Dossier: Kreativität auf Knopfdruck

Das falsche Jetzt, das richtige Später

  • 03.04.2013, 21:16

Als sie 2011 ihr erstes Buch Wir haben keine Angst veröffentlichte, war Nina Pauer gerade einmal 29 Jahre alt. Schon vergangenen Herbst kam das zweite. Ein Gespräch über den Druck beim Schreiben, die Probleme ihrer Generation und wovor sie eigentlich selbst Angst hat.

Als sie 2011 ihr erstes Buch Wir haben keine Angst veröffentlichte, war Nina Pauer gerade einmal 29 Jahre alt. Schon vergangenen Herbst kam das zweite. Ein Gespräch über den Druck beim Schreiben, die Probleme ihrer Generation und wovor sie eigentlich selbst Angst hat.

progress: Ihr Erstlingswerk trägt den Titel Wir haben keine Angst. Wovor haben Sie Angst?

Nina Pauer: Ich glaube, mein erstes Buch hat meine eigenen Ängste ganz gut nachgezeichnet: Die Angst, sich falsch zu entscheiden, am falschen Ort das falsche zu studieren und sich mit diesem Falschen „Jetzt“ den Weg zum richtigen „Später“ zu verbauen.  Mittlerweile ist  es einige Zeit her, dass ich das Buch geschrieben habe, ich bin viel gelassener geworden. Das Buchschreiben war  also auch für mich eine „Gruppentherapie“.

Wie haben sich Ihre Ängste, beispielsweise was Existenz betrifft, nach dem Studium  verändert?

Bei vielen Leuten kommt an einem gewissen Punkt die Einsicht, dass es „richtig“ und „falsch“ vielleicht gar nicht gibt. Und, dass es  nichts bringt, immer im Konjunktiv à la „was wäre wenn“ zu denken. In der Zeit nach dem Studium geht es aber wieder darum, wer  man ist und darum, sich selbst zu verwirklichen. Dadurch werden die Fragen viel konkreter, was für viele auch eine Erleichterung  darstellt – schließlich gibt es nicht mehr unendlich viele Möglichkeiten.

Kann man heute noch davon leben, nur Bücher zu  schreiben?

Wenn sie sich gut verkaufen: Ja. Ansonsten ist es gut, zweigleisig zu fahren und nebenbei zu schreiben. Man muss nicht das Risiko eines Lebens im Prekariat eingehen, um sich selbst verwirklichen zu können. Und man sollte sich selber fragen, unter welchen Bedingungen man arbeiten möchte.

Was war Ihre persönliche Motivation, das Buch Wir haben keine Angst zu schreiben?

Ich hatte das Gefühl, dass Angst ein großes Thema für unsere Generation und junge Erwachsene allgemein ist. Auf der einen Seite sind wir alle sehr lässig, ironisch, gut ausgebildet, haben tausende von Möglichkeiten und keinen Grund, Angst zu haben. Wir haben uns nie vor den Apokalypsen gefürchtet, die den Medien, unseren Eltern oder Lehrern Angst gemacht haben, von Tschernobyl über
BSE bis zur Wirtschaftskrise oder Kriegen: Hier bei uns zu Hause war immer alles sicher. Und trotzdem sind wir doch nicht ganz so  entspannt, wie wir immer tun. Irgendwie ist bei uns immer nur „eigentlich“ alles gut. Viele denken, das sei ein individueller Schaden und machen Therapien. Für mich schienen diese Ängste etwas Strukturelles, Generations- und Gesellschaftsspezifisches zu haben. Deshalb wollte ich darüber sprechen, nicht nur mit einer besten Freundin oder dem Therapeuten. Mein Buch heißt nicht umsonst  Gruppentherapie einer Generation.

Was sind diese Probleme unserer Generation, die diesen Stress und Druck hervorbringen?

Die Angst, sich falsch zu entscheiden. Die Angst, beim großen Projekt der Selbstverwirklichung zu scheitern. Das Falsche zu  studieren, den falschen Job zu finden, den falschen Menschen zu heiraten, in der falschen Stadt zu leben. Es ist diese Obsession, die  uns antreibt: Dass man sich selber da draußen, in all den endlosen Möglichkeiten finden muss. Und dabei auch falsch abbiegen  könnte.

Herrscht ein Zwang in unserer Generation, sich selbst verwirklichen zu müssen?

Unsere Gesellschaft und insbesondere unsere Generation hat das Ideal eines selbstverwirklichten, modernen Individuums verinnerlicht. Alles wird zur individuellen Entscheidung, es geht immer um die Gestaltung jeder Sphäre des eigenen Lebens. Und  dabei kommt natürlich die Kreativität ins Spiel. Dabei muss man ja eigentlich aber keinen kreativen Beruf ausüben, man könnte ja  Kreativität auch im Privaten ausleben. Ich denke, das wäre etwas, das wir lernen könnten.

In Ihrem Buch bezeichnen Sie diese Probleme als „Luxus“. Warum?

