Elisabeth Gamperl

Ein Mensch kann sich nur selber bilden

  • 19.10.2013, 14:16

Der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer setzt sich in dem Film "Alphabet" mit dem Thema Bildung auseinander und fordert einen massiven Strukturwandel im Bildungsbereich.

Der österreichische Filmemacher Erwin Wagenhofer wurde mit seinen sozialkritischen Filmen „We feed the world“ und „Let’s make money“ bekannt. Mit „Alphabet“ ist nun der abschließende Teil seiner Trilogie in den heimischen Kinos zu sehen. In dem Film setzt sich Wagenhofer mit dem Thema Bildung auseinander und fordert einen massiven Strukturwandel im Bildungsbereich. Unsere Autorinnen Elisabeth Gamperl und Luiza Puiu haben den Filmemacher am diesjährigen Forum Alpbach getroffen und ihm ein paar Fragen gestellt.

progress: Herr Wagenhofer, Sie kritisieren in Ihrem neuen Film das österreichische Bildungssystem. Was stimmt damit nicht?

Erwin Wagenhofer: Unsere Haltung zu dem Thema stimmt nicht. Versteht mich nicht falsch – ich will mit meinem Film nicht sagen, dass das österreichische, beziehungsweise europäische Bildungssystem schlecht ist. Es geht um etwas anderes: Der PISA-Test besagt beispielsweise, dass unsere Kinder schwach im Lesen sind. Ich gehe der Frage nach: Warum wollen unsere Kinder nicht lesen?

Warum wollen unsere Kinder nicht lesen?

Wenn ich Kindern vorschreibe, was sie zu tun haben, dann verlieren sie die Lust am Lernen. Das, was Schülerinnen und Schülern beigebracht wird, ist eigentlich sehr wenig. Es würde weit mehr gehen. Sie lernen in der Schule hauptsächlich, wie man sich gegenseitig übertrumpft und wie man konkurrenzfähig wird. Kinder verbringen zirka zwölf Jahre in der Schule. Wer weiß, was in ihren Köpfen hängen bleiben würde, wenn sie zwölf Jahre lang das machen könnten, was sie wollen.

Inwiefern hängt die Finanzkrise mit unserem Bildungssystem zusammen?

Es sind nicht die Analphabeten und Obdachlosen, die das Geld verzocken und die Krise verursacht haben. Das waren Leute, die vorher an den besten Universitäten der Welt studiert haben. Die haben die Finanzmärkte zu dem gemacht, was sie heute sind.

Wie kam es dazu?

Wir wollen, dass alle Kinder gleich sind. Alle sollen gleichförmig sein und den kapitalistischen Bedarf decken. Die Gesellschaft meint, sie brauche Arbeitskräfte: Zum Beispiel glauben wir, dass wir 600.000 Programmierer brauchen. Dann produzieren wir diese, so als würde es sich um Möbel in einer Fabrik handeln. Derzeit sollen sich am besten alle Kinder auf Fächer wie Mathematik und Informatik spezialisieren. Aber wer wird in den kommenden Jahren das Brot backen? Jemand aus der Wissensgesellschaft? Nein. Hoffentlich ist es jemand, der dazu das Wissen von 200 Jahren mitbringt.

Sie meinen, wir achten zu stark auf Quantität statt auf Qualität.

Genau. 98 Prozent der Menschen kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur mehr zwei Prozent. Das muss nicht so sein. Wir brauchen neue Konzepte von kreativen Menschen, aber die findet man in so einem  Gesellschaftssystem schwer. Bisher hat der Mensch immer Lösungen aus der Not heraus geboren. Der Neoliberalismus hat uns kaputt gemacht.

Ihr Film zeigt zwei Extreme: Einerseits porträtiert er das strenge chinesische Schulsystem und den Drill bei Managementausbildungen, andererseits alternative Schulen wie etwa die Rudolf-Steiner- oder Montessori-Schulen und stellt sie in ein positives Licht. Der klassische österreichische Bildungsweg wird nicht gezeigt.

Der klassische Weg wird durch China abgedeckt.

Geht es den chinesischen SchülerInnen gleich wie den österreichischen?

China ist das Vorbild für Österreich und ganz Europa. Wir haben begonnen, Bildung zu ranken. Diese Rankings führt China an. Man kann einzelne Menschen aber nicht nach den immer selben Maßstäben beurteilen. Das ist unmöglich.

Fühlt sich das Publikum von Extremen angesprochen?
Dieser Film wird Befürworter und Gegner finden. Ein Film verändert nichts. Die Leute, die ihn anschauen, können sich aber verändern. Filme machen heißt, etwas zu zeigen, und ich will Extreme zeigen. Der Film wird polarisieren.

