Florian Wagner

25 Jahre „Die Piefke-Saga“

  • 05.12.2015, 12:38

Als das mitunter schlechte Verhältnis der ÖsterreicherInnen zu den Deutschen universitätspolitisch noch bedeutungslos war und sich primär auf Almhütten und Skipisten ausgestaltete, produzierte der ORF das 4-teilige Fernsehspiel Die Piefke-Saga und löste damit einen handfesten Skandal aus.

Als das mitunter schlechte Verhältnis der ÖsterreicherInnen zu den Deutschen universitätspolitisch noch bedeutungslos war und sich primär auf Almhütten und Skipisten ausgestaltete, produzierte der ORF das 4-teilige Fernsehspiel Die Piefke-Saga und löste damit einen handfesten Skandal aus.

Geht es um gesellschaftskritische TV-Formate mit Österreichbezug, wird „Die Piefke-Saga“ häufig genannt. Doch bei näherem Hinsehen stellt sich die Frage, was hier eigentlich kritisiert wird und ob die propagierte Sehnsucht nach Authentizität abseits von Massentourismus und Industrie nicht weit schlimmer als die negativen Auswirkungen der beiden letzteren ist.

Richtet man etwa den Fokus darauf, wie der Nationalsozialismus in „Die Piefke-Saga“ verhandelt wird, kann man sehr unmittelbar bei der deutschen Familie Sattmann fündig werden. Heinrich, der prototypische Nazi preußischen Schlages, geizt nicht mit Geschichten aus der NS-Zeit, wie etwa der, dass PartisanInnen ihm fast den Hals aufgeschnitten hätten, als er einst auf einem Bauernhof einquartiert war. Bis in die Gegenwart der Serie – also in die frühen 1990er Jahre – hat sich Heinrich seine militaristische Identität bewahrt. Er ernennt schon mal Leute zum „Kundschafter“ und ist stolzer Besitzer einer deutschen Schäferhündin, die auf Zuruf des Alten kräftig zubeißen kann.

OFFEN UND VERSCHLEIERT. Doch Heinrich ist eine Karikatur – der offensichtliche Nazi, hinter dem die postnationalsozialistische Gegenwart zum Verschwinden gebracht wird. Im dritten Teil nimmt der alte Bergbauer Andreas eine wichtige Rolle ein. Er wiederum ist der prototypische, ursprüngliche, sich gegen die Moderne stellende Tiroler. Selbst die Renovierung seines Hofes, in dem es weder Duschen noch Toiletten gibt, ist ihm ein Dorn im Auge. Als er aus dem Krankenhaus zur Kantner-Lena – einer Einsiedlerin – flieht, wird seine NS-Vergangenheit ein einziges Mal – und dazu noch reichlich verklausuliert – thematisiert. „In den Krieg is er gangen – freiwillig!“ und hätte deshalb seine Liebschaft damals nicht geheiratet. Es wird sogar spezifiziert, dass es sich um den Zweiten Weltkrieg gehandelt hat – mehr aber auch nicht. Jetzt kommt er zu ihr zum Sterben (er stirbt aber nicht, sondern heiratet sie wenig später und ist in Teil 4 immer noch – mehr oder weniger – am Leben). Im Unterschied zu Heinrich soll das Publikum mit Andreas – dem alten Bergbauern, der vom raffgierigen Bürgermeister als Strohmann für einen Grundstückskauf missbraucht wird – sympathisieren. Darin schwingt jedoch auch Sympathie mit der praktizierten Verdrängung der österreichischen NS-Vergangenheit mit, die im konkreten Fall aus einem vormaligen Täter ein Opfer macht, das sich erst mit Hilfe der Medien erfolgreich gegen die Profitsucht der örtlichen Geld- und Machtelite zur Wehr setzen kann.