Wir wissen ja, dass wir schon immer privilegiert waren. Wir wissen, dass es da draußen in der Welt viel schlimmere Probleme als unsere Entscheidungsschwierigkeiten gibt. Und trotzdem machen diese eigenen Ängste uns am meisten fertig. Wir schämen uns  dafür, dass wir trotz der tollen Möglichkeiten so einen Druck verspüren. Ich finde, man sollte einen Unterschied machen: „Luxus- Probleme“ sind keine „Pseudo- Probleme“. Wir denken uns unsere Probleme nicht aus.

Welche gesellschaftlichen Veränderungen sind notwendig, damit unsere Generation nicht ständig unter Stress leidet?

Wir sollten aus unserer Egozentrik herauskommen. Wir sind keine Egozentriker im Sinne des Hedonismus, viele kreisen ja in Zweifel  und Gedanken um sich und nicht im Sinne eines "Hier komm ich, schaut, wie toll ich bin“. Es wäre gut, wenn wir als  Gesellschaft und als junge Menschen wieder mehr „wir“ sagen könnten.

Wie haben sich die Probleme und Herausforderungen im Vergleich zur Generation unserer Eltern verändert?

Unsere Eltern konnten noch rebellieren. Sie hatten ihre Elterngeneration, die spießig, oder zumindest traditionell geprägt war.  Unsere Eltern mussten und konnten sich von unseren Großeltern emanzipieren und ihren eigenen Weg noch erkämpfen. Rebellion hat immer etwas Heroisches, davon kann bei uns nicht die Rede sein.

Ihr zweites Buch LG;-) befasst sich mit der Schnelllebigkeit von Kommunikation im heutigen Zeitalter. Was bedeutet diese Art von  Verständigung für unsere Generation?

Wir haben uns in viele Kommunikationsstränge zerteilt, die meisten von uns haben Smartphones, auf denen all diese Kanäle  zusammenlaufen, ständig sind wir präsent auf ganz vielen verschiedenen Bühnen, sei es bei Facebook, Twitter, SMS oder Email. Für viele ist das Kommunizieren zur Sucht geworden, zum Druck, immer erreichbar zu sein, sich sofort zurückzumelden,  alle Emails  sofort wahrzunehmen und nichts zu verpassen. Viele können nicht mehr alleine sein, obwohl sie die ganze Zeit davon reden,  endlich mal wieder Zeit für sich selbst zu brauchen. Ich denke, die Art und Weise, wie man Kommunikation managt, ist eine Art  Fulltimejob für uns geworden, durch den viele drohen, sich zu verlieren.

Sind bereits neue Projekte in Planung?

Nein, im Moment schreibe ich nur für das Feuilleton der ZEIT. Aber es wird ganz sicher ein neues Buch geben!

Toastbrot und Champagner

  • 01.04.2013, 15:57

Berufe im künstlerischen und Medienbereich gelten als frei: Viele streben sie an, doch ökonomischen Erfolg haben nur wenige. Vom Kampf zwischen kreativer Selbstverwirklichung und finanzieller Selbsterhaltung.

Berufe im künstlerischen und Medienbereich gelten als frei: Viele streben sie an, doch ökonomischen Erfolg haben nur wenige. Vom Kampf zwischen kreativer Selbstverwirklichung und finanzieller Selbsterhaltung.

Heute Wien, morgen New York. Nächste Woche Shooting auf einer karibischen Insel. Freie Zeiteinteilung, keine Verpflichtungen und viel Geld. Und am Abend treffen sie die hippsten Leute auf verrückten Partys. Das Leben von FotografInnen scheint leicht und frei. Sarah Böswart ist Fotografin – aber ihr Leben sieht anders aus. Eigentlich hat sie alles richtig gemacht: Top Ausbildung, Praktika  und auch einige Preise hat sie gewonnen. Trotzdem findet die 23Jährige, wie viele andere in der sogenannten Kreativwirtschaft,  keine bezahlte Arbeit.

