März 2016

Kann jede_r unterrichten?

  • 08.03.2016, 18:02
„Teach for Austria“ rekrutiert angeblich „Top-AbsolventInnen“ für Schulen im sozialen Brennpunkt. Zwei Jahre lang unterrichten die Jung-AkademikerInnen an Neuen Mittelschulen, Berufsschulen und Polytechnischen Schulen. Wer profitiert davon?

„Teach for Austria“ rekrutiert angeblich „Top-AbsolventInnen“ für Schulen im sozialen Brennpunkt. Zwei Jahre lang unterrichten die Jung-AkademikerInnen an Neuen Mittelschulen, Berufsschulen und Polytechnischen Schulen. Wer profitiert davon?

Michael Fellner hat es geschafft. Seit September 2015 ist der BWL-Absolvent einer von 72 „Teach for Austria“-Fellows. Der 25-Jährige unterrichtet an einer Polytechnischen Schule in der Wiener Burggasse. Was hat den Top-Absolventen – Austauschsemester in den USA, Bachelor an der WU, Praktikum bei Red Bull – dazu bewogen, in einer Schulklasse mit Jugendlichen zu arbeiten? „Hier kann ich etwas für die Zukunft verändern“, meint Fellner: „Hier kann ich direkt, Tag für Tag, sehen, ob ich Erfolg habe oder nicht.“ In Fellners Schule werden Schülerinnen und Schüler unterrichtet, die zu 85 Prozent eine andere Muttersprache als Deutsch haben. Stolz ist Fellner auf das Projekt „Schulbuffet“: „Die Kids übernehmen regelmäßig das Buffet, von den Einkäufen über die Preisplanung bis hin zur Zubereitung der Speisen und den Verkauf. Durch solche Projekte bringen wir frischen Wind an die Schulen.“

Mit einem strengen, mehrteiligen Ausleseverfahren rekrutiert „Teach for Austria“ seit 2012 Jahr für Jahr ausgezeichnete Studienabsolventinnen und -absolventen. Für zwei Jahre übernehmen sie per Sondervertrag eine volle Lehrverpflichtung an Schulen in Wien und Salzburg. Die Fellows sind an Schulen tätig, die überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, nichtdeutscher Alltagssprache und finanziell schwachem Background besuchen. Das Besondere an „Teach for Austria“: Niemand von den Fellows hat Lehramt studiert. Die akademische Bandbreite der Lehrkräfte reicht von Archäologie über Sinologie und Quantenphysik bis zu Volkswirtschaft.

VERERBTE BILDUNG. Bildung wird in Österreich zu einem großen Teil nach wie vor „vererbt“. Will heißen: Vom ArbeiterInnenkind zum/r AkademikerIn – diese „Karriere“ ist in Österreich die Ausnahme. Laut Statistik Austria erreichen nur 6,6 Prozent der Kinder von Eltern mit Pflichtschulabschluss einen Uni- Abschluss – gegenüber 55,8 Prozent der Kinder mit „akademischen“ Eltern.

„Teach for Austria“ ist Teil des weltweiten „Teach for all“-Netzwerks, das ähnliche Programme in 36 Ländern durchführt. Der Geschäftsführer Walter Emberger betont: „Wir wollen Potenziale statt Defizite entdecken. Wir wollen Kinder fit machen für eine immer komplexer werdende Gesellschaft. Wir schauen auf den Output – was können die Kinder?“ Bildung als ökonomische Gleichung also. Dazu passt, dass „Teach for Austria“ zu einem großen Teil von Sponsoren aus der Wirtschaft finanziert wird. Die öffentliche Hand übernimmt die Gehälter der Fellows.

MANGELWARE LEHRKRAFT. Bis 2025 wird die Hälfte der rund 72.000 Lehrkräfte in Österreich in Pension gehen. „Der Markt an guten Leuten ist leer gefegt“, sagt der Bildungswissenschafter Stefan Hopmann. QuereinsteigerInnen-Programme wie „Teach for Austria“ sind daher laut Stadtschulrat Wien positiv zu sehen. „Wir haben einen akuten Lehrermangel, und das sind junge, engagierte Leute“, so eine Mitarbeiterin des Stadtschulrats, die lieber anonym bleiben möchte. Als eine Konkurrenz zu den „normalen“ Lehrkräften sieht man das Programm nicht, denn: „Sie sind Teil des normalen Systems, eine Ergänzung.“ Michael Fellner bestätigt, dass man „keine Extrawurst“ erhalte.

