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  • 13.07.2012, 18:18

Der neoliberale Ökonom Pascal Salin war Präsident der so mächtigen wie klandestinen Mont Pelerin Society und spricht normalerweise nicht mit Medien. Das PROGRESS hat die Gelegenheit erhalten, eine der seltenen Ausnahmen abzudrucken. Salin spricht Tacheles. Das Gespräch mit ihm wird ergänzt durch Dieter Plehwe, der sich am Wissenschaftszentrum Berlin mit der Mont Pelerin Society beschäftigt.

Der neoliberale Ökonom Pascal Salin war Präsident der so mächtigen wie klandestinen Mont Pelerin Society und spricht normalerweise nicht mit Medien. Das PROGRESS hat die Gelegenheit erhalten, eine der seltenen Ausnahmen abzudrucken. Salin spricht Tacheles. Das Gespräch mit ihm wird ergänzt durch Dieter Plehwe, der sich am Wissenschaftszentrum Berlin mit der Mont Pelerin Society beschäftigt.

Zur Vorgeschichte: Im November erschien in der Financial Times Deutschland ein viel beachteter Artikel. Das Ende unseres Währungssystems stehe bevor, der Währungskrieg sei bereits ausgebrochen, insinuierte der Text mit dem Titel „Die Geldrevolutionäre“. Für die Zeit nach dem Währungs-Supergau wird die Einführung des „freien Marktgeldes“ als Alternative präsentiert. Somit stehe es allen Menschen frei, ihr Geld selbst zu wählen, jederzeit Banken zu gründen und neue Währungen zu schaffen. Solche Meinungen werden nicht etwa von unbedeutenden Spinnern vertreten, sondern von Chefökonomen in Frankfurts Bankenfestungen. Die Ideen sind nicht neu, sie fußen auf der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“. Ein kleines, elitäres Netzwerk hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie weltweit zu verbreiten: Die Mont Pelerin Society (MPS), laut Sunday Times die einflussreichste Denkfabrik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1947 wurde die „Denkerfamilie“, wie sich ihre Mitglieder nennen, vom Österreicher August von Hayek auf den Anhöhen um den Genfersee gegründet. Nach den staatlichen Interventionen während der Wirtschaftskrise schien die Lehre der MPS vollkommen diskreditiert, doch nun gewinnt sie wieder an Gewicht. Geht es doch jetzt um nichts weniger als um die Deutung der größten Finanzkrise der vergangenen Dekaden.

Herr Salin, glauben Sie, dass die Ökonomie eine wirkliche Wissenschaft ist?'

Ja. Es gibt zwei Denkschulen: Die eine sind die Keynesianer. Sie gehen von unrealistischen Annahmen aus. Die andere ist die Österreichische Schule der Nationalökonomie, die auf die Österreicher Karl Menger, Ludwig Mises und Friedrich Hayek zurückgeht. Ich fühle mich dieser zweiten Schule zugehörig. Wir gehen von realistischen Annahmen aus und sehen den Menschen als rational handelndes Individuum.

Herr Plehwe, Pascal Salin unterteilt die Ökonomen in zwei Denkschulen, was sagen Sie dazu?
Es wurde immer versucht, die Ökonomie in die Nähe der harten Naturwissenschaften zu rücken, auch die Schaffung des quasi Nobelpreises für Ökonomie* der Schwedischen Reichsbank ist ein Schritt in diese Richtung. Wird die Ökonomie in nur zwei Denkrichtungen unterteilt, werden damit alle anderen wirtschaftspolitischen Sichtweisen ignoriert. Denken Sie etwa nur an die Marxisten oder die Institutionalisten.

Herr Salin, interpretieren Sie denn die Krise als Markt- oder als Staatsversagen?

Viele Leute behaupten, die Krise sei ein Beweis dafür, dass der Markt schlecht funktioniere und der Kapitalismus einen instabilen Charakter habe. Deshalb soll der Staat intervenieren. Ich sage das Gegenteil: Alle Ursachen der Krise resultieren immer aus staatlichen Interventionsversuchen. Märkte können nur ins Gleichgewicht kommen, wenn sich Staaten und Politiker raushalten. Dennoch wurde überall in die Wirtschaft eingegriffen. Das widerspricht sämtlichen Prinzipien der Österreichischen Schule. Alle Staaten haben Geld aufgenommen. Das ist der große Fehler der Keynesianer. Sie denken, der Staat muss in Zeiten der Krise die Wirtschaft ankurbeln. Damit provozieren wir doch nur die nächste Krise!

