Burschenschaften

Same procedure as last year?

  • 30.01.2016, 15:03

Der letzte Freitag im Jänner in Wien wurde wie jedes Jahr ein politisches Schaulaufen. Beschützt von 2800 Polizist*innen, Wasserwerfer und Hubschrauber prostete sich die Rechte in der Hofburg zu, während an die 8000 Demonstrierende unter großer medialer Beobachtung um die Sperrzone marschierten. Die Stimmung im Vorfeld war ruhiger als sonst. Das lag unter anderem an einem weniger aktivem Blockadekonzept und weniger durch die Polizei aufgeheizte Stimmung. In Zeiten von Obergrenzen erregt die reine Symbolik hinter dem Akademikerball vielleicht auch einfach weniger. Einzig eine von der Polizei gestaltete Engstelle, um auch wirklich alle Demonstrierenden ins Gesicht filmen zu können, sorgte für Unmut. Sonst gab es 29 Selfiesticks auf Seiten der Polizei, neun Festnahmen und einen obligatorischen, nicht angekündigten Kessel um eine angemeldete Kundgebung in der Herrengasse.

Fotos und Kurztext: Christopher Glanzl
Untertitel: Redaktion.

Unseren Bass den könnt ihr haben

  • 13.01.2016, 21:51

Seit fünf Jahren gibt es nicht nur Demos und Blockaden gegen den Akademikerball der FPÖ (ehemals WKR-Ball), sondern auch einen Gegenball. Wir haben mit dem „Ballkommitee” des WTF?!-Ball über politische Partys, Barrierefreiheit und Mitternachtseinlagen gesprochen.

Seit fünf Jahren gibt es nicht nur Demos und Blockaden gegen den Akademikerball der FPÖ (ehemals WKR-Ball), sondern auch einen Gegenball. Wir haben mit dem „Ballkommitee” des WTF?!-Ball über politische Partys, Barrierefreiheit und Mitternachtseinlagen gesprochen.

progress: Am 15.1. findet der WTF-Ball zum 5. Mal statt. Wie kam es vor fünf Jahren zum ersten WTF-Ball?

WTF-Ballkomitee: Vor 5 Jahren gab es von einigen Personen aus dem Umfeld des backlab-Kollektivs und einigen weiteren die Idee, die Proteste gegen den damaligen WKR-Ball um eine Facette zu erweitern und eine Art Gegenball zu machen, der Protest, Demoaufruf und gleichzeitig Party sein sollte. Natürlich wollten wir uns aber nicht in die Reihe der „normalen” Bälle einordnen, sondern das Konzept eines Balles auch gewissermaßen persiflieren. Außerdem war es uns wichtig, mit dem Ball Zeichen gegen jene Dinge zu setzen, die den WKR-Ball und jetzt den Akademikerball auszeichnen, also entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie aufzutreten.
 

Wie ist das Team hinter dem Ball organisiert? Ist es „nur" eine weitere Party vom backlab-Kollektivs oder ist das Organisationsteam größer?
Das „Ballkommitee” hat sich über die Jahre hinweg etwas verändert. Im Kern gibt es immer noch Menschen, die auch bei backlab engagiert sind. Das war aber nicht vorrangig für das Entstehen des Orga-Teams: Es handelte sich vorrangig um das Umfeld der früheren discolab-Party, die sich immer als Event mit politischem Anspruch verstanden hat. Über die Jahre kamen interessierte Freund_innen und Genoss_innen dazu. Das Künstler_innenkollektiv backlab, welches ja ursprünglich auch aus Oberösterreich stammt, veranstaltet heuer zudem erstmals  den WurstvomHund-Ball, der als Gegenball zum Linzer Burschenbundball konzipiert ist und am 6. Februar in Linz stattfindet.


Wie wählt ihr die Künstler_innen aus, die am WTF-Ball auftreten? Was ist euch dabei wichtig?
Wir versuchen einerseits immer einen Mainact zu haben, der_die in das politische Konzept des WTF?!-Balls passt und auch einen gewissen Bekanntheitsgrad mit sich bringt. Wichtig ist auch, dass sich die Kosten der Acts in Grenzen halten und durch solidarische Auftritte der Spendenbetrag größer wird. Wir bemühen uns auch so gut es geht, nicht nur Männer als Mainacts zu haben. Das ist uns in den meisten Jahren geglückt. Auch heuer gibt es in der Fluc Wanne keinen Slot ohne mindestens eine Frau.


Viele Partys sind nicht für alle zugänglich, weil an Barrierefreiheit oder an Awarenessteams nicht gedacht wird. Wie geht ihr mit diesen Themen um?
In den ersten beiden Jahre des WTF?!-Balls mussten wir organisatorisch noch einiges lernen und schafften es noch nicht ausreichend Engagement in Barrierefreiheit und Awareness zu setzen. Seit wir im Fluc sind und auch schon etwas Routine bekommen haben, haben wir uns verstärkt auf diese Themen konzentriert. Das Fluc selbst ist überwiegend barrierefrei. Bezüglich der Awareness haben wir uns dafür entschieden, das Thema auf dem gesamten Ball präsent zu haben. Schon beim Eintritt bekommen alle Besucher_innen einen Flyer und eine kleine „Ballspende”, die sie auf die Thematik aufmerksam machen sollen. Außerdem haben wir über die gesamte Zeit der Veranstaltung an der unteren Kassa eine zusätzliche Person aus dem Orga-Team als Ansprechperson, auf die auch auf dem Flyer verwiesen wird. Die Ansprechperson hat die Aufgabe, im Fall von Übergriffen oder Grenzüberschreitungen gemeinsam mit den Securities vom Fluc einen Rauswurf zu veranlassen, wenn die belästigte Person dies wünscht. Darüber hinaus gibt es an vielen Orten im Fluc Plakate, die noch einmal auf die “no means no”-Policy und die Vorgehensweise hinweisen. Wir freuen uns außerdem sehr, dass das Fluc seit einem Jahr auch abseits des WTF-Balls bemüht ist, eine „no means no”-Policy umzusetzen.


