Dezember 2012

Spin the record!

  • 04.01.2013, 13:27

Turntablism at its best: Misonica zeigt dir die ersten Schritte.

Turntablism at its best: Misonica zeigt dir die ersten Schritte.

Schallplatte auf den Teller, Signale in das Mischpult, Sound aus der Anlage! Einfaches Prinzip und klingt eigentlich ganz logisch. Aber bitte wer, außer in die Jahre gekommene Hippies mit fetischhafter Attitüde, spielt noch verstaubtes Vinyl? Die jüngere Generation der Discjockeys versteckt sich hinter ihren Notebooks und drückt auf ein paar Knöpfe, während sie herumtanzen oderetwa mit den Händen klatschen. Grund genug, sich auf die Ursprünge zu besinnen, denn gerade die Schallplatte erfährt wieder ein Revival. Ein kleines Tutorial für Anfänger_innen und jene, die es noch werden wollen!

Die Basis – und ihre Funktion. Analoge DJs hantieren meist mit zwei Plattenspielern, einem Mischpult und einem Kopfhörer, sammeln runde, zumeist schwarze Scheiben aus Vinyl ihrer Lieblingslabels und Produzent_innen. Digitale DJs wiederum besitzen Programme wie Serato Scratch oder Traktor, mit denen sie Musik in Form von digitalen Daten auf so genannte Timecode- Vinylplatten spielen. Somit werden die Haptik und die Handhabung des analogen Auflegens nachempfunden, der Plattenspieler ist also im digitalen Bereich keineswegs obsolet. Dieser besitzt einen Motor, der die Vinylplatte dreht. Der Tonarm nimmt die Signale über die Nadel auf und schickt das ganze in das Mischpult. Das Mischpult ist dazu da, den Titel zu verändern, einzelne Spuren zu verstärken oder rauszunehmen. Es ist das elementare Werkzeug  der DJs, der Sound kann durch das Mischpult regelrecht gepeitscht undverzerrt oder auch zart gestreichelt werden.

Die Technik und die Praktik. Aber was genau machen denn die DJs an Knöpfen nervös herumdrehend, Platten energisch vor- undzurückschiebend, mit großen Kopfhörern an den Ohren zum Takt nickend hinter ihrem Equipment? Auf den Punkt gebracht: Sie mischen zwei Tracks ineinander, sodass der Anfang und das Ende miteinander zerfließen und verschmelzen und ein Endlos- Track entsteht.
Illustration: Christina Uhl
Match the beat. Jeder Track hat eine bestimmte Geschwindigkeit, eine gewisse Anzahl an Beats per Minute. Diese Anzahl  betonter Schläge in der Minute gilt es zu erkennen. Am besten man hört sich den Track an und zählt einfach mit der Baseline mit:  eins, zwei, drei, vier – und so weiter. Das funktioniert auch mit Klatschen ganz gut. Wenn der erste Song gespielt wird, gilt es, den  zweiten Song reinzumischen, indem man als erstes die Geschwindigkeit beider abgleicht. Das heißt, über den Kopfhörer wird nun  der neue Track gehört und angepasst. Am Plattenspieler gibt es den sogenannten Pitchfader (1, siehe Grafik oben), der den Motor  des Plattenspielers schneller oder langsamer werden lässt. Am Regler also so lang rumspielen, bis die Geschwindigkeit passt, dann noch mehrere Takte anhören, die Platte eventuell noch nachziehen oder kurz anstoppen, bis die Baseline der zwei Tracks  vollkommen übereinanderliegt. Bis man das Hörgefühl dahingehend entwickelt hat, dass das Beatmatching schnell erfolgt, braucht  es konsequente Übung!

Der Übergang und das Mischpult. Das Mischpult ist das Teil mit den vielen Knöpfen, das beim ersten Anblick wahrscheinlich   Verwirrung stiftet. Die wichtigsten Elemente des Mischpults: die Fader (2) des jeweiligen Kanals, der Bass (3), dieMitte (4), die Höhe  (5) und der Kopfhörer-Eingang mit Lautstärkenregelung, der meist mit einem Kopfhörersymbol versehen ist. An jedem Mischpult gibt es mindestens zwei Kanäle, die mit den Plattenspielern verbunden sind. Jeder Kanal hat einen Fader, der dazu da ist, den Track der Platte laut über die Anlage zu schicken. Wenn also jene Platte, die gerade laut gespielt wird, mit der Platte, die man nur über den Kopfhörer hört, synchron läuft, kann der Fader der zweiten Platte langsam hochgezogen werden, sodass nun beide Platten  gleichzeitig laufen und laut gehört werden.
Nun wird es Zeit, sich an die Regler des Basses, der Mitte oder der Höhe heranzumachen, um mit den einzelnen Spuren des Tracks zu spielen. Hier ist die künstlerische Freiheit beinahe unendlich, jeder DJ entwickelt seine eigene Art zu mischen! Beispielsweise am Bassknopf drehend, wird der Bass eines Tracks entweder verstärkt oder ganz aus dem Lied genommen, sodass nur mehr die hohenund mittleren Töne zu vernehmen sind. Je nach Mischpult gibt es auch die Möglichkeit, einen Effektüber den Sound zu legen,  vom einfachen Filter bis hin zu einem Echo.
Illustration: Christina Uhl
Das Ende. Vor allem im digitalen Bereich gibt es für Anfänger_ innen etliche Hilfestellungen. Die BPM-Zahl wird angezeigt und es existiert sogar ein Sync-Knopf, der einem das Beatmatching komplett erspart. Der Gefahr, von Ahnungslosen als Retro beschimpft zu werden, zum Trotz, kauft Platten und macht eure Übergänge selber. Es lohnt sich!

Elisabeth Falkensteiner aka Misonica www.soundcloud.com/misonica

Nackte Männer

  • 04.01.2013, 13:11

Das Wiener Leopold-Museum hat unter den Kuratoren Tobias Natter und Elisabeth Leopold eine kontrovers diskutierte Ausstellung initiiert. Noch bis um 28. Jänner werden Skulpturen, Bilder und Installationen nackter Männer gezeigt.

Das Wiener Leopold-Museum hat unter den Kuratoren Tobias Natter und Elisabeth Leopold eine kontrovers diskutierte Ausstellung initiiert. Noch bis zum 28. Jänner werden Skulpturen, Bilder und Installationen nackter Männer gezeigt.

Sogar die deutsche Tagesschau hat dieser Tage aus Wien berichtet. An manchen Straßenecken und Litfaßsäulen der Stadt sieht man die mögliche Ursache dafür. Es sind drei Männer auf einem Plakat. Vielleicht sind sie Fußballer, denn sie tragen Stollen und Schoner in den Farben der französischen Flagge. Die drei unterscheiden sich voneinander durch ihre unterschiedliche Hautfarbe und repräsentieren damit die kulturelle Diversität Frankreichs, so die ursprüngliche Intention der Fotografen Blanchard und Commoy. Der Stein des Anstoßes lag jedoch woanders: Die drei Männer sind nackt. Eine merkwürdige Begebenheit, bedenkt man, dass die Nacktheit letztlich ja den natürlichsten Zustand des Menschen darstellt. Und sprach nicht auch schon Heinrich Heine in seinen Reisebildern: „Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern?“ Und dennoch scheiden sich dieGeister an dieser Ausstellung. Eine ältere Passantin drohte in einem Bericht des Standard sogar damit, die Genitalien der Fotografierten „eigenhändig“ zu überpinseln. Und so sah sich die Museumsleitung letztlich in einem überraschenden Schritt der Selbstzensur dazu genötigt, einige der Plakate mit einem Klebestreifen zu versehen, wohl um den Fußballern, die in diesen kalten Wintertagen die Herzen so mancher ZuseherInnen nicht erwärmen konnten, wenigstens ein wenig Schutz der Intimsphäre zugewähren. Eine seltsame Wendung, denn schließlich haben es nur wenige Ausstellungen der Wiener Kunstmuseen fertig gebracht, innerhalb so kurzer Zeit eine derartige Responsivität in der Öffentlichkeit hervorzurufen.

Spiegelbild. Nun ist Kunst als Reflexionsmittel realgesellschaftlicher Zusammenhänge schon per se widersprüchlich und darin liegt  auch der interessante Ansatz, den das Museum mit dieser Ausstellung verfolgt. Denn die Nacktheit des Mannes, im Gegensatz zu jener der Frau, gehört nicht zu jenen visuellen Eindrücken, mit denen wir medial täglich konfrontiert werden. So sind auch die  Reaktionen der BesucherInnen, sobald sie an dem übergroßen männlichen Akt „Mr. Big“ – eine begehbare Installation vor dem  LeopoldMuseum, vorbeiflanieren, ein Spiegelbild gesellschaftlicher Meinungsbilder. Die Reaktionen reichen von Belustigung bis  Irritation.

Und auch die Werbeplakate haben polarisiert. In einigen Wiener Gemeindebezirken soll es sich zum Volkssport der BürgerInnen  entwickelt haben, die Zensurkleber der Museumsleitung abzureißen oder wieder anzubringen. Je nach Gesinnung. Es ist spannend zu sehen, inwieweit die Ausstellungsmacher dieses gesellschaftliche Ringen in ihr Projekt selbst impliziert haben. Um die Exponate zu erreichen, muss man in das Untergeschoss des LeopoldMuseums hinabsteigen. Die Räume sind abgedunkelt. Es wird Intimität hergestellt. Das Sendungsbewusstsein der Ausstellung ist subtil; nach außen hin herausfordernd, im Inneren spiegelnd. Dabei geht sie auf das Gefühl des Verbotenen  ein, des Voyeuristischen. Und sie zeigt auch die mögliche Verletzlichkeit des sogenannten „starken Geschlechts“, wenn sie ein Exponat der Künstlerin Louise Bourgeois zeigt, eine Latexkonstruktion des männlichen  Geschlechtsteils – an einem Haken hängend.

Dieser Zugang stellt die Fassade einer tradierten männlichen Geschlechterrolle in Frage. Er schockiert. Und er rüttelt dabei auch an den Orten, die dem Männlichen vorbehalten sind, wenn in einem abgesonderten Raum die Aufnahmen einer ungarischen Aktionskünstlerin gezeigt werden, die sich, als Mann verkleidet, in ein Badehaus für Männer begibt. Und immer wieder stellt sich  abei die Frage, warum es so „delikat“ ist, den männlichen Körper nackt zu zeigen, wenn dies beim weiblichen zur Alltagsnormativität gehört. Die Kuratoren stellen die „nackten Männer“ dabei – als Teil des Diskurses dieser Frage – in direkten Zusammenhang mit der  feministischen Forschung und den Gender Studies, ohne deren „Erfahrung und Anregung das Projekt nicht denkbar gewesen wäre“, und sehen ihre Ausstellung als Spiegelbild einer gesellschaftlichen Entwicklung, welche die „vordem scheinbar festgefügten  Kategorien wie ‚Männlichkeit‘, ‚Körper‘ und ‚Nacktheit‘“ auf breiter Basis ins Wanken gebracht hat.