In Ihren anderen Filmen warfen Sie ein kritisches Licht auf die Massenproduktion von Lebensmitteln und auf die Entwicklungen des Finanzsystems. Mit „Alphabet“ ist die Trilogie nun vollständig: Sie haben drei große gesellschaftliche Themen abgehandelt. Welchen Namen würden Sie der Trilogie geben?

Ich nenne sie „Trilogie der Erschöpfung“. Wir haben uns erschöpft. Das sehen wir in allen Bereichen.

Manche ihrer ProtagonistInnen kommen in ihren Filmen nicht gut weg, so etwa der Top-Manager in „Alphabet“. Weiß dieser bei den Dreharbeiten, dass er die negative Seite im Film darstellen wird?

Ich kann niemanden filmen, ohne dessen Erlaubnis und dessen Unterschrift. Jeder Protagonist muss einen Vertrag unterschreiben. Die Interviewpartner geben im Interview nur ihre persönliche Meinung wider. Ein Film ist nichts anderes als Kontextkunst. Ich verbinde das chinesische Bildungssystem mit dem PISA-Test, damit die Zuseher einen Zusammenhang erkennen.

Sie vereinfachen die Probleme damit aber gewaltig.

In einen Film von 90 Minuten Länge muss ich den Inhalt einfach darstellen. Würde ich das Thema hochkomplex und wissenschaftlich aufbereiten, so hätte es keinen Platz im Kino. Und ich möchte mit dem Film eine Bewegung  auslösen.

In welche Richtung sollte so eine Bildungsbewegung gehen?

Lehrer sollen nicht mehr belehren, sondern zeigen. Ein Mensch kann sich nur selber bilden.

Halten Sie das nicht für utopisch?

Nein. Ich beobachte, dass sich aus der Zivilgesellschaft heraus gerade eine Bewegung entwickelt. Die Eltern werden ungeduldiger. Ich bin tief davon überzeugt, dass in nächster Zeit einiges passieren wird.
 

 

Die Autorinnen Elisabeth Gamperl und Luiza Puiu studieren Kultur- und Sozialanthropologie und Soziologie an der Uni Wien.
 

Ähnlich wie beim Songcontest

  • 04.05.2013, 18:59

Europäische Bildungspolitik gibt auf nationaler Ebene immer mehr den Ton an. Die European Students’ Union (ESU) versucht als Studierendengremium die Interessen von elf Millionen Studierenden zu wahren und kämpft um mehr Mitspracherecht.

 Europäische Bildungspolitik gibt auf nationaler Ebene immer mehr den Ton an. Die European Students’ Union (ESU) versucht als Studierendengremium die Interessen von elf Millionen Studierenden zu wahren und kämpft um mehr Mitspracherecht.

Diesmal schottet sie sich komplett ab. Das hat sich Tinja Zerzer für die eineinhalb Wochen vor ihren Prüfungen vorgenommen. Das Auslandssemester der Wienerin in Frankreich ist zeitaufwendig, die drei Prüfungen kommende Woche und die darauffolgende Hauptversammlung liegen ihr im Magen.Es ist Sonntag und die Volkswirtschaftsstudentin sitzt in der Nationalbibliothek in Paris und lernt. Außerdem ist dies der einzige Ort in ihrer Nähemit funktionierendem WLAN-Zugang. Während andere vor ihren Büchern sitzen und pauken, muss Zerzer auch jetzt noch beruflich Mails beantworten und Skype-Konferenzen über EU-Politik führen. Die 22-Jährige begann ihr unipolitisches Engagement im Referat der Bundes-ÖH für internationale Angelegenheiten. Seit April setzt sie sich auf Europaebene für das selbe Anliegen ein, das die HochschülerInnenschaft auf nationaler Ebene verfolgt: qualitative Bildungspolitik. Als ExecutiveCommitee (EC)-Mitglied der European Students’ Union, kurz ESU, vertritt sie als einzige Österreicherin die Interessen von über elf Millionen europäischenStudentInnen.