 

Wie sorgt ihr dafür, dass sich am WTF-Ball alle sicher fühlen können?
Die genannten Maßnahmen sind der Beitrag den wir leisten können, um den Ball für alle Besucher_innen so angenehm und sicher wie möglich zu gestalten. Wir sind uns aber bewusst, dass wir es mit unserem Konzept nicht schaffen werden, den Ball als Gesamtes zum einem „Safe-Space” zu machen. Es ist uns wichtig von vornherein eine eindeutige Botschaft auszusenden, dass Übergriffe, Belästigung und Gewalt auf unserem Ball nichts verloren haben. Wir hoffen und vertrauen darauf, dass diese Botschaft auch bei den Besucher_innen ankommt und dass es, falls es doch zu Problemen kommen sollte, diese schnell an uns herangetragen werden, damit wir reagieren können.

 

Der Reinerlös des Balls geht heuer an die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung Wien und die QueerBase. Warum?
Diese beiden Organisationen unterstützen jene Menschen, die unter der Hetze der Besucher_innen des Akademikerballs am meisten zu leiden haben. Wir kennen und schätzen die Arbeit beider Organisationen und es ist uns ein Anliegen, sie mit dem Reinerlös des Balls zu unterstützen. Wir spenden generell vorwiegend an Organisationen, die kritsche und/oder emanzipatorische Unterstützung für Geflüchtete und Flüchtende anbieten. Die meisten davon sind auf private Spenden angewiesen.

 

Von der Party zur Politik: Seit letztem Jahr gibt es neben dem Akademikerball der FPÖ auch den „Wiener Ball der Wissenschaften". Letzterer ist eine Reaktion auf den Akademikerball. Seht ihr darin einen weiteren Gegenball?
Der “Wiener Ball der Wissenschaften” ist eher nicht als Gegenball einzuschätzen. Viel mehr ist er eine Reaktion, in der es darum geht sich den Ball als bürgerliches Konzept nicht wegnehmen zu lassen und auch das Wort „Akademiker” im Kontext eines Balles nicht der FPÖ zu überlassen. Gleichzeitig ist es vorstellbar, dass es Besucher_innen gibt, die sich auf beiden Bällen wohl fühlen. Immerhin reproduziert der Wissenschaftsball auch klassische Geschlechterrollen und ein gewisses Elitendenken. Für den WTF?!-Ball können wir ausschließen, dass sich FPÖler_innen und Burschenschafter wohlfühlen.Dafür sollen sich bei uns alle wohl fühlen, die sich nicht in irgendwelche Rollen oder Konzepte zwängen lassen.

 

Der Akademikerball wird, so heißt es zumindest, in der rechten Szene weniger wichtig. Das Bündnis NOWKR hat sich – unter anderem deswegen – 2015 aufgelöst. Könnt ihr euch vorstellen, dass sich der Fokus des WTF-Balls verschiebt?
Sollten sich die Proteste gegen den Akademikerball gänzlich auflösen, würde der WTF?!-Ball in seiner derzeitigen Form nicht mehr funktionieren. Der WTF?!-Ball soll eben nicht nur eine Party sein, sondern auch Protest und Mobilisierung zu Protesten, weswegen wir auch immer den Organisationen, die zu Demonstrationen und Blockaden gegen den Akademikerball aufrufen, anbieten, mit einem Infostand am Ball vertreten zu sein. Unserer Einschätzung nach ist es nach wie vor notwendig, gegen diesen Ball zu protestieren und so lange es größere organisierte Proteste gibt, macht auch der WTF?-Ball Sinn.

 

Wie viel kann eine Party wie der WTF-Ball in der Szene, der Gesellschaft verändern und bewirken? Was sind eure Erfahrungen aus den letzten fünf Jahren?
Indem wir immer wieder Mainacts und sonstige Künstler_innen haben, die auch abseits des politischen Kontextes Menschen anziehen, denken wir, dass wir es sehr gut schaffen, mit dem WTF?!-Ball auch Menschen zu mobilisieren, die ansonsten keinen direkten Zugang zu den Protesten gegen den Akademikerball haben. Natürlich ist es für uns schwer nachvollziehbar, wie viele Menschen wir tatsächlich mobilisieren, aber eine gewisse Medienöffentlichkeit und die Verbreitung über Social Media tragen gewiss einen Teil zur Wirksamkeit bei. Auch die Wahl unserer Locations und Acts soll vor allem Menschen abseits der Politszene und junge Leute ansprechen, sich als Teil einer Gegenöffentlichkeit zu verstehen und ein niederschwelliger Einstieg ist nun einmal das gemeinsame Feiern.

 

Für alle, die noch nie auf einem Ball waren: WTF ist eine Mitternachtseinlage und warum lässt ihr da eine Partei auftreten?
Unsere Mitternachtseinlage ist Teil der Persiflage von herkömmlichen Bällen und immer irgendeine künstlerische Darbietung, die auf normalen Bällen wohl für Kopfschütteln sorgen würde. Am WTF?!-Ball funktioniert sie jedoch gut und passt auch in unser Konzept. Wir verbinden die Mitternachtseinlage immer mit einem expliziten Aufruf, sich an den Protesten zu beteiligen. Der Cut zwischen den Acts gibt uns die Möglichkeit dazu. Obwohl wir uns als WTF?!-Ball als politische Veranstaltung verstehen, haben wir uns von Parteipolitik bisher distanziert. Dass sich das heuer ändert, liegt wohl an der performativen Kompetenz der Perversen Partei Österreichs (PPÖ).

