Dossier: Zeit der letzten Worte

Stimmen gegen das Vergessen

  • 13.07.2012, 18:18

65 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus bedeutet unter anderem auch, sich mit dem Ableben vieler ZeitzeugInnen und Holocaustüberlebenden auseinandersetzen zu müssen und sich neue Formen der Erinnerung, aber auch Strategien gegen das Vergessen anzueignen.

65 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus bedeutet unter anderem auch, sich mit dem Ableben vieler ZeitzeugInnen und Holocaustüberlebenden auseinandersetzen zu müssen und sich neue Formen der Erinnerung, aber auch Strategien gegen das Vergessen anzueignen.

Die Filmreihe Visible von Marika Schmiedt stellt den Versuch dar, die Erinnerungen von ZeitzeugInnen zu sammeln und für die Nachwelt zu erhalten. Die Reihe Bücher gegen das Vergessen des kleinen zweisprachigen Verlages Drava aus Kärnten/KoroŠka versucht dasselbe.
In einer fünfteiligen Portraitreihe hat die Filmemacherin Marika Schmiedt filmisches Material aufgearbeitet, das in den Jahren 1998 bis 2000 von Mitarbeiterinnen der Lagergemeinschaft Ravensbrück in Zusammenarbeit mit dem Institut für  Konfliktforschung in Form von Interviews mit Frauen gesammelt wurde, die das KZ Ravensbrück überlebt haben. Die Besonderheit dieses Projekts wird durch den Zugang dargestellt, nicht nur die Lebensgeschichten der Überlebenden für die nachfolgenden Generationen festzuhalten, sondern auch darauf einzugehen, welche Auswirkungen die traumatischen Erfahrungen des Nationalsozialismus auf die Nachgeborenen hatten. „Ihr Leben mit dieser Erinnerung, mit/bestimmend für die gegenwärtigen Beziehungen zu Kindern und Enkeln und deren Erfahrungen damit, machen für jüngere ZuschauerInnen den Zusammenhang der Geschichte des Nationalsozialismus mit dessen Bedeutung heute sichtbar.“
So kommen auch die Kinder und Enkelkinder der Holocaust überlebenden Frauen zu Wort und schildern die Schwierigkeiten, sich mit den Geschichten und Erfahrungen ihrer Eltern und Großeltern  auseinanderzusetzen. In den verschiedenen Portraits von Überlebenden unterschiedlicher Opfergruppen werden die Spätfolgen ebenso aufgezeigt wie die Art und Weise, wie die Erfahrung des Holocausts die Beziehungen zu den Familienangehörigen mitstrukturieren. So portraitiert beispielsweise Aber in Auschwitz will ich begraben sein nicht nur die traurige Geschichte von Dagmar Ostermann, die lange Zeit als jüdische Zeitzeugin in Schulen in ganz Österreich tätig war und nun, beinahe vergessen, in einem jüdischen Altersheim in Wien vereinsamt, sondern auch ihren Enkel Marc Ostermann, der sich als letzter in Wien verbleibender Familienangehöriger um seine Oma kümmert. Dieser will sich auch dem letzten Wunsch seiner Oma annehmen, nämlich in Auschwitz begraben zu werden. In der Gedenkstätte des Vernichtungslagers selbst war er aber noch nie. Im Portrait erzählt Ostermann davon, dass die Realität der Lager war, dass sie nicht überlebt wurden. Darüber hinaus versteht sie das Wort „Wiedergutmachung“, gerade in Anbetracht der ständigen Angst und der „Ausrottung“ ganzer Familien durch die Nazis, als reinen Zynismus. Ostermann gibt auch zu, dass sie ihren Sohn mit den Erzählungen vom KZ malträtiert hat und das Aufwachsen mit ihren Erinnerungen nicht immer einfach gewesen ist.
Auch in Lungo Dom/Langer Weg über die Überlebende Ceija Stojka beschreiben sowohl die Tochter als auch die Enkelin der Romi und Künstlerin, dass sie mit den Erzählungen über KZs aufgewachsen sind. Aber auch die Diskriminierungen, mit denen sich Angehörige der Minderheit der Roma immer noch konfrontiert sehen, werden in dem Portrait ausführlich thematisiert. „Die Angst, die durch ihre Erinnerungen an die grauenhafte Kindheit im Todeslager und die wieder zunehmenden Verfolgungen von Roma in Europa wach gehalten wird, hat sie an ihre Kinder und Enkelkinder weitergegeben – aber auch die Liebe zum Leben.“ 