Die ESU ist der Dachverband von 47 nationalen Studierendenvertretungen aus 39 Ländern. Sie versucht, den bildungspolitischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen der Studierenden vor der Europäischen Union, dem Europarat und der UNESCO Platz einzuräumen. Das ist nicht immer einfach, schließlich wird in jedem Land das Studierendengremium anders organisiert. So ist die Situation der studentischen Mitbestimmung in Österreich anders als etwa in Weißrussland. Denn währendhierzulande die BundeshochschülerInnenschaft durch Pflichtbeiträge als Körperschaft öffentlichen Rechts circa 2,5 Millionen Euro zur Verfügung hat,kämpft die Studierendenvertretung in Weißrussland ohne Budget im Untergrund gegen die politischen MachthaberInnen. „Wir versuchen so gut wie möglich auf die einzelnen Nationalstaaten einzugehen und zu helfen, wo wir können“, sagt Zerzer, die als EC-Mitglied die Verantwortung für die politischen und finanziellen Entscheidungen der ESU trägt. Aktuell standen Mitglieder des Gremiums Seite an Seite mit hunderten DemonstrantInnen, die in Budapest aufgrund von geplanten Budgetkürzungen aufdie Straße gingen. Zusammen mit der ungarischen Studierendenvertretung (HÖOK) erwägen sie jetzt, eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzubringen. Und auch als 2009 das Wiener Audimax besetzt wurde, zeigte sich die ESU solidarisch und verschaffte der unibrennt-Bewegung international Rückenwind.

Politischer Auftrag. Der Kampf um Bildung wird nicht mehr nur auf nationaler, sondern zunehmend auch auf internationaler und europäischer Ebene ausgetragen. Deswegen wird es unverzichtbar, auch die Kompetenzen der einzelnen nationalen StudentInnenorganisationen auf die europäische Gemeinschaftsorganisation zu übertragen. Geht esbeispielsweise nach dem Europäischen Parlament und der Kommission, dann sollen beim Erasmus-Studienprogramm in den nächsten Jahren 150 Millionen Euro eingespart werden. Drei Millionen junge EuropäerInnen haben in den vergangenen 25 Jahren mit diesem Programm in einem anderen EU-Staat studiert. Der Rotstift soll dort angesetzt werden, wo es vor allem finanziell schwächere Studierende am härtesten trifft: bei den Erasmus-Stipendien. Zukünftig sollen diese durch ein Studienkreditsystemersetzt werden. Das Geld soll nach dem Auslandsaufenthalt zurückgezahlt werden.

Der Dachverband ist aber nicht mit Lobbyunternehmen von Großkonzernen vergleichbar. Dafür hat die ESU zu wenig Geld zur Verfügung. Die finanziellen Mittel der ESU kommen aus den Finanztöpfen der einzelnen Studierendenvertretungen und aus projektbezogenen Fördergeldern der EU. Mit 15.000 Euro zahlt Österreich zusammen mit Norwegen und Großbritannien den größten Beitrag. Insgesamt hat die ESU jährlich um die 160.000 Euro zur Verfügung. Da jedes Projekt einzeln finanziert wird, istes laut Zerzer schwierig, in langfristige Projekte zu investieren. Auch das Nahverhältnis zur EU ist ein Kritikpunkt: Die ESU bekommt ihre finanziellen Mitteln zum Teil von der EU und agiert somit inhaltlich nicht ganz unabhängig. Die ESU wird von der Europäischen Union in die meisten Gremien freiwillig eingebunden, ist aber im Gegensatz zurÖH in keinem Gesetz verankert. Trotzdem war der Dachverband in seiner 31-jährigen Geschichte noch nie so einflussreich wie heute.

Vom Informationsbüro zur politischen Organisation 1982 agierte sie noch unter dem Namen Western European Student Information Bureau– mit demZiel, Studierende aus Großbritannien, Schweden, Dänemark, Norwegen, Island und Österreich zu vernetzen. Nach dem Fall der Sowjetunion wurdesie ein Organ für alle Studierenden Europas. Seit ihrem 25-jährigen Jubiläum im Jahr 2007 heißt das Gremium European Students’ Union. Die BeziehungÖsterreichs zur ESU war von Anfang an besonders eng: Bevor das Büro 2000 nach Brüssel zog, war es zwölf Jahre lang in Wien beheimatet.

Eines der wichtigsten Themen ist seit 2001 der Bologna-Prozess. Als Mitglied der Bologna Follow-Up Group ist die ESU mit der Umsetzung des europäischen Bologna-Prozesses vertraut. Im Rahmen der eher ökonomistisch orientierten EU-Aktivitäten bringt die ESU die Interessen der Studierenden undihre sozialen und finanziellen Bedürfnisse auf überstaatlicher Ebene zur Diskussion – „Wir kämpfen für die Harmonisierung des europäischen Hochschulraums, um ihn einfacher und zugänglicher zu machen“, sagt Zerzer.

