Studieren mit Verfallsdatum

  • 12.05.2013, 22:18

Hier und da mal einen Kurs verschoben, die Prüfung nicht geschafft oder neben dem Studium zu viel gejobbt – und plötzlich hat das Alter eine_n eingeholt und damit auch die Mindeststudienzeit. Stress und erhöhter Leistungsdruck sind oft die Folge, dabei liegt die Durchschnittsstudienzeit meist weit über der vorgesehenen Studiendauer.

Hier und da mal einen Kurs verschoben, die Prüfung nicht geschafft oder neben dem Studium zu viel gejobbt – und plötzlich hat das Alter eine_n eingeholt und damit auch die Mindeststudienzeit. Stress und erhöhter Leistungsdruck sind oft die Folge, dabei liegt die Durchschnittsstudienzeit meist weit über der vorgesehenen Studiendauer.

An den Hochschulen ist die Angst, noch während dem Erststudium zu alt zu werden, allgegenwärtig. Wenn man im Alter von 25 Jahren dem eigenen Namen keinen Titel vor- oder nachstellen kann und, mit wesentlich jüngeren Studierenden im Kurs sitzt, wird es für viele zumindest im eigenen Kopf kritisch.

Stefanie Marx ist 28, sie studiert im elften Semester Germanistik. Älter als ihre Mitstudierenden war sie aber bereits, als sie mit dem Studium begonnen hat. Nach dem Schulabschluss entschied sie sich zu einer Ausbildung als Hotelfachfrau, arbeitete drei Jahre in diesem Bereich und begann dann zu studieren. „Ich war unzufrieden mit meiner Arbeit, die Gastronomie ist zwar eine Zeit lang ganz spaßig, aber auf Dauer eher unbefriedigend“, erzählt die Bezieherin eines Selbsterhalter_innenstipendiums. Dass sie studieren wollte, war für sie immer klar, die Unterstützung hätte jedoch gefehlt. Mit 24 nahm sie den Traum vom Studium selbst in die Hand. „Es ging mir eigentlich nicht darum, was ich studiere, sondern um das Studieren an sich“, erinnert sich Marx. Die Entscheidung für das Germanistikstudium hatte wenig mit einer Verbesserung ihrer Arbeitsmarktchancen zu tun. Schließlich „war klar, dass die Studienwahl Germanistik nicht die besten Berufsperspektiven bietet“.

Laut der Studierenden-Sozialerhebung 2011 geben Studierende, deren Studiendauer sich voraussichtlich über die Regelstudiendauer hinaus verzögern wird, zu 54 Prozent studienerschwerende Stressfaktoren und zu 51 Prozent psychische Beschwerden an. Im Vergleich zu Studierenden, deren Studienzeit sich voraussichtlich nicht verlängern wird, wirken sich besonders Leistungsdruck, Versagens- und Existenzängste verzögernd aus.

Heute wird vermittelt, dass für das ominöse „Danach“ – die Epoche, wenn das Studium endlich abgeschlossen ist – während der Studienzeit an nicht-studienspezifischen Erfahrungen gespart werden muss. Später ist schließlich auch noch Zeit. Stattdessen gilt es in Zusatzangebote Zeit und Energie zu investieren, um nachher möglichst wirtschaftlich verwertbar zu sein: sei es die dritte Fremdsprache oder das Jahr im Ausland. So schnell wie möglich soll das Masterstudium an den Bachelor angehängt, das Praktikum gemacht und man selbst für den Arbeitsmarkt perfekt gefeilt werden. Dabei hat sich die Bedeutung der Studiendauer in den letzten Jahrzehnten stark geändert. So musste man früher noch mindestens die angegebene Semesteranzahl studieren. Wer ein Studium schneller abschließen wollte, musste dies explizit beantragen – schließlich vertrat man die Auffassung, es brauche eben mindestens eine gewisse Semesteranzahl, um die jeweilige Disziplin zu meistern. Zwar lag früher die Durchschnittsstudienzeit auch über der Mindeststudienzeit, aber noch nie klaffte beides so weit auseinander wie heute. Während beispielsweise für das Bachelor-Studium Raumplanung an der Technischen Universität Wien die Studierenden durchschnittlich drei Semester länger brauchen, lag die durchschnittliche Studiendauer im Diplomstudium Geschichte jahrelang bei 13 Semestern statt bei den heute vorgegebenen acht.

