Unbescholtenheit schützt nicht vor Haft

  • 20.09.2012, 16:39

Fehlurteile oder strittige Terrorismusparagraphen können für Unschuldige Gefängnis bedeuten. Auch Menschen, die in Österreich Schutz vor Verfolgung suchen, sind davon immer wieder betroffen: Schubhaft.

"In Tschetschenien wurde ich zwei Jahre lang im Gefängnis gefoltert. Nachdem ich mit Hilfe meiner Familie freigekommen bin, habe ich das Land verlassen“, erzählt der 32Jährige Lukas Kerimov*. Anfang 2007 hat er Österreich erreicht, um Schutz vor Verfolgung zu suchen. Sein erster Asylantrag wurde negativ beschieden, kurz darauf wurde er in Haft genommen ohne ein Verbrechen begangen zu haben.
Österreichweit befanden sich 2010 laut Angaben des Innenministeriums rund 6000 Personen in Schubhaft. Diese Form der Haft wird etwa dann verhängt, wenn die Republik Schutz vor Verfolgung verweigert. Kritik an der Schubhaft-Praxis ist vielschichtig und kommt nicht nur von (ehemaligen) Inhaftierten sondern auch von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen. Judith Ruderstaller vom Verein Asyl in Not stellt fest: „Das ist keine Strafhaft, diese Menschen haben nichts angestellt. Deswegen sollte man sie auch nicht wie Strafgefangene behandeln“.

Rudstaller weiß einiges über die Zustände in diesen Gefängnissen zu berichten: „KlientInnen beschweren sich zum Beispiel regelmäßig über die Gesundheitsversorgung. Einer hatte in der Haft einen Bandscheibenvorfall mit sehr starken Schmerzen. Von Woche zu Woche ist es ihm schlechter ergangen. Er hat mir gesagt: Die Amtsärztin macht nichts. Sie hilft mir nicht.“ Auch der österreichische Menschenrechtsbeirat kritisiert Mängel bei der medizinischen Versorgung von Schubhäftlingen und beklagt insbesondere, dass es immer noch zu wenig qualifiziertes ärztliches und psychologisches Personal gäbe.

„Freiwillige“ Rückkehr. Als ihn die Polizei abholte um ihn in das Schubhaftgefängnis am Hernalser Gürtel in Wien zu bringen, verstand Kerimov zunächst gar nicht, warum das geschah. „Ich wollte einfach nur raus, nicht abgeschoben werden“. Ruderstaller stand mit ihm eine Zeit lang in engem Kontakt und vermittelte für ihn bei Verfahrensangelegenheiten. Sie beklagt besonders die Betreuungssituation der Menschen in Schubhaft: „Bei der Betreuung ist der Verein Menschenrechte das größte Problem. Sie schreiben eigentlich kaum Schubhaftbeschwerden, sondern machen ausschließlich Rückkehrberatung. Das entspricht nicht der EU-Richtline. Nach dieser müsste es eine Rechtsberatung in den Anstalten geben. Das hat dieser Verein in der Vergangenheit aber kaum oder mangelhaft gemacht“. Der Verein Menschenrechte Österreich wird, unter anderem, vom Innenministerium finanziert und betreut in dessen Auftrag österreichweit rund 92 Prozent der Schubhäftlinge. Seit 1. Dezember gibt es auch in Österreich eine verpflichtende Rechtsberatung für Schubhäftlinge. Auf die Frage, ob sie sich von der Praxis des Vereins Besserung erwartet, da es nun eine verpflichtende rechtliche Beratung gebe, bekräftigt Ruderstaller ihre Kritik: „Ich befürchte, sie werden wahrscheinlich die gleichen Leute wie vorher nehmen, die zumeist keine juristische Ausbildung haben.“

Kritik des UNHCR. Die mangelhafte Rechtsberatung in den Schubhaftanstalten hat in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass die Interessen von AsylwerberInnen keine angemessene Vertretung bekommen haben. Auch Kerimov war damit konfrontiert: Im Schubhaftgefängnis wollte er eigentlich eine Beschwerde gegen seinen negativen Asylbescheid und seine Inhaftierung einlegen. Anstatt von den zuständigen BetreuerInnen Unterstützung zu bekommen, wurde ihm die freiwillige Rückkehr nach Tschetschenien nahegelegt. „Sie wollten, dass ich etwas unterschreibe. Ich habe nicht gewusst, was ich unterschreiben sollte. Sie sagten, ich muss unterschreiben. Später habe ich dann erfahren, dass sie wollten, dass ich freiwillig zurückkehre.“ Die Praxis der Rückkehr- und Rechtsberatung des Vereins Menschenrechte Österreich wird auch von der UNHCR (Hohes Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen) kritisiert: Für einen Bericht aus dem Jahr 2008 wurden österreichweit Einzelgespräche mit SchubhaftInsassInnen geführt. Es stellte sich heraus, dass sämtliche Befragten, die vom Verein betreut wurden, nicht wussten, warum sie in Schubhaft genommen worden waren.

Hungerstreik. Nicht nur Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen protestieren gegen Schubhaft und die Bedingungen in den Anstalten, vor allem die SchubhaftinsassInnen selbst greifen immer wieder zu drastischen Mitteln, um gegen ihre Inhaftierung zu kämpfen. Hungerstreiks sind keine Seltenheit. Manche Schubhaftgefängnisse haben eigene Räumlichkeiten für Hungerstreikende eingerichtet, die Anstalt am Hernsalser Gürtel sogar ein eigenes Stockwerk. Auch Kerimov ist kurz nach seiner Inhaftierung in Hungerstreik getreten. Er wurde aufgrund des bedrohlichen Verlusts an Körpergewicht für haftunfähig erklärt. Kurze Zeit nach seiner Entlassung hat er mit Hilfe von Judith Ruderstaller und dem Verein Asyl in Not Beschwerde gegen seinen negativen Asylbescheid eingelegt.
Als Alternativen zur Schubhaft haben die Behörden seit 2005 eine weitere Befugnis bekommen: das „Gelindere Mittel“. Dieses kann im Ermessen der Behörden anstatt einer Schubhaft verhängt werden und übergibt AsylwerberInnen, etwa wenn sie einen negativen Asylbescheid bekommen haben, in betreute Einrichtungen, in denen sie sich frei bewegen können. Sie können diese auch verlassen, müssen sich aber regelmäßig bei der Polizei oder einer Betreuungsperson melden. Laut Innenministerium wurde das Gelindere Mittel 2010 bereits in ca. 1400 Fällen angewandt. Den Menschen in diesen Einrichtungen droht aber nach wie vor die Abschiebung. Das „Gelindere Mittel“ ist kein Ersatz für ein faires Asylverfahren, das der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen würde.

Der Beschwerde von Lukas Kerimov wurde schließlich Recht gegeben. Seit 2009 hat er eine gültige Aufenthaltsbewilligung. In ungefähr sechs Jahren möchte er die österreichische StaatsbürgerInnenschaft beantragen.

Der Autor studiert Internationale Entwicklung.

* Die Angaben zur Person wurden auf Wunsch von der
Redaktion geändert.

AutorInnen: Georg Sattelberger