Auch kleinere Ungereimtheiten, was die Ausstattung der Serie betrifft, sind aufschlussreich. So hängt im Büro des Bürgermeisters im ersten Teil kein Portrait Kurt Waldheims, sondern eines Rudolf Kirchschlägers. Das obwohl „Die Piefke-Saga“ 1990 gedreht wurde, als schon lange nicht mehr Kirchschläger, sondern bereits seit mehreren Jahren Waldheim Bundespräsident war. Vielleicht hat man im Rathaus von Mayrhofen (der nächste Regiefehler im Bild: Die Fahne Mayrhofens ist deutlich zu erkennen, obwohl „Die Piefke-Saga“ doch eigentlich im fiktiven Lahnenberg spielt) einfach aus politischer Sympathie den Austrofaschisten Kirchschläger hängen lassen und dieser „Ausstattungsfehler“ wurde vom Fernsehspiel aus der herrschenden Realpolitik übernommen. Dafür spricht, dass in den späteren Teilen schließlich doch ein Portrait Waldheims im Hintergrund zu sehen ist.

KEINE WASCHMASCHINE. Schon im ersten Teil sticht die Figur des heimat- und naturverbundenen Dorflehrers Hans Wechselberger ins Auge. Er tritt in den ersten drei Teilen als Antagonist seines Bruders, dem von Kurt Weinzierl gespielten Bürgermeister und Hotelier Franz Wechselberger, in Erscheinung und dürfte eine Art Identifikationsfigur für Drehbuchautor Felix Mitterer sein. Hans wird als heldenhafter, wenn auch punktuell skurriler Widerstandskämpfer gegen den deutschen Massentourismus und seine Tiroler ProfiteurInnen dargestellt. Die Heimat würden sie verraten, so der ständig mitschwingende Vorwurf an den Bürgermeister und seine HandlangerInnen.

Die primäre Funktion der von Veronika Faber gespielten Frau des Bürgermeisters ist es, dem TV-Publikum zu zeigen, was die Tourismusindustrie aus den Menschen macht, die in ihr arbeiten. Sie ist eine gebrochene Frau und um das zu illustrieren, wird nicht nur ihr Alkoholismus inflationär in Szene gesetzt, sondern auch das Thema Abtreibung als zusätzlich dramatisierendes Element verwendet. Selbst die sexuelle Reproduktion ist den Zyklen des Massentourismus unterworfen und hat die Hotelbesitzerin nachhaltig beschädigt. Die Schwangerschaft der BergbäuerInnentochter Anna, die im Hotel in viel niedrigerer Position arbeitet und von Gunnar Sattmann ungewollt schwanger wurde, wird hingegen zum Ausgangspunkt für ihre Befreiung aus der Tourismusindustrie. Sie treibt nicht ab, sondern kündigt ihren Job. Freilich nicht als autonomes Subjekt, sondern wiederum mit männlicher Unterstützung und gegen den Widerstand der – abermals stark alkoholisierten – Hotelbesitzerin.

Im dritten Teil gewinnen die TirolerInnen auf so gut wie allen Ebenen die Oberhand. Zunächst sieht es noch gut aus für die deutsche Familie Sattmann: Sie eröffnet ihre Schneekanonenfabrik und baut ein Haus. Dann aber schlägt die Stunde der rechtlichen Option: Die Sattmanns verlieren das Sorgerecht für das Kind des ältesten Sohnes an Anna und den vormaligen Dorflehrer Hans. Letzterer setzt der Familie nunmehr als Umweltbeamter des Landes Tirol zu. Aufgrund seiner Interventionen dürfen die Sattmanns ihr in einer Lawinenzone erbautes Haus monatelang nicht bewohnen. Hans versucht zudem seinem Bruder das Bürgermeisteramt mit einer „grünen Liste“ streitig zu machen, zitiert Pier Paolo Pasolini und setzt auf SubsistenzbäuerInnentum. Letzteres nicht gerade zur Freude von Anna, die statt einem abgelegenen Hof ohne Warmwasser lieber eine Waschmaschine hätte, damit aber wenig Gehör findet.

Das Narrativ des dritten Teils lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Das deutsche Großkapital kommt, reißt sich in Verbindung mit den korrupten Tiroler Machteliten die Natur (in Form der Jagdpacht) unter den Nagel, macht sich selbige mittels Schneekanonen zur Untertanin und vergiftet das Trinkwasser. Am Ende rettet der Bürgermeister seinen Posten, indem er Karl Friedrich Sattmann für all das verantwortlich macht, wofür eigentlich er die politische Verantwortung trägt. Nachdem er die Bühne verlässt, um wiederum Karl Friedrich, ergo dem deutschen Großkapital, untertänigst nachzulaufen, ergreift Bürgermeisterkandidat Hans Wechselberger erneut das Wort und zitiert Andreas Hofer: „Mander, s’ isch Zeit!“ Und abermals wird die Tiroler Gegenaufklärung in Form des grünen Neobauern ohne Waschmaschine zur Identifikationsfläche für das vermeintlich kritische Publikum.