Herr Plehwe, Pascal Salin sagt, dass durch die Interventionspolitik der Staaten mehr Inflation entstehe und somit die nächste Krise bereits vor der Tür steht. Was sagen Sie dazu?

Die Österreichische Schule der Nationalökonomie sagt: Der Staat kann nur zum Preis einer anderen Krise einen Transfer von fiktivem Geld machen. Deswegen argumentieren sie, dass man dann im konkreten Fall die irische oder die griechische Wirtschaft einfach zusammenbrechen lassen muss. Geldwertstabilität ist das höchste Primat der Österreichischen Schule. Jede Politik produziert Gewinner und Verlierer. Es gibt keine neutrale Politik. Die Geldwertstabilität nützt natürlich den Vermögensbesitzern. Die Logik der Österreichischen Geldtheorie ist somit eine Logik der Vermögensbesitzer. Zentralbanken sind politische Instrumente, die Einfluss auf die Geldwertstabilität haben. Deswegen spricht sich Salin genauso wie Hayek für die Abschaffung der Zentralbanken aus. Hayek hat zwei große Ideen propagiert: Eine beschränkte Demokratie à la Ständestaat und die Privatisierung der Zentralbanken.

Herr Salin, Sie haben viel über „Freie Banken“ geschrieben, ein Ideal von Banken fernab von staatlicher Regulation. Sind Sie immer noch Verfechter dieses Ideals?

Unsere Epoche ist von der Illusion geprägt, Geld produzieren zu können. Es ist nicht notwendig, ja es ist sogar gefährlich, mehr Geld zu schaffen. Banken sollten doch nur als Intermediäre im Wachstum der Wirtschaft existieren. Das Übel liegt nicht in den Aktienmärkten, sondern den Zentralbanken. Nur sie haben die Funktion, Geld zu schaffen. Wir leben in einer total unverantwortlichen Finanzwelt und zwar nicht weil die Banker und Manager unverantwortlich sind, sonder weil ihnen die Staaten dieses Verhalten suggerieren.

Sollte Geld wieder durch einen realen Wert gedeckt sein, wie früher zu Zeiten des Goldstandards?

Mit monetären Problemen wie diesen haben sich die Mitglieder der MPS sehr oft auseinandergesetzt. Dabei gab es immer einen gemeinsamen Nenner: wir sind gegen Inflation und gegen unlimitierte Macht der Zentralbanken. So war Milton Friedmann nicht prinzipiell gegen Zentralbanken, aber er wollte ihre Macht deutlich einschränken. Ökonomen um Hayek waren von der Idee freier Banken überzeugt und wollten die Zentralbanken abschaffen. Andere wünschen sich den Goldstandard zurück.

Herr Plehwe, Pascal Salin schlägt als Alternative zu Zentralbanken, „Freie Banken mit echten Kapitalisten“ vor. Ein wichtiger Bankier ging in einem Artikel in der Financial Times Deutschland sogar so weit, völlig beliebige Währungen zu propagieren: Gold, Silber, Kupfer und vielleicht ein paar Muscheln könnten unser Papiergeldsystem ersetzen?

Das sind Gedankenspielereien, mit denen sich Teile des neoliberalen Lagers beschäftigen. Die Angst der Vermögensbesitzer ist immer die gleiche: Ihr Vermögen nicht ausreichend sichern zu können. Das ist natürlich eine sehr beschränkte und naive Sicht.

Eine Art Dagobert Duck-Perspektive?

Genau, die wirtschaftspolitische Vorstellung der MPS ist eine Art Konflikt zwischen Dagobert Duck und den Panzerknackern.

Herr Salin, nun zu Europa: Wäre Griechenland pleite gegangen, wenn die europäischen Staaten nicht reagiert hätten?

Ein Staat kann nicht Pleite gehen. Auch hier wäre es wichtig zu sagen, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist. Aber es gibt eine Art Komplizenschaft unter den europäischen Regierenden. Die europäischen Länder haben beschlossen, die Verrücktheit von Staaten und Regierenden nicht durch Märkte kontrollieren zu lassen. Deshalb haben sie Griechenland aufgefangen, mit Geld, das jetzt in Ländern wie Deutschland, Frankreich und England für Investitionen fehlt. Das finde ich skandalös!

