Schön ist es

  • 26.12.2012, 14:53

Simon Sailer über Probleme der Kritik am „Lookismus“ und die Schönheit des Menschen.

Simon Sailer über Probleme der Kritik am „Lookismus“ und die Schönheit des Menschen.

Die Rede vom Schönheitsideal unterstellt, es gäbe ein Bild, eine ideale Vorstellung davon, was schön sei und was davon abweiche.   Genauer aber wird der Begriff im Plural verwendet, weil schon nach einem kurzen Blick klar sein dürfte, dass es, je nach Zusammenhang, eine Vielzahl solcher Idealvorstellungen gibt. Und dennoch hat diese Perspektive einen wahren Kern: Wer als schön beurteilt wird und wer nicht, ist keine ganz individuelle Angelegenheit. Es gibt Menschen, die finden nur sehr wenige schön, während sich bei anderen die allermeisten auf ein solches Urteil einigen können.

Jene Menschen, die im Allgemeinen für schön gehalten werden, erfreuen sich – natürlich wiederum im richtigen Zusammenhang – einiger Vorteile. In einer alten faschistischen Tradition wird von ihrem Aussehen auf ihren Charakter geschlossen, sie werden für ehrlicher und sympathischer gehalten und sind entsprechend erfolgreicher im Beruf wie im Privatleben. Sie kommen voran. Auch wenn es ihnen dabei nicht unbedingt besser geht, ist wohl einschränkend hinzuzufügen. Jedenfalls hat dieser Umstand, der Frauen stärker zu treffen scheint als Männer, einige dazu bewogen, eine neue Form der Diskriminierung zu erfinden: Lookism.

Schöne neue Welt. Die Kritik am Lookism nährt sich aus dem nachvollziehbaren und nicht völlig unberechtigten Impuls, die Ungerechtigkeit anzuprangern, die es aus liberaler Sicht bedeutet, wenn Menschen wegen einer Eigenschaft Nachteile erfahren, für die sie wenig können. Der Leitsatz des Liberalismus ist schließlich: „Jeder ist seines Glückes Schmied“, wobei nicht zufällig von Schmiedinnen keine Rede ist. Weil der um Erfolg kämpfende Mann immer noch nicht unbedingt ein zweiter David Beckham sein muss, um sich durchzusetzen, beinhaltet die Ablehnung von Lookismus auch die feministische Forderung nach Beteiligung an  gesellschaftlicher Macht.

Darüber hinaus wird kritisiert, dass bestimmte Körpernormen vorgeführt würden. Die Annahme lautet, dass sich Menschen genötigt fühlen, diesen Normen zu entsprechen, und Probleme haben, wenn sie ihnen nicht entsprechen können. Dabei sind die Darstellungen in der Werbung dermaßen bearbeitet, dass ihnen in der Wirklichkeit kein Mensch auch nur nahekommt. Somit  schwingt in dieser Perspektive ein vereinfachtes Verständnis von der Vorbildwirkung medialer Bilder mit. Die Auswirkungen von Werbung sind aber vermittelter und komplizierter. Sie zeugen eher von der Macht der werbenden Unternehmen, die sich solche  Werbung überhaupt leisten können, inklusive der Verfügung über menschliche Körper. Indem sich aber die Kritik auf diese Vorbildwirkung konzentriert, wird implizit das Schönheitsideal, das kritisiert werden soll, relativ genau bedeutet und bestimmt. Es wird gesagt: So soll „man“ sein und das lehnen wir ab. Der Befehl zur Anpassung ist in dieser Kritik enthalten.