Roter Faden. Diese Perspektive ist erfreulich, wenn es auch merkwürdig erscheint, dass, nur durch einen Vorhang getrennt, hinter einem der Ausstellungsräume ein Durchgang zu einer Auswahl hell-erleuchteter Klimt-Bilder führt, darunter einige nackte Frauen.  Dass selbiger mit Männer-Akten (darunter Selbstporträts) auch in der Ausstellung zu finden ist, zeigt auch eine profanere Seite der Schau. Zwar versuchen die Kuratoren einen roten Faden durch das Projekt zu ziehen, doch wird der für den öffentlichen Diskurs so wichtige Haupteffekt letztlich dadurch erzielt, dass eine große Anzahl an Ausstellungsstücken zusammengezogen wird. Vielen wird  man im Alltag begegnen, so in den verschiedensten Galerien, aus denen Teile des Bestandes entliehen sind. Und letztlich findet sich die männliche Nacktheit auch an Orten, die nicht gerade für ihre Freizügigkeit bekannt sind. Die Rede ist hier von Engelsstatuen in der Kirche.

Viel scheint also vom Kontext abzuhängen, in dem sich Menschen mit Nacktheit oder Körperästhetik befassen. Während die Sexualisierung innerhalb der Medien, hier ist vor allem Werbung zu nennen, zur Normativität gehört, scheinen Schamgrenzen  überschritten zu sein, wenn eine Kunstausstellung mehr oder weniger lebensnahe Gemälde und Exponate ausstellt. Gerade deshalb scheint sie notwendig. Direktor Natter antwortete auf die Frage nach dem „Warum“ dieser Ausstellung: „ … weil sie überfällig ist.“Im  Nachhinein betrachtet mutet die Zensur der Werbeplakate umso seltsamer an. Dabei zeigen die Ausstellungsmacher jedoch einen feinen Hauch von Ironie. Im gleichen Ausstellungsraum, in dem sich auch das Originalbild der drei nackten Fußballer findet, hängt das Plakat einer längst vergangenen Kunstausstellung. Neben der zensierten Version, die aufgrund der vermeintlichen  Anstößigkeit des Originals den Vorzug erhielt.

Der Autor Rudolf Bede studiert Soziologie und Psychologie an der Uni Wien.

Wer zahlt, schafft an

  • 02.01.2013, 17:42

Frank Stronach stellt die Medien vor ein Problem, mit dem sie schon bei Jörg Haider überfordert waren. Was tun mit TabubrecherInnen?

Frank Stronach stellt die Medien vor ein Problem, mit dem sie schon bei Jörg Haider überfordert waren. Was tun mit TabubrecherInnen?

Einer, der Milliardenumsätze in der weiten Welt macht, hält sich nicht an Spielregeln. Die ersten Auftritte des aus der Steiermark nach Kanada ausgewanderten Milliardärs Frank Stronach waren ein Vorgeschmack auf das, was im kommenden Wahljahr auf Österreich zukommt. Die Moderatorin der Zeit im Bild 2 traute ihren Augen nicht, als sich der Austro-Kanadier Anfang Juli in einem  Interview systematisch ihren Fragen entzog und sie anblaffte, dass er jetzt einmal reden wolle. Die KollegInnen aus der Branche  gratulierten Lou Lorenz-Dittelbacher über den Kurznachrichtendienst Twitter dennoch zu ihrem Auftritt. Von „geistiger Inkontinenz“ bei ihrem Gegenüber ist da bei Kurier-Redakteur Michael Hufnagl die Rede, Autor und Kabarettist Dieter Chmelar lobt die „grandiose“ Arbeit. Am nächsten Tag richtet Stronach über die Krone aus, er lasse sich von einem „Schulmädchen“ nicht so behandeln. ORF-Kollege Armin Wolf fragt „Geht‘s noch?“, Standard-Blogger Robert Misik nennt den Milliardär einen „senilen Lustgreis“. Die Moderatorin selbst bedankt sich über Facebook bei Frank Stronach: „Ausgerechnet am 38. Geburtstag als Schulmädchen bezeichnet zu werden, ist ein echtes Kompliment.“

Franks mächtige Freundinnen. Mit Frank Stronachs Promi-Fotos könnte man Bücherwände füllen. In einem Werbeclip spielt Stronach eine herzliche Szene mit US-Präsident Bill Clinton ein. Ein Mann von Welt? Zahlreiche österreichische PolitikerInnen fast aller Couleurs standen und stehen auf der Magna-Payroll. Der rote Ex-Kanzler Vranitzky und der langjährige ehemalige  SPÖ-Bundesgeschäftsführer Rudas, Ex-Finanzminister Grasser, der blaue Ex-Minister Reichhold und der steirische Ex-Wirtschaftslandesrat Paierl sind die prominentesten Beispiele. Auch in Kanada hat Stronach ein Naheverhältnis zur Politik gepflegt – das soll ihn, berichtet die Wiener Stadtzeitung Falter, 1988 vor dem Bankrott gerettet haben: Der Finanzminister intervenierte bei jener Bank, bei der Magna Schulden angehäuft hatte und die den Konzernchef aus dem Amt jagen wollte. 1990 kaufte sich die staatliche VOEST Alpine in Stronachs Europageschäft ein und rettete so mit öffentlichen Geldern die vier deutschen  und österreichischen Fabriken. Stronachs Biograph Norbert Mappes-Niediek resümiert: Der Milliardär „agiert am besten im Milieu der größtmöglichen Vermischung von privaten und öffentlichen Interessen“.

Harter österreichischer Boden. Der Mann wollte daheim am alten Kontinent immer ein Großer sein. Anders als in Kanada. Für sein wohl letztes großes Projekt nach dem vergeblichen Polit-Einstieg in Kanada, einer nicht ausgelasteten Pferderennbahn und einer gescheiterten Großinvestition in den österreichischen Fußball, muss sich Stronach mit der zweiten Reihe einer sich in  Auflösung befindlichen Partei zufriedengeben. Sein skurrilster Mitstreiter: Der rote Regional-Bürgermeister aus Kärnten. 2001 bekam Gerhard Köfer den „Big Brother Award“ für seine Idee verliehen, ein Kopfgeld für DrogendealerInnen zu zahlen. Eine Wahlempfehlung für Jörg Haider gab‘s vom Spittaler Ortschef auch. Stronachs Spitzenkandidat für die Kärntner Landtagswahl ist Wunderheiler und soll seine übernatürlichen Fähigkeiten auch an Frank Stronachs Pferden ausprobiert haben. Das Dilemma der Medien. Wie geht man mit einem wie Stronach um? Gekränkter Stolz spricht aus seinen Augen, wenn er in Fernseh-Auftritten
rabiat wird und Beleidigungen austeilt. Anstatt ihn, der als Held empfangen werden sollte, gebührend zu feiern, gräbt die journalistische Szene in seinen Schweizer Steuererklärungen, in den Eurofighter- Gegengeschäften und in den Lücken seiner Biographie.

Das Absurde daran: Es schadet dem Milliardär vorerst nicht. Der Aufwärtstrend in den Wahlumfragen ist trotz viel kritischer  Berichterstattung ungebrochen. Zuletzt kratzte Stronach an der 20-Prozent- Hürde. Das liegt zum einen daran, dass Stronach alsAnti-Establishment-Kandidat antritt. Medien werden von vielen ÖsterreicherInnen als Teil des Establishments wahrgenommen. Dementsprechend prallt die dort formulierte Kritik an Stronach weitgehend an ihm ab – noch mehr: Er kann sich als Opfer darstellenoder als gefährlicher Gegner eines Systems, obwohl er so viele Jahre daran mitgenascht hat. Das Haider‘sche und bereits von Strache kopierte „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“ feiert fröhliche Urständ‘. Regionalmedien sind auffällig vorsichtig im Umgang mit Stronach. Der hat angekündigt, mindestens 25 Millionen Euro in den Wahlkampf investieren zu wollen – in etwa soviel,  wie SPÖ und ÖVP zusammen im letzten Nationalratswahlkampf 2008 ausgegeben haben. Der Spagat zwischen der Kritik an zahlungskräftigen WerbekundInnen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten ist ein täglicher Kampf in den Redaktionen von Eisenstadt bis Bregenz.

Stronach ist ein schwieriger Fall: Ausufernd in seinen Attacken auf Medien und gleichzeitig einer der zahlungskräftigsten Kunden für 2013. Das Dilemma der Redaktionen ist ein Ausblick auf das, was den BürgerInnen dieser Republik droht, wenn sie ihn im  nächsten Jahr zum Kanzlermacher wählen.

Paul Aigner hat Politikwissenschaft und Pädagogik in Innsbruck und Wien studiert und bloggt, unter anderem zum Team Stronach, auf www.querschrift.me.

Iberien igelt sich ein

  • 02.01.2013, 17:27

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Die nicht enden wollende Wirtschaftskrise lässt die Ablehnung von MigrantInnen in Spanien deutlich steigen. Immer mehr SpanierInnen sind der Meinung, sie sollten das Land verlassen. „Das Klima gegenüber jenem Bevölkerungsteil hat sich besorgniserregend verschlechtert“, zu diesem Schluss kommt auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) in ihrem jüngsten Länderbericht „Die Auswirkung der Krise auf Immigranten in Spanien“. 37 Prozent lehnen mittlerweile Einwanderung generell ab. Demgegenüber stehen 33 Prozent der SpanierInnen, die sich tolerant zeigen. Ein Drittel der Befragten gab sich gleichgültig in dieser Thematik, wenngleich die IOM diesen Bevölkerungsteil als „eher ablehnend“ einstuft. Vier von fünf SpanierInnen sind zudem überzeugt, dass Migration zu Lohndumping führt. Die Mehrheit der MigrantInnen verdient in Spanien weniger als den Mindestlohn. Wie der IOM-Bericht überdies darlegt, steigen Arbeitslosigkeit und extreme Armut unter EinwandererInnen (10,8 Prozent) weit rascher als unter SpanierInnen (6,7 Prozent).

