Sich Glück ausmalen

  • 27.09.2012, 02:07

„… so ist dies dritte Beispiel quasi Sinnbild des glücklichen Individuums oder der glücklichen Individuen, die sich dem Struktural-Gesetzmäßigen auf breitflächiger Dimension streng einzuordnen vermögen, ohne ihrem individuellen Charakter Abbruch zu tun.“
Diesem literarischen Entwurf eines versöhnten Allgemeinen stellt Paul Klee eine kleine Skizze zur Seite: Auf einen mit dünnen Strichen gezogenen Raster legen sich Linien und Formen. Sie schmiegen sich an die Waagrechten und Vertikalen der graphischen Struktur an, aber bewahren dabei ihre Eigenständigkeit. „Beiträge zur bildnerischen Formlehre“ betitelt Klee die 1921/22 am Bauhaus gehaltene Vorlesung, in der er dieses Bild eines Nicht-Seienden im Zusammenhang einer allgemeinen Lehre der Formen erwähnt.
Der gesellschaftsbildende Gegensatz zwischen den Einzelnen und dem Ganzen, zu dem sie zusammengeschlossen sind, begegnet dem Zeichner und Maler als Problem der Form. Im Bild gibt es rhythmisierte Struktur, die lose oder fest, schnell oder langsam komponiert sein kann. Es finden sich gleichermaßen Individuen: Punkte, Linien und Flächen. Dies hat es mit der Musik gemeinsam, die für den Geiger Klee einen wichtigen Bezugspunkt ausmacht. In der konventionellen Musik entspricht das Verhältnis von Einzelformen und Struktur dem der Solostimmen zum Orchester, die zusammen ein polyphones Ganzes bilden. Derart entsteht auch im Bild aus der bestimmten Anordnung der Formelemente ein Ensemble von Klängen, eine Vielstimmigkeit. Es eignet sich darum, wie die Musik, zur Darstellung eines Gleichnises des menschlichen Zusammenlebens.
Nun ist aber in Wirklichkeit weit und breit keine Gesellschaft in Sicht, in die sich einordnen ließe, ohne auf Individualität zu verzichten. Deshalb bleibt Klees Skizze des glücklichen Individuums eher Wunschtraum, Utopie, als tatsächliche Gegenwart. Und selbst dort, wo dieses Glück vielleicht wirklich zu finden ist, lässt es sich nicht unmittelbar künstlerisch erfassen. Klee gelingt es nur Wesentliches an den Gegenständen darzustellen, indem er nicht einfach ihre Oberfläche abpinselt. Seine Kunst ist in gewissem Sinn eine gegenständliche, also intensiv auf einen Gegenstand bezogen. Sie stellt allerdings nicht dessen Sichtbares dar, sondern macht sein inneres Wesen sichtbar. Das Bild ist dann nicht Abbild der Welt, sondern ihre Allegorie. Es bringt Verborgenes an den Dingen zum Vorschein und ist darin gegenständlich und abstrakt zugleich.
Wer sich davon selbst überzeugen will, könnte das Museum für Moderne Kunst (Mumok) im Museumsquartier aufsuchen, das einige Bilder von Klee in seiner Sammlung führt und auch immer, in wechselnder Anordnung, ausstellt. Auch die Albertina in Wien verfügt über einige Stücke, die sie zuletzt im Rahmen der großen Ausstellung zum Blauen Reiter präsentiert hat.

Der Autor studiert Philosophie in Wien.

AutorInnen: Simon Sailer