Viele junge Menschen wollen GrafikerInnen, FotografInnen oder JournalistInnen werden. Es sind die Vorstellungen eines  Easy-going-Lebensstils, von lockeren Hierarchien, flexiblen Arbeitszeiten und der Drang nach Selbstverwirklichung, die Leute in die  Kreativbranche ziehen. Dafür sind sie bereit, vieles zu opfern und einige Hürden zu nehmen. Und das, obwohl sie wissen, dass  sie damit niemals materiellen Reichtum anhäufen werden. „Arm, aber sexy“ – klingt verlockend, ist es aber nicht: Wie hart der Kampf  ums finanzielle Überleben in diesen Branchen ist, wird den meisten erst bewusst, wenn das Geld am Ende des Monats nicht mal mehr für das Notwendigste reicht.
Sahel Zarinfard ist Jungjournalistin des Jahres 2012 und gründete das Onlinemedium paroli. Foto: Johanna Rauch
Arbeit in der Freizeit. Böswart hat ein Mal in ihrer Karriere Glück gehabt: Sie bekam eine Stelle als freie Mitarbeiterin im Museum für  Moderne Kunst. Sie hat Fotos retouchiert, die Ausstellungsstücke fotografiert und die Bilder archiviert. „Wir hatten einmal  Originalnegative vom Aktionskünstler Günther Brus. Da hätte ich fast geweint vor Freude“, erzählt sie. Für Böswart war die Arbeit im  Museum ein Traumjob: „Ich würde es sofort wieder machen.“ Verdient hat sie für 20 bis 25 Arbeitsstunden in der Woche  durchschnittlich 340 Euro im Monat. Daneben hat sie ihre Ausbildung an der Graphischen abgeschlossen. Dort gilt  Anwesenheitspflicht. Die Jobs für das Museum hat sie am Abend erledigt. Weil sie  ihrer Familie nicht noch mehr auf der Tasche liegen wollte, pendelte sie jeden Tag von ihrem Elternhaus in St. Pölten nach Wien. Freizeit hatte sie keine. Sahel Zarinfards  Tagesablauf sieht ähnlich aus: Sie steht auf, arbeitet und geht schlafen. Wie viele Stunden die 24Jährige, die kürzlich zur  Jungjournalistin des Jahres gewählt wurde, tatsächlich recherchiert und an Texten schreibt, kann sie nicht sagen. Es sind aber sicher  mehr als 40. Früher hat sie Nebenjobs gemacht, um schreiben zu können. Heute kann sie ihr Leben durch ihre  journalistische Tätigkeit finanzieren. Zwar lebt sie immer noch in einer WG, hat kein Auto und fährt nur selten auf Urlaub – jeden Cent zweimal umdrehen muss sie aber nicht mehr: „Ich hätte mir nie gedacht, mit Schreiben überhaupt Geld verdienen zu können.“  Hauptsächlich stammt Zarinfards Einkommen von ihrer Tätigkeit als Pauschalistin beim Wirtschaftsmagazin cashflow. Inihrer  Freizeit widmet sie sich ihrem Herzensprojekt paroli. Gemeinsam mit vier anderen JungjournalistInnen hat sie das Onlinemedium im  März 2012 gegründet. „Wir wollen uns mit paroli austoben und es als Spielwiese für neue journalistische Formen nutzen“, sagt  sie.
„Viele KünstlerInnen genieren sich für ihre Nebenjobs“, sagt Peter Stoeckl, Assistenzprofessor an der Angewandten in Wien. Foto: Johanna Rauch
Angebot und Nachfrage? Mit einem künstlerischen Job überleben zu können, war nie einfach: „Musiker waren in keiner Epoche  begehrte Schwiegersöhne“, sagt Peter Stoeckl, Assistenzprofessor für Design, Grafik und Werbung an der Angewandten in Wien.  Zuerst arbeiteten KünstlerInnen als ErfüllungsgehilfInnen des Adels. Den HofmalerInnen und -musikerInnen ging es gut, alle  anderen konnten kaum überleben. Mit der Aufklärung kam der Kunst zunehmend die Aufgabe zu, die Herrschenden kritisch zu  hinterfragen – auch damit ließ sich nicht gut Geld verdienen. Und heute? Heute lässt sich das Problem auf eine Grundregel der  Wirtschaft herunterbrechen – auf Angebot und Nachfrage. Weil es so viele GrafikerInnen, FotografInnen und JournalistInnen ibt,  drückt der Konkurrenzkampf die Preise für die Kreativarbeit. „Viele werden über einen Hungerlohn nie hinauskommen. Nur einige  wenige werden sich durchsetzen“, erklärt Stoeckl. Einige dieser Berufe sind zusätzlich von der fortschreitenden Digitalisierung betroffen. Früher waren FotografInnen TechnikerInnen – ohne Fachwissen in der Chemie und teure Geräte war es nicht möglich, ein  Foto auf Papier zu bringen. Im Jahr 1888 erfand Kodak die Kamera für „jedermann“ und warb mit dem Slogan „You press the button,  we do the rest“. „Seit damals geht es mit den Fotohonoraren bergab“, sagt Stoeckl. Sich als FotografIn sein Brot zu verdienen, ist  schwieriger geworden; fast alle brauchen zusätzlich Nebenjobs. Aber auch das ist nichts Neues – schon immer haben sich  KünstlerInnen ihre Leidenschaft mit anderer Arbeit finanziert. In den USA sei es laut Stoeckl ganz normal, dass TänzerInnen  nebenbei Taxi fahren und FotografInnen kellnern, um über die Runden zu kommen. „Es scheint mir ein speziell mitteleuropäisches  Phänomen, dass sich KünstlerInnen für ihre Nebenjobs genieren. Für mich hat das nichts Verwerfliches.“