Die ESU ist in vier Hauptarbeitsgruppen geteilt, in denen jeweils Themen wie ECTS, Zugang zu Bildung, Zukunft und Gender erarbeitet und weiterentwickelt werden. Die Arbeitsgruppen führen Gespräche mit EntscheidungsträgerInnen, organisieren Diskussionsabende, schreiben Papers und vernetzennationale UnipolitikerInnen. Die richtungsweisenden Beschlüsse finden in den halbjährlichen Hauptversammlungen statt.

Jedes Land hat bei den Versammlungen zwei Stimmen zur Verfügung. Ähnlich wie beim Eurovision Songcontest, bilden sich bei den VersammlungenBlocks. So haben beispielsweise Island, Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland, Estland, Lettland und Litauen insgesamt weniger Studierende in ihrenLändern als etwa Polen, aber zusammen acht Mal mehr Stimmgewicht. Auch Zerzer sieht das Problem: „Die Blocks bilden sich nach demselben regionalenMuster wie in der restlichen europäischen Politik. Wir als junge Generation schaffen es noch immer nicht, darüber hinwegzukommen, beziehungsweisees besser zu machen.“

40 Stunden für 300 Euro. Ein weiteres Manko ist die Dauer und Bezahlung der ESU-Mitarbeit selbst. Vorsitzende und EC-Mitglieder arbeiten nurfür ein Jahr. Eine langfristige Planung ist deshalb nicht möglich. Notwendiges Know-how gehe sehr schnell verloren. Es gibt nicht viele, die sich diesenJob freiwillig antun, sagte unlängst Karina Ufert, Vorsitzende der ESU, gegenüber Universityworldnews und sprach damit die prekäre Situation derESU-MitarbeiterInnen an. Während die drei Vorsitzenden Vollzeit in einem Büro in Brüssel arbeiten, engagieren sich alle anderen neben ihrem Studiumfür das Gremium. Das bedeutet für Zerzer und ihre KollegInnen, für bis zu 40 Arbeitsstunden pro Woche monatlich eine Aufwandsentschädigung von300 Euro zu bekommen. „Viele von uns sind rund um die Uhr online. Es gibt immer eine Kleinigkeit zu besprechen“, sagt Zerzer. Auch für ihr Studium seidas nicht immer ideal gewesen, sagt sie und erzählt von den VWL-Prüfungen, die sie vor, während oder nach wichtigen Sitzungen bestehen musste. Auchdie letzte Hauptversammlung findet noch in ihrer Prüfungswoche statt. Diesmal versucht sie sich aber mehr Zeit für die Uni einzuräumen.

Während die ESU für manche Studierende lediglich Zwischenstation auf dem Weg in die Europapolitik ist, vergessen andere die Worte Freizeit und Feierabend und opfern ein Jahr für grenzüberwindende bildungspolitische Arbeit. Ob Zerzer weiter in der Bildungspolitik sein will? „Erstmal möchte ich wieder nach Wien zurückkehren. Aber wie heißt es so schön: Sag niemals nie.“ Elisabeth Gamperl studiert Kultur- und Sozialanthropologie in Wien.

 

Mama und Papa studieren noch

  • 27.12.2012, 13:32

Während des Studiums Eltern zu werden, ist schwierig. Oft folgen lange Studienzeiten und eine hohe finanzielle Belastung. Manche Studierende planen die Familiengründung jedoch ganz bewusst während der Unizeit.

Während des Studiums Eltern zu werden, ist schwierig. Oft folgen lange Studienzeiten und eine hohe finanzielle Belastung. Manche Studierende planen die Familiengründung jedoch ganz bewusst während der Unizeit.

Erst Studium und Karriere, dann Nachwuchs. Viele Studierende planen so ihr Leben. Manche entscheiden sich jedoch schon während  des Studiums für ein Kind. Laut der aktuellen Studierendensozialerhebung 2011 vom Institut für höhere Studien (IHS) sind neun Prozent der Studierenden in Österreich Eltern. Das sind 25.100 StudentInnen. In Deutschland rieten jüngst PolitikerInnen jungen  Frauen, ihre Kinder bereits während des Studiums zu bekommen, damit der Karriere danach nichts mehr im Weg steht. Frau, aber auch Mann sei viel flexibler als später im Beruf, so die Begründung. Doch: Was halten jene von diesem Gedanken, die bereits Nachwuchs haben? Und: Können sich Studierende überhaupt Kinder leisten? progress traf studierende Elternteile in verschiedenen  Lebenssituationen. Drei Aufzeichnungen.
 