Autobiographische Erzählungen. Der Drava Verlag hat in den letzten Jahren mehrere autobiographische Werke und Übersetzungen von ehemaligen PartisanInnen und anderen (Kärntner) SlowenInnen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise gegen das nationalsozialistische Vernichtungsregime zur Wehr setzten, veröffentlicht. So erschienen beispielsweise im Herbstprogramm 2007 die Erzählungen zweier Autoren, Anton Haderlap und Franc Kukovica, die die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die damit verbundenen Erlebnisse aus der Perspektive der Kinder, die sie damals waren, literarisch verarbeiteten.

Franz Kukovica. So erzählt der 1933 in Blasnitzen/Plaznica, in der Gemeinde Eisenkappel-Vellach/Železna Kapla-Bela geborene Franc Kukovica in seinem Werk Als uns die Sprache verboten wurde. Eine Kindheit in Kärnten (1938-1945) von der systematischen Ausschaltung der slowenischen Sprache in Kärnten/Koroška sowie der voranschreitenden Benachteiligung, Zurücksetzung und Demütigung von slowenisch sprechenden Menschen durch die Nazis. In der Schule als „Windischer“ stigmatisiert, erinnert sich Kukovica auch an seine Angst, die Verluste, die er schon als Kind machen musste, und an jene Männer und Frauen, die für die Freiheit kämpften, und mit denen seine Eltern während des Kriegs in engem Kontakt standen. Während sein Vater in der Fabrik für die PartisanInnen nützliche Materialien, Gegenstände und Geld sammelte und sich später auch dem bewaffneten Widerstand anschloss, übernahm Kukovica selbst Kurierdienste. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Bei der Erledigung meiner Kurierdienste fühlte ich in meinem Körper oft eine plötzliche Spannung, mir wurde so heiß, dass ich schwitzte, das Herz schlug mir sehr stark, ich fühlte es im Halse, Angst befiel mich. Gewöhnlich dann, wenn meine Zweiliterkanne vollgefüllt mit verschiedenen Sachen für die Partisanen war und ich am Wachposten vor der Brücke über die Vellach vorbei musste.“