Durch eine mehrwöchige Sommerakademie und Online-Kurse werden die „Teach for Austria“-Fellows auf den Unterricht vorbereitet. Ein Konzept, das an der Universität Wien auf Skepsis stößt: „Eine gute Germanistin ist noch lange keine gute Deutschlehrerin. Es gehört mehr dazu als fachliches Wissen und ein Pädagogik-Schmalspurprogramm“, meint eine Professorin am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien, die anonym bleiben möchte. Walter Emberger sieht es anders: „Wir wollen die Besten eines Jahrgangs. Die Motivation ist entscheidend.“

WER PROFITIERT? Ob die Schülerinnen und Schüler oder die Fellows den größten Nutzen aus „Teach for Austria“ ziehen? Unabhängige Studien darüber gibt es für Österreich bis dato nicht. Zahlen aus den USA zeigen, dass die von Fellows unterrichteten Schülerinnen und Schüler keine schlechteren Ergebnisse erzielen als jene, die von „normalen“ Lehrkräften unterrichtet werden – aber auch keine besseren. Deborah Appleman, Professorin am Carleton College, merkt an, man stärke ein „heroisches und altruistisches Narrativ“. Einer Verklärung als „Elite“ will „Teach for Austria“ entgegenwirken: „Wir wollen nicht elitär wirken. Es gibt bequemere Wege, den Lebenslauf aufzubessern.“ Für die Fellows gibt es allerdings ein umfassendes Förderungsprogramm, von dem „normale“ Lehrkräfte nur träumen können: Leadership-Ausbildung („exzellente Lehrkräfte sind exzellente Führungskräfte“), Praktika, Workshops, Networking-Abende. „Teach for Austria“ ermöglicht, mit finanzkräftigen Sponsoren im Hintergrund, all das, was im „normalen“ Alltag der Lehrerinnen und Lehrer fehlt: Karriereperspektiven, Weiterbildung, Wertschätzung. Es stellt sich die Frage, warum diese Unterstützung nicht zu den „normalen“ Lehrkräften fließt, die noch 40 Dienstjahre an den Schulen vor sich haben.

Ungefähr die Hälfte der Fellows bleibt nach zwei Jahren weiterhin im Schuldienst. Was Michael Fellner nach 2017 machen wird, ist noch offen. „Der Bildungsbereich ist schon cool. Hier kann ich mehr bewegen als bei einer Firma.“

Susanne Weber hat Politikwissenschaft in Wien und Brüssel studiert und arbeitet als Pressereferentin.

Klag die Uni!

  • 08.03.2016, 13:47
Überall Barrieren! Warum die Universität eine einzige Barriere ist und was das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes daran ändern kann.

Überall Barrieren! Warum die Universität eine einzige Barriere ist und was das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz daran ändern kann.

„Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz“ ist ein langes Wort. Das BGStG soll die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen regeln. Schon seit 2006 schreibt das BGStG vor, dass alle öffentlichen Gebäude, Verkehrsmittel und Geschäftslokale barrierefrei zu erreichen sein müssen. Für die Implementierung dieses Gesetzes hatte man in Österreich zehn Jahre lang Zeit. Seit 1. Jänner 2016 ist diese Frist verstrichen. Barrierefreiheit heißt im Sinne des Gesetzes nicht nur Rampen und Aufzüge zu errichten, sondern sämtliche Hürden abzuschaffen und zum Beispiel Homepages von öffentlichen Institutionen barrierefrei bedienbar zu machen oder auch Filme mit Untertiteln zu gewährleisten. „Ziel dieses Bundesgesetzes ist es, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen,“ so der Gesetzestext. Auch die Hochschulen in Österreich haben sich an dieses Gesetz zu halten.

Barriere Hochschule. Wenn in Österreich eine Frist verstreicht und die Ziele noch nicht erreicht sind, dann könnte sich der Gesetzgeber Mühe geben, die Frist einzuhalten, oder die Frist einfach verlängern. Letzteres hat der Bund im Falle der öffentlichen Gebäude, zu denen die meisten Hochschulen zählen, gemacht.