Zwischen Extremsport, Windeln und Peru

Foto: Luiza Puiu

Jasmin studiert seit sechs Semestern Sportwissenschaften und Spanisch auf Lehramt. Nach einem längeren Aufenthalt in Südamerika kam sie zusammen mit ihrem peruanischen Freund nach Wien und brachte dort ihre Tochter auf die Welt. Bereits nach einem Monat stand sie wieder am Fußballfeld.

progress: Wann hast du das letzte Mal durchgeschlafen?

Jasmin: Kurz vor der Geburt, denn am Tag als Micaela auf die Welt kam, wurde ich um fünf Uhr morgens von den Wehen geweckt. Ich werde jetzt noch immer ganz wild, wenn im Hörsaal jemand neben mir sitzt und genervt ist, dass er um neun Uhr aufstehen musste. Schlaf ist für mich mittlerweile Luxus.

Seit wann machst du wieder Sport?

Ich bin bis eine Woche vor der Geburt mit meinem Rad durch Wien gekurvt. Bereits nach einem Monat stand ich wieder auf dem Fußballfeld, weil ich meine Mannschaft nicht zu lange alleine lassen wollte. Seit Oktober studiere ich auch wieder und mache ein paar Sportkurse. Bewegung war für mich schon immer wichtig.

Turnst du also wie gehabt mit?

Ja, so gut es geht. Mein Körper ist durch die Geburt schon sehr geschwächt. Bei ein paar Übungen muss ich immer aussetzen. Mir ist es wichtig, mein Studium so schnell wie möglich zu absolvieren. Ich muss auch sagen, dass ich Glück habe. Mein Freund kümmert sich zurzeit um unser Kind. Ab dem nächsten Semester wird es stressiger werden, weil er dann arbeitet.

Da dein Freund aus Peru kommt, habt ihr auch bürokratische Hürden. Wie läuft es bei auch ab?

Als Ausländer muss er jedes Jahr Visa beantragen, das bekommt er nur, wenn er genug Geld am Konto hat. Deswegen geht er jetzt arbeiten. Wir kommen glücklicherweise finanziell über die Runden. Es ist nicht leicht für ihn, einen guten Job zu finden, der obendrein auch noch ein bisschen flexibel ist. Ich bin wegen der Aufenthaltsbewilligung innerlich immer ein bisschen nervös, weil ich keine Idee habe, was wir machen würden, wenn Javier wieder zurück nach Peru müsste.

Du hast gesagt, du möchtest dein Studium schnell abschließen. Kann das mit Kind überhaupt funktionieren?

Ja, das ist eine schwierige Frage. Sagen wir so: Ich versuche jetzt alle Einführungsveranstaltungen abzuschließen. Ich studiere zwar schon seit, quantitativ gesprochen, sechs Semestern, aber ich war währenddessen oft in Südamerika und bin herumgereist. Dort habe ich auch Javier kennengelernt, als ich bei ihm jobbte. Er besaß ein Restaurant in Lima, das er wegen mir und Micaela aufgab. Ich spüre einen innerlichen Druck, jetzt endlich fertig zu werden. Prinzipiell finde ich, dass die Studienzeit eine gute Zeit für Kinderist. Wer weiß, ob ich in ein paar Jahren auch so flexibel wäre wie jetzt.

Organisation ist die halbe Miete

Foto: Luiza Puiu

Julia wurde vor viereinhalb Jahren zum ersten Mal Mutter, davor arbeitete sie als Kindergartenpädagogin und studierte Literaturwissenschaften. Zusammen mit Christian entschied sie sich 2010 für ein anderes Studium und ein weiteres Kind. Mittlerweile studiert die 27-Jährige seit vier Semestern Soziologie und sieht die Sache mit dem Kinderkriegen relativ gelassen.

Wer holt heute deine Söhne vom Kindergarten ab? Du, oder Christian?

Er. Ich habe heute den ganzen Tag Kurse an der Uni. Wir lösen alles rund um Kinderbetreuung, Kids abholen oder in den Kindergarten bringen sehr demokratisch. Dieses Wintersemester kümmert er sich mehr um die zwei, damit ich mit Soziologie vorankomme.

Hört sich nach jeder Menge Organisationsarbeit an.

Ja, aber im Regelfall verläuft alles super. Wir telefonieren nahezu ständig, weil sich immer Termine verschieben. Alle zwei Wochen sitzen wir am Abend eine Stunde zusammen und gleichen unsere Terminkalender ab. Außerdem planen wir unsere Semester  gemeinsam, weil Christian neben seiner Arbeit jetzt auch Philosophie studiert.

Warst du vor der Geburt deiner Kinder auch so organisiert?