Anton Haderlap. Aus der Perspektive eines Vierzehnjährigen wird auch das autobiographische Werk Graparji. So haben wir gelebt, Erinnerungen an Kärntner Slowenen in Frieden und Krieg von Anton Haderlap erzählt. Ebenfalls in der Gegend von Eisenkappel/Železna Kapla situiert, bearbeitet Haderlap die Geschichte seiner Familie, seines Tals sowie der slowenisch- sprachigen Bevölkerung seit dem Ersten Weltkrieg bis zur späteren Verfolgung und Unterdrückung durch die Nazis. So finden auch die verharmlosend als „Aussiedlung“ bezeichneten Deportationen von knapp 1.000 Kärntner Sloweninnen und Slowenen im Frühjahr 1942 Erwähnung in dem besagten Werk. Weiters beschreibt Haderlap auch den starken Zulauf der slowenisch-sprachigen Bevölkerung Kärntens zu den PartisanInnen, denen sich auch sein Vater anschloss. Während Haderlaps Mutter, zwei Tanten und ein Onkel sowie eine im gemeinsamen Haushalt lebende Cousine von den Nazis verhaftet und nach Ravensbrück und Dachau deportiert wurden, gelang dem Autor selbst gemeinsam mit einer anderen Tante und seinem elfjährigen Bruder die Flucht in die Wälder, wo er sich ebenfalls dem bewaffneten Widerstand gegen den Nationalsozialismus anschloss, als Kurier tätig wurde und so den Zweiten Weltkrieg überlebte. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Für einen jungen, neugierigen Menschen wie mich war vieles schwer zu verstehen. Es gab viele Fragen, auf die man einem Kind zu seinem Schutz und zum Schutz der ganzen Gruppe keine Antwort geben durfte. Geheimhaltung war lebenswichtig. Zu großes Vertrauen und Arglosigkeit haben viele ins Verderben gestürzt. Immer musste man mit Verrätern, Spitzeln und Denunzianten rechnen. Also musste ich in meinem neuen Heim warten und mich an das Leben im einsamen, muffigen Raum gewöhnen.“
In den autobiographischen Schriften ehemaliger PartisanInnen zeigt sich, dass die Literatur eine der wenigen Möglichkeiten darstellte, dem von ihnen Erlebten Gehör zu verschaffen, ihre Anliegen sichtbar zu machen und das auszusprechen, was nach 1945 in Kärnten wie auch anderswo in Österreich fast niemand hören wollte.

Karel Prušnik-Gašper. Auch Karel Prušnik-Gašper, ein bekannter Kärntner PartisanInnenführer erzählt in seinem Erinnerungsbuch Gemsen auf der Lawine (1981) von seiner Verurteilung zu einer zwölfmonatigen Haft. Dies geschah, weil er in seiner Rede bei der Denkmalenthüllung in St. Ruprecht 1947 unter anderem dazu aufgerufen hatte, das Denkmal möge den Kärntner SlowenInnen für alle Zeiten eine Mahnung sein, niemals wieder „Sklaven zu sein“ und immer dann zu den Waffen zu greifen, wenn es darum geht, „gegen die Fremdherrschaft“ zu kämpfen. „Unser Ziel war ein gerechter Friede eine gerechte demokratische Ordnung, die völlige Liquidierung des Faschismus.“ Ein Ziel, das im offiziellen Kärnten/Koroška und seinem „ewigen Abwehrkampf“ gegen alles Undeutsche weder anzutreffen war noch ist. 
 

 

Zu Ende, aber nicht vorbei

  • 13.07.2012, 18:18

Richard Wadani schreibt über seine Desertion aus der Hitler-Wehrmacht und das lange Ringen um Anerkennung.

Richard Wadani schreibt über seine Desertion aus der Hitler-Wehrmacht und das lange Ringen um Anerkennung.

Letztes Jahr ging ein Kapitel zu Ende, das für mich an einem Herbsttag des Jahres 1944 begonnen hatte. Damals war ich aus der Hitler-Wehrmacht desertiert und an der Westfront zu den Alliierten übergelaufen. Ich hatte beschlossen, gegen jene zu kämpfen, die sich 1938 Österreich einverleibt hatten. Die Hitler-Wehrmacht war für mich eine fremde Armee, sie war die Armee der OkkupantInnen. Trotzdem wurde ich, wie viele andere auch, in Österreich nach dem Krieg lange Zeit als Feigling und Verräter bezeichnet. Es dauerte 65 Jahre bis die Republik uns rehabilitierte und uns offiziell Anerkennung aussprach. 

