Sterne, Pfeile, Kreuze und ein Haken

  • 13.07.2012, 18:18

Am staatlich finanzierten Museum „Haus des Terrors“ lässt sich der ideologische Kurs der ungarischen Regierung ablesen. Die Gleichsetzung von Stalinismus und Nationalsozialismus und die Darstellung der ungarischen Nation als rein gebliebenes Opfer ebnen den weg für die Bekämpfung von Linken und Liberalen.

In der Mitte des Raumes mit dem Titel „Doppelte Besatzung“ steht eine zweiseitige Videowand. Auf der einen Seite sind Aufnahmen von einer stalinistischen Propagandaveranstaltung zu sehen, von der Roten Armee im Krieg und von Toten im Gulag-Lager. Auf der anderen eine Hitler-Rede vor jubelnden Massen, die Wehrmacht im Krieg und Leichenberge aus dem KZ Bergen-Belsen. Diese Art der Gleichsetzung und der Darstellung Ungarns als Spielball fremder Mächte zieht sich in der Folge durch die gesamte staatlich geförderte Ausstellung, die seit 2002 im Budapester „Haus des Terrors“ zu sehen ist.
Für die ungarisch-deutsche Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky ist das Ausdruck eines „narzisstischen völkischen Denkens“. Im Gespräch mit PROGRESS sagt sie: „Es seien immer Andere, immer die großen Mächte gewesen, die die Nation ins Unheil gestürzt haben. Die Ungarn seien heilig und unschuldig geblieben. Das ist der Grundtenor der Ausstellung“.

Historische Kontinuität.

In dem alten Museumsgebäude, das sich wenige Meter von der Staatsoper auf einer der prachtvollsten Alleen Budapests befindet, errichtete die ungarisch-nationa lsozia listische Pfeilkreuzlerpartei 1944 ihr Hauptquartier. Nach Kriegsende und bis zum Aufstand 1956 verwendete die stalinistische Geheimpolizei das Haus, um darin vermeintliche DissidentInnen zu inhaftieren, unter Folter zu verhören und zu exekutieren.
Heute besuchen etwa 1000 bis 1500 Menschen täglich die Ausstellung. Sie erstreckt sich über zwei Obergeschosse und den Keller, wo einige Gefängniszellen rekonstruiert wurden. Jeder der 36 Ausstellungsräume ist einem bestimmten thematischen Schwerpunkt gewidmet, nur drei davon jedoch dem Nationalsozialismus. Die Abfolge der Räume entspricht nicht der historischen Chronologie und lässt so die Grenzen zwischen den politischen Systemen weiter verschwimmen.

Historische auslassungen. In den Textblättern zu den Räumen über die Pfeilkreuzler-Partei der ungarischen Nazis erscheint die Shoah im Wesentlichen als ein Werk von Adolf Eichmann, dem für die Shoa zentral mitverantwortlichen Obersturmbannführer der SS, und seinen unmittelbaren Untergebenen. Im Museum des Budapester Holocaust-Dokumentationszentrums wir dagegen darauf hingewiesen, dass Eichmanns Kommando aus gerade einmal 150 Personen bestanden hat. „Ohne die aktive, initiativenreiche Mithilfe und unermüdliche Arbeit des fast 200.000 Personen umfassenden Apparats der ungarischen Polizei, Gendarmerie und öffentlichen Verwaltung “, heißt es dort, „wäre es unmöglich gewesen, hunderttausende Menschen innerhalb weniger Wochen zu ghettoisieren und deportieren“.
Der ungarische Antisemitismus vor dem Einmarsch der Wehrmacht wird in der Ausstellung und dem Begleitmaterial des „Haus des Terrors“ überhaupt ausgeklammert. Dabei wurde bereits 1920 im konservativen volksnationalen Regime unter Miklós Horthy ein Numerus Clausus erlassen, der eine Beschränkung des jüdischen Anteils der Studierenden auf sechs Prozent vorsah. Die Bestimmung wurde zwar 1928 aufgehoben, dafür folgten ab 1938 weitere, deutlich schärfere antisemitische Gesetze.
Darauf angesprochen, sagt die Direktorin des „Terrorhauses“, Mária Schmidt, im Gespräch mit PROGRESS

: „Wenn Sie sich für die Numerus-Clausus-Gesetze und für die Juden-Gesetze interessieren, dann gehen Sie bitte zum Holocaust-Museum.“ Ungarn sei kein so reiches Land, dass mehrere Museen die selbe Geschichte erzählen könnten. Und warum die Schwerpunktsetzung auf den Realsozialismus? „Wir wollten einerseits die Geschichte der kommunistischen Diktatur erzählen“, so Schmidt, „und andererseits die Geschichte des Hauses, wo beide totalitären Diktaturen einen wesentlichen Ort hatten. Die Pfeilkreuzler haben das Gebäude nur einige Monate als ihre Zentrale benutzt und die kommunistische Staatssicherheitspolizei ein ganzes Jahrzehnt.“
Schmidt ist Historikerin und hat bis zum Jahr der Museumseröffnung als Beraterin des inzwischen wiedergewählten Ministerpräsidenten Viktor Orbán gearbeitet. Ihr jetziges Verhältnis zu seiner Fidesz-Partei bezeichnet sie im Interview als „sehr gut“. In einem Artikel von 2001 beschreibt sie den Kampf gegen den Antisemitismus als ein taktisches Ablenkungsmanöver liberaler und linker intellektueller Eliten. Sie hätten damit ein Phantom konstruiert, weil es nicht in deren Interesse gelegen habe, „die Geschichte Ungarns im 20. Jahrhundert im Licht nationaler ungarischer Interessen neu zu bewerten“.
Diese nationalistische Neubewertung entspräche allerdings der Strategie der Regierung, so Marsovszky. „Der Antikommunismus und der Antiliberalismus werden in einer subtilen Weise geschürt, um sie gegen heutige Linke und Liberale einsetzen zu können.“ Mit Erfolg: „Das Haus des Terrors, die Stiftung dahinter und Mária Schmidt sind mit dem Ungarischen Geschichtsbild voll im Einklang.“