Gefährliches Klima. „Der Nährboden istgesättigt. Wenn wir nicht gegensteuern, wird dies zu einer Situation der Fragmentierung der Gesellschaft und der Exklusion der Immigranten führen“, warnt Walter Actis, Co-Studienautor. Zwischen 1996 und 2010 stieg, angetrieben vom Bauboom und einer blühenden Tourismuswirtschaft, die Zahl der gemeldeten MigrantInnen in Spanien von knapp 500.000 auf mehr als 5,5 Millionen – inklusive der EU-BürgerInnen und Eingebürgerten. „Die Krise hat zwar den Migrationsdruck gebremst. Die Bedingungen, unter denen MigrantInnen leben, sind aber besorgniserregend“, so Actis.

2007 waren lediglich zwölf Prozent der SpanierInnen der Meinung, Menschen mit irregulärem Aufenthaltsstatus sollten abgeschoben werden. Mit 2010 stieg der Wert bereits auf ein Fünftel. 43 Prozent fordern die Ausweisung von ImmigrantInnen, die lange Zeit ohne Erwerb verbleiben. Die Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen war zwischen 2008 und 2011 doppelt so hoch wie jene unter SpanierInnen, die zuletzt 25 Prozent überschritten hat. Sowohl die amtierende Rechtsregierung unter Premier Mariano Rajoy als auch dessen sozialistischer Vorgänger, José Luis Rodríguez Zapatero, haben MigrantInnen über weiterlaufende Arbeitslosenbezüge zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer bewegt. Zugleich forcierte Spanien Abschiebungen. 2011 waren mehr als 13.000 MigrantInnen in den Auffanglagern C.I.E (in den Nordafrika-Exklaven CETI genannt) interniert. 60 Tage dürfen sie bleiben, und offiziellen Zahlen zu Folge wurden 48 Prozent in ihre Ursprungsländer abgeschoben. Laut Zahlen von NGOs hingegen waren es mehr als 11.000 Menschen, die im Vorjahr in ihre Heimatstaaten zurückgeschickt wurden. Mit Ende 2012 soll die 24.000-Personen-Schwelle überschritten werden.

Vor 20 Jahren, am 13. November 1992 erschütterte der rassistische Mord an der aus der Dominikanischen Republik stammenden Lucrecia Pérez das Land. Es war der erste dieser Art im demokratischen Spanien nach der Franco-Diktatur, die 1977 ihr Ende gefunden hatte. Eine Gruppe junger Neo-Faschisten hatte Pérez mit der Dienstwaffe eines Zivilgardebeamten, der an der Bluttat beteiligt war, erschossen. „Damals erkannte man ebenso wenig wie heute, dass es eine gefährliche Strömung gewaltbereiter Rassisten in Spanien gibt“, sagt Macel Camacho, Sprecher der Plattform gegen Xenophobie und Rassismus: „Es gilt, die Erinnerung an Lucrecia wachzuhalten, um einem aktuellen Widererstarken dieses Übels entgegenzuwirken.“

In den letzten zwei Dekaden hat Zuwanderung nach Spanien ein spektakuläres Wachstum erfahren, sagt Tomás Calvo Buezas, emeritierter Universitätsprofessor für Sozialanthropologie an der Madrider Universidad Complutense und Gründer des  Studienzentrums für Migration und Rassismus an der hiesigen politikwissenschaftlichen Fakultät. Dem Anstieg von einem auf zwölf Prozentpunkte gemessen an der spanischen Gesamtbevölkerung, exklusive der „Sin Papeles“ ohne legalen Aufenthaltsstatus, steht ein knapp fünfprozentiger Zuwachs an rassistischen Gewalttaten gegenüber. Bislang funktionierten, so Calvo Buezas, die Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, die nun jedoch deutliche Bugdetkürzungen erfahren haben. Doch damit nicht genug, wie Calvo Buezas betont: „Die Krise schafft rascher ein immer gefährlicheres Klima. Denn die Neonazi-Fraktionen oder NeofaschistInnen, wie die Goldene Morgenröte in Griechenland, nähren sich an der Mittel- und Unterschicht, indem sie diesen einen Konkurrenzkampf um Jobs und Gehälter mit MigrantInnen vorgaukeln.“

Online-Bastionen. Auch im Internet wachsen spanische Neonazi-Communities. Gab es 1992 lediglich 200 einschlägige Websites, gibt es aktuell mehr als 2000. Gleichzeitig steigt die Zahl an Lokalen, Bars und Konzerten von Neonazi-Bands landesweit. „Die Krise ist der ideale Nährboden, auf dem Neonazi- Bewegungen wachsen und gedeihen“, warnt der Sozialanthropologe weiter. Nicht minder steigt die Zahl der rechtsextremen Parteien in Spanien abseits der üblichen, wie der einstigen Einheitspartei Francisco Francos, der Falange de las J.O.N.S., und ihrer unzähligen ideologischen Klone. In den vergangenen Jahren schafften deklariert xenophobe neue Fraktionen wie España 2000 in Alcalá de Henares – einer der Wiegen der spanischen Sprache – und anderen Orten der Region Valencia, Plataforma per Catalunya im katalanischen Vic oder Democracia Nacional auch den Einzug in Stadt- und Gemeinderäte, nicht jedoch in Regionalregierungen.

In den Einsparungen im Sozialwesen, dem Aus der Gesundheitsversorgung (progress berichtete) für Menschen ohne legalen  Aufenthaltsstatus, dem von Amnesty International mehrmals angeprangerten Kontrollwahn der spanischen Polizei gegenüber MigrantInnen und Massenabschiebungen sieht Calvo  Buezas „institutionellen Rassismus“.

Übergriffe auf Chinesinnen. Der steigende Rassismus gilt längst nicht mehr ausschließlich LateinamerikanerInnen, MaghrebbürgerInnen oder Menschen aus dem Subsahara-Afrika. Seit der Polizeiaktion Operación Emperador gegen die chinesischeMafia Mitte Oktober, die in Spanien bis zu 1,2 Milliarden Euro jährlich „gewaschen“ habe, sehen sich nun auch chinesische StaatsbürgerInnen in Spanien Übergriffen ausgesetzt. Anfang November streikte das Gros der von chinesischen ImmigrantInnen betriebenen Geschäfte. „SchülerInnen werden von KollegInnen und Eltern als Mafiosi beschimpft. GeschäftsinhaberInnen ergeht es gleich. ChinesInnen wurden sogar in der Metro Madrids verfolgt“, beklagt Jorge García, Sprecher der Spanisch-Chinesischen Handelskammer. Ende November wurden einige der Hauptangeklagten bereits wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Ressentiments bleiben aber weiterhin bestehen.

Der Autor Jan Marot ist freier Journalist für Iberien und den Maghreb und lebt in Granada, Spanien.

Ob-Sorge

  • 28.12.2012, 12:56

Warum die Obsorge mehr ist als ein Sonntagnachmittagsbesuch. Ein Kommentar von Elfriede Hammerl.

Warum die Obsorge mehr ist als ein Sonntagnachmittagsbesuch. Ein Kommentar von Elfriede Hammerl.

Zuerst: Obsorge ist nicht Fürsorge. Um mit seinem Kind zu spielen, zu lernen und zum Zahnarzt zu gehen, um ihm vorzulesen, mit ihm zu lachen und sich seine Sorgen anzuhören, muss man nicht unbedingt obsorgeberechtigt sein. Obsorge heißt auch nicht, seine  Kinder sehen zu dürfen. Der Kontakt zwischen Kindern und dem Elternteil, bei dem sie nicht leben, wird nämlich unabhängig von der Obsorge geregelt. Obsorge im juristischen Sinn bedeutet, ein Kind nicht nur pflegen und erziehen zu sollen, sondern auch, es gesetzlich zu vertreten und sein Vermögen zu verwalten. Wenn ein Elternteil um die gemeinsame Obsorge kämpft, dann kämpft er also nicht zuletzt darum, mitbestimmen zu dürfen. In welche Schule das Kind geht, zum Beispiel. Wieviel Taschengeld es kriegt. Ob es Sprachferien in Spanien machen darf. Was es nach der Schule studieren soll.

Das ist per se nichts Verwerfliches. Man kann durchaus aus lauterem Interesse am Kind bei solchen Entscheidungen mitreden wollen. Allerdings kann das Mitredendürfen auch als reine Machtausübung verstanden und praktiziert werden. Die gemeinsame Obsorge schafft also noch keine harmonischen Verhältnisse. Wenn zwei bestimmen dürfen, dann können sie entweder kooperieren oder einander ständig in die Suppe spucken. Um Letzteres zu vermeiden, war sie bis jetzt nur in beiderseitigem Einverständnis möglich. Nun sieht die Familienrechtsreform vor, dass sie nach Scheidungen auch gegen den Willen eines Elternteils gerichtlich angeordnet werden kann. Und anders als bisher sollen uneheliche Väter ebenfalls das Recht haben, sie unabhängig von der Zustimmung der Mutter zu beantragen. Das Gericht entscheidet dann, ob dem Antrag stattgegeben wird. Bei vielen Frauen – persönlich betroffenen, aber auch solchen, die beruflich viel mit Konfliktfamilien und Scheidungsfolgen zu tun haben – stößt das auf Unbehagen. Sie argumentieren: Eltern, die miteinander auskommen, wurden schon bisher nicht am gemeinsamen Obsorgen gehindert. Ob jedoch in Streitfällen die gerichtlich verordnete Kooperation funktioniere, sei zu bezweifeln.

Feministische Erungenschaften. Um ihre Bedenken besser zu verstehen, empfiehlt sich ein Blick in die Vergangenheit, und zwar in eine, die noch gar nicht so lange zurückliegt. Bis ins Jahr 1978, als die letzte große Familienrechtsreform in Österreich abgeschlossen war, hatten allein die Väter in den Familien das Sagen. Die elterliche Aufgabenteilung sah so aus: der Mutter die Pflichten, dem Vater die Rechte. Mütter betreuten, Väter erzogen. Mütter mühten sich, Väter schafften an. Nur mit väterlicher Unterschrift bekamen Kinder einen Pass, einen Schulplatz, einen Lehrvertrag. Geschiedene Mütter durften die Kinder zwar versorgen, gesetzlich vertreten durften sie sie nicht. Uneheliche Kinder unterstanden einem Amtsvormund.

Das war eine für Mütter und auch für Kinder demütigende Situation. Die Väter trafen die Entscheidungen, von den Bedürfnissen der Kinder – deren Alltag ihnen fremd war – wussten sie oft nichts. Deswegen: große Erleichterung, als Mütter von Gesetzes wegen endlich gleichberechtigt wurden. Und große Erleichterung, weil geschiedene Mütter die alleinige Obsorge zugesprochen bekamen und nun nicht mehr für jeden Schmarrn die gütige Erlaubnis des ehedem so genannten Familienoberhaupts einholen mussten.