Zwölf Prozent gaben bei der letzten Studierendensozialerhebung an, eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu haben, die sich auf das Studium auswirkt. Rund ein Prozent aller Studierenden gaben an, eine Behinderung zu haben (das sind über 3.700 Personen) und fünf Prozent eine chronische Krankheit (das sind über 18.500). Für diese Gruppe ist der Unialltag um einiges hürdenreicher. Es ist nervig für Studierende in den Hörsaal im dritten Stock zu kommen, doch für Studierende mit Rollstuhl ist es oft schlicht unmöglich. Während in den repräsentativen Hauptgebäuden oft nachträglich Lifte und Rampen eingebaut wurden, werden die Nebengebäude meist mehr schlecht als recht nachgerüstet. Aber auch die Hochschulen haben sich an das BGStG zu halten und müssten seit 1. Jänner überall barrierefrei zugänglich sein. Barrierefrei sind laut BGStG „bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind“. Wie sieht es nun damit aus?

Klagerecht. Österreich ist ein Land der Sonderregelungen. Gefühlt gibt es für jede Regelung sechs Ausnahmen. Auch beim BGStG sieht es nicht besser aus. Generell gilt die Verhältnismäßigkeit oder wie es im § 6 des Gesetzes heißt eine Ausnahme bei „unverhältnismäßigen Belastungen“. Bei „unverhältnismäßigen Belastungen“ liegt keine Diskriminierung von Menschen mit Behinderung vor, wenn „die Beseitigung von Bedingungen, die eine Benachteiligung begründen, insbesondere von Barrieren, rechtswidrig oder wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar wäre“. Unverhältnismäßigkeit kann zum Beispiel durch einen zu großen (finanziellen) Aufwand oder Denkmalschutz gegeben sein. Dies trifft vor allem bei alten Unigebäuden zu und darauf ruht man sich oft aus. Das BGStG bringt nun aber eine wesentliche Änderung, welche die Hochschulen ins Schwitzen bringen könnte, und zwar das Klagerecht.

Das BGStG sieht ein Klagerecht vor, wenn Einzelpersonen oder Gruppen (Verbandsklage) durch Hürden daran gehindert werden, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Erst kommt es jedoch zu einem Schlichtungsverfahren bei den Landesstellen des Bundessozialamts, das auf eine außergerichtliche Einigung abzielt. Oft wird über die Höhe der Entschädigung verhandelt. Erst wenn keine Einigung erzielt wird, kommt es zu einem Gerichtsverfahren.

Kein Umbau. Das größte Defizit des Gesetzes bleibt jedoch auch nach der Fristverstreichung erhalten. So kritisiert Martin Ladstätter, Gründungsmitglied des BIZEPS-Behindertenberatungszentrums, dass „mit einer Klage Barrierefreiheit nicht erreichbar ist, weil das Gesetz nur Schadenersatz zuerkennt. Konkret bedeutet dies, dass ein Gericht zwar eine gewisse Summe an Schadenersatz festlegen, nicht aber einen Umbau anordnen kann.“ Die Barriere bleibt also bestehen. Meist ist es nämlich billiger zu zahlen als umzubauen. Dabei ist mit barrierefreien Gebäuden allen geholfen. Aufzüge sind nicht nur für Menschen mit Rollstühlen von Vorteil, keiner geht gerne mehrere Stockwerke die Treppen hoch. Eine bessere und einfache Ausschilderung hilft nicht nur Menschen mit Sehschwierigkeiten, sondern allen bei der Orientierung in großen und unübersichtlichen Universitätsgebäuden.

Viele Studierende mit Behinderungen wissen nicht, dass die Universität Barrierefreiheit gewährleisten muss und sie ein einklagbares Recht darauf haben. Viele wissen auch nicht, dass jede Hochschule ab einer gewissen Größe eine*n Behindertenbeauftragte*n haben muss, der sich mit Themen der Barrierefreiheit auseinandersetzt und Studierende mit Behinderungen berät. Diese Behindertenbeauftragten werden von den Rektoraten aber angehalten, die Studierenden nicht über ihr Klagerecht zu informieren. Dabei würde sich auf den Hochschulen wohl schnell etwas verändern, wenn die Schadenersatzkosten höher wären als die Kosten für Umbauten.


Anne Marie Faisst studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.


Links:
Referat für Barrierefreiheit ÖH-Bundesvertretung
Referat für Barrierefreiheit ÖH Uni Wien
BIZEPS

Veranstaltungshinweis:
Am 16.3. findet eine Podiumsdiskussion zum Thema: HÜRDENLOS STUDIEREN?! "Wie barrierefrei sind Österreichs Hochschulen?" an der Universität für Bodenkultur Wien (2. Stock, Sektor D in der „alten WU“, Augasse 2-6, 1090 Wien) statt. Weitere Informationen beim Facebook-Event hier.