Bei paroli gehe es laut Zarinfard auch nicht primär ums Geld. Es gehe darum, Mut zu beweisen und etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Darum, unabhängig zu sein. Trotzdem gibt sie zu, dass das hohe Arbeitspensum ihre Freizeit einschränkt und an der Substanz zehrt. Sie muss viel für die Verwirklichung ihres Traums opfern. Ausgebeutet fühlt sie sich dennoch nicht: „Ich bin gerne  Journalistin und sehe die Arbeit nicht als Belastung.“ Böswart geht es anders. Sie ist das prekäre Leben leid. Sie will nicht mehr  erschöpft nach Hause kommen, ohne zu wissen, ob sie jemals mit dieser Arbeit ihr Leben bestreiten wird können. Investiert hat sie  genug: Zeit in ihre Ausbildung, Herzblut in ihre Leidenschaft, die Fotografie, und viel Geld in ihr Equipment. 6000 Euro hat ihre  Kamera mit Objektiven gekostet; dafür hat sie ihren Bausparer aufgelöst. Einkünfte konnte sie daraus fast keine generieren: „Alle  um mich herum haben etwas weitergebracht und ich habe trotz Ausbildung und einer 6000 Euro teuren Kamera nichts geschafft. Ich  habe das Gefühl, als hätte ich meine ganze Kreativität  ausgekotzt.“ Heute will Böswart nicht mehr von der Fotografie leben: Sie  will nicht ihre eigene Chefin sein, wenn das bedeutet, sich gnadenlos selbst ausbeuten zu müssen, um irgendwie durchzukommen.

Fassade vs. Realität. Dennoch wählen viele junge Leute dieses prekäre Leben und gehen das Risiko der Armut ein. Denn das  Prekariat des Künstlers und der Künstlerin unterscheidet sich deutlich von der Armut des Bettlers und der Bettlerin, wie die  Schriftstellerin Katja Kullman in ihrem Buch Echtleben beschreibt: Sie erklärt, wie man sich möglichst lange von einer Packung  Toastbrot ernährt, um Geld zu sparen. Dieses wird dann beim Feiern mit FreundInnen hinausgeworfen, um die soziale Fassade  aufrechtzuerhalten. „KünstlerInnen gehen im Gegensatz zu BettlerInnen einer Tätigkeit nach, für die es Anerkennung gibt – sei es  auch nur von wenigen. Sie können sich selbstverwirklichen“, erklärt Stoeckl. Auf einer Party sind FotografInnen und MusikerInnen  eben angesagter als HilfsbuchhalterInnen – auch, wenn sie nicht davon leben können.

Aber lohnt es sich überhaupt, Geld in die  universitäre Ausbildung von Leuten zu investieren, die am Ende ohne Mindestsicherung nicht überleben können? Bis zum  Studienabschluss kostet einE StudentIn den Staat laut Universitätsbericht 2011
im Schnitt 106.788 Euro. Universitäten sind eben ildungseinrichtungen und keine Ausbildungseinrichtungen,  sagt Stoeckl: „Sonst könnten sie ja Orchideenfächer wie Ägyptologie auch niemals rechtfertigen. Sie werden gelehrt, weil Interesse daran besteht und  nicht, weil es so einen großen Bedarf gibt. Das entspricht nicht unserem Universitätssystem.“ Dass an den Kunstunis und in den kreativen Ausbildungen etwas falsch läuft, streitet er aber nicht ab. Das hat auch Böswart zu spüren bekommen: „Sie hoffen halt  jedes Jahr, dass der/ die Eine dabei ist, der/die sich durchsetzen wird“, sagt sie. Den Abschluss absolvieren in der Fotografieklasse der Graphischen aber jedes Jahr rund 30 AbsolventInnen.

Von den Studierenden wird erwartet, möglichst einzigartig und elitär zu wirken. Wer sich beispielsweise der Wirtschaft „anbiedert“  und statt abstrakten Kunstwerken, für die er/sie zwar künstlerische Anerkennung, aber kein Geld erntet, Porträts malt, um seinen/ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wird an den Kunstunis Spott ernten. „Dabei sagen einige LehrerInnen bei uns selbst, dass sie nur unterrichten, weil sie von ihrer Kunst nicht leben können“, erzählt Böswart. Solidarität und einzelinteressen. Außerdem fördert das Eliten-Denken den Konkurrenzdruck: JedeR will besser als der/die andere sein, keineR will seinen/ihren Erfolg teilen.  Dabei wäre es aus Stoeckls Sicht das Wichtigste, zusammenzuarbeiten: „Wenn sich einE WerberIn, einE GrafikerIn und einE  FotografIn zusammentun, können sie größere Aufträge annehmen und sind psychisch viel stabiler.“ Diese Solidarität fehlt aber in  vielen Kunstund Medienbereichen. Manchmal aber besiegt der  Unmut die konträren Einzelinteressen: So haben Zarinfard und ihre KollegInnen zum Start von paroli in einem offenen Brief die prekären Arbeitsbedingungen von jungen JournalistInnen angeprangert und damit für Aufsehen gesorgt: Der Brief wurde von rund 800 UnterstützerInnen unterzeichnet. Man  wollte aufzeigen, dass  ArbeitgeberInnen heranwachsende JournalistInnen benachteiligen und ihnen den Einstieg ins Berufleben erschweren. Dabei handle es sich laut Zarinfard um ein System- und nicht bloß um ein Individualproblem. Als Reaktion auf den Brief folgten Gespräche mit  der Gewerkschaft und dem Verband Österreichischer Zeitungsverleger (VÖZ), die in eine öffentliche Podiumsdiskussion mündeten. 