Links:
Webseite
Facebookevent
Gewinnspiel der ÖH-Bundesvertretung für Eintrittskarten zum Ball.
 

Das Interview führte Joël Adami.

Für ein Ende der Gewaltdebatte

  • 31.01.2015, 10:51

Protest gegen den Akademikerball, 30. Jänner 2015. Eh schon wissen.

Der "Offensive gegen Rechts"-Demozug startete am Schottentor.

(c) Christopher Glanzl

Vor der Demo: In sich gehen und etwas meditieren.

(c) Christopher Glanzl

Die Sperrzone ist halt einfach nicht lustig, daher ist uns auch nichts lustiges eingefallen.

(c) Christopher Glanzl

Kontrastprogramm

(c) Christopher Glanzl

Hier sollte wohl was mit "hermetisch abgeriegelt" stehen, auch wenn das Bild etwas ganz anderes sagt.

(c) Christopher Glanzl

Bengalische Feuer ziehen Kameras magisch an.

(c) Christopher Glanzl

Mit ein bisschen Fantasie sieht's doch eh aus wie Kriegsberichterstattung.

(c) Christopher Glanzl

Hier zum Beispiel: einfach die herumlugernden Passant*innen wegdenken.

(c) Christopher Glanzl

Das Wiener Rathaus hatte letztes Jahr eine Resolution gegen den Akademikerball gestimmt. Im Wahljahr kleidet es sich in FPÖ-Farben.

(c) Christopher Glanzl

Ausgelassene Stimmung am Stephansplatz.

(c) Christopher Glanzl

Ein Taxi gesellt sich zur Blockade.

(c) Christopher Glanzl

Selbstgeißelung: Auch unter schlagenden Burschenschafen beliebt?

(c) Christopher Glanzl

Frontlinien.

(c) Christopher Glanzl

Leider war die Deeskalations-Katzenstaffel auf Fortbildung, daher mussten die Hunde ran.

(c) Christopher Glanzl

Bürgerkriegsähnliche Zustände in der Wiener City.

(c) Christopher Glanzl

I can feel it/coming in the air tonigt

(c) Christopher Glanzl

Auch dieses Jahr wurde wegen eines Balles ein Viertel der Wiener Innenstadt abgesperrt. Mehr, als wenn beispielsweise der amerikanische Präsident zu Besuch ist. Aus der Idee der Bezirksvorsteherin des Ersten, das Bundesheer um Hilfe zu bitten, wurde leider nichts - kein Geld fürs Benzin nach Wien.

(c) Christopher Glanzl

Kreative Blockademethoden: Einfach das Auto auf der Straße abstellen.

(c) Christopher Glanzl

Problembären unterwegs.

(c) Christopher Glanzl

Von der "Jetzt Zeichen setzen"-Kundgebung haben wir wie jedes Qualitätsmedium, das etwas auf sich hält, keine Fotos - friedlicher Protest interessiert ja niemanden.

Demonstration gegen das "Fest der Freiheit" - eine Fotostrecke

  • 05.06.2014, 16:13

Christopher Glanzl war für progress online auf der Demonstration gegen das von Burschenschaften organisierte "Fest der Freiheit" am 4.6.2014. Seine Eindrücke in Bildern:

 

Christopher Glanzl war für progress online auf der Demonstration gegen das von Burschenschaften organisierte "Fest der Freiheit" am 4.6.2014. Seine Eindrücke in Bildern:

Die Offensive gegen Rechts rief dazu auf, sich gegen das von Burschenschaften organisierte „Fest der Freieheit“ zu stellen.

 

Schon lang vor Demonstrationsbeginn gab es in der Innenstadt Kundgebungen, die Polizei war im Straßenbild der Stadt...

 

...mehr als nur präsent und schuf eine zum Teil absurde Szenerie.

 

Startpunkt der Gegendemonstration war um 17:00 Uhr vor der Uni Wien.

 

Ca. 2000 Menschen versammelten sich dort, um ein Zeichen gegen Faschismus zu setzen.

 

Redebeiträge wiesen auf den Zusammenhang zwischen Armut und dem Zulauf rechter Gruppierungen hin.

 

Die Polizei blieb diesmal ruhig und war mehr durch ihre schiere Präsenz als durch ihren Einsatz im Weg.

 

Auch der KZ-Überlebende Rudolf Gelbard marschierte mit, um mit seinem Schicksal auf die Gefahren rechter Umtriebe hinzuweisen.

 

PassantInnen sahen eine laute und friedvolle Demonstration.

 

„Siamo tutti antifascisti“ oder „Lieber ein Abszess am After als ein deutscher Burschenschafter“ wurden dabei skandiert.

 

Die Clown-Army trieb ihr Unwesen und malte Herzen um Polizisten...

 

... und lockerten die ohnehin gute Stimmung noch weiter auf.

 

- ohne Worte -

 

Auch in der Luft war die Exekutive stark hörbar unterwegs.

 

Immer wieder blieb der Demonstrationszug für Redebeiträge stehen und erlaubte Stehpausen.

 

Gegen 20:00 Uhr erreichte die Demo ihren Endpunkt vor der Universität Wien.

 

Im Anschluss kam es noch zu unschönen Szenen in der U-Bahnstation Schottentor als die Polizei dort eine Festnahme durchführte.

 

Ein Mann wurde tumultartig festgenommen und dabei auch verletzt.