Zwischen Schein und Sein. Das Bild der Studierenden, das medial vermittelt wird, schwankt stark: zwischen „Bummelstudierenden“, die hauptsächlich in der Sonne liegen und gegen alles und jeden demonstrieren, auf der einen Seite und dem konstruierten Idealbild der „Lebenslaufoptimierer_ innen“, die sich in Mindeststudienzeit mehrere Studienabschlüsse und Zusatzqualifikationen hart erarbeiten, auf der anderen Seite. Die Realität liegt aber wohl dazwischen. Die Gründe dafür, dass Studierende in Österreich ein Studium aufnehmen, sind vielfältig und spiegeln die Heterogenität der Studierenden wider. In der Sozialerhebung wird das Studienmotiv „Interesse am Fach“ auf einer fünfstufigen Skala im Durchschnitt mit 4,7 bewertet.

Auch für Anna-Chiara Barta waren die Berufsaussichten wenig ausschlaggebend: „Ein Studium an der Uni anzufangen, war wichtig für mich, um mich selber weiterzubilden“, erzählt sie. Ihre Eltern setzten sie zwar nicht unter Druck, ein Studium zu beginnen, aber dass ihre ältere Schwester bereits einen Uniabschluss hatte, war doch ein Faktor. Die 18-Jährige absolviert gerade die Studieneingangs- und Orientierungsphase (StEOP) an der Universität Wien – im zweiten Durchgang. „Ich bin bei einer Prüfung nicht angetreten, damit habe ich mein Toleranzsemester quasi schon aufgebraucht“, meint sie. Mit dem Abschluss in Mindestzeit wird es daher eher nichts. Die Studienwahl fiel bei ihr nach Interesse aus: Biologie und Theater-, Film- und Medienwissenschaften. Letzteres allerdings nur für etwa zwei Wochen: „Es war einfach nicht das, was ich mir vorgestellt habe.“ Ob sie Biologie zu Ende machen wird, ist unklar. „Geplant habe ich den Abschluss schon, aber vielleicht verlagern sich meine Interessen noch“, meint die Zweitsemestrige. Jetzt will sie Erfahrungen sammeln und vielleicht auch ins Ausland gehen.

Raus hier. Etwa ein Fünftel der Studierenden hat bereits ein Auslandssemester oder Auslandspraktikum absolviert. Weitere 15 Prozent planen noch einen Auslandsaufenthalt. Je älter die Studierenden sind, desto häufiger haben sie studienbezogene Auslandserfahrungen gemacht, die Mobilitätsaffinität sinkt jedoch mit dem Alter stetig.

Bereits relativ am Ende ihres Bachelor-Abschlusses steht Kristina Heidlinger. Die 20-jährige studiert im fünften Semester Informatik an der Technischen Universität Wien und braucht „nur noch ein paar Prüfungen“ für den Abschluss. Dass diese in einem Semester bewältigbar sind, zweifelt sie an, aber über das Toleranzsemester wird sie wahrscheinlich nicht kommen. Ein Auslandsaufenthalt ist schon fix einberechnet – aber eher im Master oder in ihrem Zweitstudium Politikwissenschaften. Dieses hat sie begonnen, weil ihr das Informatik-Studium alleine „etwas zu einseitig“ wäre. Dort ist sie im zweiten Semester. Dass sich ein Doppelstudium wahrscheinlich positiv auf Heidlingers Lebenslauf auswirken wird, ist ihr egal: „Es ging mir um das Interesse am Fach. Mit Informatik alleine hat man, denke ich, schon recht gute Chancen am Arbeitsmarkt.“ Neben ihren beiden Muttersprachen Deutsch und Slowakisch, spricht sie auch Englisch und Französisch, nun soll auch Schwedisch dazukommen.

Bummeln über der Mindeststudienzeit. Als Marx ihr Studium begonnen hat, hatte sie „keine Ahnung von der Institution Universität“. Sie kam aus einem 40-Stunden-Job und fand es sogar „etwas erschreckend, nur fünf Mal in der Woche dorthin zu müssen“. Wie viel Arbeit es ist, Seminararbeiten zu schreiben und für Prüfungen zu lernen, erkannte sie erst später: „Ich dachte, das geht ja in Windeseile, da muss ich ja schon in drei Jahren fertig sein.“ Nach den ersten Semestern wurden die Seminare anspruchsvoller und Marx ,,wurde‘‘ klar, dass es „unglaublich zeitaufwendig ist, ein Studium zu betreiben“. „Von Leuten, die ‚nur’ arbeiten, höre ich oft, dass ich als Studentin doch gar nichts zu tun hätte“, meint Barta. Dieses Semester muss die Studienanfängerin schließlich gar nicht auf die Uni – ihre Vorlesungen werden gestreamt. „Ich muss halt meinen Kopf anstrengen, auch wenn ich nicht auf der Uni sitze. Man hat ständig den Druck, Prüfungen zu schaffen. Gerade jetzt in der StEOP, die eine wichtige Entscheidung ist, wie’s mit meinem Studium weitergeht.“