Die neue Gesetzeslage wird, so befürchten KritikerInnen, den Möchtegern-Patriarchen wieder Aufwind geben. Gerade bei strittigen Scheidungen kann davon ausgegangen werden, dass noch emotionale Rechnungen offen sind. Was, wenn die zwangsweise verordnete gemeinsame Obsorge dazu benützt wird, der Ex immer wieder einmal eins auszuwischen, ihre Entscheidungen zu torpedieren, ihr den Alltag mit den Kindern zu erschweren? Mutter meldet Kinder in einer bestimmten Schule an, Vater meldet sie ab.Mutter bucht Urlaubsreise mit den Kindern, Vater legt Veto ein. Mutter erlaubt, Vater verbietet. Mutter verbietet, Vater erlaubt. Und so weiter. Derlei Szenarien sind durchaus realistisch, schon jetzt werden ja Beziehungsaltlasten nicht selten auf dem Rücken  der Kinder hin- und hergewälzt. Okay, sagen wir es geschlechtsneutral: Die Person, bei der das Kind überwiegend lebt, läuft Gefahr, dass die Person, bei der das Kind nicht lebt, sich ständig einmischt, sei es aus Rechthaberei, als Rache für alte Kränkungen oder aus Ärger über Unterhaltsverpflichtungen. Auch Tauschangebote sind vorstellbar: Verzichtest du auf Unterhalt, lasse ich dir die  Obsorge. Die Person, bei der das Kind überwiegend lebt, ist meistens die Mutter. Deshalb sind es Frauen, die eine Verschlechterung ihrer Situation befürchten, während Männer ins Treffen führen, ohne Obsorgeberechtigung wären umgekehrt sie dem guten Willen der Mütter ausgeliefert, Bittsteller, die nichts zu melden hätten im Leben ihrer Kinder.

Veränderung. Das hat grundsätzlich etwas für sich. Neue Rollenbilder verlangen neue Einstellungen, wenn Väter sich engagieren sollen, dann müssen sie auch entsprechend mitreden dürfen. In der Praxis ist es freilich oft schwer, die ehrlich engagierten von denen zu unterscheiden, die Engagement mit Herrschsucht verwechseln und sich als Opfer sehen, weil sie nicht Täter sein dürfen. Häufig geht es auch ums Geld: Ist einer, der klagt, dass er zahlen muss, obwohl er nicht genug zu reden hat, wirklich an seinem Kind interessiert oder bloß daran, Einfluss zu kriegen für seinen Zaster? Die Aufrichtigen von den Scheinheiligen, die Liebevollen von den Selbstsüchtigen, die Verantwortungsvollen von den Machtgeilen zu unterscheiden, das wird in Zukunft die Aufgabe der Gerichte sein. Sie können die gemeinsame Obsorge anordnen oder auch nicht. Sie können entsprechenden Anträgen stattgeben oder  sie ablehnen. Für jeden Fall eine maßgeschneiderte Lösung verhießen uns die Ministerinnen Heinisch-Hosek und Karl bei der Präsentation ihres Reformpakets.

Klingt gut. Fragt sich nur, wie die Schneiderwerkstatt Justiz das schaffen wird. Schon jetzt leiden unsere Gerichte unter einem gravierenden Personalmangel. Und woher das juristische Personal die Kompetenz für seine Entscheidungen nehmen soll, ist auch nicht so ganz geklärt, zumal es keine Verpflichtung zu einer einschlägigen Aus- und Weiterbildung gibt. Ja, man wird PsychologInnen und PädagogInnen beiziehen, aber die Bewertung ihrer Expertisen liegt beim Richter oder der Richterin. Gerade die Familiengerichte sind indes nicht selten erste Durchgangsstation für junge Leute auf dem Weg zu vermeintlich höheren Weihen. Auf welchen Erfahrungen wird sich ihr Urteilsvermögen gründen?

Elfriede Hammerl ist österreichische Journalistin und Schriftstellerin. Ihre letzten beiden Bücher sind „Kleingeldaffäre“ (Deuticke) und das Kinderbuch „Meine Schwester ist blöd“. Die Feministin war Mitinitiatorin des Frauenvolksbegehrens 1997 und kandidierte bei der Nationalratswahl 1999 für das Liberale Forum. Außerdem ist sie mit ihrer Kolumne der einzige verbliebene Grund, das Magazin profil noch aufzuschlagen.

Mama und Papa studieren noch

  • 27.12.2012, 13:32

Während des Studiums Eltern zu werden, ist schwierig. Oft folgen lange Studienzeiten und eine hohe finanzielle Belastung. Manche Studierende planen die Familiengründung jedoch ganz bewusst während der Unizeit.

Während des Studiums Eltern zu werden, ist schwierig. Oft folgen lange Studienzeiten und eine hohe finanzielle Belastung. Manche Studierende planen die Familiengründung jedoch ganz bewusst während der Unizeit.

Erst Studium und Karriere, dann Nachwuchs. Viele Studierende planen so ihr Leben. Manche entscheiden sich jedoch schon während  des Studiums für ein Kind. Laut der aktuellen Studierendensozialerhebung 2011 vom Institut für höhere Studien (IHS) sind neun Prozent der Studierenden in Österreich Eltern. Das sind 25.100 StudentInnen. In Deutschland rieten jüngst PolitikerInnen jungen  Frauen, ihre Kinder bereits während des Studiums zu bekommen, damit der Karriere danach nichts mehr im Weg steht. Frau, aber auch Mann sei viel flexibler als später im Beruf, so die Begründung. Doch: Was halten jene von diesem Gedanken, die bereits Nachwuchs haben? Und: Können sich Studierende überhaupt Kinder leisten? progress traf studierende Elternteile in verschiedenen  Lebenssituationen. Drei Aufzeichnungen.
 

Zwischen Extremsport, Windeln und Peru

Foto: Luiza Puiu

Jasmin studiert seit sechs Semestern Sportwissenschaften und Spanisch auf Lehramt. Nach einem längeren Aufenthalt in Südamerika kam sie zusammen mit ihrem peruanischen Freund nach Wien und brachte dort ihre Tochter auf die Welt. Bereits nach einem Monat stand sie wieder am Fußballfeld.

progress: Wann hast du das letzte Mal durchgeschlafen?

Jasmin: Kurz vor der Geburt, denn am Tag als Micaela auf die Welt kam, wurde ich um fünf Uhr morgens von den Wehen geweckt. Ich werde jetzt noch immer ganz wild, wenn im Hörsaal jemand neben mir sitzt und genervt ist, dass er um neun Uhr aufstehen musste. Schlaf ist für mich mittlerweile Luxus.

Seit wann machst du wieder Sport?

Ich bin bis eine Woche vor der Geburt mit meinem Rad durch Wien gekurvt. Bereits nach einem Monat stand ich wieder auf dem Fußballfeld, weil ich meine Mannschaft nicht zu lange alleine lassen wollte. Seit Oktober studiere ich auch wieder und mache ein paar Sportkurse. Bewegung war für mich schon immer wichtig.

Turnst du also wie gehabt mit?

Ja, so gut es geht. Mein Körper ist durch die Geburt schon sehr geschwächt. Bei ein paar Übungen muss ich immer aussetzen. Mir ist es wichtig, mein Studium so schnell wie möglich zu absolvieren. Ich muss auch sagen, dass ich Glück habe. Mein Freund kümmert sich zurzeit um unser Kind. Ab dem nächsten Semester wird es stressiger werden, weil er dann arbeitet.

Da dein Freund aus Peru kommt, habt ihr auch bürokratische Hürden. Wie läuft es bei auch ab?

Als Ausländer muss er jedes Jahr Visa beantragen, das bekommt er nur, wenn er genug Geld am Konto hat. Deswegen geht er jetzt arbeiten. Wir kommen glücklicherweise finanziell über die Runden. Es ist nicht leicht für ihn, einen guten Job zu finden, der obendrein auch noch ein bisschen flexibel ist. Ich bin wegen der Aufenthaltsbewilligung innerlich immer ein bisschen nervös, weil ich keine Idee habe, was wir machen würden, wenn Javier wieder zurück nach Peru müsste.

Du hast gesagt, du möchtest dein Studium schnell abschließen. Kann das mit Kind überhaupt funktionieren?

Ja, das ist eine schwierige Frage. Sagen wir so: Ich versuche jetzt alle Einführungsveranstaltungen abzuschließen. Ich studiere zwar schon seit, quantitativ gesprochen, sechs Semestern, aber ich war währenddessen oft in Südamerika und bin herumgereist. Dort habe ich auch Javier kennengelernt, als ich bei ihm jobbte. Er besaß ein Restaurant in Lima, das er wegen mir und Micaela aufgab. Ich spüre einen innerlichen Druck, jetzt endlich fertig zu werden. Prinzipiell finde ich, dass die Studienzeit eine gute Zeit für Kinderist. Wer weiß, ob ich in ein paar Jahren auch so flexibel wäre wie jetzt.

Organisation ist die halbe Miete

Foto: Luiza Puiu

Julia wurde vor viereinhalb Jahren zum ersten Mal Mutter, davor arbeitete sie als Kindergartenpädagogin und studierte Literaturwissenschaften. Zusammen mit Christian entschied sie sich 2010 für ein anderes Studium und ein weiteres Kind. Mittlerweile studiert die 27-Jährige seit vier Semestern Soziologie und sieht die Sache mit dem Kinderkriegen relativ gelassen.

Wer holt heute deine Söhne vom Kindergarten ab? Du, oder Christian?

Er. Ich habe heute den ganzen Tag Kurse an der Uni. Wir lösen alles rund um Kinderbetreuung, Kids abholen oder in den Kindergarten bringen sehr demokratisch. Dieses Wintersemester kümmert er sich mehr um die zwei, damit ich mit Soziologie vorankomme.

Hört sich nach jeder Menge Organisationsarbeit an.

Ja, aber im Regelfall verläuft alles super. Wir telefonieren nahezu ständig, weil sich immer Termine verschieben. Alle zwei Wochen sitzen wir am Abend eine Stunde zusammen und gleichen unsere Terminkalender ab. Außerdem planen wir unsere Semester  gemeinsam, weil Christian neben seiner Arbeit jetzt auch Philosophie studiert.

Warst du vor der Geburt deiner Kinder auch so organisiert?

Nein, gar nicht. Ich habe durch die Mutterschaft mehr Ernsthaftigkeit entwickelt. Ich studiere mittlerweile zielstrebiger. Aber ich stresse mich nicht, es in Mindestzeit durchzuziehen. Das würde sich nie ausgehen, weil Kinder einem viel Kraft und Energie abverlangen.