 

Draußen wurde es ruhiger, der Zugang zu den Burschenschaftern war von der Polizei massiv gesperrt.

 

- ohne Worte -

Heimweh nach La Paz

  • 20.03.2014, 17:06

Die pensionierte Kinderärztin Miriam Rothbacher (*1935, geb. Krakauer) musste wegen des nationalsozialistischen Antisemitismus mit ihrer Familie 1939 Deutschland verlassen. Bolivien gewährte der Familie damals Zuflucht. Im Interview erzählt sie von ihrem Leben und ihrem Hilfsprojekt Pro Niño Boliviano.

Die pensionierte Kinderärztin Miriam Rothbacher (*1935, geb. Krakauer) musste wegen des nationalsozialistischen Antisemitismus mit ihrer Familie 1939 Deutschland verlassen. Bolivien gewährte der Familie damals Zuflucht. Im Interview erzählt sie von ihrem Leben und ihrem Hilfsprojekt Pro Niño Boliviano.

progress: Wie sind Sie mit Ihrer Familie nach Bolivien gekommen?

Miriam Rothbacher: Wir sind sehr spät im Jahr 1939 ausgewandert und hatten das Problem, dass die meisten Zufluchtsländer ihre Grenzen für die jüdischen Flüchtlinge bereits geschlossen hatten. Sogar eine Flucht in die großen lateinamerikanischen Länder Argentinien und Brasilien war nicht mehr möglich. In Bolivien hatte mein Vater eine entfernte Cousine, deren Mann als Ingenieur in den Bergminen gearbeitet hat. Mit ihr hat mein Vater Kontakt aufgenommen und sie um Hilfe gebeten. Mein Vater war Lehrer und Studienrat und meine Cousine hat für meinen Vater ein Visum über den Rektor der Methodistischen Schule in La Paz besorgt.

Gab es einen politischen Hintergrund für die Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen in Bolivien?

Bolivien hatte damals den Krieg gegen Paraguay hinter sich und der damalige General Germán Busch Becerra hatte die Juden ins Land geholt, um das Land aufzubauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen dann rechte Diktatoren an die Macht, die geflohenen Nazis Zuflucht gewährten.

Viele jüdische Flüchtlinge hatten große Probleme, im Zufluchtsland ihrem Beruf nachzugehen. Wie war das in Ihrer Familie?

Mein Vater hatte das Glück, schon in Deutschland Studienrat gewesen zu sein und Sprachen unterrichtet zu haben. Er konnte auch Spanisch und hat eine Anstellung als Lehrer an der amerikanischen Schule von La Paz bekommen. Meine Mutter hatte in Deutschland Schwedische Massage gelernt und als Masseurin gearbeitet. Sie hat sehr gut verdient, da die alten eingesessenen Deutschen von La Paz verrückt nach ihrer Massage waren und eine Fachkraft in diesem Bereich rar war.

Haben Sie in Bolivien Antisemitismus von den ansässigen Deutschen erfahren?

In Bolivien lebten viele Deutsche, die vor oder unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ins Land gekommen sind. Es gibt heute noch eine deutsche Wurstfabrik in La Paz und in den tropischen Gegenden besaßen die Deutschen große Ländereien und Farmen. Die meisten von ihnen hatten nichts gegen Juden und haben den Nationalsozialismus in Deutschland auch nicht erlebt. Es hat jedoch eine deutsche Schule in La Paz gegeben, in der ein Hitlerbild hing und die Jüdinnen und Juden nicht besuchen durften. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte diese Schule nicht mehr viele Lehrer, da diese meist aus Deutschland kamen und dort in den Krieg gezogen waren. Da überlegte die Schulverwaltung der deutschen Schule, meinen Vater – den Herrn Krakauer – als Lehrer an die Schule zu holen. Der Elternverein sprach sich jedoch dagegen aus, da mein Vater ein „J“ (Anm.: für Jude) im Pass hatte.

Hatten Sie als Kind Kontakt mit den Kindern der deutschstämmigen Bevölkerung? Ich bin zwölf Jahre in die amerikanische Schule gegangen und hatte mit den deutschen Kindern keinen Kontakt. Mit meinen SchulkollegInnen aus der Maturaklasse der amerikanischen Schule treffe ich mich aber immer noch.

Sind Sie einem der geflohenen Nazis einmal begegnet?

Nicht wissentlich. Aber ich kann folgende Anekdote erzählen: Als Kind habe ich mit meiner Mutter in den Winterferien das Hotel Hamburgo in der Ortschaft Chulumani in den Tropen besucht. In das Hotel sind viele EmigrantInnen auf Urlaub gefahren, weil die Besitzerin eine alte Hamburgerin war und europäisches Essen gekocht hat. Nach 1945 haben in dem Ort auch der „Schlächter von Lyon“ Klaus Barbie und andere Nazigrößen gelebt. Bei einer meiner späteren Bolivienreisen wollte ich meinem Mann das Hotel zeigen. Ich habe es jedoch nicht auf Anhieb gefunden und als wir bei einem Haus vorbeikamen, hat mich ein Mann gefragt, was ich suche. Er hat mir dann gesagt, dass von dem Hotel nur noch das Schwimmbad existieren würde. Und er habe erzählt, dass das der alten Nazifrau gehört hat, die damals den geflohenen Naziverbrechern Teller und Bestecke mit Hakenkreuz-Emblem serviert habe. Ich hab mir damals gedacht: Um Gottes willen! Meine Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie das wüsste!

Haben Sie damals Vorurteile seitens der bolivianischen Bevölkerung gegenüber Ihnen als Europäerin gespürt?