Wie alles begann. Ich wurde 1922 unter dem Namen Wedenig geboren und wuchs als Sohn österreichischer Eltern in Prag auf. Mein Vater war sozialdemokratisch eingestellt, ich selbst sympathisierte mit den KommunistInnen und war Mitglied der JPT, der Sportbewegung der KP. Ich hatte einen um zwei Jahre älteren Bruder, der 1944 in Norwegen fiel. Wir wuchsen bei den Roten Falken auf und waren sportlich im ATUS aktiv. Bei den Roten Falken waren sehr gute FunktionärInnen, konsequente SozialistInnen mit einer revolutionären Einstellung. Diese Erziehung zeigte mir den Weg in die Zukunft. Mit der Besetzung Österreichs durch Deutschland wurden wir deutsche StaatsbürgerInnen und verloren in der Tschechoslowakei die Arbeitsbewilligung. Wir kehrten also nach Wien, die Heimatstadt meiner Mutter, zurück.
Mit Beginn des Krieges drohte mir die Einberufung zur Wehrmacht. Auf Anraten eines vertrauten Arbeitskollegen meldete ich mich 1939 freiwillig zur Luftwaffe, weil ich mir dort die größten Überlebenschancen ausrechnete. Für mich war aber ohnehin klar, dass ich nicht für Hitler kämpfen wollte.
1941 wurde ich an die Ostfront kommandiert, wo ich als Kraftfahrer einer Luftwaffeneinheit im Hinterland, in Polen und der Ukraine, eingesetzt war. Im Frühsommer 1942 unternahm ich zusammen mit einem Kameraden einen ersten Versuch, überzulaufen. Unser Plan, bei einer unserer Suchfahrten nach abgestürzten Flugzeugen einfach die Frontlinie zu überqueren, erwies sich aber leider als undurchführbar. Ein Glück, dass es keine langen Befragungen gab und wir nach Aufnahme eines Protokolls wieder zurückgeschickt wurden. Über das Ausmaß der Strafe hätte nämlich kein Zweifel bestanden. „An der Front kann man sterben, als Deserteur muss man sterben!“, hatte Hitler schon 1925 in Mein Kampf geschrieben.

Im Frühjahr 1944 wurde ich in eine Dolmetscherschule der Luftwaffe versetzt. Als diese aufgelöst wurde, kam ich nach Frankreich an die Westfront. Am ersten Tag sondierte ich die Lage an der Hauptkampflinie mit der festen Absicht überzulaufen. Vor den Löchern war viel Stacheldraht, und es gab Sicherungen durch Stolperdrähte mit Handgranaten sowie regelmäßige Wachpatrouillen. Darüber hinaus war nicht absehbar, wie die Amerikaner auf der anderen Seite auf Überläufer reagieren würden. Aber schon in der zweiten Nacht, vom 15. auf den 16. Oktober, verließ ich gegen drei Uhr früh mein Schützenloch, wo ich meine Waffe zurückließ. Nur ein weißes Tuch, das mir meine Mutter mitgegeben hatte, trug ich bei mir. Unter Todesangst und nach stundenlangem Robben durch einen Jungwald, der zwischen den Frontlinien lag, gelang es mir, die Front zu überqueren. Als ich die amerikanischen Linien erreichte, stand ich auf, schwenkte das weiße Tuch, das ich an einem Stück Holz befestigt hatte, und rief: „Don’t shoot, don’t shoot!“ Doch die Amerikaner schliefen. Ich musste sie durch mein Geschrei erst wecken. Schon einige Tag später erhielt meine Mutter die Nachricht, dass ihr Sohn „in feiger Weise zum Feind übergelaufen ist und somit zum Verräter des Deutschen Volkes wurde.“
Ich wurde in einem Gefangenenlager in Cherbourg interniert, wo ich mich, da es keine österreichische kämpfende Einheit gab, zur tschechoslowakischen Armee meldete, die im Rahmen der britischen Streitkräfte kämpfte. Ich war als Kraftfahrer eingesetzt. Im November 1945 kehrte ich nach Wien zurück, um meine Mutter zu suchen. Ich fand sie in sehr schlechter gesundheitlicher Verfassung, quittierte daher meinen Dienst und wurde im Jänner 1946 als österreichischer Staatsbürger aus der tschechoslowakischen Armee entlassen. Zurück in Wien wurde ich bald mit der politischen Realität der Zweiten Republik konfrontiert. So wurde ich, als ich am Arbeitsamt vorsprach (ich trug damals noch die englische Uniform), von einem Sachbearbeiter angestänkert: „Wie kommen Sie dazu, in einer fremden Armee gedient zu haben?“