Nein, gar nicht. Ich habe durch die Mutterschaft mehr Ernsthaftigkeit entwickelt. Ich studiere mittlerweile zielstrebiger. Aber ich stresse mich nicht, es in Mindestzeit durchzuziehen. Das würde sich nie ausgehen, weil Kinder einem viel Kraft und Energie abverlangen.

Nachdem dein erster Sohn auf die Welt gekommen war, hast du begonnen, Literaturwissenschaften zu studieren. War es mit  Studium und Baby manchmal schwierig?

Als ich mit Literaturwissenschaften begonnen habe, war mein Erstgeborener bereits neun Monate alt. Also nicht mehr ganz so klein. Der Studienbeginn hat für mich super funktioniert, weil ich gewusst habe, dass mein Partner und ich uns gegenseitig unterstützen. Und für das Kind macht es keinen Unterschied, ob jetzt die Mutter oder der Vater daheim bleibt, um sich um ihn zu kümmern. Manchmal haben auch FreundInnen oder meine Mutter auf ihn aufgepasst. Wir haben Glück, dass wir von ihnen unterstützt werden.

Habt ihr das Gefühl, dass Studieren mit Nachwuchs finanziell belastet?

Wir beginnen erst jetzt zu merken, dass das Geld monatlich knapper wird. Je älter die Kinder werden, umso mehr Kosten fallen an, zum Beispiel für Kinderbetreuung. Aber wir nehmen das in Kauf, schließlich ist es unsere freie Entscheidung, zu studieren. Ich könnte ja auch arbeiten gehen. Da hätte ich aber weniger Zeit für die Kinder und wäre weniger flexibel. Wir erhalten zudem noch vom Staat Hilfe und werden auch von unseren Familien unterstützt. Während des Studiums ist man flexibler.

Ist das für dich auch eine bessere Zeit, um Kinder zu bekommen?

Ich tue mir mit solchen Aussagen schwer. Wir waren relativ jung und wussten nicht, was uns erwartet. Aber es hat so gut funktioniert, sodass wir uns für ein zweites Kind entschieden haben. JedeR soll Nachwuchs dann bekommen, wenn es für sie/ihnpasst. Vor, nach, während dem Studium oder gar nicht. Wir zum Beispiel sind aber sehr beweglich, weil wir noch nicht genau wissen, wo wir beruflich Fuß fassen möchten. Das kann schon ein Vorteil sein.

Das erste graue Haar mit 23

Foto: Luiza Puiu

Benjamin kommt aus Deutschland und studiert in Wien im siebten Semester Anglistik. Seine Tochter Maria* kam vor dreieinhalb Jahren in der ostdeutschen Stadt Jena in Thüringen auf die Welt, wo der damals 22-Jährige zusammen mit seiner Freundin wohnte. Seit zwei Jahren leben und studieren die drei in Wien.

Ist Wien eine kinderfreundliche Stadt?

Schwer zu sagen. Jena war sicher kinderfreundlicher. Dort gab es selbst in der Mensa Kinderspielplätze. Aber Wien ist groß und bietet viele Möglichkeiten.

Warum hat es dich gerade nach Wien gezogen?

Anfangs wollten wir beide nur ein Auslandssemester in Wien absolvieren, daraus wurden dann zwei. Schlussendlich sind wir ganz hier geblieben, weil es uns hier so gut gefiel. Außerdem waren einige meiner Freunde bereits in Wien. Somit war die Stadt kein komplett fremdes Umfeld für mich. Das war in Jena schlimmer, dort kannten wir nämlich so gut wie niemanden.

Du warst noch relativ jung, als deine Tochter auf die Welt kam. Nach einem Semester in Deutschland seid ihr nach Österreich gezogen. Wie hast du hier den Studienanfang erlebt?

Das war irre. Der Umzug hat zwar super geklappt, aber es war damals eine komplette Umstellung für uns. Es dauerte lang, einen Rhythmus zwischen Kind und Studium zu finden. Und dann noch in einer neuen Stadt. Mein erstes graues Haar bekam ich übrigens schon im Alter von 23.

Du hast deine Uni-Karriere mit Kind gestartet. In dem Sinn hast du nie den „klassischen“ Studienalltag erlebt. Stört dich das?

Nein. Eigentlich stört mich nur, dass ich nicht flexibel genug bin, um mich intensiv mit den spannenden Themen meines Studiums zu beschäftigen. Dafür fehlt mir einfach die Zeit. Es ist aber nicht so, dass ich mich wegen dem Kind eingeengt fühle. Es würde mich niemand davon abhalten, manchmal fortzugehen und Party zu machen. Aber dafür ist man einfach zu müde.