Nachdem dein erster Sohn auf die Welt gekommen war, hast du begonnen, Literaturwissenschaften zu studieren. War es mit  Studium und Baby manchmal schwierig?

Als ich mit Literaturwissenschaften begonnen habe, war mein Erstgeborener bereits neun Monate alt. Also nicht mehr ganz so klein. Der Studienbeginn hat für mich super funktioniert, weil ich gewusst habe, dass mein Partner und ich uns gegenseitig unterstützen. Und für das Kind macht es keinen Unterschied, ob jetzt die Mutter oder der Vater daheim bleibt, um sich um ihn zu kümmern. Manchmal haben auch FreundInnen oder meine Mutter auf ihn aufgepasst. Wir haben Glück, dass wir von ihnen unterstützt werden.

Habt ihr das Gefühl, dass Studieren mit Nachwuchs finanziell belastet?

Wir beginnen erst jetzt zu merken, dass das Geld monatlich knapper wird. Je älter die Kinder werden, umso mehr Kosten fallen an, zum Beispiel für Kinderbetreuung. Aber wir nehmen das in Kauf, schließlich ist es unsere freie Entscheidung, zu studieren. Ich könnte ja auch arbeiten gehen. Da hätte ich aber weniger Zeit für die Kinder und wäre weniger flexibel. Wir erhalten zudem noch vom Staat Hilfe und werden auch von unseren Familien unterstützt. Während des Studiums ist man flexibler.

Ist das für dich auch eine bessere Zeit, um Kinder zu bekommen?

Ich tue mir mit solchen Aussagen schwer. Wir waren relativ jung und wussten nicht, was uns erwartet. Aber es hat so gut funktioniert, sodass wir uns für ein zweites Kind entschieden haben. JedeR soll Nachwuchs dann bekommen, wenn es für sie/ihnpasst. Vor, nach, während dem Studium oder gar nicht. Wir zum Beispiel sind aber sehr beweglich, weil wir noch nicht genau wissen, wo wir beruflich Fuß fassen möchten. Das kann schon ein Vorteil sein.

Das erste graue Haar mit 23

Foto: Luiza Puiu

Benjamin kommt aus Deutschland und studiert in Wien im siebten Semester Anglistik. Seine Tochter Maria* kam vor dreieinhalb Jahren in der ostdeutschen Stadt Jena in Thüringen auf die Welt, wo der damals 22-Jährige zusammen mit seiner Freundin wohnte. Seit zwei Jahren leben und studieren die drei in Wien.

Ist Wien eine kinderfreundliche Stadt?

Schwer zu sagen. Jena war sicher kinderfreundlicher. Dort gab es selbst in der Mensa Kinderspielplätze. Aber Wien ist groß und bietet viele Möglichkeiten.

Warum hat es dich gerade nach Wien gezogen?

Anfangs wollten wir beide nur ein Auslandssemester in Wien absolvieren, daraus wurden dann zwei. Schlussendlich sind wir ganz hier geblieben, weil es uns hier so gut gefiel. Außerdem waren einige meiner Freunde bereits in Wien. Somit war die Stadt kein komplett fremdes Umfeld für mich. Das war in Jena schlimmer, dort kannten wir nämlich so gut wie niemanden.

Du warst noch relativ jung, als deine Tochter auf die Welt kam. Nach einem Semester in Deutschland seid ihr nach Österreich gezogen. Wie hast du hier den Studienanfang erlebt?

Das war irre. Der Umzug hat zwar super geklappt, aber es war damals eine komplette Umstellung für uns. Es dauerte lang, einen Rhythmus zwischen Kind und Studium zu finden. Und dann noch in einer neuen Stadt. Mein erstes graues Haar bekam ich übrigens schon im Alter von 23.

Du hast deine Uni-Karriere mit Kind gestartet. In dem Sinn hast du nie den „klassischen“ Studienalltag erlebt. Stört dich das?

Nein. Eigentlich stört mich nur, dass ich nicht flexibel genug bin, um mich intensiv mit den spannenden Themen meines Studiums zu beschäftigen. Dafür fehlt mir einfach die Zeit. Es ist aber nicht so, dass ich mich wegen dem Kind eingeengt fühle. Es würde mich niemand davon abhalten, manchmal fortzugehen und Party zu machen. Aber dafür ist man einfach zu müde.

Sind Lehrende nachsichtiger, wenn sie es mit studierenden Eltern zu tun haben?

Das ist unterschiedlich. Man merkt ziemlich schnell,wer selbst Kinder hat und wer nicht. Ich habe das Gefühl, dass Lehrende, die selbst Nachwuchs haben, etwa mit Abgabeterminen nachsichtiger sind. Manchen ist das aber egal. Einmal war meine Tochter krank und ich konnte eine Arbeit nicht rechtzeitig abgeben. Meine Kursleiterin war zwar so nett und ließ mich die Seminararbeit eine Woche später abgeben. Der Haken aber war, dass ich mit einer schlechteren Note rechnen musste.

Aber schaffst du es, immer alle Kurse abzuschließen, die du dir vornimmst?

Bislang bin ich noch an keinem Kurs gescheitert. Ich mache auch meist nur maximal fünf Veranstaltungen. Dieses Semester wird es aber sehr knapp, weil alle Referats- und Abgabetermine zusammenfallen. Hoffentlich schaffe ich das.

Kommt ihr finanziell über die Runden?

Das ist das einzige, was mich wirklich stresst. Da ich Vater bin, bekomme ich drei Semester länger Bafög – das ist die deutsche Studienförderung. Aber das reicht nicht aus. Obendrein läuft es nächstes Sommersemester aus. Mich stresst die Vorstellung, nebendem Studium meine Familie zu finanzieren.

*Name geändert.

Die Autorin Elisabeth Gamperl, studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Uni Wien.

Der Traum ist aus

  • 26.12.2012, 15:20

Im Dezember 2009 wurde das besetzte Audimax geräumt. Das Ende von #unibrennt wurde damit eingeläutet. Ein ausschnitthaftes Resümee drei Jahre danach von Flora Eder.

Im Dezember 2009 wurde das besetzte Audimax geräumt. Das Ende von #unibrennt wurde damit eingeläutet. Ein ausschnitthaftes Resümee drei Jahre danach von Flora Eder.

Es war fünf Uhr früh. Auf den Rolltreppen der Station Schottentor wehte ein eisiger Wind gegen ihre Fahrtrichtung hinauf zur Uni Wien. Der Gehsteig wurde von einer zentimeterdicken Eisschicht bedeckt, es war noch finster. Der Tag musste erst in die Gänge kommen. In den frühen Morgenstunden des 21. Dezember 2009, vor drei Jahren also, wurde das Audimax in Wien geräumt. 85wohnungslose Menschen hatten hier Unterschlupf gefunden. Sie hatten größtenteils keine Österreichische StaatsbürgerInnenschaft und wurden auf die Wiener Straßen gesetzt – bei minus zehn Grad. Sie erhielten ein Wurstsemmerl und einen Zettel, der auf englisch und deutsch erklärte, dass sie sich an eine Einrichtung namens „P7“ wenden sollten. Nicht darauf zulesen war, dass sie alle bereits vom P7 abgelehnt wurden, da sie die falsche StaatsbürgerInnenschaft hatten. „Eine humanitäre Katastrophe. Ich bin sauer – heute Nachmittag hätten wir vierzig Notschlafstellen gemeinsam mit der Caritas für sie organisiert“, kommentierte das Markus Reiter, damaliger Vorsitzender des Dachverbands der Wiener Wohnungslosenhilfe vor der Uni Wien. „Aber jetzt sind die Menschen vertrieben. Drei Tage vor Weihnachten, bei minus zehn Grad.“

Auch jene 15 BesetzerInnen, die im Audimax die Stellung hielten, wurden von der Polizei geweckt und aus dem Audimax getragen. Auf sie wartete eine kleine Truppe an Fernsehteams, die eilig zur Uni kamen, um Interviews aufzuzeichnen. Dass „es“ wohl in den Winterferien passieren würde, dass das Audimax der Uni Wien geräumt würde, war vielen schon davor klar. Dass es ausgerechnet an diesem Tag geschehen würde, nicht. Und so wurde #unibrennt aus dem Schlaf gerissen, geplatzt war ein Traum, der noch nicht zu Ende geträumt war.

Doch was war er, der Traum von #unibrennt? #Unibrennt drückte die Sehnsucht einer ganzen Studierendengeneration aus. Eine Sehnsucht nach Veränderung; danach, einmal etwas wirklich Wichtiges zu schaffen. Eine Sehnsucht danach, in dieser Gesellschaftendlich eine Rolle zu spielen, Geschichte zu schreiben – etwas Unumkehrbares loszutreten. Einmal „ich war auch dabei“ sagen zu können; eine Art inszeniertes Schauspiel, um später nostalgisch auf eine Zeit zurückblicken zu können, die das sonst wohl nicht verdient hätte. Aber was ist sonst von #unibrennt drei Jahre danach übrig geblieben?

Aller Anfang ist leicht. „Ich wusste, dass eine Demo vor dem Wissenschaftsministerium stattfindet. Plötzlich erreichte mich ein  Anruf, dass sie zur Uni Wien gezogen sei, und ich sofort ins Audimax kommen müsse, denn es sei besetzt worden“, erinnert sich Ina* an den 22.Oktober 2009. Ausgegangen war die Demonstration von der Akademie der bildenden Künste, deren Aula bereits  zuvor besetzt war. Im Audimax ging daraufhin alles ganz schnell: Plena wurden einberufen, Eintopf gekocht, Arbeitsgruppen gebildet, RednerInnenlisten erstellt, eine Pressekonferenz eilig einberufen, Parties gefeiert, Fotos geschossen, Livestreams und  Filme gedreht – kaum eine Wortmeldung wurde nicht dokumentiert. Allein auf der Uni Wien waren es tausende Studierende, die in den ersten Wochen von #unibrennt ins Audimax strömten. Denn ungewiss war, wie lange die Besetzung andauern würde. Viele  glaubten nicht daran, dass sie mehr als einige Tage bestehen würde. Doch #unibrennt entwickelte eine Sogwirkung, die schnell  auch die anderen österreichischen Unis mitriss und sich auf andere europäische Unistädte ausweitete. „Die vielen Studierenden, die  mit diesem 22. Oktober begonnen haben, sich für ihre Studien- und Lebensbedingungen einzusetzen, waren überwältigend. Und als  an den darauffolgenden Tagen die Meldungen kamen, dass auch Unis in anderen Ländern brennen – das war schon ein aufregendes  Gefühl“, erinnert sich Ina.