Eine zerrissene Generation

  • 08.03.2016, 12:58
Polnische Studierende zwischen Patriotismus, Protest, Gehen und Bleiben inmitten einer gespaltenen Gesellschaft.

Polnische Studierende zwischen Patriotismus, Protest, Gehen und Bleiben inmitten einer gespaltenen Gesellschaft.

Was ist eigentlich in Polen los? Seit November regiert dort die „Prawo i Sprawiedliwość“ (PiS), auf Deutsch „Recht und Gerechtigkeit“, die irgendwo zwischen christlichem Konservatismus und Nationalismus zu verorten ist. Ihr Wahlsieg – die PiS erreichte 37,58 Prozent – verdeutlicht den aktuellen Rechtsruck im Land. Einige der Reformen, die von der neuen Regierung beschlossen wurden, werden als antidemokratisch angesehen. Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, spricht von „Staatsstreich-Charakter“, der ehemalige Solidarność-Aktivist und Ex-Präsident Lech Wałęsa warnt gar vor einem „Bürgerkrieg“ angesichts der Spaltung der Gesellschaft. Schlagworte wie diese haben in den letzten Monaten für viel Aufmerksamkeit in Europa gesorgt. Wir haben versucht hinter die großen Worte zu blicken und polnische Studierende um ihre Meinung zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage sowie deren Auswirkungen auf die Unis gebeten.

Wählerinnen. Konrad hat im vergangenen Oktober PiS gewählt. Er ist 31, macht einen PhD auf der Wirtschaftsuniversität Warschau und geht jeden Sonntag in die Kirche. Konrad spricht viel über Werte, Familie und Patriotismus. „Nationalismus heißt in Polen Patriotismus. Und der hat hier keinen so negativen Beigeschmack wie in Deutschland oder Österreich. Es bedeutet, für sein Land zu sorgen und schließt dabei niemanden aus“, sagt er. Mit der PiS als regierende Partei erwartet er tatsächliche Reformen, die die Solidarität im Land erhöhen und die Korruption und Ineffizienz der staatlichen Institutionen eindämmen sollen. Auch Förderungen für Familien wünscht er sich: „Ich hoffe, es wird bald Geld für junge Paare, die sich Kinder wünschen, geben. Polen braucht neue Generationen, aber Kinder sind teuer.“ Der 23-jährige Piotr bekennt sich dreihundert Kilometer weiter südlich, in Krakau, zum entgegengesetzten politischen Flügel. An der Jagellonian Universität studiert er Interdisziplinäre Geisteswissenschaften und ist Mitglied der sozialdemokratisch-linkssozialistischen Partei „Razem“, die im Mai 2015 gegründet wurde und unter ihren AnhängerInnen viele Studierende versammelt. „Als ein Geistes- und Sozialwissenschaftsstudent in einer Großstadt bin ich von einem ziemlich unrepräsentativen Teil der Gesellschaft umgeben“, sagt Piotr: „Und trotzdem kann ich eine wachsende Beliebtheit der nationalistischen historischen Erzählung beobachten – vor allem unter den weniger privilegierten Studierenden. Sie ist für viele die einzige Alternative zur neoliberalen europäischen Erfolgsstory.“

Umfragen des Meinungsforschungsinstituts CBOS zeigen, dass sich deutlich mehr junge Menschen seit 2014 politisch rechts verorten. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2015 beschrieb ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen ihre politische Einstellung als rechts. Eine IPSOS-Umfrage am Wahltag im Oktober 2015 bestätigt dieses Phänomen: Die PiS ist unter den 18–29-Jährigen zwar am schwächsten, konnte aber dennoch knappe 26 Prozent ihrer Stimmen erreichen. Auch andere Parteien der rechten politischen Sphäre konnten in der Altersgruppe punkten: Janusz Korwin- Mikke, der als exzentrischer EU-Skeptiker des rechten Randes gilt, ist mit 16,7 Prozent Stimmanteil in der jungen Generation am beliebtesten. Seine Partei befürwortet die Einführung der Todesstrafe und der Monarchie. „Die jungen Leute wollen etwas Neues, sie haben die alten Parteien satt“, sagt Adrianna. Sie ist 22 Jahre alt, lebt in Szczecin an der Grenze zu Deutschland und schreibt an ihrer Bachelorarbeit in Slawistik. Den PiS-Sieg verbindet sie mit der starken Position der Kirche im Land: „Viele junge Menschen sind konservative KatholikInnen. In der Kirche lassen sie sich von der PiS überzeugen.“ Mit ihren Freundinnen hat sie vor den Wahlen noch über einen PiS-Sieg gescherzt. Heute tut sie das nicht mehr – der Witz ist Realität geworden.

