft diesen staatlichen Zugriff und verschafft den vom Nationalstaat Ausgeschlossenen Zutritt. Grenzen und ihr Übertritt unterliegen strenger Kontrolle und die sie illegalerweise Übertretenden können selten einfach ein Ticket kaufen. Stattdessen müssen sie gefährliche, oft tödliche Reiserouten und Verkehrsmittel wählen, etwa Container oder Schlauchboote. Dass diese Gefahren und Zumutungen als moralische Unmenschlichkeit „dem Schlepper“ angelastet wird, ist staatstragende Ideologie. Es ist die Grenzabschottung, die Menschen gefährdet und tötet, nicht die Boshaftigkeit einzelner.

Das allseits beschworene Recht auf Asyl wird durch die Unmöglichkeit, Grenzen legal zu übertreten ad absurdum geführt. Es gibt de facto keine Möglichkeit, in Österreich oder einem anderen EU-Staat Asyl zu beantragen, ohne sich dort aufzuhalten. Asylanträge können nur im Inland gestellt werden, hierzu ist also eine Einreise notwendig. Wird kein Visum gewährt (wie in den allermeisten Fällen), bleibt nur der illegale Weg – und dabei ist oft Hilfe nötig. Diese bieten Schlepper an.

Weil wir im Kapitalismus leben, braucht auch der Schlepper Geld. Er bietet eine Dienstleistung an und verlangt dafür in manchen Fällen Geld, einfach weil die Dienstleistung zahlungskräftig nachgefragt wird. Dienstleistung gegen Bezahlung ist Tausch, ein zutiefst kapitalistischer Vorgang, der den Staat als Hüter des Kapitalismus normalerweise nicht stört. Hier steht er dennoch unter Strafe.

Schlepperei sowie das im Rahmen des illegalisierten Grenzübertritts stattfindende Leid und Tod werden also notwendigerweise vom Kapitalismus und seinem bewaffneten Garanten Nationalstaat hervorgebracht. Im besten staatsbürgerlichen Bewusstsein werden sie aber nicht als eine weitere systemische Zumutung begriffen, deren Erkennen nur zur Kritik des falschen Ganzen führen könnte, sondern moralisierend auf „Schlepper“ projiziert. Mit ihrer Verfolgung werden der Staat, ursächlich für das nicht zu leugnende Leid, und sein Hüter zur Schutzinstanz derer stilisiert, die das Leid seiner Grenzabschottung zu tragen haben. Denn anders als Kapital, Staat, Nation und Grenzen kann „der böse Schlepper“ weggesperrt werden. Ist er einmal hinter Gittern, kann die tödliche Normalität weiter wüten.

Für weitere Informationen und Updates zum Prozess: http://solidarityagainstrepression.noblogs.org/

Nikolai Schreiter studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.