So wurden am 24. Oktober ein Hörsaal in Graz, am 28. Oktober das Haus für Gesellschaftswissenschaften am Rudolfskai in Salzburg  und am 29. Oktober die Sowi-Aula in Innsbruck besetzt – und das ist nur ein kleiner Auszug der Ereignisse. „Ich stand  damals am Anfang meines Studiums und hatte kaum Demo-Erfahrung, ich habe mich einfach auf #unibrennt eingelassen. Dass  daraus meine politische,Geburtsstunde‘ würde, war mir nicht klar“, erinnert sich Sebastian, der bei #unibrennt in Innsbruck aktiv war.

Was blieb von all dem Engagement? „In Graz heißt der größte Hörsaal seither nach dem kommunistischen Widerstandskämpfer Willi Gaisch“, sagt Georg*, „und einige sind dadurch in die ,linke Szene‘ gekommen. Es haben sich in Graz neue Netzwerke gebildet,  Freundschaften ergeben, aber eine besondere Politisierung dieser Generation ist nicht eingetreten“, merkt er kritisch an: „An der Uni Graz haben der Alltag und der prekäre Normalbetrieb wieder eingesetzt. Es gibt mehr Bewusstsein für die Bildungsproblematik, aber  der Bildungsdiskurs selbst hat sich leider nicht verändert“, sagt er. In Innsbruck hingegen, meint Sebastian, habe sich durch  #unibrennt mehr verändert als in anderen Unistädten: Das GeiWiMax ist seither ein offener und selbstverwalteter Raum – „um den  gerade wieder ein wenig mit dem Rektorat gekämpft wird“, sagt er. „Die kritische Uni wiederum ist für mich das tollste Ergebnis der Besetzungen.“ Bis heute erhält das Innsbrucker #unibrennt-Plenum pro Semester eine gewisse Geldmenge und kann damit  gesellschaftskritische Lehrveranstaltungen organisieren, die in vielen Studienrichtungen als Wahlfächer angerechnet werden  können.

Auch an der Uni Salzburg, sagt Kay,  habe #unibrennt seine Spuren hinterlassen: „Gerade unipolitisch Engagierte sprechen  #unibrennt immer wieder an, um auf die Notwendigkeit der demokratischen Mitbestimmung hinzuweisen.“ Konkrete Forderungen wurden aber nur teilweise umgesetzt. „Ein großer Erfolg ist der öh:freiraum in der Kaigasse 17“, betont Kay aber doch. Das  Forderungsbündel betreffend der Studienplangestaltung sei aber „nur bedingt“ berücksichtigt worden. An der Uni Wien haben Studierende seit #unibrennt endlich wieder die Möglichkeit, im Rahmen eines kleinen Spielraums von 15 ECTS freie Wahlfächer gestalten zu können – außerdem wurden aus den Mitteln der ministeriellen Notfallreserve einige Lehrstellen in den besonders belasteten Studienrichtungen der Publizistik, der Internationalen Entwicklung und der Psychologie geschaffen. Auch wurden in den Bereichen Studieren mit Behinderung und Frauenförderung Geld und Strukturen aufgebaut und ein zusätzliches Angebot für Deutschals Fremdsprache realisiert.

Gewonnen und Zerronnen. Es bleibt jedoch schwer, von einem faktischen Erfolg von #unibrennt auf  der Ebene eines Forderungskatalogs zu sprechen: Denn woran ist der Erfolg einer so vielfältigen und unterschiedlich organisierten Ansammlung vonprotestierenden Menschen zu messen? Tatsächlich stolperte #unibrennt nämlich immer wieder über die Frage, was der Zweck der Versammlung sei. So sagten viele, eben die Zweckfreiheit sei der Zweck – andere beharrten auf klar artikulierten bildungspolitischen Zielen, die nach ihrem Erreichen auch zu einem Ende der Besetzung führen könnten. Wieder andere positionierten sich dagegen mit einer Ablehnung einer „single-issue-Bewegung“ und noch weitere andere fanden an #unibrennt den  Freiraum, gemeinschaftliche Gestaltung basisdemokratisch üben zu können, zentral. Mit dieser unklaren Positionierung und diesem uneindeutigen Selbstbild stolperte man zwangsläufig über gesamtgesellschaftliche Phänomene. So kam es zu sexuellenÜbergriffen und sexueller Gewalt, und dazu, dass sich einige gegen die im Wiener Audimax Unterschlupf suchenden wohnungslosen Menschen stellten, anstatt sich zu solidarisieren.

Auch Ina sagt, dass von der Besetzung nicht viel mehr als „eine Facebookseite und ein Twitteraccount“ übrig geblieben seien: „Und dass die Leute später einmal überromantisiert ihren Kindern davon erzählen können. Was bei #unibrennt so schnell entstanden ist,  ist leider ebenso schnell wieder verpufft.“

*Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewten geändert und sind der Redaktion bekannt.

Flora Eder studiert Sozialwissenschaften an der Uni Wien.

Schön ist es

  • 26.12.2012, 14:53

Simon Sailer über Probleme der Kritik am „Lookismus“ und die Schönheit des Menschen.

Simon Sailer über Probleme der Kritik am „Lookismus“ und die Schönheit des Menschen.

Die Rede vom Schönheitsideal unterstellt, es gäbe ein Bild, eine ideale Vorstellung davon, was schön sei und was davon abweiche.   Genauer aber wird der Begriff im Plural verwendet, weil schon nach einem kurzen Blick klar sein dürfte, dass es, je nach Zusammenhang, eine Vielzahl solcher Idealvorstellungen gibt. Und dennoch hat diese Perspektive einen wahren Kern: Wer als schön beurteilt wird und wer nicht, ist keine ganz individuelle Angelegenheit. Es gibt Menschen, die finden nur sehr wenige schön, während sich bei anderen die allermeisten auf ein solches Urteil einigen können.

Jene Menschen, die im Allgemeinen für schön gehalten werden, erfreuen sich – natürlich wiederum im richtigen Zusammenhang – einiger Vorteile. In einer alten faschistischen Tradition wird von ihrem Aussehen auf ihren Charakter geschlossen, sie werden für ehrlicher und sympathischer gehalten und sind entsprechend erfolgreicher im Beruf wie im Privatleben. Sie kommen voran. Auch wenn es ihnen dabei nicht unbedingt besser geht, ist wohl einschränkend hinzuzufügen. Jedenfalls hat dieser Umstand, der Frauen stärker zu treffen scheint als Männer, einige dazu bewogen, eine neue Form der Diskriminierung zu erfinden: Lookism.

Schöne neue Welt. Die Kritik am Lookism nährt sich aus dem nachvollziehbaren und nicht völlig unberechtigten Impuls, die Ungerechtigkeit anzuprangern, die es aus liberaler Sicht bedeutet, wenn Menschen wegen einer Eigenschaft Nachteile erfahren, für die sie wenig können. Der Leitsatz des Liberalismus ist schließlich: „Jeder ist seines Glückes Schmied“, wobei nicht zufällig von Schmiedinnen keine Rede ist. Weil der um Erfolg kämpfende Mann immer noch nicht unbedingt ein zweiter David Beckham sein muss, um sich durchzusetzen, beinhaltet die Ablehnung von Lookismus auch die feministische Forderung nach Beteiligung an  gesellschaftlicher Macht.

Darüber hinaus wird kritisiert, dass bestimmte Körpernormen vorgeführt würden. Die Annahme lautet, dass sich Menschen genötigt fühlen, diesen Normen zu entsprechen, und Probleme haben, wenn sie ihnen nicht entsprechen können. Dabei sind die Darstellungen in der Werbung dermaßen bearbeitet, dass ihnen in der Wirklichkeit kein Mensch auch nur nahekommt. Somit  schwingt in dieser Perspektive ein vereinfachtes Verständnis von der Vorbildwirkung medialer Bilder mit. Die Auswirkungen von Werbung sind aber vermittelter und komplizierter. Sie zeugen eher von der Macht der werbenden Unternehmen, die sich solche  Werbung überhaupt leisten können, inklusive der Verfügung über menschliche Körper. Indem sich aber die Kritik auf diese Vorbildwirkung konzentriert, wird implizit das Schönheitsideal, das kritisiert werden soll, relativ genau bedeutet und bestimmt. Es wird gesagt: So soll „man“ sein und das lehnen wir ab. Der Befehl zur Anpassung ist in dieser Kritik enthalten.

Tabu Schönheit. Es wäre natürlich eine unmögliche und nicht wünschenswerte Alternative, gar nicht mehr darüber zu reden, was  schön ist und was nicht, und stattdessen alle als gleich attraktiv zu behandeln, obwohl alle insgeheim anders empfinden. Vielleicht muss in die andere Richtung gegangen und der Begriff von Schönheit genauer und bedeutungsvoller gefasst werden. Die  Wissenschaft, die zu Schönheit forscht, interessiert sich meist für subjektive Reaktionen und fragt danach, was Menschen als schön  empfinden und was nicht. Die meist gar nicht ernsthaft reflektierten Ergebnisse werden dann auf Gemeinsamkeiten  untersucht, daraus wird ein Bild der Schönheit erstellt. Dieses wird dann entweder als ewige Naturschönheit ausgegeben oder aber als zufälliger Geschmack der Gegenwart.

Beim Ergebnis dieser Studien setzt Reflexion erst an. Es offenbaren sich an dieser hilflosen Beforschung – ähnlich den unglücklichen  Versuchen, Glück zu messen – bereits einige Momente von Schönheit selbst. In der philosophischen Ästhetik haben  die Kategorien des Naturschönen und des Kunstschönen immer eine zentrale Rolle gespielt. Es handelt sich dabei um das, wonach  es klingt: Menschen sind ergriffen und bewegt zum einen von der Schönheit der Natur, die sie in ihrer Fremdheit und Größe  berwältigt. Ein ähnliches Gefühl kann durch Werke großer Kunst entstehen. Jedenfalls tritt uns auch Kunst mitunter als ein fremdes,  in sich verschlossenes und rätselhaftes Anderes entgegen. Beiden Varianten des Getroffenseins, jenem angesichts des Natur- wie des Kunstschönen, ist eine gewisse Haltung der Interessenlosigkeit gemeinsam: Die Natur wird in dem Moment nicht als zu  beackernder Boden oder zu rodender Wald gesehen und das Bild nicht als Gebrauchs- oder Verkaufsgegenstand.