Die Chancen, dass sich die Situation verbessert, schätzt Zarinfard trotzdem gering ein. „Ich denke, dass es nun ein   Problembewusstsein in den Chefetagen gibt, ein wirkliches Interesse, etwas zu ändern, aber nicht.“ Jedenfalls hat die Aktion  bewiesen, dass das kollektive Prekariat mehr Aufsehen erzeugt als das für die Kreativjobs symptomatische EinzelkämpferInnentum. 

„Das ist dann keine Kunst mehr“

  • 01.04.2013, 14:29

DJ und Produzentin Joyce Muniz, Sängerin Katie Trenk (Sex Jams) und Labelgründer Martin Unterlechner (DuzzDownSan) haben einen Nachmittag zusammen verbracht und über Kreativität, Schaffensdruck und die österreichische Musiklandschaft diskutiert. progress war mit dabei.

DJ und Produzentin Joyce Muniz, Sängerin Katie Trenk (Sex Jams) und Labelgründer Martin Unterlechner (DuzzDownSan) haben einen Nachmittag zusammen verbracht und über Kreativität, Schaffensdruck und die österreichische Musiklandschaft diskutiert. progress war mit dabei.

progress: In den 70er Jahren meinte Joseph Beuys, dass jeder Künstler sein kann, der will. Der Kreativitätsbegriff erfuhr damit eine starke Aufwertung. In den 80ern galt Kreativität als Ausbruch aus der Arbeitsroutine und dem Stumpfsinn des Alltags. Inzwischen werden wir beim Arbeiten ständig aufgefordert, möglichst kreativ zu sein. Kann sich Kreativität unter Druck überhaupt entfalten? Wie geht ihr als MusikerInnen damit um?

Joyce: Druck kann sehr produktiv sein. Manchmal brauche ich monatelang für einen Remix und eine Woche vor der Deadline kommt  dann plötzlich etwas Cooles raus. Der Druck Geld zu verdienen, ist aber trotzdem schlimm. Ich hab immer neben meiner Musik gearbeitet, irgendwann hat sich dann mein Hobby zum Beruf entwickelt. Als das passiert ist, hat sich aber schon etwas verändert in meinem Leben.

Inwiefern hat sich dein Leben verändert?

Joyce: Ich habe bemerkt, dass ich mich selbst unter Druck setzen und sehr organisiert sein muss, wenn ich kontinuierlich Geld verdienen will. Der Druck, Geld zu verdienen, war aber, denke ich, schon immer da. Für mich ist es wichtig, die goldene Mitte zu finden: Wenn gerade nichts da ist, auch ohne miese Jobs überleben zu können.

Martin: Es wäre wohl kontraproduktiv, wenn das Geldverdienen eine große Rolle bei DuzzDownSan spielen würde. Dann müsste man natürlich auch Kompromisse eingehen und hätte mehr Druck. In unserer Situation können  wir kreativ sein, ohne Konsequenzen. Da ist die Freiheit, keine Erwartungen berücksichtigen zu müssen. In der Arbeitswelt hat man oft mit einer anderen Form von Kreativität  zu tun. Denn dort schleichen sich oft Dinge ein, die mit Kreativität nicht mehr wirklich viel zu tun haben. In vielen Situationen, in denen man unter Druck an was arbeitet, überschlagen sich zu Beginn die Ideen, wenn dann Geld und Zeit als zwei  kritische Faktoren hinzukommen, werden diese aber ausgehöhlt. Das ist dann eben eine Zweckkreativität, bei der auch meist nichts  tolles entsteht.

Katie: Ich denke, entweder man ist  Künstler oder eben nicht. Dagegen kann man sich nicht wehren und das kann man auch nicht  lernen. Mit Sex Jams sind wir zu fünft in der Noise- Pop-Szene unterwegs. Wir bekommen viele und gute Reviews, wir spielen Live-Shows und es läuft eigentlich gerade sehr gut für uns. Aber es wird trotzdem nie so sein, dass wir alle davon leben können. Ich  war vor zwei Jahren in einer Phase, in der ich mich gegen Druck, produktiv sein zu müssen, wehrte. Ich fragte mich, woher der  Druck kommt und ob es das wirklich ist, was ich will.

Joyce: Ja, das, was dabei herauskommt, ist oft keine Kunst mehr.

Katie: Genau, sondern ein Scheiß- Job. Ich bin nicht im Proberaum und will einen Hit nach dem anderen hinauswerfen, ich will Triebe  verarbeiten und ausdrücken. Die Band steht bei uns an erster Stelle. Wir haben alle unsere Brotjobs, die flexibel sind, sonst  würde das auch nicht funktionieren. Wenn ich darauf aus wäre,schnell und viel Geld zu verdienen, dann würde ich wohl auch andere Musik machen. Etwas Elektronisches zum Beispiel. Bei Sex Jams kann ich es mir aber dafür leisten, mit Absicht falsch zu singen, das  geht bei anderen Sachen dann nicht.
Foto: Christopher Glanzl
Joyce: Ich habe viel in meinem Leben aufgegeben für meine große Liebe, die Musik. Ich kann jetzt wirklich stolz sagen, dass ich  davon leben kann. Ich weiß das auch zu schätzen, weil viele Musiker das eben nicht können. Ich opfere nach wie vor sehr viel dafür.  Das ist etwas, das man von außen vielleicht nicht sieht.