Ich habe keinen Antisemitismus durch die bolivianische Bevölkerung erfahren, außer manchmal von der katholischen Kirche, wenn der Pfarrer von der Kanzel gepredigt hat, dass die Juden Jesus Christus getötet hätten. Der Sozialmediziner Ludwig Popper war auch in Bolivien im Exil und hat das Buch „Bolivien für Gringos“ geschrieben. Auch er berichtet, dass er dort niemals Antisemitismus gespürt habe.

Was verbindet Sie bis heute mit Bolivien?

Ich wollte mein Leben lang wieder zurück nach Bolivien. Aber es hat sich dann ergeben, dass ich in Österreich geblieben bin. Dennoch ist Bolivien mein Land und meine Heimat. Ich war sehr lange wegen meiner drei Kinder und auch aus finanziellen Gründen nicht in Bolivien. Erst 1981 – als meine Kinder alt genug waren, um dieses Land zu verstehen – sind wir zusammen mit zwei meiner Freundinnen nach Bolivien gefahren. Damals war ich sehr aufgeregt. Viele meiner Freunde hier warnten mich davor, dass mich nach so langer Zeit niemand mehr in Bolivien kennen würde. Aber als ich nach La Paz gekommen bin, war es so, wie wenn ich niemals weggewesen wäre. Meine bolivianischen Freunde haben mich gleich erkannt und mich zu ihnen und ihrer Familie zum Essen eingeladen. Und obwohl damals die Situation wegen der Militärdiktatur eher trist war, hatte ich das Gefühl hier zu Hause zu sein. Als ich dann wieder nach Österreich zurückgekehrt bin, hatte ich wirklich großes Heimweh. Da ist es mir so gegangen wie 1955, als ich als junges Mädchen von Bolivien nach Heidelberg zum Studieren ging. Wenn ich hier keine Familie hätte, würde ich trotz Armut und sozialer Ungleichheit in Bolivien leben wollen.

Welche Erfahrungen haben Sie in Deutschland während Ihres Studiums gemacht?

Ich bin 1955 nach Deutschland gefahren, um in Heidelberg Medizin zu studieren. Ich wäre natürlich viel lieber in die USA zum Studium gegangen als nach Deutschland. Aber mein Vater hatte eine Pension bekommen, von der ich in Deutschland studieren konnte. Ich hatte damals sehr großes Heimweh nach Bolivien und habe meine Eltern sehr vermisst. Hinzu kam, dass die Deutschen sich als die einzigen Opfer des Zweiten Weltkriegs betrachtet haben. Die ganze Zeit über habe ich mir als Studentin anhören müssen, wie schlimm die Bombenangriffe waren und wie arm die Deutschen nicht gewesen wären. In Deutschland habe ich als Studentin zur Untermiete gewohnt und die Vermieterin hat mir gleich erzählt, dass ihr Bruder einem Juden in Karlsruhe ein Haus abgekauft habe und dass dieser es wieder zurückhaben wolle. An der Uni in Heidelberg haben auch die Burschenschaften eine zentrale Rolle gespielt. Ich selbst bin auf der Uni immer mit „Herr Miriam“ angesprochen worden, weil der Name überhaupt nicht bekannt war. Er war von den Nazis ausradiert worden. Und natürlich hat damals jeder Deutsche behauptet, von den Verbrechen an den Juden nichts gewusst zu haben. Ich hatte damals kaum Kontakt mit deutschen Studierenden. Meine Studienzeit in Deutschland war keine schöne Zeit. Auch später habe ich keine guten Erfahrungen mit Deutschland gemacht. In Schöneiche bei Berlin hatten meine Großeltern und mein Großonkel zwei Grundstücke. Das eine Grundstück von meinem Großonkel wurde mir als Alleinerbin geschenkt. Ich hätte aber für dieses Grundstück sehr viel Schenkungssteuer zahlen müssen und musste es veräußern. Und das, obwohl man meiner Familie das Grundstück weggenommen hatte.

Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Ich habe 1961 eine Freundin nach Wien begleitet, die sich im St. Anna Kinderspital vorgestellt hat. Der damalige Primar hat mich gesehen und mich gefragt, ob ich mich auch vorstellen möchte. Da habe ich mir gedacht, dass ich doch auch ein Jahr in Wien bleiben könnte. Während dieser Zeit habe ich aber meinen Mann kennengelernt und bin in Wien geblieben. Hier war vieles lustiger als in Deutschland, die ÖsterreicherInnen haben eine leichtere Art zu leben als die Deutschen. Ich finde, dass Österreich Bolivien ähnlicher ist als Deutschland. Ich war und bin gerne in Wien.

Wie ist Ihr Projekt Pro Niño Boliviano entstanden?

Als ich in Pension war, hat meine jüngere Tochter mich daran erinnert, dass ich geplant hatte, für längere Zeit nach Bolivien zu gehen. Sie wollte selbst nach Bolivien reisen, um zu sehen, wo ich aufgewachsen bin. 1996 sind wir dann gemeinsam mit ihrem damals eineinhalb-jährigen Sohn für längere Zeit nach Bolivien gereist. Damals ist mir die soziale Ungleichheit aufgefallen, doch ich hatte nicht die Absicht ein Projekt zu leiten. Daher habe ich nur ein bisschen in der Caritas vor Ort geholfen und mir Schulen angeschaut. Dabei habe ich dann beschlossen, zurück in Österreich Schulmaterial für die bolivianischen SchülerInnen zu sammeln. Doch die Sammelaktion hat eine Eigendynamik bekommen und mit der Zeit haben sich einzelne Projekte entwickelt.

Welche Projekte haben Sie seither verwirklicht?

