Wir leben in einem sehr, sehr konservativen Land

  • 13.07.2012, 18:18

Dafür, dass Nationalratspräsidentin Barbara Prammer das zweithöchste Amt der Republik ausübt, ist sie sehr unbekannt. Ein politisches Porträt einer stillen Kämpferin.

Dafür, dass Nationalratspräsidentin Barbara Prammer das zweithöchste Amt der Republik ausübt, ist sie sehr unbekannt. Ein politisches Porträt einer stillen Kämpferin.

„Es sind nicht alle 183 so, wie einige wenige sich ständig darstellen“, sagt Barbara Prammer über die Abgeordneten des Hauses, dessen Chefin sie ist, und es klingt fast ein wenig liebevoll. „Aber da gibt es natürlich schon enorme KandidatInnen. Die könnte ich jetzt namentlich aufzählen, tue ich aber nicht, weil das ohnedies alle wissen.“ Gemeint ist damit natürlich unter anderem der dritte Nationalratspräsident und Mitglied der schlagenden Burschenschaft Olympia, Martin Graf (FPÖ). Trotz wiederholter demokratiepolitisch inakzeptabler Taten und Aussagen seit seiner umstrittenen Wahl ins Präsidium (so lud er unter anderem den rechtsextremen Professor Walter Marinovic als Redner ins Parlament ein) blieben alle Anträge zu seiner Abwahl  ohne Erfolg. Die jüngste Debatte zur Abwahl von Nationalratspräsident Graf entwickelte sich letztendlich gar zu einer Farce über die Frage, von wem sich die bei einem Parlamentarier-Fußballturnier nicht anwesende Präsidentin Prammer vertreten hätte lassen dürfen, um Grußworte auszusprechen. Nach 14 Stunden wurde die Sitzung geschlossen, eine Einigung über die Frage der Präsidenten-Abwahl musste wieder einmal vertagt werden. 

Junge Mutter. Aber Barbara Prammer, die als Nationalratspräsidentin das zweithöchste Amt im Staate trägt, hat gelernt, geduldig zu sein. Gerade was jene Themen betrifft, die sie laut eigener Aussage seit Beginn ihrer Karriere in den Mittelpunkt gerückt hat: „Frauenthemen, Demokratieentwicklung, internationale Politik – die sprödesten Themen überhaupt.“ Was die Frauenthemen betrifft, bekommt Prammer schon früh in ihrem Leben persönliche Gründe, sich zu engagieren: Kurz nach der Matura wird sie schwanger und arbeitet daraufhin als alleinerziehende Mutter am Gemeindeamt ihrer Heimatgemeinde Ottnang in Oberösterreich. Als stellvertretende Amtsleiterin muss sie bei einer Gemeinderatssitzung Protokoll führen und wird dabei Zeugin ihrer eigenen Diskriminierung. Bei der Sitzung wird beschlossen, dass der Mann, der an Prammer eigentlich Teile seiner Kompetenzen hätte abgeben müssen, mit einer Sekretärin ausgestattet wird, während sie auf dem niedrigeren Level weiterarbeiten soll. „Das war eines der eindrucksvollsten Ereignisse meines Lebens“, sagt Prammer heute, und auch der Grund, warum sie zu studieren begonnen habe. „Weil ich mir damals gedacht habe: Es reicht mir. Ich mag so nicht mehr weitertun.“
Heute würden Frauen im Gegensatz zu ihrer Generation etwas älter werden, bis sie die ersten Diskriminierungserfahrungen machten. Allerdings sei der öffentliche Druck und auch der Druck „von einer sehr männlich orientierten Gesellschaft“ noch immer enorm. Darum fordert Prammer sowohl Frauenquoten als auch wieder mehr Kampagnen, denn „wir leben in einem sehr, sehr konservativen Land und es ist vieles in den Köpfen der Menschen noch nicht drinnen. Wenn ich immer noch höre, wie lange die Frauen zuhause bleiben müssen, weil sonst die Kinder missraten werden.“ Und verantwortlich und schuld wenn irgendwas schief geht seien sowieso nur die Frauen – „das ist ja alles zum wahnsinnig werden mittlerweile.“ 

Objektive Wahrheit? Bei diesen Worten wird Prammers Stimme laut und es ist spürbar, wie sehr ihr das Thema nahegeht. Zur Zeit des Frauenvolksbegehrens war Prammer selbst Frauenministerin unter Viktor Klima und musste miterleben, wie nach der schwarz-blauen Wende als eine der ersten Maßnahmen das Frauenministerium abgeschafft wurde. Dann nimmt sie sich aber wieder zurück. Sie hat ja mittlerweile auch einen anderen Job. Und in diesem hat Prammer genug zu tun: Am 30. Juni sollen die Klubs über eine Ausweitung der beruflichen Immunität von Abgeordneten abstimmen. Prammer setzt sich außerdem schon länger für eine Reform der Geschäftsordnung des Nationalrates bei Untersuchungsausschüssen ein. Nach deutschem Vorbild des sogenannten Organstreitverfahrens soll demnach die parlamentarische Minderheit von einem Viertel der Abgeordneten die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verlangen können. Auch wenn die Einzelheiten dieser Reform derzeit noch ausgehandelt werden müssen, soll sie im Sommer über die Bühne gehen. Ein weiterer ausstehender Punkt ist natürlich die anstehende Totalrenovierung des Parlaments, die nun effektiv erst 2013 begonnen werden kann. „Wer nicht gut plant, hat schlecht gebaut“, verteidigt Prammer den späten Baubeginn und weckt so einmal mehr den Eindruck, als gehöre es zu den höchsten Tugenden einer Nationalratspräsidentin, sich unermüdlich in Geduld zu üben.
Immerhin, in mehreren für sie wichtigen Punkten konnte Prammer seit ihrem Antritt bereits große Erfolge verbuchen. Erstens sei das Parlament „um ein vielfaches weiblicher geworden“, freut sich Prammer. Von zwei VizedirektorInnen sei jetzt eine eine Frau, von sieben Dienstleistenden seien drei Frauen und vier Männer, bei den Abteilungsleitungen sei man bei rund 40 Prozent angelangt. Eine zweite wichtige Änderung im Hohen Haus unter der Nationalratspräsidentin Prammer ist die Öffnung des Hauses für die Bevölkerung durch regelmäßige Veranstaltungen zu demokratiepolitischen Themen, Lesungen und Ähnlichem. Als ihr „neues Steckenpferd neben der Frauenpolitik“ bezeichnet Prammer die Demokratiebildung für den jüngeren Anteil der Bevölkerung. Im Parlament wird diese in Gestalt der 2007 von Prammer ins Leben gerufenen Demokratiewerkstatt verwirklicht (siehe S. 14), mit beinahe täglich stattfindenden Workshops für Kinder zu Demokratiepolitik und Medien. „Das, was wir den Kindern vermitteln müssen, ist, dass sie kritisch sind, dass sie alles kritisch hinterfragen.“ Während Prammer über dieses Thema spricht, kommt sie mehr und mehr in einen Redeschwall, der in scharfen Worten gipfelt: „Es gibt keine objektive Wahrheit in der Politik.“

 

AutorInnen: Cornelia Girardi