Aber Europa hängt doch monetär eng zusammen.

Ja, aber auch als es noch Nationalwährungen gegeben hat, wurde eine Art Plünderung betrieben. Zuerst wurden Budgetdefizite gemacht, dann wurde Geld geschaffen, um die Defizite abzudecken, danach hatten die Staaten Schwierigkeiten, die Schulden zurückzuzahlen. Deswegen werde Währung abgewertet. Das ist eine Beraubung an allen Individuen, die Geld besitzen. Ihr Geld verliert an Wert!

Ein paar Fragen zur MPS. Sie waren während der neunziger Jahre Präsident dieser Vereinigung. Die Sunday Times hat einen Artikel veröffentlicht, in dem sie die MPS als den einflussreichsten Think Tank der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschreibt. Das ist doch sehr erstaunlich, weil man kaum etwas davon hört.

Von uns werden Sie nirgends auf der Welt ein Büro oder eine Adresse finden. Sie können sich die MPS wie eine Denkerfamilie vorstellen. Hayek wollte ein Netzwerk von Wissenschaftlern und Politikern gründen. Unter uns finden sich viele Direktoren von Think Tanks, auch sieben Nobelpreisträger zählen zu unserem Kreis. Wir sind das Herz des weltweiten Liberalismus.

Kennen Sie Assar Lindbeck**?

Ja, Assar Lindbeck ist ein guter Freund von mir.

Herr Plehwe, gibt es denn einen Zusammenhang zwischen den vielen Nobelpreisträgern der MPS und der eventuellen Ausrichtung dieses Wissenschaftspreises?

Inzwischen gibt es mit Vernon L. Smith acht Nobelpreisträger aus den Reihen der MPS. Die Ausrichtung des Preises und seine sehr starke Orientierung hin zu US-amerikanischen Preisträgern ist im Endeffekt ein wissenschaftspolitisches Instrument. Man kann dieses Nobelpreiskomitee nicht als neutrale Bewertungseinrichtung wissenschaftlicher Forschung sehen. Das Faszinierende am Nobelpreis der Ökonomie ist, dass sehr triviale Erkenntnisse mit einem Nobelpreis ausgezeichnet werden.

Herr Salin, wie viele Mitglieder hat die MPS eigentlich?

Wir haben 500 Mitglieder. Weltweit gibt es hunderte liberale Think Tanks, die von MPS-Mitgliedern gegründet wurden. Sie müssen verstehen, dass dies kein sichtbarer Einfluss ist. Diskretion ist uns sehr wichtig. Deshalb publizieren die Mitglieder der Gesellschaft niemals im Namen der Gesellschaft. Wir sind nur unseren Ideen treu, bezeichnen uns aber als unpolitisch. Unsere Epoche ist sehr politisch, aber wir trauen den Politikern nicht. Von Medien halten wir uns strikt fern.

Es gibt also hunderte Think Tanks, die entweder von Mitgliedern der MPS oder von Personen, die ihr nahestehen, gegründet wurden.

Ja, sicher. Ich denke dabei an das Institute of Economic Affairs in London. Dessen Gründer hat Hayek gefragt, wie er den Zustand seines Landes durch ein politisches Institut verbessern könne. Hayek hat ihm geraten, im Bereich der Konzepte und Ideen zu arbeiten, um politisches Terrain zu gewinnen. Dieses Institut hat die Politik von Margaret Thatcher maßgeblich beeinflusst.

Der amtierende MPS-Präsident Deepak Lal hat letztes Jahr in New York Keynesianer zu einem Treffen geladen. Intern soll das Treffen für Unstimmigkeiten gesorgt haben, waren Sie dabei?

Keynesianer? Sind Sie sich sicher, dass Sie von einem Treffen der MPS sprechen? Ach ja, ich erinnere mich, ich war auch in New York und wollte teilnehmen. Unglücklicherweise ist meine Mutter gerade am Tag davor verstorben.

Herr Plehwe, wie kann es dazu kommen, dass Keynesianer zu einem MPS-Treffen geladen werden?