Wie schwierig hat man es als Frau in dieser Szene?

Joyce: Die Techno- und House-Szene wird nach wie vor von Männern kontrolliert. Es gibt sehr wenige Frauen, dafür dass es so viele  DJs gibt. Das Business ist schon sehr hart. Mir wurde oft die Tür vor der Nase zugeschlagen. Mittlerweile gibt es aber sehr viele Frauen, die präsent und erfolgreich sind. In den letzten zehn Jahren hat sich das stärker ausgeglichen.Katie: Ja, das zieht sich  durch alle Bereiche.

Martin: Mädchen sind schneller abgeschreckt. Da ist einfach eine andere Hemmschwelle in Bezug auf Technik vorhanden. Der Sound  ener Mädels, die produzieren, hat jedoch etwas sehr Intuitives und Organisches. Auch beim Auflegen sieht man das: Die  besten Techno-DJs, die ich bisher erlebt habe, waren Frauen. Man hat also auch Chancen und kann davon profitieren.

Wie steht es  2013 um Österreichs Kreativ- und Musiklandschaft? Da hört man ja oft viel Negatives – zu Recht?

Martin: Ich denke, es braucht hierzulande sehr viel Bestätigung von außen. Sobald jemand von außen sagt, „das ist cool, was du machst“, wird deine Kreativität ganz anders wertgeschätzt. Nehmen wir zum Beispiel Dorian Concept: Als Gilles Peterson gesagt hat, dass er dope ist, sind alle auf den Hype aufgesprungen und er wurde auch hier gefeiert.

Joyce: Österreich hat sehr viele kreative Leute. Das Problem ist, dass es keinen starken Markt mehr gibt. Es ist traurig, dass hier  super Künstler leben, aber kaum ein eigener Support existiert. Als österreichischer Künstler kannst du nur weiterkommen, wenn das Label gute Kontakte zu Deutschland oder England hat. Und die sind total beschäftigt mit ihren eigenenMusikern. Wien ist eine tolle  Stadt, aber wir können uns als Künstler hier schwer entfalten. Wenn du aber in Österreich beim Publikum gut ankommst, dann hast  du international große Chancen, weil die Leute hier sehr kritisch sind: Wenn sie etwas Neues hören, sagen sie selten „Leiwand, super!“, sondern „Ja, schau ma mal“. In den USA oder Großbritannien heißt es hingegen gleich einmal „amazing“ oder „dope shit!“.

Martin: Glaubst du nicht, dass das bei uns noch einmal verschärft ist, weil es hier einfach so einen kulturellen Minderwertigkeitskomplex gibt?

Joyce: Jeder Künstler hat das mit seiner Stadt oder seinem Land. Dieses Verhältnis zu den „Locals“ gibt’s auch in Sao Paulo, New York oder Berlin. Man gibt eben erst etwas einen Wert, wenn man es verloren hat. Etwa wenn sie sehen, dass du international  erfolgreich bist. Man merkt, dass die Leute zuhause dann plötzlich wieder mehr Lust auf dich haben.

Das heißt, für KünstlerInnen ist das Publikum vor der eigenen Haustüre die wirkliche Nagelprobe?

Katie: Es herrscht hier eine Scheuklappenmentalität vor. Das war ja in Österreich schon immer so, vom Theater bis hin zur Musik, beachtet wurde man doch oft erst, wenn man schon tot war. Sex Jams bewegt sichin einem Genre, das nicht so groß ist. Es wäre also sehr stumpfsinnig, nur in Österreich bleiben zu wollen. Du hast schnell alles hier leer gespielt und unser Sound ist auch eher international. Auf unserem Label Siluh Records sammeln sich auch internationale Künstler wie etwa Mozes and The Firstborn.

Martin: Wobei es eigentlich schon wieder gut für die Kreativität ist, dass der Markt hier so klein ist. Man kann das Geschäft mit  Musik hier so stark vernachlässigen, dass jeder eine geringere Hemmschwelle hat, sich in einer Form auszudrücken, die nicht auf Kommerzialisierung abzielt.

Joyce: Es gibt hier eine starke Undergroundszene. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele gute Leute es hier gibt – auf so kleinem Raum. Der Underground kann dich hier aber auch schnell verschlucken. Wien hat zum Beispiel eine eigene Energie, was das betrifft.  Man vergisst schnell, sich mit der Außenwelt zu verbinden. Viele Leute bleiben da hängen. Entweder du bist präsent, oder eben gar  nicht. Ich versuche deswegen die Mitte zu halten, einmal hier, dann wieder weg.

Martin: Es fehlt hier einfach auch an gegenseitigem Support.

