Nur dafür, um den heimischen Männern Sex anzubieten

  • 13.07.2012, 18:18

Joana Adesuwa Reiterer, geboren 1981 in Nigeria, lebt als Schauspielerin, Autorin und Menschrechtsaktivistin in Wien. Als Gründerin der NGO „Exit“ klärt sie seit 2006 über die Folgen von Menschenhandel auf und unterstützt Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen. Im Interview erzählt sie über Voodoo, schlecht beratene Frauen und österreichische Freier.

Joana Adesuwa Reiterer, geboren 1981 in Nigeria, lebt als Schauspielerin, Autorin und Menschrechtsaktivistin in Wien. Als Gründerin der NGO „Exit“ klärt sie seit 2006 über die Folgen von Menschenhandel auf und unterstützt Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen. Im Interview erzählt sie über Voodoo, schlecht beratene Frauen und österreichische Freier.

PROGRESS: Sie helfen mit Ihrer NGO nigerianischen Frauen, die in Österreich zur Prostitution gezwungen werden. Was sind die größten Probleme dieser Frauen?

Joana Adesuwa Reiterer: Die Frauen schulden ihren Schleppern oft bis zu 40.000 Euro, am Straßenstrich erhalten sie aber pro Freier oft nicht mehr als zwanzig. Sie sind verzweifelt, und wissen nicht, wie sie ihre Schulden begleichen sollen, sie dürfen in Österreich so gut wie nicht arbeiten. Daher sehen viele keinen anderen Ausweg, als sich weiter zu prostituieren. 

Was passierte, wenn sie untertauchen und ihre Schulden nicht zurückzahlen würden?     

Die Menschenhändler drohen damit, dass sie dann ihren Familien in Nigeria Gewalt antun würden. Die Zuhälter und Menschenhändler sind ja fast nie Menschen, die die Frauen nicht kennen, sondern alte Nachbarn oder ehemalige Freunde. Außerdem haben sehr viele von den Frauen vor ihrer Abreise bei einem Hexenmeister den Schwur abgegeben, jede Arbeit zu machen, ihre Schlepper nicht zu verraten und ihnen das Geld zurückzuzahlen. Wenn sie es nicht einhalten, so wird gedroht, folge Krankheit, Wahnsinn oder gar Tod.

Die Frauen glauben daran? 

Ja, das ist ein sehr starker Aberglaube in Nigeria. Viele Frauen können sich davon ihr ganzes Leben lang nicht befreien, es treibt sie in den Wahnsinn. Ich selbst habe eine ähnliche Situation erlebt: Als ich eine Jugendliche war, sagte ein anerkannter Magier meinem Vater, dass ich eine Hexe und Schuld an seinem ökonomischen Unglück sei. Sie haben danach versucht, mir mit Hilfe merkwürdiger Rituale die Hexerei auszutreiben. Das ging so lange, bis ich von zu Hause weggerannt bin.   

Wie sind Sie später mit diesem Erlebnis umgegangen?

Irgendwann, da war ich schon in Österreich, ist mir aufgefallen, dass die Sache mit der Hexerei noch immer ein großes Thema in meinem Leben spielt. Nicht nur, weil ich es selbst erlebt habe, sondern weil es auch so viele andere Frauen betrifft, die hier sind. Ich machte dann eine Therapie, die mir half, meine Angst zu überwinden. Im Zuge der Sitzungen schrieb ich auch meine Lebensgeschichte auf, die mittlerweile als Buch veröffentlicht wurde.

Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Nachdem ich mit 16 Jahren von meinem Vater davon bin, lebte ich fast ohne Geld in Lagos und Benin City, schlug mich auf der Straße durch und eröffnete eine Modeboutique. Dort lernte ich einen charmanten Nigerianer namens Tony kennen. Er sagte, er betreibe ein Reisebüro und wohne in Wien. Er lud mich ein, mit ihm nach Wien zu kommen, er wollte, dass ich seine Frau werde – ich mochte ihn. Doch in Wien war auf einmal alles anders, er spielte sich als Macho auf, die Wohnung war ständig voll mit eingeschüchterten Mädchen aus Nigeria und mit Freunden von Tony. Ich merkte, dass er mit Menschen handelt, und lief wieder davon.

Es muss hart gewesen sein, ganz allein in Wien. 

Ich wusste nicht wohin, lief und fuhr mit der Straßenbahn ziellos herum – bis ich nicht mehr konnte. Heulend saß ich auf einer Parkbank, so lange, bis mir ein Mann einen Zettel gab, auf den er die Telefonnummer der Wiener Frauenhäuser notiert hatte. Von da an ging es wieder bergauf.

Wie kamen Sie dann dazu, die NGO „Exit“ zu gründen?