Neubeginn. Ich begann als Funktionär in der KPÖ zu arbeiten, wo ich mich vor allem mit dem österreichischen Sport befasste. 1961-1977 war ich Bundestrainer und Bundeskapitän im Österreichischen Volleyballverband. Ab 1970 war ich bis zu meiner Pensionierung Lehrbeauftragter an der Bundesanstalt für Leibeserziehung in Wien. Parallel dazu baute ich im Pensionistenverband Österreichs den Seniorensport auf. Nach der Zerschlagung des Prager Frühlings trat ich aus der KPÖ aus, blieb jedoch politisch engagiert.
Als Sprecher des Personenkomitees „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“ setze ich mich seit 2002 für die Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren ein. Im Jahr 2009 gelang es uns, die von der Bundesstiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas entwickelte Wanderausstellung „Was damals Recht war …“ – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht in einer für Österreich adaptierten Version nach Wien zu holen. Sie wurde am 1. September eröffnet und löste breite Debatten aus, die zum Beschluss des Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetzes 2009 führten.
Nun hat das Ringen um Rehabilitierung ein erstes Ende gefunden, die Arbeit ist aber noch nicht zu Ende. Um dem Gesetz Leben einzuhauchen, muss die Ausstellung in aktualisierter Form in den Bundesländern gezeigt werden. Stationen in Kärnten, der Steiermark und Vorarlberg sind bereits fixiert, andere sollen folgen. Denn eines ist klar: Rehabilitierung funktioniert nur, wenn sie öffentlich geschieht. Daher gilt es, das späte Bekenntnis Österreichs zu den Wehrmachtsdeserteuren gesellschaftlich zu verankern.

Richard Wadani, 1922 in Prag geboren, desertierte 1944 aus der deutschen  Wehrmacht. Heute ist er Ehrenobmann des Vereins Personenkomitee „Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz“.

 

Die Nazi-Riesen

  • 13.07.2012, 18:18

Einst von Zwangsarbeitern für die Nazi-HerrscherInnen erbaut, sind die drei Flakturmpaare in Wien mittlerweile fast schon zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden. Eine historische Reportage.

Einst von Zwangsarbeitern für die Nazi-HerrscherInnen erbaut, sind die drei Flakturmpaare in Wien mittlerweile fast schon zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden. Eine historische Reportage.

Zu Tausend standen sie bereits in den frühen Morgenstunden mit Sack und Pack im Augarten. Mütter mit schreienden Neugeborenen und quengelnden Kleinkindern an der Hand, beinamputierte Wehrmachtssoldaten, Alte auf Stöcke gestützt, die wenigen Habseligkeiten in einem kleinen Koffer verstaut. Zwischen all den Menschen wartete auch die fünfjährige Hertha Bernhart. Täglich drängte sie sich gemeinsam mit ihrer Mutter zum Flakturm durch, in der Hoffnung, eingelassen zu werden. Ein Flakturm ist ein Hochbunker, der gleichzeitig auch als Plattform für Flugabwehrkanonen (Flak) und deren Feuerleitanlage genutzt werden konnte. Ging der Bombenalarm erst los, dann war es meist schon zu spät. „Dann wurde es unglaublich hektisch“, erzählt die heute 70-jährige Hertha Bernhart. Die Menschen schubsten sich, stolperten übereinander, schimpften und weinten. Für wen es keinen Platz mehr gab, der musste draußen bleiben. Die Luftwarte wurde durch die eisernen Eingangstüren versperrt und die verzweifelten Menschen streuten unter tosendem Geheul der Sirenen auseinander. Doch woanders konnte Hertha mit ihrer Mutter nicht hin. Der feuchte Waschkeller ihres Wohnhauses in der Jägerstraße in Brigittenau war nicht sicher. Würde das Haus von einer Bombe getroffen werden, bedeutete dieser Unterschlupf ihr lebendiges Grab. Also hieß es Anstehen vor dem Flakturm. Zum Missfallen der älteren Menschen wurden Mütter mit Kindern bevorzugt eingelassen.