Joyce: Ja, und früher gab es mehr Crews und coole Labels, mit eigenem Sound, wie zum Beispiel G-Stone, Klein Records oder Vienna Scientists. Die hatten international auch viel mitzureden. Es gibt auch jetzt ein paar tolle Labels, wie etwa Affine Records, Luv Shak  oder Schönbrunner Perlen. Aber im Großen und Ganzen hat man hier einfach nicht so viele Chancen.

Sind Marketing und Kunst für  euch klar getrennte Bereiche?

Katie: Hm, ich bin immer skeptisch, wenn Künstler anfangen, von Selbstmanagement zu reden. Es wird natürlich nicht passieren,  dass irgendwer in deinen Proberaum kommt und dich entdeckt, aber ich sehe das Management trotzdem nicht als meine Aufgabe. Joyce: Klar, ich denke, es gibt wenige Künstler, die sich selbst verkaufen können. Die, die das können, sind dann schnell keine  Künstler mehr, weil sie dann so damit beschäftigt sind, sich zu vermarkten. Ich kenne viele Musiker, die sehr belastet sind, weil sie  alles selber machen wollen: Marketing, Labelarbeit, Releases und so weiter. Das geht aber oft in die Hose. Da sind so viele  Emotionen und Erwartungen da, die im Business nichts verloren haben. Das frustriert dich dann total, wenn’s nicht gut läuft. Kunst  und Marketing müssen getrennt sein. Das ist ganz wichtig, denke ich.

Katie Trenk ist Sängerin der Band Sex Jams, die mit ihrem ersten Album „Post Teenage Shine“ bekannt wurde. Seitdem gilt die  fünfköpfige Formation als österreichische Noise-Pop- Hoffnung. Sex Jams haben soeben ihr Zweitwerk „Trouble honey“ auf Siluh Records und Noise Appeal Records released. Auf Seite 33 findest du eine Plattenkritik on „Trouble honey“.

Martin Unterlechner, auch bekannt als Mosch, hat 2008 das Label DuzzDownSan ins Leben gerufen. Es zählt mittlerweile zu den wichtigsten Raplabels Österreichs. Nebenher ist er als Rapper und Produzent unterwegs – sein Album „Metamorphosis as a  Metaphor“ erschien jüngst auf DuzzDownSan.

Joyce Muniz ist DJ, Produzentin und Vokalistin mit brasilianischen Wurzeln und hat sich in den letzten Jahren nicht nur in Österreich, sondern auch international in der House- und Techno-Szene einen Namen gemacht. Soeben ist ihr neuer Release „Trust  your Enemies“ am Berliner Label Exploited Records erschienen.

Hard Way to make an Easy Living

  • 31.03.2013, 23:20

Über Poker wird oft gesagt, es wäre eine anstrengende Art, sich ein einfaches Leben zu machen. Etwas ganz Ähnliches ließe sich über den reativbereich sagen.

Über Poker wird oft gesagt, es wäre eine anstrengende Art, sich ein einfaches Leben zu machen. Etwas ganz Ähnliches ließe sich über  den Kreativbereich sagen.

Alle ernsthaften Pokerspielerinnen wissen, dass sie ihr Spiel mit Disziplin und Ausdauer betreiben müssen, um erfolgreich zu sein.  Dennoch treibt viele der Traum an, vom Spielen leben zu können. Also von einer Tätigkeit, die im Grunde doch keine „richtige“ Arbeit ist, auch wenn ihr mit mehr Fleiß und Verbissenheit nachgegangen wird, als sie die meisten anderen Jobs erfordern. Es ist  eben ein Traum und nicht einfach Mittel zum Zweck. Poker ist aber nicht der einzige Bereich, auf den diese Diagnose zutrifft: Menschen wollen auch Journalistinnen werden, Künstlerinnen, Designerinnen; sie wollen sich kreativ betätigen, ihre Idee vom  eigenen Geschäft oder Restaurant verwirklichen. Sie träumen davon, von ihrer Leidenschaft leben zu können und sind bereit, dafür  einiges in Kauf zu nehmen.

San Precaria. Das Prekariat ist mittlerweile in aller Munde. Es hat sich herumgesprochen, dass sich die Arbeitsformen transformieren  und immer weniger Menschen in stabilen, vertraglich langfristig geregelten Verhältnissen beschäftigt sind. Auch in  linken Debatten hat sich der Fokus vom Proletariat auf das Prekariat verschoben. Damit einher geht auch eine Verschiebung von der  Betrachtung der kapitalistischen Produktionsweise als ganze zur Betrachtung der wechselnden Arbeitsbedingungen innerhalb  des Kapitalismus. War das Proletariat noch eine Bestimmung der grundsätzlichen Lage von Menschen im Produktionsprozess, meint  das sogenannte Prekariat eine sehr heterogene Gruppe, die das Leben unter ungewissen Verhältnissen gemeinsam hat. Die junge  selbstständige Architektin oder die angehende Künstlerin lebt scheinbar genauso prekär wie die Fließbandarbeiterin, die womöglich  umziehen muss, um einen Job zu finden, von dem sie nicht einmal sicher weiß, wie lange sie ihn behalten wird. Bei letzterer ist  übrigens einigermaßen verständlich, warum sie bereit ist, unsägliche Schikanen auf sich zu nehmen: Es bleibt ihr nicht viel übrig.  Wie verhält es sich aber in jenen Bereichen, von denen eigentlich alle wissen, dass ökonomisch nicht viel zu holen ist und in denen  sich dennoch Horden junger gut ausgebildeter  Menschen finden, die bereit sind, für die Chance auf eine mögliche Karriere ein  schlecht oder gar nicht bezahltes Praktikum nach dem anderen zu absolvieren? Sie bilden eine Art Wohlstandsprekariat und  konkurrieren um Stipendien, Beihilfen und Ausbildungsplätze, in der Hoffnung, einmal ihre Brötchen mit etwas Interessantem zu  verdienen.