Schnell Studieren für die Beihilfen. Neben psychologischen Problemen bei Studierenden mit höherer Studiendauer, kommt auch zusätzlicher Stress aufgrund ökonomischer Bedingungen hinzu. Im Durchschnitt liegt das Alter von Studierenden bei 27 Jahren. Für viele hat das seit einigen Jahren auch finanziell negative Folgen Im Oktober 2010 beschloss die Regierung, den Bezug der Familienbeihilfe mit Ende des 24. Lebensjahres zu streichen. Für Stipendien und andere Förderungen zählt die Studiendauer: Mindeststudienzeit plus Toleranzsemester, sonst muss man sich selbst um das gesamte Einkommen kümmern. „Bei mir ist es tricky geworden, als ich ein Selbsterhalter_innenstipendium bekommen habe. Da musste ich die vorgegebenen Semester einhalten“, erzählt Marx: „Dabei war aber nicht der Lernaufwand stressig, sondern die große Angst vorm finanziellen Prekariat.“

Vor dem Studium ist nach dem Studium. Was nach dem Studienabschluss kommt, steht für Barta noch in den Sternen: „Ich denke jetzt schon ein bisschen an das, was nach dem Studium kommt. In den Naturwissenschaften ist es eher schwierig, in die Forschung zu gehen, aber noch ist das weit weg. Ich bin ja erst in der StEOP“, meint Studienanfängerin Barta entspannt: „Ich glaube aber, das wird sicher noch kommen, wenn der Abschluss näherrückt.“

Bei Marx ist das schon passiert: „Nach dem Studium will ich jedenfalls noch ein Doktoratsstudium anhängen. Ich überlege, weiter wissenschaftlich zu arbeiten, vielleicht an der Universität zu bleiben.“ Dass sie ihr Studium nicht in der Mindestdauer absolviert, hält Marx für kein Hindernis. „Ich denke nicht, dass es in den Geisteswissenschaften so ist, dass die Person, die am schnellsten studiert, den Job bekommt, sondern andere Merkmale und Attribute zählen.“ Ab einem gewissen Alter gibt es jedoch trotzdem den Zwang sich zu rechtfertigen.

Um wissenschaftlich tätig zu sein, steht für sie als nächstes ein Praktikum bei einem Wissenschaftsverlag an. Somit tut sie es 43 Prozent ihrer Studienkolleg_innen gleich, die während ihrer Studienzeit schon mindestens ein Praktikum absolviert haben. Von ihnen hat ein Fünftel bisher ausschließlich freiwillige Praktika, weitere 15 Prozent ausschließlich Pflichtpraktika im Rahmen des Studiums und acht Prozent bereits Erfahrung mit beiden Arten gemacht. Auch Heidlinger hat bereits ein Praktikum absolviert. Zwei Monate unterstützte sie im Sommer 2012 eine Abteilung für Wirtschaftsinformatik. In dieser Zeit wurden Kontakte geknüpft und ein Überblick über das Unternehmen geboten. „Es war allerdings etwas, wo ich mir im Nachhinein sicher bin, dass ich es nicht machen will – daher waren das wohl nicht die wertvollsten Kontakte“, meint Heidlinger.

Dass es wesentlich wichtiger ist, auch andere Erfahrungen neben dem Studium zu sammeln, scheint für die meisten Studierenden zu stimmen. Marx ist beispielsweise in der Studienvertretung aktiv: „Natürlich lernt man dabei schnell Leute kennen und knüpft Kontakte. Das passiert zwar nicht auf der wissenschaftlichen Ebene, aber man tut sich bestimmt leichter nachher.“ Heidinger knüpft an: „Wer weiß, wie es später ist. Ich denke allerdings, dass ich mein ganzes Leben lang nebenbei studieren werde, weil ich das einfach so gerne mache.“

AutorInnen: Oona Kroisleitner