Macht aus Beton. Der Luftkrieg gegen Wien begann im Sommer 1943. In diesem Jahr zählte Wien acht Luftalarme, 1945 waren es bereits 51. Vielen Wienerinnen und Wienern sind vor allem die Nachtangriffe der Alliierten in Erinnerung geblieben, doch die Stadt wurde meist in den Vormittags- oder Mittagsstunden bombardiert. Um gegen die schweren Geschütze der US-Air-Force etwas ausrichten zu können, erfand das Deutsche Reich kurzerhand die Flaktürme – regelrechte Betonriesen, die die Stärke des Deutschen Reichs demonstrieren sollten. Es wurden Luftschutzräume in die Höhe statt in die Tiefe gebaut. Verstecken wollten sich die Nazis nicht.
Im gesamten Reich wurden acht Flakturmpaare errichtet, fünf davon in Berlin und Hamburg. Ein Paar bestand jeweils aus einem Leitturm und einem Gefechtsturm. Um die Jahreswende 1942/43 wurde mit dem Bau der Wiener Flaktürme begonnen. Zuerst im dritten Bezirk am Arenbergpark, danach im Esterhazypark und erst im Winter 1944/45 bauten Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen die modernste Variante der zwei Türme im Augarten. Sie sollten den Angriff der Alliierten erschweren und zeitgleich als Luftschutzbunker für die Zivilbevölkerung dienen. Die BewohnerInnen rund um den Augarten waren über den Bau der Türme zuerst erfreut – „auch wenn wir sie unglaublich hässlich fanden“, erinnert sich Hertha Bernhart. Die Leute wähnten sich in Sicherheit und dachten, die Amerikaner und Russen würden sich nicht trauen, die massiven Flaktürme zu bombardieren. „Doch dann wurde das erste Haus in der oberen Donaustraße getroffen und wir wussten, dass wir nirgendwo mehr sicher waren.“ 

Keiner überlebte. Erst einmal im Flakturm drinnen, hieß es stundenlang dicht gedrängt stehen. „Es war stickig, heiß, es dröhnte. Die Kinder schrien und schwangere Frauen brachten zwischen all den Menschen ihre Kinder zur Welt, meistens viel zu früh. Es war schlimm und es nahm kein Ende“, erzählt Bernhart. Von den Gefechtstürmen wurde der Kampf gegen die schweren Bomber der US-Air-Force aktiv aufgenommen. In vier Geschütz-Stellungen wurden Zwillingsflak-Geschütze postiert. Das Erdgeschoß und die zwei darüberliegenden Stockwerke waren als Luftschutzbunker vorgesehen. 15.000 bis 40.000 Menschen konnten in einem Flakturm Platz finden. Es gab einen eigenen Brunnen, Trinkwasseranlagen, Belüftungseinrichtungen und Kraftwerke für die Stromversorgung. Für die normale Bevölkerung und das Flakturmpersonal sowie die Wehrmachtssoldaten gab es getrennte Eingänge, Stiegenhäuser und Aufzüge. Auch Verwundete hatten einen eigenen Einlass. Bald hatte Hertha Bernharts Muttera ber genug von der täglichen Tortur. „Meine Mutter konnte sich nur schwer von der Wohnung lösen. All die Erinnerung an meinen Vater war ja hier, aber wir zogen dann zu Bekannten nach Klosterneuburg. Dawar es ruhig er.“ Wenige Tage nach  dem Umzug wurde ihr Wohnhaus in der Jägerstraße von einer Bombe getroffen. Alle, die sich im Keller sicher glaubten, wurden verschüttet. KeineR überlebte. 