Förderungen. Die PiS hat im Parlament nun die absolute Mehrheit, die Opposition damit kaum Spielraum. Die neuen Wahlsieger werden von Jarosław Kaczyński gesteuert, dem Parteigründer und ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes. Im Hintergrund fungiert er als Chefideologe und Fadenzieher der Regierung. Diese muss sich gegenwärtig aufgrund von verabschiedeten Gesetzen, die den Verfassungsgerichtshof, die Staatsanwaltschaft sowie den öffentlichrechtlichen Rundfunk betreffen, dem Vorwurf der schleichenden Entdemokratisierung stellen. Konrad sieht darin kein Problem: „Die vorher regierende Partei (Anm.: die liberal-konservative „Platforma Obywatelska“) hatte noch viel zu viel Einfluss auf die Medien, man musste etwas ändern, um das Land überhaupt regieren zu können.“ KritikerInnen sehen die rechtlichen Änderungen jedoch als Versuch, den Parteiwillen in diversen staatlichen Institutionen und Einflusssphären durchzusetzen. Die Einflussnahme geht bereits über Gerichtshöfe und Rundfunk hinaus: Der Kulturminister versuchte Ende November, die Premiere eines Jelinek-Stücks aufgrund von vermeintlich pornographischen Inhalten zu verhindern.

Auf die Hochschulen hat der Regierungswechsel noch keine rechtlichen Auswirkungen. Die polnischen Unis haben seit 1990 einen von staatlichen Weisungen unabhängigen Status. „WissenschaftlerInnen und ProfessorInnen sind trotzdem angreifbar – und zwar durch Förderungen, die der Staat vergibt. Es besteht die Gefahr, dass die Finanzierung für Journals oder Studienprogramme, die nicht der Ideologie der regierenden Partei entsprechen, wie zum Beispiel Gender Studies, abgedreht werden könnte“, sagt Piotr.

Über selektivere Förderungen macht sich Konrad keine Sorgen. Er möchte selbst eine Laufbahn an der Universität einschlagen. Von der PiS erwartet er dafür ein „offeneres System“, wie er sagt. „Wir haben viele ProfessorInnen, die fachlich nicht sehr gut sind, aber im alten kommunistischen System eingesetzt wurden. Es braucht einen Generationenwechsel.“

Vertretung. Der Hochschulzugang in Polen ist grundsätzlich kostenlos und unbeschränkt. Es gibt aber Ausnahmen. Zum Beispiel werden beim Verstreichen einer Abgabefrist für Seminararbeiten Gebühren eingezogen. An der Universität in Warschau formierte sich 2015 die Bewegung „Engaged University“, die gegen die Kommerzialisierung der Hochschulbildung protestiert. In Krakau folgte kurze Zeit später eine ähnliche Initiative. Diese Bewegung ist nicht als Reaktion auf die jüngsten politischen Entwicklungen zu sehen, sondern befasst sich vielmehr allgemein mit Studierendenrechten. „Diese Leute nehmen sich Dingen an, die eigentlich Aufgaben der Studierendenvertretung sein sollten“, sagt Piotr: „Die polnischen Bildungsinstitutionen sind völlig apolitisch. Die Studierendenvertretung beschränkt sich auf die Organisation von Ausflügen und Partys. Kritik an Autoritäten fehlt oft.“

Adam Gajek, selbst BWL-Student in Warschau, vertritt die polnische Studierendenvertretung in internationalen Belangen und sieht das anders: „Wir kooperieren mit jeder demokratisch gewählten Regierung, auch mit der aktuellen. Wir streiten nicht über politische Ideologien.“ Die apolitische Ausrichtung betrachtet er als Stärke: „Die polnische Studierendenvertretung ist eine Art Parlament von ExpertInnen, die Erfahrung mit Hochschulthemen haben. All die Themen, die gerade diskutiert werden, haben nichts mit Bildung zu tun. Die Leute erwarten daher auch nicht, dass wir sie kommentieren.“ Adam bemerkt auch abseits der Studierendenvertretung keine Gruppierungen an den Unis, die sich aktuell bei Demos engagieren.