Zunächst habe ich eine staatliche Schule in einer sehr abgelegenen Gegend von El Alto unterstützt. El Alto ist eine Satellitenstadt in der Nähe von La Paz, von der man sagt, dass sie die ärmste Stadt Lateinamerikas sei. In dieser Schule gab es nur zwei nackte Räume ohne Schulmöbel für 240 Kinder. Da haben wir damit begonnen Schulklassen zu bauen und Tische und Sessel für die Kinder zu organisieren. Wir haben uns bei diesem Projekt immer nach den Wünschen der Kinder und LehrerInnen gerichtet. Mittlerweile ist aus dieser Schule eine Maturaschule geworden, in der viele Klassen maturieren konnten. Nach diesem Projekt ist jemand gekommen und hat mich gefragt, ob ich nicht auch eine andere Schule unterstützen wolle. Das haben wir dann getan, indem wir die Kinder mit Schulmaterial versorgt haben. Außerdem haben wir dort eine mobile Bücherei ins Leben gerufen. Danach habe ich bei einer meiner Reisen den Frauen gesagt, dass sie Handarbeiten anfertigen könnten und ich diese in Österreich verkaufen könnte. Heute machen wir fünfbis sechsmal im Jahr Verkaufsstände mit den Handarbeiten der Frauen. Mittlerweile können 20 Frauen von unserem Projekt leben. Und wir haben auch ein Tuberkuloseprojekt. Die Abwicklung der Projekte ist leider nicht einfach, da Bolivien für die österreichische Entwicklungspolitik kein Schwerpunktland ist.

 

Der Verein Pro Niño Boliviano sucht laufend ehrenamtliche MitarbeiterInnen: http://www.proninoboliviano.org/ Kontakt: office@proninoboliviano.net

Das Interview führte Claudia Aurednik.

 

Menschenblockaden gegen Burschenschaften – die Offensive gegen Rechts

  • 22.01.2014, 17:01

Die Offensive gegen Rechts (OGR) ruft zur Blockade des Akademikerballs auf. progress online hat mit Rosa und Karl von der OGR über zivilen Ungehorsam, soziale Probleme zwischen oben und unten und breite Bündnispolitik gesprochen.

Die Offensive gegen Rechts (OGR) ruft zur Blockade des Akademikerballs auf. Progress online hat mit Rosa und Karl von der OGR über zivilen Ungehorsam, soziale Probleme zwischen oben und unten und breite Bündnispolitik gesprochen.

Das Interview ist der dritte Teil der progress Online-Interviewserie mit dem Thema Gegenbewegungen zum Akademikerball.

progress: Ihr ruft auf,am 24. Jänner den Burschenschafterball in der Hofburg zu verhindern. Warum?

OGR: Deutschnationale Burschenschaften sind eine rechtsextreme Gefahr. Burschenschafter waren an vielen rechtsextremen Aktivitäten beteiligt oder haben diese begrüßt. Sie haben ein sexistisches, homophobes, rassistisches, antisemitisches und elitäres Weltbild, das auf einer völkischen Vorstellung von Gesellschaft basiert. Darüber hinaus wollen wir den Blick auf die Gefahr durch die FPÖ richten. Burschenschafter stellen ihren ideologischen Kern und übernehmen eine Scharnierfunktion zwischen der parlamentarischen und der außerparlamentarischen Rechten. Drittens ist es eine Frechheit, dass dieser Ball in der Hofburg stattfindet. Die Namensänderung von WKR- in Akademikerball hat daran nichts geändert, es bleiben die selben Menschen da drin, und deshalb werden wir auch weiterhin dagegen auftreten.

Euer Plan ist, mit „Menschen-Blockaden“ den Zugang zu verhindern, allerdings schreibt ihr, von Euch wird dabei keine Eskalation ausgehen. Wie ist das zu verstehen?

OGR: Dresden Nazifrei zum Beispiel hat bewiesen, dass man durch massenhafte Blockaden Rechten gehörig in die Suppe spucken kann. Wir versuchen Blockaden, die nichts Verbotenes sind, als zivilen Ungehorsam zu normalisieren, den man etwa auch bei Sozialprotesten hernehmen kann. Durch eine große Masse an Leuten werden wir an öffentlichen Blockadepunkten zumindest die Anreise zum Ball weitgehend verhindern. Wir werden unsere Körper als Hürden für die Burschenschafter verwenden und uns ihnen mit kreativem, lautem aber betont deeskalativem Protest in den Weg stellen.

Glaubt ihr, ihr werdet Erfolg haben?

OGR: Insgesamt werden ein paar tausend Leute auf die Straße gehen. Wir mobilisieren breit, so konnten wir Gewerkschaften und linke migrantische Gruppen ins Bündnis holen. Das Ziel ist hoch, aber die sinkenden Gästezahlen haben gezeigt, dass der Protest – und das gilt für alle Bündnisse – erfolgreich ist. Andererseits werden sie immer irgendwie reinkommen, deshalb ist es wichtig, ihnen das so schwer wie möglich zu gestalten.

Welchen Umgang mit eurer Demo erwartet ihr von der Polizei?

OGR: 2009 hat die Polizei den Protest verboten. Aus diesem demokratiepolitischen Skandal heraus ist die OGR als breites Bündnis angetreten, um der Polizei zu verunmöglichen, die Proteste so zu kriminalisieren. Auch wenn die FPÖ versucht, in der Exekutive Druck aufzubauen, den Protest zu untersagen, gehen wir davon aus, dass die Demos zugelassen werden. Alles andere wäre eine Frechheit. Es würde uns auch sicher nicht davon abhalten, auf die Straße zu gehen.

Ihr schreibt, die FPÖ sei „die Bonzenpartei“. Was meint ihr damit?