Ich hatte all das Leid der jungen Prostituierten aus Nigeria kennen gelernt, aber die Öffentlichkeit in Österreich wusste darüber nichts. Deswegen wollten wir mit „Exit“ am Anfang vor allem Medienarbeit machen, wir wollten die Menschen aufklären, was die Opfer der Menschenhändler erleben. Nach einiger Zeit kamen dann die ersten Frauen zu uns und fragten direkt um Hilfe. Seitdem machen wir auch Beratung, bieten psychologische Betreuung an und in einzelnen Fällen stellen wir Anwälte zur Verfügung. Wir organisieren Fortbildungskurse, in denen Deutsch gelehrt wird. Wir begleiten die Frauen, bei Behördenwegen und beraten sie bei ihren Asylverfahren. 

Wie erleben Sie die Asylverfahren?

Wenn Frauen Opfer von Menschenhandel werden, bekommen sie in Österreich meistens Asyl. Manchmal werden ihnen von den Behörden aber bewusst Informationen vorenthalten.  Das zeigt sich, wenn ihnen geraten wird, dass sie ihr Asylverfahren schließen und stattdessen eine Niederlassung beantragen sollen. Während der positive Asylbescheid den Frauen nicht mehr weggenommen werden könnte, ist die Niederlassung auf ein Jahr begrenzt und danach wird erneut geprüft, ob die Frauen weiterhin kooperieren und ob es noch wichtig ist, dass sie in Österreich bleiben. Es gibt zwar dann immer noch andere Möglichkeiten, in Österreich zu bleiben, aber diese falschen Informationen sind einfach unehrlich. Der Schutz von Frauen steht hier nicht im Zentrum der Bekämpfung von Menschenhandel.

Menschenhandel und Zwangsprostitution sind globale Probleme – lassen sie sich überhaupt lösen, oder nur lindern?

Es wird immer Männer geben, die Notlagen von Frauen ausnutzen werden, um mit ihnen Sex zu haben. Solange es solche Männer gibt, wird es immer schwierig sein, Zwangsprostitution zu bekämpfen. Aber was in Wien passiert, das ist eine besondere Frechheit.

Was meinen Sie?

Dass Asylwerberinnen nur als Prostituierte tätig sein dürfen. Wenn Sexarbeit eine Arbeit wie jede andere ist, wie kann es dann sein, dass Frauen, die keine Arbeitserlaubnis haben, nur diese Arbeit machen dürfen? In der Fachsprache heißt das „Neuselbstständig“. Das bedeutet, dass eine Asylwerberin ohne Arbeitserlaubnis auch beispielsweise als Journalistin arbeiten könnte, was ja nicht sehr realistisch ist. Das klingt für mich so, als ob die Behörden davon ausgehen würden, dass die schwarzafrikanischen Frauen ohne Aufenthaltserlaubnis nur dafür da sind, um den heimischen Männern Sex anzubieten. Das ist eine Frechheit und muss sich ändern. 

Sollte die Inanspruchnahme von Zwangsprostitution bestraft werden? 

Ich glaube nicht, dass einen Mann zu bestrafen auch seinen Trieb nach Sex verändert. Ich halte diesen Ansatz eher für eine komische Erziehungsmethode, die ohnehin nicht funktionieren würde. Viel wichtiger ist es, die öffentliche Diskussion über das Thema anzuregen. Nur das könnte bewirken, dass einige Männer mal überlegen, ob die Frauen, deren Dienstleistungen sie in Anspruch nehmen, vielleicht minderjährig sind oder Zwangsprostituierte. Wenn man jedoch die Freier kriminalisiert, wird man auch die Frauen nicht mehr sehen und alles wird sich im Untergrund abspielen. Dann sind zwar die Straßen „sauber“, aber die Zwangsprostitution gibt es ja trotzdem noch. Das macht es dann sogar noch schwieriger, mit den Opfern Kontakt aufzunehmen. 

Ihr seid mit eurer Arbeit auch in Nigeria präsent – was macht ihr dort? 

In Nigeria betreiben wir vor allem Aufklärungsarbeit. Das fängt bei der Stellung der Frau an, die in der nigerianischen Gesellschaft sehr schlecht ist, die Frau gilt als minderwertig oder als Dienerin des Mannes. Wir klären Frauen darüber auf, dass ihr Leben nicht dazu da ist, die ganze Zeit einem Schlepper oder Freier zu dienen. 

Welche Möglichkeiten gibt es, „Exit“ zu unterstützen? 

Wir suchen natürlich immer ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In letzter Zeit haben sich zwar einige beworben, aber leider fehlt es uns immer noch an Kapazitäten. Auf unserer Homepage (http://www.adesuwainitiatives.org) steht genau, für welche Aufgabenbereiche wir Leute brauchen. Das Problem ist, viele wollen gleich mit den Frauen arbeiten, aber wenn sie nur einen Monat bleiben, geht das einfach nicht, weil man erst das Vertrauen der Frauen gewinnen muss. Was uns natürlich auch immer weiterhilft, das ist Geld. Es gibt aber noch viele andere Möglichkeiten, man kann den Frauen Computerkurse anbieten oder andere Weiterbildungsmöglichkeiten organisieren. 

 

AutorInnen: Judith Goetz