Tabu Schönheit. Es wäre natürlich eine unmögliche und nicht wünschenswerte Alternative, gar nicht mehr darüber zu reden, was  schön ist und was nicht, und stattdessen alle als gleich attraktiv zu behandeln, obwohl alle insgeheim anders empfinden. Vielleicht muss in die andere Richtung gegangen und der Begriff von Schönheit genauer und bedeutungsvoller gefasst werden. Die  Wissenschaft, die zu Schönheit forscht, interessiert sich meist für subjektive Reaktionen und fragt danach, was Menschen als schön  empfinden und was nicht. Die meist gar nicht ernsthaft reflektierten Ergebnisse werden dann auf Gemeinsamkeiten  untersucht, daraus wird ein Bild der Schönheit erstellt. Dieses wird dann entweder als ewige Naturschönheit ausgegeben oder aber als zufälliger Geschmack der Gegenwart.

Beim Ergebnis dieser Studien setzt Reflexion erst an. Es offenbaren sich an dieser hilflosen Beforschung – ähnlich den unglücklichen  Versuchen, Glück zu messen – bereits einige Momente von Schönheit selbst. In der philosophischen Ästhetik haben  die Kategorien des Naturschönen und des Kunstschönen immer eine zentrale Rolle gespielt. Es handelt sich dabei um das, wonach  es klingt: Menschen sind ergriffen und bewegt zum einen von der Schönheit der Natur, die sie in ihrer Fremdheit und Größe  berwältigt. Ein ähnliches Gefühl kann durch Werke großer Kunst entstehen. Jedenfalls tritt uns auch Kunst mitunter als ein fremdes,  in sich verschlossenes und rätselhaftes Anderes entgegen. Beiden Varianten des Getroffenseins, jenem angesichts des Natur- wie des Kunstschönen, ist eine gewisse Haltung der Interessenlosigkeit gemeinsam: Die Natur wird in dem Moment nicht als zu  beackernder Boden oder zu rodender Wald gesehen und das Bild nicht als Gebrauchs- oder Verkaufsgegenstand.

Natur, Kunst,  Mensch. Aber wie verhält es sich nun mit der Schönheit der Menschen? Die Menschenschönheit ist ja weder Naturschönheit noch Kunstschönheit. Sie hat Elemente von beidem und ist doch keines ganz. Der Mensch ist kein Stück Natur und schon gar nicht seine  Schönheit. Die Schönheit der Menschen war seit jeher künstlich und abhängig von sozialen Bedingungen,   beispielsweise von Schmuck, der sozialen Status repräsentiert.Aber Menschen sind keine wandelnden Kunstwerke, niemand hat sie gemacht und sie bilden keine eigene Sphäre. Der Unterschied zwischen den Menschen, wenn sie einfach ihren alltäglichen Dingennachgehen, und einer Performance-Künstlerin – die ihren Körper für eine begrenzte Zeitspanne zum Kunstwerk macht – lässt diese Differenz greifbar werden.

Der Blick auf „schöne“ Menschen ist auch nicht zweckfrei. Bei den Dingen, gegen die sich der Vorwurf des Lookismus richtet, handelt es sich oft um ganz instrumentell kalkulierende Darstellungen: in der Werbung, in der Mode oder in Film und Fernsehen. Die schönen Menschen sind bloßes Mittel zum Zweck: Niemand bleibt vor einer Plakatwand staunend stehen und wird schmerzhaft  getroffen von der Schönheit der darauf gezeigten Menschen. Und falls doch, dann aus einem Gefühl der eigenen Kleinheit und Unzulänglichkeit, aber nicht aus dem Bewusstsein der Unzulänglichkeit der Welt. Vielleicht, weil die überlebensgroßen 2D-Körper  aus einer anderen Welt einem emphatischen, nachdrücklichen Sinn von Schönheit gar nicht entsprechen. Denn ein Element ernster  Schönheit ist der sehnsüchtige Schmerz. Der zweckfreie Blick richtet sich auf ein ganz bestimmtes Einzelnes und entdeckt seine Schönheit. Es ist ein erlösender Blick, der deshalb weh tut, weil der Gerechtigkeit, die dem Einzelnen durch ihn geschieht, die  allgemeine Ungerechtigkeit zu Grunde liegt. Die Erlösung des Einzelnen gemahnt schmerzhaft an die Möglichkeit der Rettung der Welt.

AutorInnen: Simon Sailer