Spaltung. „Es könnte nur die Ruhe vor dem Sturm sein, aber bisher gibt es keinen organisierten Widerstand an den Universitäten. Manche ProfessorInnen und StudentInnen nehmen an Demonstrationen teil, die gehen aber nicht von den Unis aus“ – die Jagellonian Universität in Krakau, über die Piotr hier spricht, ist keine Ausnahme. Auch Adrianna bemerkt unter ihren StudienkollegInnen in Szczecin keine zivilgesellschaftliche Aktivierung. Die aktuelle Regierung hält sie zwar für „verrückt“, Demonstrationen bekommt die 22-Jährige aber nur über Facebook mit. Weder sie, noch ihre FreundInnen sind bisher auf die Straße gegangen. Offener Protest, der sich explizit gegen die neue Regierung richtet, kommt vor allem vom „Komitee zur Verteidigung der Demokratie'“(KOD), das bereits mehrere Großdemonstrationen in polnischen Städten organisiert hat. Demonstriert wird auch von der anderen Seite, den PiS-UnterstützerInnen, die sich im Rahmen von Gegenkundgebungen mit der Regierung solidarisieren. Die Demos der KOD sieht Piotr kritisch. Diese würden lediglich auf formale demokratische Missstände hinweisen, aber tieferliegende soziale Probleme völlig außer Acht lassen.

Die soziale Ungleichheit hat in Polen auch eine regionale Komponente, verdeutlicht durch die Zweiteilung des Landes. Polska A und Polska B stehen für eine tiefe soziale, wirtschaftliche, aber auch politische Spaltung. Vom Aufschwung hat vor allem der westliche Teil profitiert. Das rural geprägte Polska B hinkt wirtschaftlich und strukturell hinterher. Die PiS ist im Osten besonders stark. Auch Konrad, der im Oktober Recht und Gerechtigkeit angekreuzt hat, wurde in Białystok, einer Stadt im äußersten Osten nahe der weißrussischen Grenze, geboren. Polska B kehrte er vor elf Jahren den Rücken, als er für sein Studium nach Warschau zog. Den PiS-Triumph im Osten kann er dennoch nachvollziehen. “Die Menschen haben konservativere Werte als der Rest des Landes, sind mehr an Familie und Land gebunden. Durch das Leben an der Grenze haben sie eine starke lokale Identität entwickelt.“

Unzufriedenheit. Der Rechtsruck, der Polen nicht erst seit den Wahlen im Oktober erfasst hat, entsteht auch aus einer Unzufriedenheit heraus. Nicht alle im Land haben vom Aufschwung und der relativ stabilen wirtschaftlichen Lage profitiert. „Nach dem Ende des Staatssozialismus ging alles sehr schnell. Viele Leute sind plötzlich aufgestiegen, andere haben ihren Job verloren. Die Menschen sehnen sich heute nach Stabilität. Eine der größten Herausforderungen wird es sein, die Emigration zu stoppen. Einige meiner FreundInnen sind schon weggegangen“, sagt Konrad. Ein abgeschlossenes Studium ist noch lange keine Garantie für einen angemessen bezahlten Job. Daher suchen viele junge PolInnen im Ausland eine bessere Lebensgrundlage. Emigration ist allgegenwärtig – vor allem in der jungen Generation. „Die Löhne sind ein Witz“, sagt die Slawistik-Studentin Adrianna. Als Nebenjob arbeitet sie in einer Drogerie in Szczecin und bekommt dafür 7 Zloty die Stunde. Das sind etwa 1,50 Euro. „Es ist nicht gut für junge Leute, hier zu leben“, sagt sie. Adrianna will weg – auch von der „Polit-Talkshow“, wie sie die aktuellen politischen Auseinandersetzungen bezeichnet. Am besten nach Skandinavien. Die polnische Zukunft sieht sie trotz allem optimistisch: „Die junge Generation wird Polen bald übernehmen und das Land zum Besseren verändern.“ Sie selbst wird dann aber wohl nicht mehr dort sein.

Elisabeth Schepe studiert Zeitgeschichte an der Universität Wien.

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