OGR: Neben den Burschenschaften gibt es aktuell das Problem, dass viele enttäuschte sozialdemokratische Wähler_innen zur FPÖ abwandern. Wir verstehen, dass es eine große Unzufriedenheit mit der Austeritätspolitik gibt. Sie wird von Menschen getragen, die nichts dafür können. Die FPÖ versucht das Problem nicht als soziales, also als Problem zwischen unten und oben zu bezeichnen, sondern mit Rassismus die Leute aufzuhetzen. Da wollen wir sagen: Es gibt eine linke Alternative. Außerdem hat sich die FPÖ immer gegen Gewerkschaften gestellt. Bonzenpartei ist vielleicht etwas übertrieben, aber wenn sich die FPÖ als "Partei des kleinen Mannes" inszeniert, stimmt das schlicht und ergreifend nicht mit ihrer Politik überein.

Außerdem schreibt ihr, euer Handeln sei gefragt, weil die zuständigen Institutionen auf dem rechten Auge blind seien. Wen meint ihr damit?

OGR: Die Hofburg hat den WKR-Ball letztes Jahr verboten, jetzt aber das Verbot gegen den Ball unter anderem Namen nicht aufrecht erhalten. Die rot-grüne Stadtregierung positioniert sich nicht gegen solche Aktivitäten. Bundeskanzler Werner Faymann hat kürzlich gesagt, dass er nicht gegen den Akademikerball auftreten wird. Die müssten sich alle klar gegen rechtsextremes und faschistisches Gedankengut positionieren. Weil sie es nicht tun, fordern wir das auf der Straße ein. Die Stadt Innsbruck hat die Burschenschafter aus ihren Räumen verbannt. Das fordern wir auch für Wien.

Im Zara-Rassismusreport sieht man, dass die Exekutive immer wieder bei rassistischen Übergriffen mitmacht oder tragend ist. Ein weiterer Punkt ist, dass es bis zur schwarz-blauen Regierung einen eigenen Rechtsextremismusbericht gab, der sich ausführlich den deutschnationalen Burschenschaften widmete. Er wurde eingestellt. Der Verfassungsschutzbericht erwähnt Burschenschaften mit keinem Wort, obwohl sie nach wie vor mit der rechtsextremen Szene kooperieren. Andererseits ist der Verfassungsschutz bei jeder linken Kleindemo anwesend. Das zeigt, dass die Obrigkeit versucht, linke Proteste zu kriminalisieren, sich aber nicht darum kümmert, wenn Burschenschafter mit Neonazis gemeinsame politische Sache machen.

Es gibt mehrere andere Gruppen, die gegen den Ball mobilisieren, etwa die Kampagne „Jetzt Zeichen setzen“ und das Bündnis „NOWKR“. Was unterscheidet Euch?

OGR: Die unterschiedlichen Proteste ergänzen einander gut. Wir sind mit allen solidarisch, die die Problematik dieses Balles thematisieren. Unsere Kritik an „Jetzt Zeichen setzen“ ist aber, dass es ihnen an wirksamen Gegenstrategien fehlt. Außerdem finden wir schade, dass sie sich von unterschiedlichen Protestformen distanzieren. NOWKR als linksradikales Bündnis formuliert ähnliche Kritik am Akademikerball wie wir, allerdings sind ihre Aktionsformen teils sehr ausschließend. OGR versteht sich als breites linkes Bündnis zwischen Teil der Gewerkschaft, unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Kräften, linken und linksradikalen Gruppen.

 

 

„Die Burschenschaften führen ein Rückzugsgefecht“

  • 29.09.2012, 00:56

Ist der Rechtsextremismus nichts anderes ist als Zuspitzung von konservativen Ansätzen aus der Mitte der Gesellschaft? Ein Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Experten und Buchautor Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW).

Ist der Rechtsextremismus nichts anderes ist als Zuspitzung von konservativen Ansätzen aus der Mitte der Gesellschaft? Ein Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Experten und Buchautor Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW).

progress: In Ihrem soeben erschienenen Buch „Der rechte Rand“ schreiben Sie, dass der Rechtsextremismus der gesellschaftlichen Mitte entspringt. Wäre ein gewöhnlicher Biertisch am Buchcover da nicht passender gewesen als ein Springerstiefel?

Heribert Schiedel: Ja, aber sowohl Titel als auch Buchcover habe ich dem Verlag überlassen. Der Verleger Heribert Steinbauer ist ein sehr engagierter Mensch. Er war ÖVP-Nationalratsabgeordneter und vertritt damit die politische und soziale Mitte, die Adressat und zugleich Gegenstand der Kritik in meinem Buch ist. Der Titel hat mir immerhin Gelegenheit geboten, gleich in der Einleitung dagegen zu polemisieren, den Rechtsextremismus als Randphänomen zu verstehen. Denn der Rechtsextremismus bezieht seine Ideen aus der Mitte der Gesellschaft, er ist in sehr vielem ein zugespitzter Konservativismus.

progress: Vielen bürgerlich-liberalen VertreterInnen der ÖVP graut es vermutlich, wenn man sie mit Rechtsextremismus konfrontiert. Dennoch hat die ÖVP im Jahr 2000 erstmals mit der FPÖ koaliert, die Sie als rechtsextrem beschreiben.