Dunkelheit. Denkt Hertha Bernhart heute an die Kriegsjahre, dann kommen ihr vor allem die Entbehrungen in den Sinn. „Es gab nur wenig zu essen und es war sehr kalt, es gab ja keine Heizung. Wir mussten die Fenster unserer Wohnung verdunkeln, sobald der Alarm losging. Eigentlich war es immer dunkel“, erinnert sich Hertha Bernhart an ihre frühen Kindheitsjahre. Sie lebte alleine mit ihrer Mutter in der kleinen Wohnung, die Glühbirnen in den Stiegenhäusern waren schwarz bemalt und lediglich ein Punkt war freigekratzt, um die Stufen zu beleuchten. Um nachts auf den Straßen gesehen zu werden, mussten Knöpfe mit phosphorizierendem Licht getragen werden. Als Schutz vor Feuer waren die Hausparteien verpflichtet, Wasserkübel und Sand am Dachboden zu lagern. Berühmt-berüchtigt war die Feuerpatsche, ein alter Besen mit nassen Fetzen umwickelt. Bei Flächenbränden nutzten diese primitiven Vorkehrungen aber nichts. Am 12. März 1945 erfolgte der wohl schwerste Angriff auf Wien. Über 700 Bomber bombardierten eineinhalb Stunden lang die Stadt. Das Ziel war eine Ölraffinerie in Floridsdorf, getroffen wurden aber auch die Staatsoper, das Burgtheater, die Albertina und der Messepalast. 8.769 Wienerinnen und Wiener starben im „Kampf um Wien“, rund 30 Prozent der Gebäude wurden zerstört.
Noch heute ragt der 55 Meter hohe Gefechtsturm „Peter“ im Augarten empor. Ein paar Meter weiter der etwas kleinere und schmalere Leitturm, zwei Betonklötze mitten in einem belebten Park, rundherum zahlreiche Wohnhäuser. Die sind auch der Grund, weshalb eine Sprengung der Flaktürme nach Kriegsende nicht erfolgen konnte. Anders als in Deutschland, wurden die Türme in Wien innerhalb des Wohngebiets errichtet. Würde man die Türme detonieren, so würden die umliegenden Häuser ebenfalls einstürzen. Also ließ man die Türme stehen. Tauben nisteten sich in die Betonburgen ein. Eine mehrere Meter dicke Schicht aus Taubenkot und eine beträchtliche Zahl an Taubenkadavern beherrschen nun das Innenleben der einst mächtigen Nazi-Wahrzeichen. 
 

Wir müssen reden!

  • 13.07.2012, 18:18

Unsere Generation ist die letzte, die die Möglichkeit haben wird, mit jenen Menschen zu sprechen, die Krieg, Verfolgung und Diktatur in Österreich miterleben mussten. Viel Zeit dürfen wir aber nicht mehr verlieren, um diese Chance zu nutzen.

Unsere Generation ist die letzte, die die Möglichkeit haben wird, mit jenen Menschen zu sprechen, die Krieg, Verfolgung und Diktatur in Österreich miterleben mussten. Viel Zeit dürfen wir aber nicht mehr verlieren, um diese Chance zu nutzen.