Sind Lehrende nachsichtiger, wenn sie es mit studierenden Eltern zu tun haben?

Das ist unterschiedlich. Man merkt ziemlich schnell,wer selbst Kinder hat und wer nicht. Ich habe das Gefühl, dass Lehrende, die selbst Nachwuchs haben, etwa mit Abgabeterminen nachsichtiger sind. Manchen ist das aber egal. Einmal war meine Tochter krank und ich konnte eine Arbeit nicht rechtzeitig abgeben. Meine Kursleiterin war zwar so nett und ließ mich die Seminararbeit eine Woche später abgeben. Der Haken aber war, dass ich mit einer schlechteren Note rechnen musste.

Aber schaffst du es, immer alle Kurse abzuschließen, die du dir vornimmst?

Bislang bin ich noch an keinem Kurs gescheitert. Ich mache auch meist nur maximal fünf Veranstaltungen. Dieses Semester wird es aber sehr knapp, weil alle Referats- und Abgabetermine zusammenfallen. Hoffentlich schaffe ich das.

Kommt ihr finanziell über die Runden?

Das ist das einzige, was mich wirklich stresst. Da ich Vater bin, bekomme ich drei Semester länger Bafög – das ist die deutsche Studienförderung. Aber das reicht nicht aus. Obendrein läuft es nächstes Sommersemester aus. Mich stresst die Vorstellung, nebendem Studium meine Familie zu finanzieren.

*Name geändert.

Die Autorin Elisabeth Gamperl, studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Uni Wien.

Ab in den Osten

  • 13.07.2012, 18:18

Rumänien ist für viele noch immer akademisches Niemandsland. Dennoch steigt die Zahl angehender MedizinstudentInnen, die es in die Universitätsstadt Temeswar zieht. Weit entfernt vom Massenbetrieb bildet die Hochschule praxisnah aus.

Rumänien ist für viele noch immer akademisches Niemandsland. Dennoch steigt die Zahl angehender MedizinstudentInnen, die es in die Universitätsstadt Temeswar zieht. Weit entfernt vom Massenbetrieb bildet die Hochschule praxisnah aus.

Was sie einmal werden will, wusste Laura Bogdan schon von klein an. „Medizinerin!“, schießt es aus der heute 24-Jährigen heraus. Doch die Tochter eines Zahnarztes verpasste die Anmeldung für den Eignungstest der österreichischen Medizinuniversitäten in Wien, Graz und Innsbruck. Ein Jahr warten und auf gut Glück an der Seite von 11.000 weiteren Studieninteressierten den Eignungstest durchackern? Das kam für die Klagenfurterin mit deutsch-rumänischen Wurzeln nicht in Frage; sie wollte sofort loslegen. Also suchte sie sich eine Studienstadt im Ausland und landete in ihrer Wahlheimat: Rumänien.

Akademisches Niemandsland. Dass das Land am Rande der Europäischen Union jahrelang als akademisches Niemandsland galt, reizte sie erst recht: „Es gibt sehr viele RumänInnen, die hart, viel und gut im Ausland arbeiten, nur leider wird darüber nichts berichtet.“ Rumänien ist weder für kosmopolitisches Flair, noch für einen gehobenen Lebensstil berühmt. Nach wie vor verbinden die meisten ÖsterreicherInnen mit dem Land Armut, Korruption und technische Rückständigkeit. „Wenn du dort aus einem Auto aussteigst, droht dir sicher jemand mit der Waffe. Viele Autos kann es dort ja nicht geben, mehr Pferdekutschen, oder? Solche und ähnliche Sätze muss ich mir anhören, wenn ich von meinem Studienort erzähle“, so Laura trocken. Sie ist es leid, sich für ihren Studienort rechtfertigen zu müssen. Viel lieber spricht sie über die 300.000-EinwohnerInnen-Stadt im Westen Rumäniens, Temeswar, als ihre Schule des Lebens, über die engagierten ProfessorInnen und erzählt, dass man sich untereinander kennt. „Ich nenne Temeswar gern meinen Dschungel, weil hier vieles so anders ist als im Westen.“
Temeswar ist neben Klausenburg (Cluj) in Siebenbürgen und der Hauptstadt Bukarest die beliebteste Stadt für ein Auslandsstudium in Rumänien. Mittlerweile gibt es bereits 70 Studiengänge in deutscher Sprache, darunter Journalistik, Europawissenschaften und Betriebswirtschaft. Laura, die bereits im achten Semester ist, studiert zusammen mit überschaubaren 1.500 KomilitonInnen an den drei Fakultäten Humanmedizin, Zahnmedizin und Pharmazie. Fast zwei Drittel davon hat es aus aller Welt in die alte mehrsprachige Kulturstadt gezogen, deren drei offizielle Namen von ihrer wechselvollen Geschichte zeugen: Timişoara (rumänisch), Temesvár (ungarisch) und Temeswar oder Temeschwar (deutsch). Das noch bestehende deutsche und ungarische Staatstheater inmitten der Stadt zeugt von ihrer K.u.k.-Vergangenheit. Und aufgrund ihrer optischen und geografischen Nähe zu Wien wurde Temeswar auch immer wieder „Klein-Wien“ genannt.