Schiedl: Ja, und deshalb ist im Buch auch immer wieder die Rede vom Tabubruch im Februar 2000. Trotzdem muss man sagen, dass die FPÖ damals schon noch eine andere war als die FPÖ heute. Ich habe die zweite Koalition zwischen der ÖVP und der FPÖ nach Knittelfeld im Jahr 2002 noch viel skandalöser gefunden als die erste. Denn da wusste die ÖVP genau, dass sie mit dem Rechtsextremismus koaliert. Die FPÖ rückt ja seit Jahren systematisch so weit nach rechts, dass sich fast automatisch ideologische, inhaltliche und personelle Berührungspunkte mit dem verfassungsfeindlichen neonazistischen Bereich ergeben. Viele Menschen – nicht nur in der ÖVP – möchten den Rechtsextremismus aber als Randphänomen sehen, weil das etwas Beruhigendes und Entlastendes für sie hat: Da ruft man dann nach Polizei und Sozialarbeit und macht aus einem gesellschaftlichen und politischen Problem eines, das mit Repression und Street Work zu lösen ist. Das ist es aber nicht.

progress: Lässt sich heute festmachen, was der FPÖ ihre Regierungsbeteiligung gebracht hat?

Schiedl: Die meisten Nachwirkungen gibt es an den Universitäten. Darauf hat sich die FPÖ konzentriert. Der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) und die Burschenschafter kämpfen vor allem gegen die so genannte Massenuniversität. Die Demokratisierung der Universität ist für sie gleichbedeutend mit ihrer „Vermassung“, und die lehnen sie vor allem in Bezug auf die Zusammensetzung der Universitäten ab – sowohl was die Geschlechter als auch die soziale Herkunft der Studierenden betrifft. Die Burschenschaften führen in Wirklichkeit seit über 100 Jahren ein Rückzugsgefecht. In ihren Männerbünden wird gelebt, was die Universität früher war: frei von Frauen und frei von Angehörigen unterer sozialer Schichten.

progress: Zumindest bei den ÖH-Wahlen verliert der RFS allerdings an Unterstützung bei den Studierenden.

Schiedl: Ja. RFS und die Rechten an den Universitäten bauen in dem Ausmaß ab, in dem die Universitäten in den 1970er-Jahren der Gesellschaft angepasst und demokratisiert wurden – Stichwort Universitätsordnungsgesetz 1975, freier Hochschulzugang und Ausweitung der Mitbestimmung. Rechtsextremismus ganz allgemein braucht ja bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen, um zu gedeihen: Da kommt ganz oben die Männlichkeit, eine bestimmte Art von Formiertheit, der Autoritarismus und ein Elitedenken. Deshalb sind die Rechten immer offen gegen die Massenuniversität aufgetreten, gegen den freien Hochschulzugang und für die Aufhebung der Mitbestimmung. Mit den Universitätsräten, die es seit dem Universitätsgesetz 2002 gibt, haben sie dann direkt ihre eigenen Leute an die Spitze gebracht. Wenn man Burschenschafter oder Freiheitliche heute fragt, was von ihrer Regierungsbeteiligung bleibt, nennen sie als Erstes immer diese „Reform“ der universitären Bildung.

progress: Worin sehen Sie die Unterschiede zwischen FPÖ und BZÖ?

Schiedl: Im Rassismus gibt es kaum welche. Bei der FPÖ ist der Rassismus allerdings aufgesetzt auf eine klare theoretische Fundierung, die beim BZÖ fehlt. Darum bezeichne ich das BZÖ als rechtspopulistisch und die FPÖ als rechtsextrem. Ein Unterschied zeigt sich in der Wirtschaftspolitik: Das BZÖ ist eher neoliberal, die FPÖ setzt mehr auf antikapitalistische Demagogie.

progress: Vor 15 Jahren haben 350.000 Menschen beim Lichtermeer gegen das FPÖ-Volksbegehren „Österreich zuerst“ demonstriert. Heute druckt die FPÖ ungestraft das Wort „Überfremdung“ auf Plakate und der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) bezeichnet Minarette offiziell als „artfremd“. Was hat sich da im öffentlichen Diskurs verschoben?

Schiedl: Ich bezeichne diese Verschiebung in meinem Buch als „Normalisierung“. Zunächst einmal im Sinne einer Gewöhnung, einer Abstumpfung der Öffentlichkeit. Die „Normalisierer“ schauen dagegen immer, was noch geht: Wenn sich Andreas Mölzer zum Beispiel mit Vertretern des belgischen Vlaams Belang (früher Vlaams Blok, Anm.) und der französischen Front National zusammentut, regen sich zwar ein paar Menschen auf, der große Rest aber schweigt. Dann wartet Mölzer eben ein halbes Jahr, trifft sich dann mit Neonazis usw. usf. Die Grenze wird permanent weiter nach rechts verschoben. Der Gebrauch des Wortes „Überfremdung“ ist ein gutes Beispiel für diese „Normalisierung“: 1991 begründete der Österreichische Verfassungsgerichtshof in einem Urteil die Nichtzulassung einer Neonazi-Partei zu den Nationalratswahlen damit, dass diese den Begriff „Überfremdung“ wiederholt verwendete und daher – wörtlich – „ihre verhetzerische Absicht und neonationalsozialistische Gesinnung belegt“ war. Heute prangt der Begriff auf Wahlplakaten im ganzen Land. Wenn mir 1991 jemand gesagt hätte, dass die FPÖ acht Jahre später mit „Stop der Überfremdung“ in den Wahlkampf ziehen und damit rund 27 Prozent der Wählerstimmen erreichen wird, ich hätte es einfach nicht geglaubt

Das Buch:

In „Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft“ beschreibt der Historiker Dr. Heribert Schiedel fundiert und beispielreich, was den Rechtsextremismus in Österreich ausmacht und was zum Erfolg der FPÖ geführt hat. Schiedel kennt die rechtsextreme und neonazistische Szene in Österreich und international und gewährt spannende Einblicke in ein Milieu, das alles andere als eine Randerscheinung ist.