Privilegien. Dieses Prekariat der Studierenden und Jungabsolventinnen ist in der eigentümlichen Situation, von einem Projekt zum  ächsten zu hetzen, einen Förderantrag nach dem anderen auszufüllen und Zertifikate zu sammeln, die sich im Lebenslauf gut  machen, aber dabei nichts zu verdienen, sondern sich vielmehr mit Hilfe von Reserven oder versteckten Einkünften über Wasser  halten zu müssen. Teilweise sind sich diese Prekären ihrer Einkünfte nicht einmal völlig bewusst. Vielleicht arbeiten sie sogar und  finanzieren sich selbst, leben aber in der günstigen Eigentumswohnung von Verwandten, bekommen immer wieder Geldgeschenke  oder werden auf Urlaube eingeladen. Und selbst wenn all dies nicht zutrifft, sind sie oft in der angenehmen Lage, einfach zu wissen,  dass sie einen Rückhalt haben, falls es hart auf hart kommt. Ihre prekäre Lage ist deshalb auch abenteuerlich und  zumindest eine Zeit lang durchaus erträglich. Das vergegenwärtigt, wieso vielen ein unbezahltes Praktikum als normaler Schritt auf  der Karriereleiter erscheint, oder warum es vielen nicht widerstrebt, Projekte, von deren Wichtigkeit sie im Grunde nur halbherzig  überzeugt sind, unentgeltlich auf die Beine zu stellen. Wir sind alle Individuen. „Ich nicht“, antwortet ein Statist in Monty Pythons  Das  Leben desBrian und stört die Menschenmenge, die im Chor einstimmig ihre Verschiedenheit bekundet. Sicher ist es auch ein Wunsch nach Selbstverwirklichung: danach, mit dem Leben etwas Besonderes anzufangen, der alle in dieselben prekären Berufe  drängt.

Die meisten wollen ja doch nicht leidenschaftlich Zahnärztin oder Mechanikerin werden, sondern Stars, Künstlerinnen, Profi- Gamerinnen. Sie strömen in Felder, in denen zu arbeiten mehr als einen Job bedeutet, mehr als ein Mittel, Geld zu verdienen. Es geht  darum, einen Traum zu verwirklichen und sich in einem umkämpften Bereich zu behaupten. Letztlich darum, etwas Besonderes zu  sein. Die Wohlstandsprekären machen mit, weil sie sagen wollen: „Ich bin Designerin“ oder „Ich kann von meiner Kunst leben“. Und  weil sie die Vorstellung, einen dieser normalen Jobs, die anstrengend sind, aber sein müssen, verständlicherweise abschreckt. Eine  Musikerin in einer Talk-Show meinte einmal, sie hätte hart an ihrem Album gearbeitet, aber sie wäre dankbar, keinen „richtigen Job“  machen zu müssen. Irgendwie nachvollziehbar. Es ist, wie Dolly Parton singt: „Working nine to five – what a way to make a livin’.“ Zweierlei Elend. Natürlich sind die Bedingungen, unter denen viele ihrem wahren Selbst nachhetzen, wirklich elendig – und die Kritik  daran notwendig und begrüßenswert. Auch wenn es nicht überrascht, dass sie reichlich artikuliert wird, betrifft sie doch  gerade jene, die im Kulturbereich, im Fernsehen und bei Radios tätig sind. Immerhin zeigen sie sich üblicherweise solidarisch mit  jenen, denen es noch mieser geht und deren Zugang zu Artikulationsmöglichkeiten begrenzter ist.

Es gibt nämlich noch ein anderes Prekariat. Viele Menschen haben keine Wahl, weil sie nichts haben. Ihnen bleibt nichts übrig, als  jeden Job anzunehmen, wo er auch sein mag, und noch die schikanösesten Arbeitsbedingungen zu ertragen. Diese Prekären gibt es  hierzulande und es gibt sie anderswo; dort geht es ihnen vielleicht noch schlechter. Dieses Phänomen ist nicht neu, es existiert, seit  es Kapitalismus gibt. Wer nichts hat, muss die eigene Haut verkaufen. Neu ist nur, dass Akademikerinnen  icht automatisch  mit einem sicheren Platz im Verwaltungsapparat des Elends belohnt werden. Und vielleicht war auch das nie wirklich ganz so  einfach. Die Gesellschaft transformiert sich also – und bleibt sich doch gleich.