Rede an euch

  • 22.02.2013, 18:35

Über das Risiko, sich mit einer „innerjüdischen“ Debatte in den Dienst der Holocaust-Verniedlicher zu stellen. Raimund Fastenbauer, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Österreichs, findet klare Worte zu Peter Menasses neuem Buch und einem als Reaktion darauf im Standard erschienenen Artikel. Ein Gastkommentar.

Über das Risiko, sich mit einer „innerjüdischen“ Debatte in den Dienst der Holocaust-Verniedlicher zu stellen. Raimund Fastenbauer, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Österreichs, findet klare Worte zu Peter Menasses neuem Buch und einem als Reaktion darauf im Standard erschienenen Artikel. Ein Gastkommentar.

Das provokante Büchlein Rede an uns von Peter Menasse, das vergangenen Herbst erschienen ist, kommt in Österreich so manchen besonders gelegen. Sagt doch Menasse selbst, und damit „jetzt sogar die Juden schon“, die Shoah sei Geschichte. Menasse riskiert damit fahrlässig, in eine Ecke mit Holocaust- verniedlichern unterschiedlicher Schattierung gestellt zu werden. Warum wurde seiner Polemik, die er doch, wie er selbst sagt, eigentlich an die jüdische Gemeinde richtet, in Österreich und Deutschland so viel Gewicht beigemessen? Schon immer ließ man gerne einen Juden sagen, was man sich selbst nicht traute. Das wussten schon die Jesuiten des Mittelalters bei Disputationen und erst recht in  späterer Zeit die Stalinisten.

Der Titel Rede an uns weist allerdings in der Tat auf einen nicht unwichtigen innerjüdischen Diskurs hin: Nämlich zwischen jenen Jüdinnen und Juden, die dem Judentum positive Inhalte zusprechen (aus Tradition, Religion, Ethik etc.) und jenen, für die es lediglich gezwungenermaßen eine „Schicksalsgemeinschaft“ in der Mehrheitsgesellschaft Assimilierter darstellte. Letztere sind in ihrem Judentum besonders durch das Geschehene des Holocausts geprägt und getroffen, weil sie auch ihr Assimilationsversuch, den sie bei stärkerem „jüdischen Bewusstsein“ nicht unternommen hätten, nicht vor der Verfolgung bewahrte. Für den Betroffenen mag dies ein schockierender „Undank“ gewesen sein.

Niemals wieder Opfer. Das Gedenken an den monumentalen Zivilisationsbruch, den die Shoah als Versuch einer „modernen maschinellen Vernichtung“ eines ganzen Volkes darstellt, ist im heutigen Judentum mit dem Ziel verbunden, „niemals wieder Opfer“ zu werden, mit der Solidarität mit dem Staat Israel und der Besinnung auf jüdische Inhalte in unterschiedlicher Art und Bewertung – eine durchaus zukunftsgerichtete und selbstbewusste Haltung. Dazu braucht es nicht Peter Menasse. Der gesellschaftlich verankerte Antisemitismus, der ohne die fast 2000jährige abendländische antijüdische christliche Polemik nicht möglich gewesen wäre, ist längst nicht überwunden – trotz der Shoah, es besteht vielmehr die Gefahr der Verdrängung und des Wiedererstarkens unter anderen Vorzeichen, etwa in der Leugnung des Existenzrechtes des Staates Israel und seiner Dämonisierung oder in den Drohungen des Holocaust-leugner-regimes in Teheran mit der Möglichkeit eines diesmal atomaren Holocaust. All dies wird von Menasse ignoriert. Auch der Artikel Judentum: Der Spagat zwischen gestern und ewiggestern von Wolfgang Weisgram, der am 27. Dezember 2012 in der Tageszeitung Der Standard erschienen ist, vermischt grundsätzlich richtige Analysen und Binsenweisheiten Menasses mit falschen und gefährlichen Aussagen wie: „Sie (die Shoah, Anm. d. V.) hat keinen Bezug zur Gegenwart der jungen Generation.“ Hinzu kommt, dass die Überschrift und der Inhalt des Artikels dem Judentum eine totale Rückwärtsbezogenheit auf das „Gestern“ unterstellen. Das ist Wasser auf den Mühlen jener, die aus der Vergangenheit keine Lehre für Gegenwart und Zukunft ziehen wollen: die tatsächlich „Ewiggestrigen“.

Hoher Preis. Manche von Menasses schnoddrigen Sagern lassen sich auch aus seiner Gegnerschaft zur Leitung der Israelitischen Kultusgemeinde erklären. Statt sich über das Selbstbewusstsein der Kultusge­meinde in den letzten Jahren zu alterieren, wäre Kritik am weit zurückhaltenderen Auftreten in früheren Perioden verständlich gewesen, das sich eben aus einem anderen Bewusstsein demoralisierter unmittelbar Überlebender erklären lässt. Da es in der heutigen Mediengesellschaft keine „internen Diskurse“ gibt, nimmt Menasse mit seinen Zeilen aber in jedem Fall fahrlässig in Kauf, dass er Beifall von, hoffentlich, unerwünschter Seite bekommt.

Österreich hat es meisterhaft verstanden, sich jahrzehntelang als das erste Opfer des Nationalsozialismus darzustellen, auf die tatsächlichen Opfer zu vergessen und jene auf hunderten Soldatenfriedhöfen und Gedenkstätten à la Heldenplatz als „Helden“ zu ehren, die sich in den Dienst der Täter stellten. Nicht zufällig ist heute der 26. Oktober Nationalfeiertag. Es ist der Tag der Neutralitätserklärung, der aber oft mit jenem Tag verwechselt wird, an dem der letzte Soldat der Befreier das Opfer Österreich verlassen hat. Ansonsten wäre der Tag der deutschen Kapitulation als Nationalfeiertag zu feiern, wie in anderen Ländern auch. In Österreich aber feiert man lieber den Tag, an dem die Befreier gegangen sind, als jenen, an dem sie gekommen sind.

Kein innerjüdischer Diskurs. Solange Österreich versucht, sich so durch die Geschichte zu drehen, ist die Shoah aber nicht Geschichte. Einschlägiges postnazistisches Gedankengut ist vielmehr manifester Teil der Gegenwart. Dies aufzuarbeiten ist eine Bringschuld der Gesellschaft und kein innerjüdischer Diskurs – schon aus Gründen der Selbsthygiene. Ohne Aufarbeitung gibt es keine Lehren für die Gegenwart und Zukunft. Diesbezüglich ist in den letzten Jahren in Österreich auch durch Initiativen nichtjüdischer Kreise viel geschehen. Menasse hat Recht damit, dass die Gedenkarbeit der Gesellschaft von dort ausgehen sollte. Aber gerade diesen Bemühungen haben weder Wolfgang Weisgram im Standard noch Peter Menasse einen guten Dienst erwiesen. Denn sie sind weder „Therapie gegen Phantomschmerzen“ noch eine innerjüdische Sache, sondern ein wichtiger Beitrag zur demokratischen und humanistischen Entwicklung der österreichischen Gesellschaft. Gerade das Shoahgedenken soll verhindern, dass so etwas heute nochmals so oder ähnlich passiert. Die Gaskammern waren mehr „als eine Fußnote der Weltgeschichte“ (Zitat Le Pen).
 

 

AutorInnen: Raimund Fastenbauer