Der 1928er Jahrgang war der letzte, der in den Krieg gezogen ist. 82 Jahre alt werden die noch lebenden VertreterInnen dieses Jahrganges 2010. Damit haben sie die durchschnittliche Lebenserwartung von ÖsterreicherInnen bereits um knapp vier Jahre übertroffen. Laut den Erhebungen des Statistischen Zentralamts von 2008 beträgt die Zahl der vor 1928 Geborenen etwa 350.000. Werden nur die männlichen ZeitzeugInnen gezählt, die im Gegensatz zu den weiblichen auch aktiv in Kriegshandlungen verwickelt waren, sind es knapp 100.000. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil von diesen aufgrund des fortgeschrittenen Alters nicht mehr im Stande ist, genaue Angaben zu den Geschehnissen und dem Erlebten zu machen. Viele, der in den historisch relevanten Jahren Geborenen, mussten ihr Leben bereits für den sinnlosen Todeskampf des maroden Hitler-Deutschland geben oder starben in den bombardierten Städten. Viele sind es also nicht, die heute noch leben und auch über das Erlebte sprechen möchten und können.
Daraus ergibt sich natürlich auch eine Verantwortung, nämlich das Geschehene an die Nachwelt weiterzugeben, um dem viel zitierten Satz „Niemals vergessen!“ Genüge zu tun. Gerade in Zeiten, in denen wichtige Elemente unserer Demokratie wie das Verbotsgesetz von PolitikerInnen des rechten Randes in Frage gestellt werden, ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, weshalb es Gesetze wie dieses gibt und warum wir in Österreich unsere Erinnerungskultur immer wieder erneut in Frage stellen müssen. Aus dem „Nie wieder!“ wird so ein „Warum noch immer?“, das neben einer konkreten Handlungsaufforderung auch noch ein verstärktes Reflektieren impliziert. 

Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht. So lautete das Credo von Agnes Primocic, einer österreichischen Widerstandskämpferin, die 1905 in Hallein geboren wurde. Sie war als Betriebsrätin in einer Tabakfabrik tätig und in der Kommunistischen Partei engagiert, weshalb sie sowohl von den Machthabern in der Zeit des Austrofaschismus als auch von den Nazis bedroht, verfolgt und auch mehrmals eingesperrt wurde. In den Achtzigerjahren begann sie damit, in0w Schulklassen über ihr Wirken im Widerstand zu sprechen. Es war ihr wichtig, Jugendlichen die Wichtigkeit von Zivilcourage zu vermitteln. Bis ins hohe Alter setzte sie diese Tätigkeit fort und wiederholte immer, wie wichtig es ist, gegen Unrecht aufzubegehren. Vor drei Jahren verstarb sie im Alter von 102 Jahren.
Eindrucksvoll ist auch die Geschichte der polnisch-stämmigen Jüdin Havka Raban-Folman, die während der Besetzung Polens als Botin zwischen den verschiedenen Widerstandsverbänden in den jüdischen Ghettos, die auf ganz Polen verteilt waren, fungierte. Nach ihrer Verhaftung wurde sie ins gefürchtete Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Aufgrund eines Formfehlers wurde sie jedoch als Polin und nicht als Jüdin registriert und kam wohl auch deshalb mit dem Leben davon. Nach dem Krieg emigrierte sie nach Israel und gründete gemeinsam mit anderen Überlebenden im Norden des Landes den Kibbuz Lohamei Ha‘Getaot, was übersetzt Ghettokämpfer bedeutet, und wo sie bis heute lebt. In ihrem Beruf als Lehrerin hatte sie die Möglichkeit, mit jungen Menschen über die Geschehnisse zu sprechen und sie für die Thematik zu sensibilisieren. Bis heute spricht sie mit Jugendlichen über ihre Erlebnisse und betreut bis zu drei Jugendgruppen täglich.

Situation in Österreich. Auch in Österreich kommt das Problem der immer kleiner werdenden Zahl von ZeitzeugInnen regelmäßig zur Sprache. Durch Projekte wie A Letter To The Stars wurde das Ganze auch medial vermehrt breit getreten. Bei diesem Projekt wurden SchülerInnen aufgefordert, an österreichische Überlebende der Shoah, die über die ganze Welt verstreut leben, Briefe zu schreiben.
Wichtig ist aber das Bewusstsein, dass ZeitzeugInnen nicht nur durch groß organisierte Projekte angesprochen werden können, sondern nächste ZeitzeugInnen auch in der NachbarInnenschaft zu finden sind. Ihre Geschichten können eines Tages nicht mehr gehört werden und uns kommt ein wichtiges historisches Dokument abhanden. Die Devise lautet: Jetzt handeln, fragen, zuhören und reden, bevor es zu spät ist.