Vielsprachiges Angebot. Seit 1997 wird hier das Medizinstudium auf Englisch oder Französisch angeboten. Nur ein paar hundert Studierende kommen laut Andrei Motoc, Vizedekan an der Medizinischen Fakultät, aus Deutschland oder Österreich. „Aber es werden immer mehr. Wir überlegen uns auch schon seit geraumer Zeit, Medizin auch in Deutsch anzubieten. Zurzeit wählen die meisten ausländischen Studierenden Französisch als Unterrichtssprache“, sagt Motoc und fügt hinzu: „Und zwar deswegen, weil MarokkanerInnen und TunesierInnen hier am öftesten studieren.“ Der weltgewandte Mann mit dem schwarzen sauber gestutzten Schnauzer und den dunklen Augen sitzt in seinem dezent eingerichteten Büro an der medizinischen Fakultät und erzählt stolz von seinen AbsolventInnen, die nun in den Metropolen der Welt arbeiten. „Das, was das Studium hier so besonders macht, ist die frühe Praxis. Bereits im zweiten Jahr müssen StudentInnen ihr Wissen an den PatientInnen anwenden. Egal, ob sie Rumänisch sprechen oder nicht“, sagt Motoc und fügt hinzu: „PatientInnen sind es hier gewohnt, sich zehn Mal am Tag die Leber von StudentInnen abtasten zu lassen.“
Auch Laura hat schon Blutabnahmen bei Kindern und etliche Krankenhausdienste hinter sich. Mittlerweile ist ihr klares Ziel, einmal Kinderärztin zu werden. „Mit denen ist es viel lustiger. Man muss sie zum Lachen bringen, das ist das Wichtigste.“ Seit Dezember 2010 leitet sie das Projekt „Volunteers for rare diseases“ für „Save the children“ in Rumänien. Dass sie so viel machen kann, verdanke sie vor allem „den tollen ProfessorInnen. Hier kann man viel erarbeiten, wenn man ehrgeizig ist.“
Jede Woche verbringt sie mit anderen Freiwilligen Zeit auf der Kinderstation der Neuropsychiatrie in Temeswar – spielt, lernt und malt mit den jungen PatientInnen. Manchmal sammelt sie auch Geldspenden in Klagenfurt, um Spielzeug zu kaufen oder organisiert Veranstaltungen mit Clowns oder GesichtsmalerInnen im Krankenhaus, um auf die Bedürfnisse der Kinder aufmerksam zu machen. Dass Laura sich hier wohl fühlt, ist nicht zu übersehen.

Höhere Gebühren für AusländerInnen. Doch auch Rumänien hat seinen Preis. Rund 2.000 Euro Studiengebühren zahlen ausländische Studierende pro Semester, obwohl Rumänien von Brüssel dazu angehalten wird, einheimische und ausländische StudentInnen gleichzustellen, so wie es in der EU üblich ist. Vielleicht versucht Rumänien seine – angesichts der Finanzkrise – gebeutelte Lage zu stabilisieren; LehrerInnen und ProfessorInnen mussten sich ihr ohnehin bescheidenes Gehalt um 25 Prozent kürzen lassen, vielerorts sticht auch in der Region um Temeswar noch die Armut ins Auge.
„Also mir gefällt es hier sehr gut. Man muss es im Verhältnis sehen, im Gegenzug gibt es keine Aufnahmeprüfung und die Lebenskosten sind hier äußerst gering“, sagt Laura. Aber auch sie wird nach dem Studium in Österreich oder Deutschland als Assistenzärztin
arbeiten. Hier würde sie einem mageren Lohn von 300 Euro ins Auge sehen; in Deutschland wird sie mit 3.700 Euro mehr als das Zehnfache verdienen. „So gut es mir hier gefällt, ich kann und will nicht weitere fünf Jahre von meinen Eltern Geld verlangen.“