Thomas Bernhard schtirbt.

  • 13.07.2012, 18:18

„Hier in Österreich blockieren ein paar machtgierige und größenwahnsinnige alte Männer alles um sie herum und es ist erstaunlich, wie lange sich vor allem die jungen Menschen in diesem stinkenden Staatskessel das gefallen lassen. Als gäbe es keine Jugend!“

Rezension

„Hier in Österreich blockieren ein paar machtgierige und größenwahnsinnige alte Männer alles um sie herum und es ist erstaunlich, wie lange sich vor allem die jungen Menschen in diesem stinkenden Staatskessel das gefallen lassen. Als gäbe es keine Jugend!“
Die Rede ist nicht von heute, sondern von 1981. Und es spricht kein alt gewordener Staatskünstler, kein mild gewordener Revolutionär und auch kein wild gewordener Reformer, sondern ein früh Gestorbener, dessen Tod, so scheint es, vielen auf keinen Fall zu früh kam.
Heuer wäre Thomas Bernhard achtzig Jahre alt geworden, sein runder Geburtstag wird merklich gewürdigt. Auch heute noch ist der „Alles-und-alle-Beschimpfer“ eine Attraktion unter Verständigen, ein Säulenheiliger unter Unverständigen und ganz sicher eine nationale Schande unter ewig Unverstandenen.
Angesichts solcher virtueller Geburtstage (gerade in einem Land wie Österreich, in dem das Gedenken ja eine Tugend und das Denken eine Untugend ist) kommen allerdings immer wieder Fragen auf: Etwa ob denn der „frühe“ Tod nicht auch erst das Gedenken hervorgerufen hat, ob denn ein „später“ Abgang den Betreffenden nicht in die Vergessenheit hätte sterben lassen. Solche Fragen sind müßig; hingegen die Frage, ob Bernhard heute noch Aktualität besitzt, ob man ihn heute noch nicht revidiert hat, kann in Hinblick auf diese Kommemoration durchaus gestellt werden. Und tatsächlich, viele heute noch überraschend gültige Ausrufe finden sich in einer vom Suhrkamp Verlag erstmals in dieser Form präsentierten Überdenkschrift. Es wird einem grausig, wenn man Bernhard beschwören hört, „ob Diktatur oder Demokratie – für den Einzelnen ist im Grunde alles gleich schauerlich. Zumindest bei näherer Betrachtung.“

Der Wahrheit auf der Spur sammelt Selbstinszenierung und Selbstoffenbarung, und Selbstaufbahrung des gewaltigen Autors. In der heutigen Zeit hat der Sumpf eben ein anderes Schlaglicht, er ist nicht mehr rot wie bei ihm, sondern schwarz wie bei uns. Die nun vorliegende Sammlung von Thomas Bernhards Öffentlichkeitsauftritten erklärt in eleganter Kohärenz seinen Kampf gegen den Staat und das ästhetische, mehr noch, das kulturelle Unverständnis seiner spießbürgerlichen Beamten. Natürlich verliert der brave „Skandalautor“ auch das eine oder andere Wort zuviel, weiß gleich einem verwöhnten Kind (einem Fratz!) nicht, wann Schluss sein soll. Wenn auch zugegebenermaßen die Beschreibung Kreiskys als „kleinbürgerlicher Salonsozialist“ im unverdienten Ruhestand sicher eine gewollt zu starke Polemik ist, man liest auch bei Bernhard ebenjene angeklagte Kleinbürgerlichkeit heraus; weltmännische Kritik von einem Mann mit Hang zum Biedermeierversteckspiel ist wohl nicht sehr glaubwürdig.

Jedoch genau die harsche Kritik an Kreisky und später dann auch an Vranitzky erlaubt die Frage, ob er heute wohl noch gut gewesen wäre, das heißt, ob er denn nicht wirklich besser damals an einem zu schwach schlagenden Herzen als heute an einem zu stark (zu)schlagenden Hirn gestorben ist. Wenn Bernhard schon unter diesen beiden zu leiden hatte, wie hätte er wohl mit Pröll und Faymann leben können. Wie hätte er als antikatholisches ÖVP-Mitglied und Naziallergiker die blau-schwarzen Jahre überdauert?
Nichtsdestotrotz möchte man Bernhard einfach als einen Mann mit gesunden Emotionen sehen, denn wo Liebe ist, da ist auch Hass. Er liebe Österreich, weil er nicht anders könne, sagte er. Bloß ist es hart für einen ernsten Menschen, in einem Land zu leben, in dem „man alles Ernsthafte zum Kabarett macht“. Denn, „jeder Ernst wandert auf die Witzseite, und so ertragen die Österreicher den Ernst nur als Witz“. Und was in anderen Ländern eben ein Rücktrittsgrund ist oder Richtern eine Verurteilung wert, das ist in Österreich ein Witz, nach wie vor.

AutorInnen: Philipp Wieser