Natur, Kunst,  Mensch. Aber wie verhält es sich nun mit der Schönheit der Menschen? Die Menschenschönheit ist ja weder Naturschönheit noch Kunstschönheit. Sie hat Elemente von beidem und ist doch keines ganz. Der Mensch ist kein Stück Natur und schon gar nicht seine  Schönheit. Die Schönheit der Menschen war seit jeher künstlich und abhängig von sozialen Bedingungen,   beispielsweise von Schmuck, der sozialen Status repräsentiert.Aber Menschen sind keine wandelnden Kunstwerke, niemand hat sie gemacht und sie bilden keine eigene Sphäre. Der Unterschied zwischen den Menschen, wenn sie einfach ihren alltäglichen Dingennachgehen, und einer Performance-Künstlerin – die ihren Körper für eine begrenzte Zeitspanne zum Kunstwerk macht – lässt diese Differenz greifbar werden.

Der Blick auf „schöne“ Menschen ist auch nicht zweckfrei. Bei den Dingen, gegen die sich der Vorwurf des Lookismus richtet, handelt es sich oft um ganz instrumentell kalkulierende Darstellungen: in der Werbung, in der Mode oder in Film und Fernsehen. Die schönen Menschen sind bloßes Mittel zum Zweck: Niemand bleibt vor einer Plakatwand staunend stehen und wird schmerzhaft  getroffen von der Schönheit der darauf gezeigten Menschen. Und falls doch, dann aus einem Gefühl der eigenen Kleinheit und Unzulänglichkeit, aber nicht aus dem Bewusstsein der Unzulänglichkeit der Welt. Vielleicht, weil die überlebensgroßen 2D-Körper  aus einer anderen Welt einem emphatischen, nachdrücklichen Sinn von Schönheit gar nicht entsprechen. Denn ein Element ernster  Schönheit ist der sehnsüchtige Schmerz. Der zweckfreie Blick richtet sich auf ein ganz bestimmtes Einzelnes und entdeckt seine Schönheit. Es ist ein erlösender Blick, der deshalb weh tut, weil der Gerechtigkeit, die dem Einzelnen durch ihn geschieht, die  allgemeine Ungerechtigkeit zu Grunde liegt. Die Erlösung des Einzelnen gemahnt schmerzhaft an die Möglichkeit der Rettung der Welt.

Schnurrbärtige Hipster

  • 26.12.2012, 14:41

Schnurrbärte, Hornbrillen und Fahrräder ohne Gangschaltung machen sie zu dem, was sie sind. Vornehmlich junge weiße Männer aus gut situiertem Elternhaus geben sich heute dem Hipstertum im Vintage-Effekt hin – und prägen durch ihr Aussehen neue Schönheitsideale.

Schnurrbärte, Hornbrillen und Fahrräder ohne Gangschaltung machen sie zu dem, was sie sind. Vornehmlich junge weiße Männer aus gut situiertem Elternhaus geben sich heute dem Hipstertum im Vintage-Effekt hin – und prägen durch ihr Aussehen neue Schönheitsideale.

Die schlacksige Figur in enge Röhrenjeans gezwängt und mit ihrer Nerdbrille über den Bildschirm des MacBooks blickend begegnet man ihnen in den lokalen Trendcafés – Hipster. Dass das Aussehen in dieser Szene eine gewisse Rolle spielt, wird dabei schnell klar. Styling und Mode stehen im Vordergrund einer neuen Subkultur, die eigentlich schon lange wieder Mainstream ist. Fragt man nach  dem, was Hipster ausmacht, ist die rasche Antwort, dass das Styling einfach einen „heruntergekommenen, altmodischen Touch“ habe, so die WU-Studentin Johanna. Sie selbst müsse sich an die „kreativen Schnurrbärte“ der Hipster-Männer, wie sie auch ihr Freund Louis trägt, aber „wohl erst noch gewöhnen“.

Blütezeit und ihr reflorieren. Der Begriff des Hipsters hat seinen eigentlichen  Ursprung in der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er galt als die schwarze subkulturelle Figur, die den Bebop der späten 1940er-Jahre repräsentierte. Sein begriffliches  Revival wird 1999 in Williamsburg, New York, angesetzt, als der Retro-Chic, der nichts mit dem ursprünglichen Hipster mehr am Hut  hatte, die Straßen Brooklyns besiedelte und von dort aus nach Europa überschwappte. Seither gilt das Hipstertum als Subkultur der frühen 2000er-Jahre, der aber niemand so richtig angehören will: „Ich sehe mich als Hipster und auch nicht; es ist paradox. Ein echter Hipster ist eben auch keiner – hasst sie im besten Fall sogar“, meint Student Louis, der wegen seiner facebook-Fotos mit Instagram-Effekt von seinen Freund_innen als Hipster abgetan wird. Eine Frage der Identifikation. Jugend und Subkulturen bieten  immer einen Zusammenhalt, eine Abgrenzung gegenüber den Nicht- Dazugehörigen durch die eigenen Codes. Die Sex Pistols packten den jugendlichen Nonkonformismus der 1970er-Jahre in ihre Liedtexte, begleitet von Punk, bevor er zur Retro- Mode-Erscheinung wurde.

Irokesen wurden zum Schönheitsideal und Vivienne Westwood gab der Szene einen unverwechselbaren Look. Rebellion und do it  yourself waren angesagt. Die Subkultur hatte eben nicht nur ein Identifikationsmerkmal, sondern zog sich durch die verschiedenen identitären und kulturellen Bereiche. Doch der Inhalt, die politische Forderung, das Dafür oder Dagegen scheint im Hipstertum zu  fehlen. „Es ist unpolitisch und wirkt wie die komplette Individualisierung. Nichts mehr gemeinsam, alles unconnected, jeder und  jede für sich selbst“, sagt Louis. So findet sich auch nicht der Musikstil Hipster in den Plattenläden dieser Welt, eine explizite Film-   und Kulturszene gibt es nicht. Hipstertum ist viel mehr eine Mode-Erscheinung, die sich anderer subkultureller Elemente bedient. „Der Hipster selbst schafft per definitionem keine echte Kunst. Würde er (oder sie) das tun, wäre er (oder sie) ab diesem  Moment kein Hipster mehr“, erklärt Mark Greif, Autor des Klassikers Hipster. Eine transatlantische Diskussion. Und so bedienen sie sich stattdessen einer Definition des Äußeren. Um sich klar vom Mainstream abzugrenzen, dienen die Klamotten, die Mama schon einmal trug, als auffälliges Modemerkmal. Und Männer wie Frauen hüllen ihre androgynen Körper in weite Shirts, mit mehr oder weniger lustigen Sprüchen. Es soll so wirken, als ob „kein Wert auf Äußerlichkeiten gelegt wird, sondern man nur zufällig gut  aussieht“, beschreibt die 23jährige Johanna.

Ironie und Unsichtbarkeit. Wie jede andere Subkultur, definiert auch die überwiegend männliche Hipster-Szene ihre neuen Diskriminierungen und prägt auch ihren eigenen Sexismus. Dieser ist jedoch nicht der offene oder direkte, sondern er kommt im Deckmäntelchen der Ironie. Frauen werden objektiviert, in Rollenbilder gedrängt, in einer konstruierten Weiblichkeit überzeichnet – alles unter dem Stempel des „Humors“. So ist die Verwendung des Begriffs „Bitch“ in Shirt-Sprüchen und im Alltag wieder omnipräsent mit einem Augenzwinkern abgetan. Im New York Magazine brandete Alissa Quart den Begriff Hipster Sexism: „Hipster Sexism besteht in der Objektivierung der Frauen in einer Weise, die Spott, Anführungszeichen und Paradoxon verwendet: auf die Art, die man in der Literatur- Klasse gelernt hat.“ Allgemein spielen Frauen im Hipstertum eine Nebenrolle. Während ein klares Bild vom  Aussehen, den Bärten sowie den Interessen männlicher Hipster herrscht, sind Frauen oft nur das Motiv vor der Vintage-Kamera, die Muse des Kunststudenten oder das Accessoire zu Holzfällerhemd und Röhrenjeans. Mark Greif erklärt es als klares Merkmal der Werte und sozialen Befindungen des Hipstertums, dass es „bislang nicht gelungen ist, den weiblichen Hipster zu lokalisieren, obwohl Frauen in jeder Sphäre, die durch das Hipstertum berührtwurde, eine zentrale Rolle spielen. Hipster-Frauen kommen häufig nur dann vor, wenn man über die Dominanz der Männer in der Szene spricht.“

Was einen weiblichen Hipster ausmacht, ist unklar. Versucht man, sie zu finden, sucht man entweder vergeblich oder findet Künstlerinnen, die eben den Geschmack eines Hipsters repräsentieren. Dayna Tortorici erklärt die Ikonisierung von weiblichenHipster in Mark Greifs Bestseller als eine Degradierung ihrer eigentlichen Leistungen: „Es ist bezeichnend, dass die vermeintlichen Exemplare des ‚weiblichen Hipsters‘, sobald sie einmal vom Hipster- Geschmack akzeptiert und dafür gut befunden wurden, nicht mehr für ihre Kunst gepriesen, sondern zu Stilikonen umfunktioniert worden sind.“

Die Autorin Oona Kroisleitner  studiert Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

Lesetipps:
Mark Greif: „Hipster. Eine transatlantische Diskussion“, Suhrkamp Verlag

Alissa Quart: „The Age of Hipster Sexism“ in: New York Magazine

Schön, schöner, Lillifee

  • 26.12.2012, 14:32

Schönheit spielt schon für die Kleinsten eine große Rolle. Ein Kindergartenbesuch zeigt den richtigen Umgang mit einem sensiblen Thema.

Schönheit spielt schon für die Kleinsten eine große Rolle. Ein Kindergartenbesuch zeigt den richtigen Umgang mit einem sensiblen Thema.

Wer sich in diesem Jahrhundert mit einem vierjährigen Mädchen unterhält, wird kaum etwas verstehen, wenn er oder sie  grundlegende Begriffe wie Tinker Bell, Hello Kitty und Prinzessin Lillifee nicht kennt. Nomingoa, Maija und Amina – alle vier Jahre alt – malen im Kindergarten und besprechen dabei wichtige Themen: „Ich schau Tinker Bell im Kino“, erzählt Nomingoa. Amina lässt sich davon nicht beeindrucken,denn sie mag lieber „die Lillifee“. Unter ihrem rosafarbenen Pulli trägt sie ein Unterhemdchen mit einem großen Bild von ihr. „Das ist meine Lieblingspuppe“, sagt sie. Im Fasching wollen sich die drei Mädchen als Prinzessinnen verkleiden. Weil Prinzessinnen schön sind.