KÜNSTLICHE TIROLERINNEN UND ECHTE TIROLER. Angesichts dieser Konfliktlage tut der Bürgermeister – der selbst gewiss kein Anhänger der Aufklärung ist, zumindest aber einer des technischen Fortschritts – das einzig Richtige: Er beginnt mit Hilfe japanischer WissenschaftlerInnen die TirolerInnen in Tourismusklischee- Cyborgs umzubauen. Das passiert allerdings Off-Screen und erschließt sich dem Publikum erst im Verlauf des letzten Teils, der 1993 produziert wurde, den Titel „Die Erfüllung“ trägt und in einer dystopischen Zukunft angesiedelt ist.

Die Handlung des vierten Teils wurde von den verantwortlichen ProgrammplanerInnen als so kontrovers empfunden, dass über fast ein Jahrzehnt hinweg immer nur die ersten drei Teile im Fernsehen wiederholt wurden. Der letzte Teil, der einiges in ein anderes Licht rückt, musste derweil im Zensurarchiv des ORF vor sich hin darben.

Schon zu Beginn des vierten Teils ist bezeichnend, wie sich Felix Mitterer in den 1990ern die dystopische Zukunft Deutschlands ausmalte: Ein Punk und ein muskulöser schwarzer Mann mit Kettensäge überfallen die seit Tagen im Stau stehende Familie Sattmann, die sich erstmals seit den Ereignissen im dritten Teil wieder auf den Weg nach Tirol macht.

Die Rolle des vormaligen Lehrers und geschassten Umweltamt-Mitarbeiters Hans verändert sich im letzten Teil sehr deutlich und es ließe sich argumentieren, diese Veränderung sei in der Lage, auch den Hans der Teile 1 bis 3 neu – nämlich weitaus kritischer – zu beurteilen. Das in den ersten Teilen als ökologisch verschleierte antiaufklärerisch-reaktionäre Ressentiment tritt im letzten Teil zur Kenntlichkeit entstellt ans Licht. Hans schimpft auf „Asylanten“ und „das ganze Gesindel“, welches in Deutschland Krawalle mache. Allerdings wurde auch Hans operativ verändert, was Raum für weniger wohlwollende Deutungsmöglichkeiten in Bezug auf das Gesamtnarrativ lässt. Hinter dem von ihm und den anderen Cyborgs wie ein Mantra wiederholtem „total bio“-Slogan verbirgt sich eine gigantische Müllhalde. Die saftigen Tiroler Wiesen und Wälder sind aus Plastik, Menschen und Tiere den Ansprüchen der Tourismusindustrie untergeordnete Cyborgs. Der Tourismus hat Mensch und Umwelt kaputt gemacht, die Sattmanns kommen nach und nach dahinter und werden zu Opfern der Vertuschungsmaschinerie.

Doch auch der letzte Teil hat seine Widerständler und man muss sie nicht gendern, da es sich um einen reinen Männerbund handelt. Es ist eine mehr als bezeichnende postnazistische Allianzenbildung, die hier unkritisch über die Bühne geht. Der Pfarrer, der (doch nicht tote) Nazi-Opa Heinrich, der von Tobias Moretti gespielte Joe und sein von Gregor Bloéb gespielter Bruder Stefan bilden eine Art Partisaneneinheit. Propagandistisch wie militärisch kämpfen sie gegen die robotisierten TirolerInnen. Der Widerstandskampf des authentisch-katholischen Tirolers scheint von dem des Nazi-Preußen nicht zu trennen zu sein – was allerdings weder ausgesprochen noch in irgendeiner Form problematisiert wird. Gemeinsame Ressentimentlagen verbinden nicht nur den kämpfenden Männerbund, sondern auch Drehbuchautor Felix Mitterer mit jenem Teil des österreichischen wie deutschen Publikums, das mit dieser kämpfenden Einheit sympathisiert.

 

Florian Wagner studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

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