Der aktuelle Präsident Deepak Lal wollte, ähnlich wie Hayek seinerzeit, in der großen Krise als Gemäßigter auftreten. MPS-intern gab es eine Auseinandersetzung zwischen gemäßigten Neoliberalen und Betonköpfen. Lal wurde auf dieser Konferenz von seinen Reihen als Keynesianer beschimpft, weil er bereit ist, an manchen Stellen intellektuell Zusammenhänge zu sehen, die viele seiner Leute nicht wahrhaben wollen. Ich denke, nach dem doppelten Scheitern der Hauptlehren der jüngsten Kapitalismusgeschichte – des Neoliberalismus und des Keynesianismus – gibt es einen dringenden Bedarf, die Karten offen auf den Tisch zu legen und neu zu mischen. Ich würde mir wünschen, dass Intellektuelle verschiedener Lager offener diskutieren würden.

Herr Salin, noch bevor die MPS gegründet wurde, gab es 1938 in Paris ein Kolloquium zu Ehren des Ökonomen Walter Lippmann. Fast alle der damals anwesenden Ökonomen waren auch 1947 bei der Gründung der MPS dabei. Stimmt es, dass von den Anwesenden des Kolloquiums der Terminus „Neoliberalismus“ geprägt wurde?

Über das Kolloquium reden wir viel, aber ich kann Ihnen nicht sagen, ob wir damals schon von Neoliberalismus gesprochen haben. Vielleicht schon, weil der Liberalismus durch die Krise von 1929 attackiert wurde. Auch diese Krise wurde schlecht interpretiert. Die dominierende Interpretation war, dass es sich um eine Krise des Kapitalismus handelt.

Herr Plehwe, hat die MPS den Begriff Neoliberalismus geschaffen?

Der Begriff wurde während des Kolloquiums zu Lippmanns Ehren, dem Vorläufer der MPS, geprägt. Dort wurde der Neoliberalismus zum ersten Mal in Abgrenzung zum traditionellen Liberalismus definiert.

Sehen sie die MPS wie Salin als „Herz des weltweiten Liberalismus“?

Dem würde ich zustimmen und hinzufügen, dass sie vor allem das Herz des weltweiten Neoliberalismus sind.

Warum betont Salin, dass sich die MPS stets im Hintergrund hält und dass ihnen Diskretion sehr wichtig ist?

Wissenschaftler der MPS wie Salin werden als Wissenschaftler gewissermaßen entwertet, wenn ihre Leistung in der Öffentlichkeit nicht als individuelle, sondern nur als Kollektivleistung eines Kampfverbandes für Intellektuelle und Think Tanks diskutiert wird.

Pascal Salin sagt, die MPS sei unpolitisch. Was sagen Sie dazu?

Die moderne westliche Demokratie geht seit US-Präsident Theodor Roosevelt davon aus, dass sich öffentliche Interessen am besten auf expertenbasierte, neutrale wissenschaftliche Beratung stützen sollen. Geht es nach dieser Theorie, leidet die Qualität der Politik, wenn Partikular-Interessen und Ideologien in die Politik kommen. Wenn sich nun ein großer Kreis von Neoliberalen zusammenschließt, um Wirtschafts-, Wissenschafts- und Gesellschaftspolitik zu machen, und sich dann hinstellt und erklärt: Wir machen doch keine Politik. Also das spricht wirklich für sich.

Herr Salin, können Sie mir ein paar Namen von MPS-Mitgliedern in Österreich nennen?

Mir fallen die Namen gerade nicht ein.

Herr Plehwe, fallen Ihnen ein paar österreichische Mitglieder der MPS ein?

Da gibt es eine Menge: Erich Streissler vom Institut für Volkswirtschaft an der Universität Wien, die Generalsekretärin des Hayek-Instituts, Barbara Kolm-Lamprechter, Christoph Kraus von der Constantia Privatbank, Wilhelm Taucher und Heinrich Treichl vom International Institute of Austrian Economics, Albert H. Zlabinger, der Präsident des Carl Menger Instituts. Sie alle sind als Mitglieder der MPS bekannt.

* Der Wirtschaftnobelpreis wurde nicht von Alfred Nobel gestiftet, sondern wird erst seit dem Jahr 1969 von der schwedischen Reichsbank vergeben.

** Lindbeck ist ein schwedischer Wirtschaftswissenschaftler und war von 1980 bis 1994 Vorsitzender des Entscheidungskomitees zur Vergabe des Preises für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank.

AutorInnen: Martina Burtscher