Bin ich schön? Schönheit bedeutet in unserer Gesellschaft viel mehr als ein ansprechendes Äußeres: Wer schön ist, verlangt sich selbst etwas ab und ist diszipliniert. Wer schön sein will, leidet. Und wird auch Erfolg haben: Studien zeigen, dass schöne Menschen  mehr verdienen und schneller Karrieremachen. Wer aber schön ist, liegt gar nicht so sehr im Auge des einzelnen Betrachters – oder der Betrachterin. Schönheitsideale gibt zu einem großen Teil die Gesellschaft vor, in der wir leben. Und die färbt schon die Blicke von jungen Mädchen wie Nomingoa, Maija und Amina. „Diese Werthaltungen – was ist schön, was ist nicht schön –, da haben Kinder oft wenig Chancen, das aus sich heraus zu entwickeln. Da kommt sehr viel von der Erwachsenenwelt“, sagt Daniela  Cochlár, Leiterin der MA 10, der Abteilung für die Wiener Kindergärten.

Zur Frage, woher Schönheitsideale kommen, scheint es ebenso viele Theorien wie Wissenschaften zu geben. Evolutionspsychologisch betrachtet wird uns das Streben nach Schönheit angeblich schon in die Wiege gelegt: Ein Experiment zeigte, dass Babys attraktive Menschen länger ansehen als solche, die als weniger attraktiv gelten. Das soll damit zu tun haben, dass schöne Menschen körperlich robuster, also gesünder und damit fortpflanzungsfähiger sind. Auch unterschiedliche Ideale für Männer und Frauen werden damit auf zweifelhafte Weise erklärt: Während Männer zwecks Reproduktion und Fruchtbarkeit schöne Frauen suchen, ginge es den Frauen eher darum, einen ökonomischen „Erhalter“ für ihre Kinder zu finden. Der muss nicht zwangsläufig gut aussehen. „Diese Theorien erklären aber nur den Ist-Zustand. Und wenn der genau umgekehrt wäre, würden sie   ihn eben andersrum erklären“, sagt Elisabeth Ponocny-Seliger, Psychologin und Lehrbeauftragte für Gender Research an der Uni Wien.

Foto: Linnea Jänen

Bewusster Umgang mit Unterschieden. Die vermeintlich evolutionspsychologisch vorgegebene Rollenteilung bemerkt auch Sandra Haas. Sie leitet den Bildungskindergarten Fun&Care im 15. Wiener Gemeindebezirk, den Nomingoa, Maija und Amina besuchen.  „Mädchen werden dafür gelobt, dass sie schön sind. So lernen sie, dass es ihre wichtigste Kompetenz ist, süß zu sein. Buben lobt man hingegen für ihre Fähigkeiten“, sagt sie. Der Fun&Care Kindergarten wurde 1999 eröffnet und war damals der erste  geschlechtssensible Kindergarten Wiens. Zentrales Anliegen der geschlechtssensiblen Pädagogik ist es, den Kindern Raum für  Entwicklung abseits von gesellschaftlich vorgegebenen Rollenbildern zu geben. Buben und Mädchen soll Chancengleichheit in allen Lebensbereichen ermöglicht werden: Mädchen können Pilotinnen werden und Buben Stewards, wenn sie das wollen. „Das Besondere  an Fun&Care war, dass wir ein Gesamtkonzept gemacht haben. Wir haben es auf vier Säulen gestellt: das Raumkonzept, die  Bildungsarbeit, die Elternarbeit und das Personalkonzept“, erklärt Daniela Cochlár. Sie war die erste Leiterin des Fun&Care  Kindergartens. 2008 wurde das Konzept der geschlechtssensiblen Pädagogik erstmals in einem öffentlichen Kindergarten der Stadt Wien eingeführt und dann allmählich in allen Kindergärten der Stadt Wien übernommen. „Schönheitsideale spielen im Kindergarten eine sehr große Rolle“, sagt Cochlár. „Ab drei, vier Jahren oder spätestens im Vorschulalter ist das ein sehr großes Thema. Das ist auch nachvollziehbar: Wer von uns möchte denn nicht hübsch sein? Das hat ja auch viel mit Wertschätzung, Anerkennung und  Akzeptanz zu tun.“

Im Fun&Care Kindergarten wirkt auf den ersten Blick alles wie in jedem anderen Kindergarten. Wer die kleinen Unterschiede erkennen will, muss genauer hinsehen – und auch hinhören: Wenn Pädagogin Katharina ihrer Gruppe etwas vorliest, sucht nicht nur der Tiger nach Futter, sondern auch die Tigerin. Wenn die Kinder Fußball spielen und Katharina im Tor steht, ist sie automatisch füralle die Torfrau, und nicht der Tormann. Wird im Kindergarten etwas kaputt, versucht Leiterin Sandra Haas es zuerst selbst zu reparieren, damit die Kinder sehen, dass auch Frauen handwerkliche Aufgabenmeistern können. In jeder Gruppe sollte es einen
Kindergartenpädagogen mit einer Assistentin oder eine Kindergartenpädagogin mit einem Assistenten als Rollenvorbilder geben. Ein weiteres wichtiges Element im geschlechtssensiblen Kindergarten ist die Raumteilung. Im Unterschied zum herkömmlichen Kindergarten findet man bei Fun&Care weder eine rosarote Puppenecke noch eine traditionelle Bauecke. Das Spielzeug soll für alle Kinder gleichermaßen bereitstehen. Dazu gehört auch die bewusste Auswahl von Spielmaterialien. Aus durchsichtigen Plastikcontainern können sich die Kinder bunte Soft-Bausteine, Puppen oder Spielfiguren holen. In jeder Gruppe steht auch ein Kosmetikkorb bereit: Mit Schminkpinseln, Haarbürsten und leeren Haarshampooflaschen, die beim Öffnen noch nach Seife duften.

Auch dieses Spielzeug ist für Buben und für Mädchen. Und tatsächlich ist es ein Bub, der als erstes zur Bürste greift. Fest  entschlossen fährt David progress- Autorin Julia durch ihr langes, rot-braunes Haar: „Wenn ich fertig bin, werden deine Haare so lang und schön sein, wie die von der Rapunzel“, sagt er. Sekunden später ist Julia von vier Kindern umringt. Ihre Haare werden in Bereiche eingeteilt, sodass man sich beim Frisieren nicht allzu sehr in die Quere kommt. Ein anderer kleiner Junge beginnt ihr  Gesicht mit dem Schminkpinsel zu pudern. Zwei Mädchen leeren fiktives Shampoo auf ihren Kopf – die Kinder machen Julia schön. Vielleicht wolle er selbst irgendwann so lange Haare haben, überlegt David; da verwirft er den Gedanken auch schon wieder: Bei Mädchen sind lange Haare ja schön. Aber bei einem Buben? Da geht das nicht, stellt David fest.

Foto: Linnea Jänen

Verschiedene Einflüsse. Selbst wenn Eltern darauf achten, ihre Kinder fernab von Rollenklischees zu erziehen, werden sie spätestens im Kindergarten davon eingeholt. „Auch bei uns sind 90 Prozent der Mädchen rosa gekleidet. Das wollen wir den Kindern auch nicht wegnehmen – sie sollen sich aber nicht über die Farbe definieren“, sagt Kindergartenleiterin Haas. Bis zum Kindergartenalter  wird fast jedes Kind sagen, dass „die Mama“ die schönste Frau sei. „Das ist wirklich lieb und da antworten fast alle gleich“, erklärt Psychologin Ponocny-Seliger. Dann sind plötzlich Prinzessin Lillifee und Barbie schön und bei Buben ist vor allem Superman cool. Plötzlich gibt es eine Reihe von Einflussfaktoren: die Eltern, die KindergartenpädagogInnen oder andere Kinder, die ein Vorbild sein können. Wenn ein Mädchen dann ein rosafarbenes Röckchen anhat, wollen es die anderen auch. Und sie fordern es zu Hause auch ein. „Die Kinder dürfen hübsch sein, Prinzessin sein, ein Röckchen anhaben; es gibt aber adäquate Kleidung für bestimmte Zwecke. Wenn man in die Sandkiste spielen geht, ist eine Gatschhose wesentlich hilfreicher als einRock“,  sagt Cochlár.

In der Praxis des Kindergartens ist es nicht immer einfach, das Konzept der geschlechtssensiblen Pädagogik umzusetzen. „Natürlich wird niemand gezwungen. Wenn ein Mädchen rosa tragen will, ist das vollkommen in Ordnung. Die Farbe an sich ist ja nicht das Problem. Man muss den Kindern nur aufzeigen, dass es auch anders geht“, sagt Fun&Care- Leiterin Haas. Im Fasching versucht sie das Klischeeproblem geschickt zu umgehen: Damit es nicht nur Prinzessinnen und Cowboys gibt, werden immer wieder andere  Themen ausgewählt. Nicht nur Personen im direkten Umfeld beeinflussen die Kinder – im Fernsehen oder online sehen sie täglich, was schön ist: Barbies für Mädchen, Roboter für Jungen. „Kinder im Kindergartenalter wissen unterbewusst, welche Eigenschaften und Fähigkeiten sie ausbilden sollen, damit sie für ihr Geschlecht passend wahrgenommen werden“, sagt Claudia Schneider. Sie ist Leiterin des Vereins Efeu, der sich mit geschlechtssensibler Pädagogik beschäftigt. Kürzlich ist sogar eine neue Lego-Edition für Mädchen herausgekommen: Sie ist rosa, enthält fünf „Freundinnen“ als Spielfiguren, die ihre Zeit im Schönheitssalon, im Kaffeehaus und auf dem Reithof verbringen; bauen kann man damit kaum mehr etwas. „Begriffe wie ‚schön‘ oder ‚stark‘ sind sogenannte ‚Gender Codes‘, Eigenschaften, durch die eine von den zwei in unserer Gesellschaft verfügbaren Kategorien, nämlich männlich oder weiblich, ausgedrückt werden. Wir können diese Begriffe schnell einordnen, weil wir in diesem dualen Zweigeschlechtersystem  denken“, erklärt Schneider. Freiräume, in denen Kinder vieles ausprobieren können, hält sie für besonders wichtig. Sie erzählt von einem Kindergarten, wo ein männlicher Pädagoge mit den Buben der Gruppe Schönheitssalon spielte. „Das sind Erfahrungen, die Kinder oft so nicht machen können. Dafür einen geschützten Rahmen anzubieten, kann sehr produktiv sein.“

Zurück im Kindergarten wird ein Bub von den Mädchen zum Mutter-Vater-Kind-Spielen in die obere Etage eines einstöckigen Spielhauses  beordert. Er erhält Anweisungen, wie er das Puppenbaby richtig pflegen muss. Seit der eigenen Kindergartenzeit hat sich ja doch nicht alles geändert; nur wird heute viel bewusster mit den Kindern und den Rollen, in die sie gedrängt werden, umgegangen. Das tut den künftigen Astrophysikerinnen und Hausmännern gut.

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